Dohlenfelder Thronfolgestreit - Wie viele können wir aufbieten?

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
K118. Rückzug!
K121. Im Kosch
K122. Frieden!
K123. Epilog
12. Tra 1032 BF
Wie viele können wir aufbieten?
Ein Feldzug


Kapitel 7

Ein Winter in Dohlenfelde?
Autor: Reichskammerrichter, Geron, weitere

Salmingen, 1032

Roklan von Leihenhof runzelte seine Stirn, schloss kurz die Augen. Seine hohen Wangenknochen warfen scharfe Schatten im Licht der Kerzenhalter, die allüberall auf den Tischen standen.
„Ein gezielter, schnell durchgeführter Feldzug ist sicherlich ein Mittel. Fragt sich nur welche Truppen wir aufbieten können. Und welche Menge an Gold, etwaige Söldner zu bezahlen. Baron Sindelsaum hat durchaus recht – wenn wir eine schlagkräftige, zahlenmäßig nicht zu große Einsatztruppe in Sold nehmen könnten, die einen gewissen Ruf besitzt, ist dies sicherlich ihr Gold wert.“
Unwillkürlich glitt sein Blick zu seinem Schwager Irian von Tandosch. Er legte nun seine Hände flach auf den Tisch, als stütze er sich ab. Er besaß große Hände mit langen schmalen Fingern. An seinem rechten Ringfinger prangte ein goldener Ring mit dem Wappen der Baronie Galebquell, am linken dagegen ein silberner mit dem Wappen seines Junkergutes Hainen.
Roklan erinnerte sich an sein Gespräch mit seinem anderen Schwager, Lucrann von Rabenstein.
Er schluckte, als er daran zurückdachte. Von einem Flächenbrand war die Rede gewesen, von einem Krieg, der mehr noch als der versuchte Kronenraub Lechdans von Gareths die Nordmarken ins Verderben reißen konnte. Der junge Baron schloss für einen kurzen Moment erneut die Augen, dann öffnete er sie wieder – und stellte seine verhängnisvolle Frage:
„Wie viele Ritter und Waffenknechte können wir aufbringen? Wie viele der Gegner?“
Erlan nickte ernst.
„Zwei Dutzend Berittene, davon drei Ritter und ein dutzend Söldner. Dazu dann noch eine Hand ehemaliger Sappeure, die jedoch noch nicht aus der Übung gekommen sind. Alles in allem also etwa dreißig Bewaffnete. Die Sappeure führen übrigens eine leichte Rotze mit sich.“
Erlan strich sich zufrieden durch den Bart und man sah ihm an, dass er durchaus stolz auf seine Truppe war.
Zufrieden hatte sich Frylinde von Salmingen die letzten Vorschläge und Kommentare angehört. Nun ergriff die Mutter des Barons zu Dunkelforst, Baruns Pappel und Dohlenfelde das Wort:
„Hochgeboren Erlan, ich freue mich zu hören, dass Sindelsaum 30 Bewaffnete und sogar ein Geschütz zu stellen bereit ist. Ich wusste von Anfang an, dass der Kosch das Haus Salmingen nicht im Stich lassen würde! Und auch allen anderen danke ich für die Schwerter, die sie bereit sind, für das Erbe meines Sohnes einzusetzen!“
Die Baronsmutter überlegte einige Augenblicke und fuhr fort:
„Die Baronie Dunkelforst kann drei Ritter, zehn Berittene und 12 Waffenträger zu Fuß ins Feld schicken. Zudem ist die Stadt Salmingen verpflichtet, ihrem Herrn, so er zum Kriege ruft, einmal im Götterlauf für zwei Monde 10 Berittene und 40 Fußkämpfer zu stellen. Die Stadt würde, so mutmaße ich, selbst keine Bewaffneten schicken, sondern die Summe an Dukaten bereit stellen, mit der wir diese Truppen anheuern könnten.“
Bei diesen Worten blickte sie zur Hochgeweihten des Salminger Hesindetempels, ihrer Freundin Sephira Birninger, die in der Stadtpolitik ein gewichtiges Wort hatte. Die Hesindegeweihte nickte wohlwollend – Hagen würde sich auf das Gold seiner Stadt verlassen können. Dann ergriff Hochwürden Sephira selbst das Wort:
„Wir sollten die Jahreszeit nicht aus den Augen verlieren. Nun haben wir Mitte Travia. Die Via Ferra im Eisenwald ist üblicherweise von Mitte Hesinde bis Ende Phex aufgrund des dort reichlich fallenden Schnees unpassierbar, das Treibeis auf dem Großen Fluss bringt die Schifffahrt von Ende Hesinde bis Ende Tsa zum Erliegen. Alle militärischen Planungen sollten diese natürlichen Umstände in Betracht ziehen.“
Daraufhin sprach Hagen selbst:
„Habt Dank. Wir werden also voraussichtlich recht viele Truppen ins Feld schicken können. Zudem können wir mit den Gardisten Erzweilers – immerhin 8 Mann guter Ausbildung, kaserniert im Junkersturm Sturzwacht – rechnen, dazu kommen die beiden Büttel des Ritters zu Maringen.“
Sein Blick wanderte zu Rondrian von Maringen, der nicht weit von ihm entfernt saß.
