»Treu, stolz, wacker«

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Ausgabe Nummer 30 - Efferd 1024 BF

»Treu, stolz, wacker«

Die Eherne, Seestadt, Stadt zweier Völker, Reichs- und Fürstenstadt … mit vielen Namen hat man das stolze Angbar benannt, das sich von den übrigen Kapitalen des Reiches in mancherlei Dingen unterscheidet: Hier leben Mensch und Zwerg in Frieden und Freundschaft miteinander seit den Zeiten Hochkönigs Angbarosch, dessen Namen die Stätte trägt, und lange galten die ehrwürdigen Väterchen der Angroschim als die Herren der Stadt und nicht die Kaiser Bosparans. Heuer bestimmen die Bürger selbst ihre Geschicke und sind einzig dem Kaiser untertan, wiewohl zugleich die Fürsten vom Eberstamm hier residieren, doch nur mit Erlaubnis der Bürgerschaft. 1 Und schließlich ist Angbar die Stadt Vater Ingerimms, in welcher Sein gewaltiger Tempel der Flamme steht und das Ihm gefällige Handwerk mit unvergleichlicher Tüchtigkeit betrieben wird. Drei Mal schon hat der Kosch-Kurier sich neben der allgemeinen Berichterstattung ausführlich der Beschreibung unserer Landeshauptstadt gewidmet, ohne erschöpfend von all dem Tun und Treiben innert der Mauern berichten zu können. Auch diesmal, soviel ist gewiß, wird uns dies nicht gelingen, doch wollen wir ein weiteres Stück des Weges tun.

Aller zwergischen Logik zum Trotze besteht Angbar heute aus fünf großen Vierteln, und wer vom Neumarkt im Zentrum der Stadt zu ihren Toren fortschreitet, der wird in jeder Richtung ein anderes Antlitz der Stadt kennenlernen.

Alt-Angbar, deutlich erhöht gelegen im Nordosten der Stadt, stellt sich dem Besucher als dichtbebautes Gewirr von Gassen und fast zur Gänze steinernen Häusern aus gut 1600 Jahren Stadtgeschichte dar. Zudem liegen die Eingänge und Wohngeschosse durch die drei Hügel der Altsstadt und die zwergische Vorliebe für Kellerbehausungen auf den unterschiedlichsten Höhenebene. Häufig werden die oberen Stockwerke von Menschen bewohnt, während ihre zwergischen Nachbarn in den Untergeschossen hausen, die nur durch Treppen von einer tiefergelegenen Gasse aus erreichbar sind (ähnliches gibt es auch an der Reichsstraße am Südrand Ingluts). Menschen und Zwerge aller Völker machen wohl je zur Hälfte die stolzen Bürger der Altstadt aus.

Nördlich der Kaiserstraße und des mächtigen Tempels der Flamme liegt Inglut, das rauchig und laut ist, wie’s der Fremde von Angbar erwartet. Viele der Bewohner oder deren Ahnen sind aus den Bergfreiheiten der Erz- und Amboßzwerge zugewandert, während die Hügelzwerge bevorzugt im nordwestlichen Heimeling leben.

Östlich des Neumarkts und südlich Alt-Angbars liegt Barschensee, das ärmste der Angbarer Viertel. Hier leben in der Hauptsache Fischer und Seeschiffer, denen die ehrbaren Zünfte noch immer keine Vertretung im Rat der Stadt zugebilligt haben. Die Barschenseer Gasthäuser sind einfacher anderswo in der Stadt und das Bier dünner, doch bieten sie alle Tage frischen Fisch und schmackhafte Suppen.

Kruming, das „fünfte Viertel“, ist der jüngste der Stadtteile und trotz zweier Minen noch recht bäuerlich geprägt. Häufig halten sich die Bewohner noch richtig Vieh und mästen nicht nur ein Huhn für Festtage. Aber auch einige wohlhabende Bürger haben sich hier,der Enge Alt-Angbars entfliehend, in den letzten Jahrzehnten angesiedelt — allen voran der Fürst vom Eberstamm selbst in seinem Wasserschloß Thalessia [50].

