Dohlenfelder Thronfolgestreit - Eine Offenbarung
Baronie Dohlenfelde, am Abend des 10. Rondra 1033 BF
Der Praiosschild war bereits fast hinter dem Horizont verschwunden, als drei Reiter in ledernen Reitmänteln und mit gegürtetenen Schwertern mit sechs Rössern vorsichtig durch den dichten Wald des Edlenguts Wolkenfold ritten. Es war besser, niemandem zu begegnen und kein Aufsehen zu erregen. Baron Hagen von Salmingen-Sturmfels, Ritter Korbrandt von Bösenbursch sowie Ihre Ehren Roana von Schwarzfels, die Edle zu Wolkenfold war, bevor sie als Akoluthin in den Schwertbund eintrat, hatten viele Tage im Sattel verbracht, viele Pferdewechsel hinter sich und einige Gefahren bestanden, seit sie in Angbar aufgebrochen waren. Gerne wären sie dem Wengenholmer Grafen auf seinen Feldzug gefolgt, aber hier ging es um die ureigensten Interessen Hagens als Baron zu Dohlenfelde.
Am Übelsten in Erinnerung von der anstrengenden Reise war die Begegnung mit diesen Herumtreibern in der Nähe Thûrsteins. Im Nachhinein betrachtet lag hier wohl ein Missverständnis vor, denn dass Hagen von Salmingen-Sturmfels kein Mitglied des Hauses Nadoret war, das wusste nun wirklich jedes Kind. Letztendlich waren es aber ohnehin diese tumben Abenteurer, die ihre Waffen zuerst gezogen und dafür mit ihren erbärmlichen Leben bezahlt hatten. Der Elf hatte sogar versucht zu zaubern, bevor ihn Korbrandts Klinge durchbohrte. Einzig Roana war in dem Scharmützel leicht verletzt worden, hatte sie es doch gleichzeitig mit dem Zwerg und dem Thorwaler aufgenommen.
Aber das war nun auch schon wieder ein paar Tage her, nun standen ganz andere Probleme an: Hagen, der eigentlich am Feldzug des Grafen zu Wengenholm gegen die dortigen Umtriebe teilnehmen wollte, war von seiner Gattin Ansoalda durch einen Eilboten darüber unterrichtet worden, was in Dohlenfelde geschehen war. Burg Schwarzfels, die über die Via Ferra wachte und seit dem Boronmond 1032 BF an die Herzogenstadt Twergenhausen verpachtet war, war von horasischen Söldlingen eingenommen worden – offenbar auf Befehl seines Halbbruders Angrond, der sich damit einen strategischen Vorteil für eine unmittelbar bevorstehende Offensive beschaffen wollte. Es war ebenso perfide wie nahe liegend, dass Angrond Dohlenfelde angreifen wollte, während Hagen im fernen Wengenholm für das Königreich Kosch stritt! Doch nicht genug, in Twergenhausen, bislang verlässlicher Bündnispartner Hagens, hatte übles Gelichter den Bürgermeister Perval Gliependiek entführt, womöglich gar getötet. Auch hier war es nahe liegend, Angrond und seine schändlichen Verbündeten als Täter zu sehen. Wie tief war sein Halbbruder gefallen? War ihm nichts mehr heilig?
Roana von Schwarzfels führte die Reiter in sternklarer Nacht durch den Wolkenfolder Forst, sie kannte diese Gegend, ihr ehemaliges Lehen, wie ihre Westentasche. Dies war auch notwendig, denn auf den bekannten Wegen war mit Feinden zu rechnen. Die drei Adligen hielten sich in der Nähe der Grüngischt, die man ab und zu rauschen hörte. Mehr als Schritt war in der Dunkelheit den Pferden nicht zuzumuten, immer wieder mussten die Reiter ihre Tiere führen. Der Wolkenfolder Forst war den meisten Dohlenfeldern unheimlich, und selbst Roana und ihre beiden sicherlich alles andere als schreckhaften Begleiter zuckten zusammen, wenn sie ein überraschendes Geräusch hörten, das manchmal nur der Schrei eines Uhus oder Marders war, aber manchmal aus direkt aus der Anderwelt zu kommen schien, zu der es hier angeblich nicht nur ein Tor gab. Noch unheimlicher waren die Lichter, die man immer wieder zwischen den Bäumen ausmachen konnte: Waren das nur Glühwürmchen, wie Roana unerschütterlich behauptete? Waren es Fackeln von streifenden Feinden, wie Hagen befürchtete? Oder gar Feenfeuer, wie Korbrandt, der solche im Farindelwald während des Alberniakrieges gesehen hatte, mutmaßte? Wenige Schritt schienen zu Meilen zu werden, mehr als ein Praiosseibeiuns wurde gesprochen, und nur Dank Roanas Ortskenntnis – hier erinnerte sie sich an einen Moosbewachsenen Stein, dort an einen gespaltenen Baum – war es überhaupt möglich, die Richtung zu halten.