„Und wenn ich die Landwehr des Junkerguts Erzweiler und des Ritterguts Maringen zu den Waffen rufen würde, hätten wir zusätzlich noch einmal knapp 40 Mann, darunter eine Handvoll berittener Plänkler, die bereits sind, für meinen Thron zu kämpfen. Die Notablen und die Freien Erzweilers haben es meinem Bruder nie verziehen, dass er sich nicht wie sein Vater in der Sankta-Hildrun-Kapelle hat krönen lassen.“
Dann fuhr der dreifache Baron mit Blick zur Hesindegeweihten, und anschließend Baron Irian fort:
„Die Jahreszeit muss natürlich in unserer Planung berücksichtigt werden. Wenn wir es schaffen, noch im Boron entschieden zu handeln, wird es Angrond und seinen Verbündeten kaum möglich sein, vor dem kommenden Frühjahr eigene Kräfte ins Feld zu schicken. Wir könnten also, die nötigen Transportkapazitäten auf dem Großen Fluss und die Kooperation Twergenhausens vorausgesetzt, vollendete Tatsachen schaffen, die womöglich auch Seine Hochwohlgeboren Ghambir nicht ignorieren kann.“
Bei den letzten Worten wurde Hagens Stimme unsicherer – er wusste zu gut, wie stur der Erzzwerg auf dem Isenhager Grafenthron sein konnte. Ein paar Monde mochten für einen Menschen eine bedenkenswerte Zeit sein, Ghambir rechnete jedoch in Jahrzehnten.
„Ihr habt Recht Euer Hochgeboren, die von Euch vorgebrachen Schlüsse kann ich nur teilen. Nun, wenn wir dann an das Bestimmen der Schwerter gehen wollen, so vermag mein Herr, der Baron von Eisenstein sicherlich zwei, wenn nicht sogar drei Dutzende Berittene zu stellen, und mindestens noch einmal so viel Fußvolk. Es wird auch ein leichtes sein das Fußvolk durch Mietlinge um die gleiche Kopfzahl zu erweitern“, der Baron von Eisenstein war ihm Ruf für seine Geschäfte gerne auf Söldlinge zurückzugreifen. Es war also nicht unwahrscheinlich, dass er noch einmal so viele würde ins Feld führen können, wie er eigene Leute nannte. Überdies war das gewiss nicht das gesamte Aufgebot Eisensteins, wie manche wußten.