Heimeling

Das Viertel ist unzweifelhaft von hügelzwergischer Prägung: Wie anderswo im Angbarer Land passen sich hier die Wohnhöhlen ihrer Sippen in die Landschaft ein, so daß der fremde Besucher oft erst auf den zweiten Blick inmitten der Gärten und Gemüsebeete die Fenster, Türen und Kamine der unterirdischen Wohnstätten erblickt. Vogt Nirwulf bewohnt als einer der wenigen Hügelinge ein oberirdisches Haus, das leicht an seinem verglasten Blumengarten zu erkennen ist [31]. Vielerorts laden in Heimeling hölzerne Bänke den Spaziergänger zum Verweilen ein. Das Viertel im Nordwesten Angbars ist erst seit wenigen hundert Jahren von der Stadtmauer umfaßt, ein Umstand, an den sich die hügelzwergischen Bewohner nicht recht gewöhnen mochten, pflegen sie doch rege Beziehungen zur Verwandtschaft außerhalb der Stadt. Bald schon fanden sich an der Heimelinger Stadtmauer allerorten hölzerne Treppen und Stiegen [29], damit die Hügelzwerge einander auch weiterhin ungestört besuchen konnten. So oft sie niedergerissen wurden, kamen auf seltsame Weise neue hinzu. Der städtische Mauergreve konnte nicht anders, als die zwergische Sturheit zu dulden: Des Nachts müssen die Stiegen freilich auf der Außenseite und in Kriegszeiten an beiden Seiten abgebaut werden.

Tempel der Ewigen Flamme

Das hochheiligste Haus des Feuergottes (neben Xorlosch, der Heimat der Zwergenheit und des gleichnamigen Ritus) liegt am Rand des nordwestlichen Viertels Inglut [19]. Der oberirdische Tempel hat die Form eines Ambosses, doch schmiegt er sich an das höhergelegene Felsplateau der Altstadt, und seine unterirdischen Kammern erstrecken sich weit darunter. Einen Eingang zu ebener Erde besitzt der Tempel nicht, die Gläubigen steigen über die große Treppe vom Platz des Feuers hinab in die große Tempelhalle. Dort lodert seit ewiger Zeit das mächtige Feuer des Herrn, und wenn Baldarosch, die Eisentrommel, verkündet, daß eine Frischeglut angefacht wird, verblassen die acht Feuersäulen des Tempelplatzes in ihrem Angesicht zu bloßen Fünkchen. Schwarz steigt dann der Rauch empor aus dem höchsten Schlot der Stadt und spornt die Diener des Gottes zu noch fleißigerem Tagwerk an. Im Schatten des Schlots aber, entlang der Kaiserstraße, zeugen die Zunfthäuser von handwerklicher Meisterschaft und ständischer Macht [14]. Hier tagen die Zunftgerichte, werden Lehrlinge geprüft und über die Aufnahme neuer Meister entschieden. Jedes Haus beherbergt einen Schrein des jeweiligen Zunftheiligen, in dem auch die Zunftlade und das Zunftbanner aufbewahrt werden. Außerdem gibt es häufig eine eigene Trinkstube, in der die Zunftfeiern abgehalten werden und die Meister sich vor den Sitzungen des Rates treffen.

Brodilsgrund

Nördlich der Stadtmauer liegt Brodilsgrund [4]. Die Tribünen künden davon, daß das offene Feld als Turnierbahn und — weit häufiger — für die Immanspiele von Vorwärts Angbar und den unbekannteren Mannschaften der Stadt genutzt wird. Bei Turnieren schlagen die Teilnehmer ihre Zelte gewöhnlich unterhalb des auf dem Hügel Dwulin [70] gelegenen Rondratempels [3] auf, und auch die Kämpfer auf dem Platz haben das über die Stadtmauer thronende Haus der Göttin stets im Blick.

Praiostempel

Ein stolzer Kuppelbau im Gurvanischen Stil, dem Patriarchenpalais am Neumarkt gegenüber, ist dem Götterfürsten gewidmet, gerade wie’s Ihm gebührt [34]. An Feiertagen kann sich der Hochgeweihte Tarjok Boquoi nicht über mangelnde Frömmigkeit der Angbarer beklagen, den Fürsten und seinen Hofstaat begrüßt er jeden Praiostag zur Andacht, doch ist’s nicht zu verhehlen, daß die zünftigen Angbarer ihrem Schutzherrn Ingerimm die größere Inbrunst entgegenbringen. Wohl mag durch die Spaltung innerhalb der Praioskirche, die nach dem Tod des alten Vorstehers Wilbur von Zweizwiebeln-Sighelms Halm nicht nur geradewegs durch den Kosch ging, sondern selbst die Geweihten des Angbarer Tempels entzweite, die Kirche des Götterfürsten im Volk und selbst bei Hofe an Einfluß verloren hat. Dem Tempel atttachiert sind ein halbes Dutzend Bannstrahler unter dem Befehl des Berman Silberling, die wie die Geweihten in einem prachtvollen Nebengebäude an der Nordseite des Tempels leben.