Stunden vergingen, bis man endlich die Via Ferra erreichte, auch der Darlin war bereits deutlich zu hören. Hagen selbst stieg von seinem Ross ab und kundschaftete den weiteren Weg aus, winkte schließlich seinen Begleitern zu, die mit den Pferden die Via Ferra rasch überquerten und sich auf der anderen Seite der Straße wieder ins Unterholz begaben. Nur kein Aufsehen erregen, mit Sicherheit waren an allen Brücken Posten aufgestellt worden. Hagen und Roana kannten den Darlin jedoch gut genug, um rasch eine Furt zu finden. So führten die drei, jeweils einen Zügel in jeder Hand, die Pferde durch den kleinen Fluss, der nur wenige Meilen nördlich in den Großen Fluss mündete. Über ihnen das sternklare Alveranszelt, ganz deutlich war das Sternbild des Schwertes zu erkennen. Und war das nicht der Wandelstern Kor, der dort in der Nähe der Schwertspitze zu sehen war? Krieg stand bevor, daran war kein Zweifel!
Vor den drei waren die bewaldeten Hügel der Dohlenhöhe zu sehen, auf der anderen Seite dieser Hügelkette lag die Baronsburg Dohlenhorst, das Ziel der Reise. Hagen und Roana beratschlagten kurz, welcher Weg über die Hügel mit den Pferden gangbar war. Der Baron war sehr dankbar für Roanas große Ortskenntnis und fluchte innerlich, dass er sich in seinem eigenen Lehen nicht sonderlich gut auskannte: Er hatte seine Kindheit in Gareth und im Kosch verbracht, seine Knappenzeit in der Baronie Rabenstein. Das erste Mal, dass er sich länger als wenige Wochen am Stück in Dohlenfelde aufhielt, waren die Monate nach Eroberung der Baronie im Boron und Hesinde 1032 BF gewesen.
Der Weg über die Dohlenhöhe war beschwerlicher als derjenige in Wolkenfold, jedoch bei weitem weniger unheimlich. Man hatte den Weg so gewählt, dass man auf halber Strecke auf den schmalen, mehr als eine Meile langen, leicht gewundenen Burgweg traf, der vom Treidelpfad am Großen Fluss hinauf zur Tor führte. Dann ritten Hagen, Roana und Korbrandt schnurstracks auf Burg Dohlenhorst zu. Offensichtlich war dreihundert Schritt vor dem Tor ein Wachposten aufgestellt worden. Ein Wachfeuer brannte dort, mehrere Personen waren im Widerschein der Flammen auszumachen. Armbrustschützen waren auszumachen.
Hagen rief aus vier Dutzend Schritt Entfernung laut aus: „Ich bin Hagen von Salmingen-Sturmfels. Waffen runter und Meldung machen!“ Die Reiter ritten langsam weiter, es gab Getuschel zwischen den Wachen. Der wachhabende Weibel, wie seine Leute aus einer Koscher Söldnerkompanie, war von Alvide persönlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit über Hagens Eintreffen informiert worden, die Mannschaften jedoch nicht – diese wussten gar nicht, dass Hagen überhaupt seit Wochen abwesend war.