„Wenn auch mein Herr seiner Hochgeboren“, womit der Ritter Hagen und dann Frylinde anblickte, „ seine volle Unterstützung angeboten hat und mich als seinen bevollmächtigten Gesandten bestimmte, so werde ich zunächst nach Eisenstein reisen müssen, meinem Herrn die Ergebnisse der Beratungen unterbreiten und die Waffenträger zusammen rufen lassen. Wenn dann noch Verhandlungen mit Mietlingen zu führen sind, die sicherlich nicht lange dauern werden, so wird es doch ein knappes Unterfangen, bereits im Boron zur Tat zu schreiten. Verhandlungen mit dem Albenhuser Bund und der Stadt Twergenhausen müssten zudem aufgenommen werden. Ob diese bereits im Boronmond abgeschlossen sind, können wir nun schwerlich abschätzen. Ich bin mir sicher, das werden sie. Doch sollten wir nicht verkennen, wie wenig Sand wir uns für unsere Stundegläser vorgeben. Aber Euer Hochgeboren haben Recht, wenn wir nicht länger warten wollen, so müssen wir rasch handeln.“
Ritter Gorwin zögerte noch einen Moment, als überlege er noch, wie er die folgenden Worte vorbringen wollte.
„Vielleicht solltet Ihr zudem bereits ein deutliches Zeichen setzen. Jenen, von denen Ihr wisst, dass sie Herrn Angrond in der Baronie Dohlenfelde uneingeschränkt folgen, Euch nicht den Lehnseid geleistet haben, aus der Gefolgschaft entlassen. Eine Maßnahme, die nicht unüblich ist. Wenn er dann bereits Getreue bestimmt, denen Ihr vertraut und die Euch die Gefolgschaft versichern, die besagten Güter überlasst, wäre Euer Stand noch deutlich gefestigter. Unrühmlich ist, wie der Krieg in Albernia voranschritt, doch dort wo ihre Durchlaucht ähnlich verfuhr“, womit der Ritter nicht umhin kam zum Tandoscher zu blicken, „weiß sie treue Gefolgsleute, die ihre Lehen und Güter für ihre Fürstin zu befreien und verteidigen wussten. Bedenket dies! Und ich bin mir sicher, dass ihr bereits an dieser Tafel nicht lange werdet suchen müssen, um solche Verbündeten zu finden.“
Es war offensichtlich, dass Gorwin nicht für sich selbst ein Gut erbat, doch das die Unterstützung Hagens nicht ohne Gegenleistung erfolgen konnte, musste dem jungen Baron bewusst sein. Ein jeder würde sich etwas anderes erhoffen und vorstellen in dieser Runde, doch Güter und Titel in Dohlenfelde waren ein reizvoller Anfang, zudem ein probates Mittel, um die Motivation von Verbündeten zu beflügeln, wie der Ritter bereits ausgeführt hatte.
„Eine Sache gebe es zudem noch, Eurer Hochgeboren. Eine wichtige Sache. Mein Herr unterstützt und erkennt Eure Ansprüche auf die Baronie Dohlenfelde uneingeschränkt an. Doch uneingeschränkt kann seine Hilfe bedauerlicherweise derzeit nicht sein. Es gibt noch einige Hindernisse, die es meinem Herrn verwehren, Euch in der Gänze bei zu stehen, und diese müssen zunächst ausgeräumt werden. Seit Götterläufen schon teilt mein Herr ein Fehde mit dem Herrn von Rabenstein, und auch die Differenzen mit seiner Hochgeboren von Tandosch überschatten jede Unterstützung meines Herrn für Eure Sache. Bereits bei seiner Hoheit legte mein Herr die Bitte vor, zu vermitteln. Doch wie Ihr wisst, ist der Herzog der Nordmarken ein viel beschäftigter Mann, und vermag sich nicht immer mit kleinen Fehde seiner engsten Getreuen zu befassen. Es wäre insofern dienlich, wenn ihm Rahmen Eures Anliegens, seine Hochgeboren von Tandosch aber auch der Herr von Rabenstein versicherten, jede Streitigkeit, jede Feindschaft gegenüber meinem Herrn fürderhin zu Eurem Wohl niederzulegen und davon abzusehen, gegen die Absichten meines Herrn zu wirken, die dann auch für die Unterstützung Eures Anliegens hinderlich sein würden.“
Im Geiste überschlug Irian, welche Truppenteile er wohl abziehen könnte. Auch wenn er immer noch Isoras Vogt in Traviarim war, so erhielt sie keine Unterstützung mehr, vielmehr hatte Irian die Grenze zu Hohenfels, wohin sich Isora zurückgezogen hatte, unter Bewachung setzen lassen. Die gemeinsame Landwehrübung zwischen Tandosch und Brüllenbösen konnte man durchaus als Machtdemonstration gegenüber Isora betrachten, bewiesen damit drei ihrer direkten Nachbarbaronien einen starken Zusammenhalt.