Darpatische Gesandtschaft

Auf halbem Wege vom Neumarkt zur Thalessia liegt rechterhand ein großes Gebäude, an dem das Wappen Darpatiens verkündet, daß hier der Cron-Consul Darpatien residiert [69]. Das stattliche Bürgerhaus wurde erst vor wenigen Jahren grundlegend renoviert und umgebaut. Am Eingang hält stets ein Soldat der Gesandtschaftsgarde in den rot-goldenen Farben Darpatiens und in schimmerndem Küraß Wacht. Wer ihn passiert, kann sein Anliegen dem Cron-Consul Edric von Firunslicht vortragen. Der Gesandte, ein Sproß einer alten und einflußreichen Familie, ist ein eher unauffälliger Mann mittleren Alters, der stets freundlich und zurückhaltend nicht viel Wert auf Prunk legt. Stattdessen widmet er sich lieber der Verbesserung der Beziehung zwischen den Fürstentümern, an der es dem Haus Rabenmund offenbar seit einiger Zeit gelegen ist. Er ist ein zäher Verhandlungspartner, aber auch ein guter Gastgeber. Seine größte Leidenschaft ist seine Bibliothek und er liebt es, über fremde Länder und alte Zeiten zu diskutieren.

Garnison der Stadtgarde

Drei Tage im Jahr muß jeder waffenfähige Bürger in der Stadt sich vom Oberst-Zeugmeister für den Wachdienst einteilen lassen, auch wenn er sich ansonsten treulich in der Ehrbaren Bürger- und Schützengilde für die Verteidigung seiner Vaterstadt ertüchtigt und auf dem Schützenfeld [30] das Schießen mit der Armbrust übt. Weil dieser stete Wechsel der Wachleute zwar gerecht, aber nicht eben zweckmäßig ist, übernimmt größtenteils die Freiwillig-Bergkönigliche Garde die Aufgaben einer Stadtgarde. Ursprünglich war die Garde in der Hauptsache ein Haufen rauflustiger Hügelzwerge, die kaum für ein ehrliches Handwerk taugten, doch ist es den Befehligern stets gelungen, ihre Leute zu einer Truppe passabler Ordnungshüter zu machen. Einquartiert ist sie in der Vorburg [2] der Zitadelle, in deren Kellern Strolche, Übeltäter und Schuldner schmachten müssen. Oberst-Wachtmeister ist momentan Nirdamon, Sohn des Negromon, der Bruder des „Dicken Königs“ Nirwulf.

Haus der Zünfte

Hier tagt der Rat der Stadt, in dem die gewählten Vertreter der Zünfte sitzen (und einige Herrschaften aufgrund alten Vorrechts oder besonderer Steuerlast) [36]. Sie lenken die Geschicke der Stadt und wählen den Reichs-Vogt und die Inhaber der untergeordneten Stadtämter. Bekannt ist das Haus auch für das wundersame Uhrwerk des Meisters Relox und den „Ratskeller“, in dem die Honoratioren der Stadt nach den Geschäften zu speisen und zu trinken pflegen.

Phextempel

Der fremde Besucher staunt, wenn er, eingepfercht zwischen den stolzen Bürgerhäusern in der nordöstlichen Ecke des Neumarkts, ein niedriges, aber um so prachtvolleres quadratisches Gebäude entdeckt. Zwar liegt das Haus Phexens so verborgen, ist eines der wenigen offenen seiner Art im Mittelreich. Der Gott, den man im Koscher Land vor allem als gewitzten Gesellen Vater Ingerimms kennt und weniger als Herrn der Diebe, wird von den großen und kleinen Händlern der Stadt als der Ihre verehrt. Sein Haus zeugt von dezentem Reichtum (denn ohne den Handel hätten auch Bergbau und Handwerk der Stadt nicht so viel Wohlstand beschert). Diebsgesindel verkehrt nicht hier, wo selbst der Reichs-Vogt Stippwitz sich nicht scheut, gesehen zu werden [37].