Hagen, Korbrandt und Roana waren sichtlich verwundert darüber, hier auf dem Burgpfad Koscher Söldner anzutreffen. Der Baron fuhr den Weibel an, nachdem er sein Ross direkt vor ihm halten gelassen hatte: „War das eine Meldung, Soldat? Wer hat Dich in meine Baronie und auf diesen Posten befohlen? Aber zackig!“ Der Weibel nahm Haltung an, salutierte und antwortete, sichtlich verlegen und alles andere als zackig: „Euer Hochgeboren, Ihre Hochgeboren Alvide von Eichental, Euer Hochgeboren!“ Der junge Baron raunte nur ein „Weitermachen!“, während sein Ross schon im Schritt weiter auf das Burgtor zuhielt. Roana und Korbrandt folgten ihm. Die drei reagierten nicht auf das „Willkommen in Eurer Baronie, Euer Hochgeboren!“, das der Weibel ihnen nachrief. Korbrandt drehte sich nur kurz um, als der Weibel viermal in sein Horn stieß. Man kündigte der Besatzung der Burg Dohlenhorst offensichtlich die Ankunft des Burgherrn an.
Tatsächlich war das schwere Tor bereits geöffnet, als die drei Reiter dort ankamen. Die Burg war immer noch schwer vom Beschuss gezeichnet, den sie während ihrer Eroberung durch Hagens Leute vor nicht einmal einem Götterlauf erleiden musste, das Torhaus war aber runderneuert worden und wirkte wehrhafter als je zuvor. Ein Gardist im Erzweilerer Wappenrock stand freudig lächelnd im Burghof und grüßte Hagen und seine Begleiter. Hagen stieg von seinem Pferd ab, drückte einem anderen Gardisten, im Dunkelforster Rock, wie einem Pferdeknecht die Zügel in die Hand und fragte ihn: „Wo ist Ihre Hochgeboren Alvide?“
Alvide von Eichental saß im Rittersaal und grübelte über einer Karte der Baronie Dohlenfelde. Am Tisch saßen zwei Koscher Ritter aus Alvides Gefolge. Firntraut von Ödenhof war eine kräftig gebaute Frau Anfang 60. Gerade biss sie herzhaft in ein Stück Brot, das dick mit Angenkäse belegt war. Barthalm von Rohenforsten rümpfte sich die Nase, ob des strengen Geruchs. Firntraut war ohnehin nicht für ihre gute Körperhygiene bekannt, aber das war nun selbst Barthalm zu viel. Er war ein gutes Stück jünger als Firntraut, doch wirkte er mit seinem Wettergegerbten Gesicht und seinem stattlichen Bart älter als er war. Um seine Lehnsherrin nicht in ihren Gedanken zu stören zog der Hüne stattdessen an seiner kurzstieligen Pfeife und hoffte, dass der Geruch bald verschwinden würde.
Eher nebenbei fiel sein Blick auf ein aufgeschlagenes Buch auf dem Tisch. Er wusste, dass es aus der Feder des langjährigen Obristen der Angbarer Sappeure Murgrim Kupferblatt stammte. Der Oberst galt wohl zu Recht als hervorragender Taktiker und Stratege. In seinem monumentalen Buch hatte Barthalm aber nie gelesen, denn das lesen war seine Sache nicht. Er hatte aber immer gerne einen Abstecher nach Birnbrosch gemacht, um dem gestanden Zwergen bei seinen Erzählungen zuzuhören. In dem gemütlichen Hügelhaus hatte man Murgrim seine Lebensgeschichte selten anmerken können. Erst wenn er nach dem Essen den ersten Humpen des Zwergenbocks geleert hatte begann er von vergangen Schlachten und Herrschern zu erzählen. Kein Wunder, dass seine Baronin in diesem Buch Rat suchte. Den Zeichnungen nach ging es wohl um Lagerbefestigungen.
Auch Firntraut von Ödenhof warf einen Blick auf das Buch. Im Gegensatz zu Barthalm hatte sie das Buch gelesen, auch wenn sie immer wieder gerne beim `Oberst`, wie ihn viele ehrfurchtsvoll nannten, vorbeigeschaut hatte.