Lächelnd blickte Irian nun Gorwin an.
„Fürderhin, zu unserem Wohle? Ich glaube, dies bedarf einiger Diskussion. Doch von meiner Seite aus mag der Streit bis zur Lösung des Thronfolge ruhen.“
Damit wendete sich Irian Hagen zu.
„Aktuell muss ich ein Auge auf Hohenfels werfen und vermag daher nur einen Teil meiner Kämpfer zu entsenden. Ich kann umgehend 50 Mann entsenden, Zwerge, Südländer sowie ein paar Berittene. Ich kann die Kämpfer sofort gen Twergenhausen in Bewegung setzen.“
Gorwin nickte. Er war froh, dass er bisher ähnlicher Ansichten, wie der Tandoscher vertreten konnte. Gemeinsame Differenzen hätten die Zusammenkunft überschattet, hätten ein gemeinsames Vorgehen deutlich erschwert. Eine Einigung schien also möglich, wenn auch noch nicht deutlich genug ausgesprochen. Zumindest schien dies.
"Euer Hochgeboren Anstrengungen, Euch gegen die Übergriffe in Albernia zu wappnen, dürften uns allen nachvollziehbar sein“, sprach Gorwin zum Tandoscher.
„Wer könnte es Euch daher verdenken, wenn Ihr Waffenfähige zum Schutze der Euch anvertrauten Güter zurückbehaltet. Doch wird es mir, wenn Eure Zusagen nur bis zur Lösung des Anliegens seiner Hochgeboren Hagen von Salmingen-Sturmfels gilt, etwas schwerer fallen, meinen Herrn von größeren Anstrengungen zu überzeugen. Aber, bei Praios würde es mir nicht einfallen, Euch etwas zu unterstellen! Die Schwierigkeiten in Albernia will ich nicht unterschätzen, sodass ich jedwede List Eurerseits in Euren Worten ausschließe! Dennoch, sollte es gelingen, die Ansprüche seiner Hochgeboren so rasch durchzusetzen wie wir hoffen, wird mein Herr sich natürlich für die Zeit danach sorgen müssen und Vorkehrungen treffen wollen. Jedwede Feindseligkeit meines Herrn Euch gegenüber möchte ich jedoch ausschließen, vor allem an dieser Tafel, bei der es uns um Bedeutsameres geht. Allerdings, wenn sodann alles ist wie zuvor, die Einigkeit die wir hier anstreben, zerschlagen, wird mein Herr verständlicherweise seinen Verbündeten nicht gar so sehr vertrauen können, wenn auch anderes wollte, wie es förderlich wäre.“
Der Nandusgeweihte neben dem Baron von Galebquell schrieb eifrig etwas mit, wer in der Nähe saß, konnte sehen, dass er eine Truppenliste erstellte. Sein Lehnsherr und Mündel indes widmete sich in aktiver und passiver Weise der Diskussion. Roklan sah erst Irian von Tandosch an, dann Ritter Growin von Eisenstein-Schleiffenröchte. Er atmete tief durch seine Nasenflügel ein.
„Wir haben ein Ziel, nämlich Hagen von Salmingen-Sturmfels zur Durchsetzung seines berechtigten Anspruchs auf den Thron der Baronie Dohlenfelde zu verhelfen. Vielleicht wäre es hier an der Zeit, über seinen eigenen Schatten zu springen und einmal wirklich ohne jeden Hintergedanken andere Fehden betreffend dieses Ziel zu verfolgen?“
Den letzten Halbsatz hatte er recht laut gesprochen, so laut gar, dass Ynbaht von Lichtenberg von seinen Notizen aufsah und beruhigend seine Hand auf Roklans Arm legte.