Hesindetempel

Im Vergleich zur 1600jährigen Stadtgeschichte ist der Tempel eine junge Einrichtung. Erst in der friedlichen Rohalszeit, als Kultur und Wissenschaft eine ungeahnte Blüte erlebten, wandten sich mehr Angbarer, die zuvor Ingerimm, Rondra oder Praios geopfert hatten, der Herrin der Weisheit zu. Lange Jahre versammelten sich die Scharen der meist jugendlichen Anhänger der Göttin im Saal der Schenke Pfifferlinger, der seinem Zweck wohl genüge tat. Im Götterlauf 380 v. Hal schließlich, als der idealistische Glaubenseifer des vergangenen Jahrhunderts allmählich abzuklingen begann, taten sich einige der inzwischen mehr und mehr zu Reichtum und Einfluß gelangten Kaufleute zusammen und ließen auf ihre Kosten ein eigenes Haus zu Ehren der Göttin errichten [12]. Ihre Namen kann man noch heute auf einer in die Wand der Vorhalle eingelassenen Bronzetafel lesen, und auch die seitdem eher profane Ausrichtung des Tempels ist erhalten geblieben.

Die wohlhabende (menschliche) Oberschicht füllt die Opferschalen, und erwartet dafür, daß ihre Söhne und Töchter in der Tempelschule mit den für den Geschäftsverkehr mittlerweile unerläßlichen Fähigkeiten des Lesens, Schreibens und gar der Rechnerei vertraut gemacht werden. Wahrhaft fromme Gläubige gibt es in der Handwerks- und Handelsstadt nur wenige, was auch den Hohen Lehrmeister Quendellyn Turmold Curinor Dergeldorp bei seinem Amtsantritt in arge Glaubenszweifel stürzte.

Zunächst schien es gar, als ob sich der von seiner Ausbildung in Kuslik eine ganz andere Frömmigkeit gewohnte Geweihte ob der fehlenden Frömmigkeit der Angbarer dem Trunk ergeben würde, inzwischen aber hat er sich wie die übrigen Diener der Göttin mit der anscheinend unabänderlichen Situation arrangiert und dient wie sie eher durch Forschung und Wissenschaft als durch mitreißende Predigten. Zudem ist er ein rechter Freund des koscher Bieres wie auch des „Dicken Königs“ Nirwulf geworden, in dessen Haus er ein gern gesehener Gast ist.

Das besondere Interesse des Hohen Lehrmeisters ist bekanntermaßen die Historie, seiner Stellvertreterin Nanduria Gilbeschopf, der Leiterin der Tempelschule, hat es die Sternkunde angetan. Ontho von Koschtal und von Colena ist ein auch unter Fachleuten gerühmter Mechanikus, der regen Umgang mit zwergischen Meistern pflegt. Auch sein Partner Frenorxod, Sohn des Fendrosch, gehört dem Kleinen Volk an, legt allerdings größten Wert auf die Feststellung, nicht etwa dem Hesindeglauben anzuhängen, sondern lediglich aus „wissenschaftlichen Erwägungen“ mit Ontho zusammenzuarbeiten.

Burgholdin Arcuas der Jüngere (der Sohn des bei Paavi verschollenen koscher Universalgelehrten) ist seit seiner Weihe nur noch sehr selten in Angbar zu erblicken, so sehr nimmt ihn die Arbeit für den „Kosch-Kurier“ in Anspruch. Ebenfalls einen berühmten Vorfahr hat Halmdahl M. Hasenfusz, der von dem bekannten Kartenzeichner abstammt. Er kümmert sich um die nicht zu unterschätzende Tempelbibliothek, in der sich bei genauerer Suche allerhand Originale bzw. Erstabschriften bekannter Titel finden lassen: „Die Zwölfgöttlichen Paradiese“ des Alrik v. Angbar, „Vom Wissen der Zwerge“ (Standardliteratur der Mechanik), „100 Städte, 1000 Suppen“, das Lebenswerk des weitgereisten Küchenmeisters Brogli, Sohn des Maknor, und nicht zuletzt neuere Schriften wie das bekannte „Sing & Sang in Koscher Land“ von Götterhilf Zischer und einige Werke aus der Feder Selpyhr Sunderglasts.