Während sie sich genüsslich das letzte Stück Käse in den Mund schob fragte sie sich, ob sie das Lager in Altengrund wohl noch stärker befestigen sollten. Die Truppen hatten bereits jetzt eine Anlage aufgeworfen, die den `Oberst` stolz gemacht hätte. Firntraut konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie Angronds Heer diese Anlagen überwinden sollte, zumal die ignoranten Hinterkoscher eine merkwürdige Einstellung zu Geschützen und Armbrüsten hatten. Das kam wohl davon, wenn man neben, statt mit den Zwergen lebte. Oder lag es daran, dass hier nicht das gemütliche Hügelvolk heimisch war, sondern die verschlossenen Erzzwerge, für die schon die Ambosszwerge nur heimatlose Herumtreiber waren? Sie musste gerade an diesen äußerst unangenehmen Erzzwerg Muragosch denken, der der Burgvogt auf Dohlenhorst und der Verwalter ganz Dohlenfeldes war, und das seit über einem Jahrhundert. Muragosch schien sich überhaupt nicht für die Belange der Menschen um ihn herum zu interessieren – und er diente den menschlichen Herren auf Burg Dohlenhorst mit einer arroganten, bürokratischen, geheimniskrämerischen Gleichgültigkeit. Muragosch schien es ganz offensichtlich egal zu sein, wer der Baron Dohlenfeldes war. Er respektierte Menschen nicht, und mochten sie Barone, Grafen oder Kaiser sein. Nein, er sah auf Menschen tief in seinem Herzen herab, wie Menschen auf die dummen, schnelllebigen und hässlichen Goblins herabsahen. An Muragosch war nichts herzliches, sie hatte ihn nie freudig gesehen, und nie dankbar. Aber auch nie zornig. Der alte Zwerg war wie ein Fels. Ihre Gedanken wurden jedoch zu einem anderen Thema gelenkt, als sie die Ferdoker Räucherwurst auf dem Tisch entdeckte. Zufrieden griff sie danach und setzte gerade das Messer an, als die Tür zum Rittersaal krachend aufgestoßen wurde.
Alvide fuhr erschrocken aus ihren Gedanken hoch. Dort stand Hagen von Salmingen-Sturmfels und es schien als würde eine Mischung aus Zorn und Überraschung in seiner Brust toben. Sie war froh, diesem Mann nun nicht im Zweikampf gegenüberstehen zu müssen. Das plötzliche Auftauchen des jungen Barons hatte sowohl Alvide, als auch ihre beiden Ritter erschreckt. Natürlich hatten sie die Hornstöße gehört, aber sie waren davon ausgegangen, dass der junge Baron erst einmal seine Gattin Ansoalda begrüßen würde. Firntraut und Barthalm hatten ob des Schlages der Tür gar zu den Schwertern gegriffen, bevor sie erkannten, was vor sich ging.
Alvide erhob sich aus ihrem Stuhl und schritt selbstsicher auf Hagen zu, der regelrecht auf sie zugestürmt kam. Erneut fiel ihr auf wie jung der Herr dreier Baronien doch war. Gerade einmal 25 Sommer zählte dieser ungestüme Mann und war, zumindest den Titeln nach, der mächtigste Baron des Mittelreiches.
„Willkommen in eurer Heimat Hagen.“
Hagen war aufgebracht, es brach aus ihm heraus: „Was führt euch hierher, woher kommt dieses Söldnerheer, warum bewachen Koscher Waffenknechte den Weg zu meiner Burg – aber vor allem...“ Hagen schrie nun fast: „Warum, bei allen Zwölfen, wurde ich nicht informiert?“ Ob seiner Aufregung hatte er gar eine angemessene Begrüßung vergessen.
Schuldbewusst wich Alvide erst Hagens lodernden Blick aus, dann senkte sie das Haupt. „Was ich euch nun berichten werde ist nur für euch bestimmt.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als Firntraut und Barthalm den Rittersaal verließen, die schwere Tür schlossen und sich vor der Tür aufbauten.
Hagen schaute etwas irritiert und vergaß darüber glatt seinen Zorn. Alvide erhob nun wieder ihre Stimme „Seitdem wir im Winter aus Dohlenfelde heimkehrten haben Erlan und ich keine Minute geruht. Uns war klar, dass Angrond einen Gegenschlag führen würde und er muss es nun tun, da der Streit noch frisch und der Zorn noch nicht verklungen ist. Sollte er nun zögern wäre das das Ende für seine Ansprüche. Wir haben alle Kontakte genutzt die wir haben und ein Heer aufgestellt, um Dohlenfelde zu halten. Unter meinem Banner marschieren über 200 Soldaten.