Roklan lächelte schwach, dann fuhr er fort: „Wenn wir uns misstrauen, wie sollen wir dann vernünftig Hagen helfen und Angrond entgegen treten?! Also, Ritter Growin, richtet Eurem Herrn ruhig aus, dass wir sein Vertrauen brauchen. Und Irian, Schwager, bitte, kommt dem Baron von Eisenstein, ungeachtet aller bisherigen Geschehnisse, so schwerwiegend sie auch sein mögen, noch ein Stück weiter entgegen. Vertrauen!“
Er holte tief Luft.
„Und wenn es denn hilfreich ist – ich biete mich hier und jetzt als Vermittler an, bei Nandus Weisheit.“
Kein Zorn sprach aus seinen Worten und die Lautstärke wurde durch das offene Lächeln gemildert, welches breit in Roklans Gesicht stand.
Rondrian rückte den Wappenmantel zurecht, der ihm viel zu eng am Halse zu hängen schien. Die Zwölfe noch mal, das beeindruckte den alten Kämpen nun doch. Endlich mal raufte sich das sonst so zerstrittene, und oft auf eigene Dünkel beschränkte, Jungvolk um ihn herum zu einer konkreten Idee zusammen. Sicherlich mochte jeder darum wissen, was ihnen allen blühen möge, sollte der Herzog gegen ihre Taten etwas einzuwenden haben. Aber selbst seine Hoheit war sicher klar genug in Hesindes Gaben, und bestens beraten, wenn sie die Ansprüche des Herrn Hagen sowohl vor der Herrin Rondra als auch vor der Gerechtigkeit des Herrn Praios durchfochten. Er hob seinen Becher und trank. Dann nickte er seinem Kandidaten zu. Mit diesem Willen würden sie es durchstehen.
„Galebquell kann sicherlich…“ fuhr Roklan fort und sah Ynbaht von Lichtenberg an, der auch die nun folgenden Zahlen auf seinem Pergament notierte, „…ein Dutzend Berittene, davon einige Ritter samt Gefolge, und noch einmal ein und ein halbes Dutzend Waffenknechte stellen. Dazu noch eine Handvoll zwergische Armbruster und Sappeure.“
Er warf einen kurzen Blick auf das Pergament des Nandusgeweihten.
„Wie viele Bewaffnete kann, grob überschlagen, Angrond aufweisen?“
Hagen schien kurz durchzuzählen, und erwiderte auf Roklans Frage:
„Unter den Rittern Dohlenfeldes kann Angrond nur auf die Herren zu Schwarzfels, Darlinstein und Perainshof zählen, dazu kommt seine Burghauptfrau. Vier Ritter also. Nicht vergessen dürfen wir natürlich Angrond selbst – und seine Geschwister, die aber nicht auf Burg Dohlenhorst weilen. Insbesondere Rondred, Rittmeister der Albenhuser Kavallerie, ist ein tüchtiger Streiter.“
Daraufhin ergriff, wie schon bei der Frage nach der Truppenstärke Dunkelforsts, Frylinde das Wort – sie schien alle wichtigen Fakten, die Lehen ihrer Familie betreffend, aus dem Stegreif zu kennen:
„Innerhalb Dohlenfeldes kann Angrond auf die zwanzig Gardisten in den Farben der Baronie zählen, unter diesen findet sich kein einziger Erzweilerer. Dann gibt es noch die jeweils drei Waffenknechte Wolkenfolds und Schwarzfels’, und die jeweils zwei Waffenknechte Darlinsteins und Perainshofs. Auch die beiden Armbrustschützen Burgvogt Muragoschs muss man auf Angronds Seite mitzählen – Muragosch dient gegenwärtig Angrond genauso treu, wie er in nicht allzu langer Zeit meinem Sohn dienen wird. Der alte Angroscho fühlt sich dem Lehen, nicht dem Baron verpflichtet. Aber zurück zur Truppenzahl: Alles in allem also 32 Mann recht guter Ausbildung, mit denen wir rechnen sollten. Von diesen stehen 14 Mann auf Burg Dohlenhorst, 11 Mann auf Burg Schwarzfels.“