Hügelhaus

Die hügelzwergische Sauerklos-Sippe weigerte sich vor rund 1000 Jahren, mit ihrem Haus [5] der immer dichteren Bebauung der Altstadt zu weichen. Die sture Haltung der stolzen Sippe sorgte anfangs für heftige Diskussionen im Rat der Zünfte und tut dies auch alle 100, 200 Jahre noch, eigentlich aber haben sich Stadtväter und Nachbarn sowie die Nachfahren der damaligen Sauerklos längst mit den Gegebenheiten eingerichtet.

Tsatempel

Einen Tempel der jungen Göttin bekam Angbar erst nach den Erbfolgekriegen, als Fürst Holdwin der Erneuerer das Südviertel Kruming rund um den Ifirnsweiher [48] gründete und Schloß Thalessia [50] erbauen ließ. Würde das muntere Haus der Göttin in Inglut oder Alt-Angbar höchst befremdlich wirken, scheint’s im frischen Grün der aus Grubenhub errichteten Landzunge just am rechten Platze [49]. Im Jahre 5 Hal war’s — Tsa sei’s gedankt! — Ihre Priesterin, die den Fürstensöhnen Edelbrecht und Idamil bei ihrer schweren Geburt ans Licht der Welt verhalf (aber die geschwächte Fürstin nicht zu retten vermochte). Bei Herrn Blasius stand die Geweihte deshalb in höchstem Ansehen und ging am Hofe ein und aus. Als sie jedoch eines Tages vor den Fürsten trat, und darum bat, seinen Sohn Idamil (der ein stiller und kluger Knabe war) als Novizen mit sich in den Tempel zu nehmen, verwies dieser sie zornig auf Jahr und Tag aus der Stadt.

Nach dem Willen des Fürsten nämlich sollte sein Sohn dereinst die Weihen des Götterfürsten empfangen. Wie groß aber war die Überraschung, als die Wache tags darauf melden mußte, der junge Herr sei frühmorgens aus der Stadt geritten und nicht zurückgekehrt! Eine Woche später trat zu Gareth ein seltsamer Bittsteller vor den Meister des Hesindetempels. Valnar Yitskok, der Hohe Lehrmeister, erkannte wohl, welch edlen Sproß er in dem verschmutzten Knaben vor sich hatte, und nahm Seine Liebden im Haus der Göttin auf. Dort hat Prinz Idamil inzwischen die Weihen empfangen — und sich mit seinem Vater ausgesöhnt. Der Tsatempel indes blieb lange verlassen. Erst kürzlich richtete sich dort ein junger Geweihter aus Almada ein, dessen Wirken und Lebenswandel bislang jedoch die traditionsbewußten Koscher alles andere als beeindrucken konnte.

Efferdtempel

Der Angbarer See ist ein ruhiges Gewässer, das wenig Geheimnisse birgt, im Guten wie im Schlechten. Öfter schon verbrachten deshalb Brüder und Schwestern auswärtiger Efferdtempel im Angbarer Haus des Gottes [44] eine Zeit der inneren Einkehr, wenn sie an sturmumtosten Gestaden oder einem eigenwilligen Strom zu sehr der Launenhaftigkeit ihres Gottes nachschlugen. Ansonsten umsorgen Meisterin Angronda von Barschgrund und zwei Akoluthen die kleine Schar der gläubigen Fischer und Seeschiffer.

Zitadelle

Die Zitadelle, eine mächtige und alte Festung zwergischer Bauart [1], stülpt sich über den steilen Bwad, den höchsten der drei Hügel Alt-Angbars [72]. Nach dem Bau des neuen Fürstenschlosses dient sie jedoch nicht mehr als Residenz. In der Vorburg [2] befinden sich die Garnison der Freiwillig-Bergköniglichen Garde und Stallungen, in der Hauptburg sind die Fürstlichen Schlachtreiter, das Zeughaus und das Fürstliche Adelsarchiv untergebracht. In letzterem wacht der Registrargreve Himri, Sohn des Xorig, über die anerkannt verläßlichste Sammlung an Stammbäumen und Ahnenlisten des Neuen Reiches.