Frylinde schaute kurz und ernst zu ihrem Sohn und fuhr dann fort: „Dazu kommen etwa 60 Mann der Dohlenfeldschen und Wolkenfoldschen Landwehr, darunter auch einige berittene Plänkler – wobei diese natürlich nur relevant werden, wenn Angrond die Zeit hat, die Landwehr zu den Waffen zu rufen und zusammenzuziehen. Erfahrungsgemäß dauert dies – darüber erzürnte sich Bernhelm, Boron habe ihn selig, mehr als einmal – bis zu drei Tagen.“
Die letzten beiden Worte zog Frylinde mit Absicht in die Länge und machte danach sogar eine kurze Pause – sie wollte nicht, dass die Streiter ihres Sohnes wider brave Dohlenfelder Freie kämpfen müssen. Ihrer Ansicht nach musste ein jeder Angriff so geplant werden, dass Angrond keine Gelegenheit haben würde, die Landwehr auszuheben. Frylinde wusste, dass man sich die Freien Dohlenfeldes nicht zum Feind machen dürfte, indem man sie auf dem „Feld der Ehre“ – wie sie diesen rondrianischen Ausdruck hasste – massakrierte. Dann fuhr sie fort:
Voltan, dem Landedlen zu Wichtenfels, folgen 20 seiner Freien in die Schlacht, darunter zwei, die sich ein Reitpferd leisten können. Allesamt sind sie – für Landwehrleute – gut ausgebildet und ausgerüstet. Dann gibt’s da noch diese Wichtenfelser Rotze, deren Bedienmannschaft recht begabt ist. Voltan hat sich noch zu keiner Seite bekannt, aber ich bin sehr sicher, dass er sein Leben und die Leben seiner Untertanen nicht für Angrond auf’s Spiel setzen wird.“
Nach nur einem Augenblick fuhr die Rondrageweihte Leuengunde vom Berg fort. Mit wieder einmal ernster Stimme. Sie hatte genau verstanden, worauf Frylinde hinauswollte.
„Dohlenfelde ist also gespalten, würde ich konstatieren. Freiherrlich Dohlenfelde steht hinter Angrond, Erzweiler hinter Hagen. Wenn wir entschieden und rasch handeln, können wir das Gros der Kämpfer Dohlenfeldes auf Burg Dohlenhorst, wo sich auch Angrond befindet, und Burg Schwarzfels einschließen. Es werden keine Landwehrleute ausgehoben werden, es wird zu keiner Schlacht kommen, in der Bauern, die besser auf dem Acker aufgehoben sind, ihr Leben lassen müssen. Aber selbst wenn dieser Plan so aufgeht, Angrond hat Verbündete außerhalb Dohlenfeldes: Zuerst wäre da die reiche und mächtige Baronie Eisenhuett zu nennen, und natürlich Liepenstein in direkter Nachbarschaft sowie Hochgeboren Deryas Baronie Tommelsbeuge. Auch Schwertleihe und Ambelmund und womöglich auch Meilingen stehen hinter Angronds Anspruch. Geschwätz besagt zudem, dass sich auch Hochgeboren Welfert von Mersingen, der zu meiner Irritation in letzter Zeit immer mehr Zeit in seinem erbärmlichen nordmärkischen Gut Hungersteg verbringt und noch häufiger für Kaiserlich Weidleth zu sprechen scheint, für Angrond ausgesprochen haben soll. Alles in allem dürfte es Wochen, wenn nicht Monde dauern, bis hier ein Heer ins Feld geführt werden könnte, das versuchen könnte – ich lege Wert auf die Möglichkeit, denn ob es dazu kommen wird, das wissen einzig die Götter – Angronds Anspruch auf die Baronie Dohlenfelde zu retten. Das wäre dann wahrhaftig ein großer Krieg, bei Rondra! Und wir alle hätten, sollte es dazu kommen, dann im kommenden Frühling genügend Gelegenheit, unsere Tapferkeit mit dem Schwert in der Hand zu beweisen und unsere Leben auf dem Schlachtfeld zu lassen, so die Herrin dies von uns fordert!“
Noch bevor Hagen zu sprechen angehoben hatte, wurde Erlan von seiner Frau mit leiser Stimme angefaucht.
„Erlan! Wir sind keine kleinen Edlen mehr. Sei nicht so knauserig, verdammt. Dreißig Leute willst du aufbieten, und dieser Tandoscher schickt ein ganzes Banner, und das, obwohl er seine Grenzen bewachen muss.“
Erlan schaute seine Frau leicht irritiert an. Ihm war bewusst, dass sie viel Wert auf ihre Ehre legte, aber dieser kleine Ausbruch überraschte ihn dann doch ein wenig. Vorsichtig blickte er sich um, aber keiner der Anwesenden schien ihr Gespräch zu bemerken.
Eine kleine Weile grübelte er vor sich hin. Alvide hatte schon recht. Gold war wahrlich genug vorhanden, und als knauserig wollte er nun wirklich nicht gelten. Andererseits wollte er auch nicht zu viele einfache Soldknechte anwerben. Es wäre ein Albtraum für ihn, wenn er die Kontrolle über diese Leute verlieren würde.
„Was wäre mit den Wühlschraten?“ flüsterte er Alvide zu.
Nun entgleisten Alvides Gesichtszüge. Bei den Wühlschraten handelte es sich um die Überbleibsel des Angbarer Sappeurregiments, und die Truppe war nicht gerade für ihren geringen Sold bekannt. Nachdem Frylinde nun ihren kleinen Vortrag beendet hatte erhob Erlan nun für alle hörbar seine Stimme.
„Da es scheint, als ob uns eine Belagerung bevorsteht und die anderen edlen Herrschaftensich so großzügig in der Entsendung von Truppen gezeigt haben, werde ich die Wühlschrate anwerben, oder zumindest Teile von ihnen. Allein ihr Name sollte die Verteidiger der Burg erbleichen lassen. Im übrigen sollten wir versuchen, den Aufmarsch unserer Truppen zu verbergen, um Angrond erst gar nicht die Gelegenheit zu geben, seine Verbündeten zu sammeln. Des weiteren sollten wir auch damit beginnen, die Aufgaben zu verteilen. Wer verhandelt mit Twergenhausen? Das scheint es ja einige Personen zu geben, die über gute Kontakte verfügen. Wer schließt die Burg Angronds ein, und wo und wann treffen sich die Heere, um die Baronie zu erobern. Für die Einschließung der Burg würde ich mich mit meinen Leuten zur Verfügung stellen. Wie ist die Burg denn gelegen, ist es möglich, einen Stollen unter den Mauern hindurch zu treiben, und wie viele Leute bräuchte man, um die Burg zu belagern?“
Insgeheim rechnete Erlan schon, wie hoch die Ausgaben wohl sein würden, doch da flüsterte ihm Balinor von den Silberfällen, sein treuer Gefolgsmann ein paar Worte ins Ohr.
„Euer Vetter, der Baron von Metenar, steht doch auf Hagens Seite. Vielleicht ist er ja gewillt sich finanziell an dem Unternehmen zu beteiligen, wo er schon selber wegen seiner Pflichten am Reichsgericht nicht teilnehmen kann.“
Diese Idee kam Erlan nun sehr entgegen.
„Warum auch nicht? Bei einer Einheit von einem solchen Ruf kann selbst mein gestrenger Vetter nicht nein sagen.“
Roklan wandte sich direkt an Erlan von Sindelsaum.
„Graphiel von Metenar wird uns in einem gewissen Rahmen sicherlich unterstützen. Immerhin sind seine beiden Schwestern und deren Gemahle auf Seiten Hagens. Allerdings – ich gebe zu bedenken, dass Angrond von Sturmfels der praiosgefälligere der beiden Brüder ist.“
Er sah zu seiner Schwester Ansoalda von Leihenhof.
Die dreifache Baronin musterte ihren älteren Bruder knapp. Sie lächelte nicht. Sie hielt ihn mit ihrem Blick gefangen. Roklan räusperte sich und rieb sich die Hände. Er atmete tief durch die Nase ein und zwang sich, den Blick Ansoaldas offen zu erwidern. Ansoalda lächelte halbherzig, hob mit einer gewissen Arroganz die rechte Augenbraue.