Kristallkabinett

Der uralte Kelrax Sandsteiner, ein Hügelzwerg und ehemaliger Bergmann, hat von den Fahrten seiner bewegten Jahre eine Sammlung unzähliger Erze und Kristalle mitgebracht, aus denen er im Dachgeschoß seines Hauses am Feuerplatz [20] eine künstliche Höhle angelegt hat. Fällt das Licht durch eine verglaste Deckenöffnung, bricht es sich auf wundersame Weise in aberhunderten kleiner Kristalle. Keiner, der nicht voll Überschwang von der „Glitzergrotte“ geschwärmt hätte — doch scheint der alte Kelrax bei der Auswahl seiner Besucher eine seltsame Willkür walten lassen. Es heißt, er suche noch einige besondere Steine zur Vervollständigung seiner Sammlung und habe schon mehrfach abenteuerliche Herumtreiber angeheuert, sie ihm zu beschaffen.

Alter Geodenring

Der ehedem von Geoden der Angroschim errichtete Steinkreis [27] ist im Frühjahr und Sommer ein beliebtes Ausflugsziel, zu dem sich praiostags ganze Handwerkerfamilien samt Lehrburschen und Gesellinnen mit wohlbepacktem Proviantkorb aufmachen, um eine gute Mahlzeit und die frische Luft vor der Stadt zu genießen.

Hasengrube

Schmiede hat es bis auf die Silberwerkstatt des Vinan Markwardt d. J. keine, ansonsten aber sind in der Hasengrube [7] eine Vielzahl von ehrwürdigen Handwerksmeistern ansässig, die den Ruf der Stadt begründet haben. Zusammen mit alteingesessenen Krämern und traditionsreichen Lokalen wie der Schänke „Dotterbrums“ und dem Gasthaus „Fürst Baduar“ machen sie die Hasengrube zur Hauptstraße der Altstadt, an deren tiefstem Punkt sie gelegen ist.

Gaststuben Aventuriens

Ein wenig nach Art der Garetier, die nicht einsehen, warum sie in ferne Länder reisen sollen, wenn’s doch alle Fremden nach Gareth zieht, haben sich die Angbarer das beste aus den Küchen ferner Lande nach Hause geholt. Um den Dererund genannten Platz im Viertel Heimeling liegen die „Gaststuben Aventuriens“ [32]. Während die Gebäude im Grund baugleich sind, vermietete sie der gewitzte Besitzer Himbi, Sohn des Hibrosch, an auswärtige Köche und ließ die Fassaden je nach deren Heimat mit maraskanischem Bambusrohr, nostrischem Prunkbau oder bornischem Schindelholz herrichten. Einzig das auf einem nachgebauten Langschiff eingerichtete Thorwaler Speiselokal fällt heraus und versteht es dadurch, auch Gäste anzulocken, die Sauermilch mit Speckkrumen oder Honigwürste allein nicht begeistern können.

Neue Bastey

Nachdem der streitbare Fürst Ontho vom Eberstamm um 200 vor Hal einen Strauß mit dem allzeit fehdefreudigen Landgrafen Greifax ausgefochten hatte, diesem aber mit einem Mal sein Herzog zur Hilfe geeilt war und die Nordmärker für eine Zeit Teile des Koscher Lands besetzt hatten, befahl Onthos Tochter Anglinde vom Eberstamm sogleich nach ihrer Thronbesteigung den Bau neuer Befestigungen. Das bisherige Gratenfelser Tor wurde durch ein ausgedehntes Vorwerk mit einem Doppeltor, die „Neue Bastey“, ersetzt [54]. Zwischen altem und neuem Stadttor haben sich aber seit der kaiserlosen Zeit jene vom Wind der weiten Welt hereingewehten Gaukler und Streunerinnen, Dirnen und Lumpen eingenistet, die man anderswo im ehrbaren Angbar nicht findet und wenig schätzt. Auch liederliches Lehrlingsvolk und außerkoscher Abenteurer suchen hier Vergnügungen, die ihnen drei schmierige Tavernen und Angbars einziges Hurenhaus [26] bieten.