Der hühnenhafte Ritter Korbrandt von Bösenbursch ließ seinen tiefen Bass ertönen:
„Bei Rondra, Dohlenfelde mit den genannten Rittern und Waffenknechten im Handstreich zu nehmen – vorausgesetzt, wir bekommen die Unterstützung des Pfeffersacks Gliependiek, und vorausgesetzt, wir sind in der Lage, den Transport unserer Truppen nach Twergenhausen zu koordinieren und rasch durchzuführen – sollte ein Kinderspiel sein. Aber was mir Sorgen bereitet: Wie bezahlen wir danach das elendige Söldnerpack in unseren Reihen? Wie bringen wir diese Mordsknechte über den Winter, ohne dass Dohlenfelde von ihnen verheert wird? Denn mit einem Gegenangriff von Angronds Freunden ist sicherlich nicht vor Phex zu rechnen. DANN wird es hoffentlich zu einer Entscheidungsschlacht kommen, DANN brauchen wir die Söldlinge in Dohlenfelde, DANN solltet Ihr, Hagen, auch Eure dortige Landwehr ausheben. Auf Landwehr aus anderen Baronien sollten wir weitestgehend verzichten, denn wenn diese Bauerntölpel überhaupt zu etwas taugen, dann nur zum Verteidigen ihres eigenen Ackers...“
Der Ritter hatte es in Albernia immer gehasst, diese nicht selten halb verhungerten Bauern zu erschlagen. Nicht, weil es ihm um die einfachen Leute leid tat – aber es mehrte eben nicht seinen Kriegsruhm, und das konnte ihn im Kampf richtig wütend machen. Ganz besonders hasste er es, dass diese Landwehrleute oft nur mit ehrlosen Fernwaffen umzugehen verstanden. Eine Pfeilspitze steckte seit einem Scharmützel in Bredenhag in seinem linken Oberschenkel, der Feldscher hatte sie nicht herausschneiden können.
Sein Blick richtete sich auf Hagen, der kurz nickte, dann fuhr Korbrandt fort:
„Zum Angriff auf Dohlenfelde im Boron oder Anfang Hesinde brauchen wir einige Dutzend gut ausgebildete, entschlossene und möglichst berittene Kämpfer – zum Verteidigen der Baronie einige Monate später jedoch womöglich hunderte Streiter. Wie bewerkstelligen wir das?“
Baron Hagen, sichtlich erfreut über die sachliche Darstellung seines Freundes und Gefolgsmanns, ergänzte:
„Korbrandt, Ihr vergaßt zu erwähnen, dass die Möglichkeit besteht, dass Angrond, wenn wir Dohlenfelde erst überrannt haben, kapituliert, uns das Burgtor nach Dohlenhorst kampflos öffnet. Dann ist es vielleicht nicht einmal nötig, die ehrlosen Söldlinge über den Winter zu bringen. Denn wenn Angrond und Isida ihren Anspruch auf Dohlenfelde förmlich aufgeben und dies vor Rondra und Praios beeiden, wird es keinen Angriff ihrer Verbündeten geben. Ich weiß, dies ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber dies sollte ein Grund für uns sein, keine Kontrakte mit den Söldnern abzuschließen, die uns von vornherein zu Zahlungen über den Hesindemond hinaus verpflichten.“
Hagen war sich über die Finanzen Dunkelforsts und erst recht Dohlenfeldes nicht wirklich im Klaren, das war die Sache seiner Mutter. Aber der Baron wusste, dass eine Baronie leicht zu ruinieren war. Sein Vater Bernhelm, sicherlich nicht für seine phexischen Eigenschaften bekannt, hatte bei den jährlichen Abgaben an Graf, Herzog und Reich und erst recht bei seiner Gefolgschaftspflicht gegenüber dem Isenhager Grafen jedesmal um jeden Kreuzer und jeden Mann gefeilscht – und dies, obwohl er sich der Ehrlosigkeit solchen Treibens bewusst war. Dies hatte bei Hagen einen gewissen Eindruck hinterlassen.