Alter Boron-Tempel

Das ehemalige Haus des Totengottes [10] wird seit dem Umzug der Geweihten zum neuen Totenanger vor der Stadt nur noch in sehr seltenen Fällen genutzt und steht die meiste Zeit des Jahres leer.

Patriarchenpalais

Im stattlichen Palais [38], in dem ehedem der Graf vom See residierte (wie der Fürst mit dem Einverständnis der Bürgerschaft), wohnen heuer der jeweilige Reichs-Vogt (in diesem Falle: Herr Bosper zu Stippwitz) und die Seinen. Sehr zu seinem Verdruß steht ein Flügel weiterhin Herrn Bospers Stiefmutter Praiodane von Stippwitz-Hirschfurten und ihrem Söhnlein Sighelm zur Verfügung. Eingedenk der Verdienste ihres verstorbenen Gatten hat der Rat ihr Wohnrecht im Palais verlängert — was ihr wohl zupaß kommt, ist sie doch seit jüngstem Markt-Grevin vom Neumarkt.

Türmerhaus

Kaum ein Gebäude in Angbars Alt-Stadt hat mehr als zwei Stockwerke (nicht selten aber gleich zwei oder drei Kellergeschosse): Um so höher ragt das turmgleiche Patrizierhaus der Sippe Sindeling [6] im Zentrum der Altstadt empor, übertroffen nur von den Häusern auf den drei Hügeln. Kaum etwas mag dem Blick dessen entgehen, der aus einem der vier Seitentürme das Treiben in den Gassen schaut. Seit Jahrhunderten verstehen sich deshalb die Sindelings als eine Art Wahrer der guten Sitten, ein Amt, das sie dem Vernehmen nach in der Vergangenheit auch einmal mit dem Segen der Obrigkeit ausgeübt haben (man munkelt, zur Zeit der Priesterkaiser). „Wenn das die Türmer sehen“ ist deshalb eine geflügelte Mahnung — und die Sindelings sehen viel und scheuen sich keineswegs, die Verfehlungen anderer öffentlich zu tadeln, während alles Übel an den Mauern ihres Turmes abzuprallen scheint.

Selbst Odoardo Markwardt gelang es erst nach dem Kauf der Alten Vogtei [11], dem ehemaligen Sitz des Stadtvogts, den grimmigen Patriarchen Broderic zu Sindeling zum Verbündeten zu gewinnen. Unter den Lausbuben der Stadt gilt es als besondere Verwegenheit, einen Schabernack in der Nähe des Sindeling-Hauses auszuhecken oder gar den „Türmer“ höchstselbst zu necken. Man sagt, die Streiche hätten zugenommen, seit Sindelings Enkelinnen Xanne und Mechte heranwüchsen.

Bundessäule

Der „Bund auf Ewig“ eint seit alter Zeit Zwerg und Mensch im koscher Land. Ein gewaltiger Monolith, in den die Worte des Bundes gemeißelt sind, führt den Angbarern Tag für Tag die Bedeutung dieser alten Freundschaft vor Augen [22]. Alle Fürsten und Könige von Kosch haben den alten Eid gegen die Zwergenheit seitdem aufs Neue beschworen und ihre Namen von eigener Hand unter die ihrer Ahnen gemeißelt — auch die königliche Majestät Rohajas tat so.

Schrein der Guten Göttinnen

[33] Häufiger beinahe noch als die Tempel Vater Ingerimms findet man im koscher Land die Häuser der Frauen Travia und Peraine — nur im großen Angbar gibt es keinen Tempel einer der beiden Göttinnen, wohl aber einen Schrein, an dem die Gläubigen beiden opfern.

Kaiser-Perval-Garnison

Der Kasernenhof [18] wirkt oft öd: Neben dem Banner kaiserlicher Langschwerter liegt hier nur eine halboffizielle Ausbildungskompanie der berühmten Angbarer Sappeure, die sich bemüht, ihr Regiment wiedererstehen zu lassen. Doch sind fast alle Offziere und Unteroffiziere gefallen — und die Regimentsfahne ist verloren.

1 – Graf Bosper vom Eberstamm, der schlaue Reichsrat der Eslamiden, entsagte sämtlicher Rechte auf die Stadt, da er nur so mit Hilfe der Bürger den in den Tagen der Priesterkaiser verlorenen Fürstentitel seines Geschlechts zurückgewinnen konnte.