Wir haben uns in Altengrund eingegraben. Vor dort aus kontrollieren wir den Anmarschweg gen Burg Dohlenhorst. Wenn nun Angronds Heer hier erscheint können sie die ganze Baronie erobern, aber hier werden sie scheitern. Entweder erzürnen sie den Herzog, indem sie durch die Growinsmark ziehen, oder aber sie versuchen das Lager meines Heeres zu erstürmen, um so den Weg frei zu machen. Doch das wird ihnen nicht gelingen, so wahr ich hier stehe! Auch Roklan und der Baron von Orgils Heim sind hier, um euer Erbe zu verteidigen.“
Hagen war wie vor den Kopf geschlagen. Einerseits war er überwältigt von der Hilfe, die ihm hier zu Teil wurde, aber andererseits war er über die Geheimhaltung erzürnt. Er wiederholte seine Frage, nun in einem ruhigen, bohrenden Ton: „Warum, bei allen Zwölfen, wurde ich nicht informiert?“
Alvide überlegte für einen Moment. „Wir marschierten hier auf, als ihr bereits gen Wengenholm gezogen ward. Wir wollten euch eigentlich eine freudige Überraschung bereiten, aber da ward ihr ja bereits gen Angbar geritten. Die ganze Geheimhaltung diente dazu, Angrond eine böse Überraschung zu bescheren, sobald er hier auftaucht. Als wir hier aufmarschiert waren schien es uns ein Wink des Schicksals zu sein, dass ihr im Namen des Fürsten in den Krieg gezogen wart. Ein Angriff Angronds auf euer Lehen, während ihr für Fürst und Gerechtigkeit in Wengenholm streitet, das hätte Angrond viele Sympathien gekostet und ihm vielleicht das Genick gebrochen.“ Hagen runzelte unwillig die Stirn. Der junge Ritter wurde gerade mit Unmengen an Informationen überschwemmt, die er nicht so recht glauben konnte. Außerdem waren ihm solche Gedankengänge fremd, die Intrige verachtete er. Er konnte sich jedoch vorstellen, dass seine Mutter Frylinde über die Geschehnisse informiert war, wenn sie nicht sogar dahinter stand. Sie kannte Erlan von Sindelsaum sehr gut. „Ihr hättet mich informieren müssen.“ Murmelte er mehr zu sich.
Alvide nickte zustimmend. „Ja das hätten wir wohl, aber unter den gegebenen Umständen erschien es uns besser, wenn ihr euch nicht um eure Baronie sorgen müsst und euch voll auf den Feldzug in Wengenholm konzentrieren könnt. Nun ja, der ursprüngliche Plan ist wohl nicht so ganz in Erfüllung gegangen und hatte sicher seine Lücken, aber nun da ihr hier seit könnt ihr persönlich mit ansehen, wie sich Angrond eine blutige Nase holt.“
Hagen blickte aus der Fensteröffnung, gen Firun, zum Großen Fluss. Der strömte unterhalb der Burg anmutig wie ehedem dahin. Dort, viele Tagesreisen im Norden, lag Angbar. Noch weiter im Norden die Grafschaft Wengenholm. Er hatte ja einiges erwartet, aber dass ein Heer seiner Verbündeten in beeindruckender Stärke bei Altengrund lagerte und seelenruhig zusah, wie sich einer von Angronds Schergen die Kernlande seiner Baronie eroberte, das überstieg seinen Verstand. Die Angreifer hatten schließlich nicht nur die Burg Schwarzfels unter ihre Kontrolle gebracht. Das hätte er verschmerzen können. Die Burg an die Herzogenstadt Twergenhausen zu verpachten, das bereitete ihm seit dem Tag des Vertrages mit Throndwig Gliependiek Bauchschmerzen. Aber nein, selbst der Hauptort Dohlenfeldes war in der Hand dieses Edlen aus Eisenhuett! Es schien Hagen, dass nur noch das Junkergut Erzweiler treu hinter ihm stand. Die Macht über Dohlenfelde drohte ihm zu entgleiten! Nein, sie war ihm entglitten, während der im Kosch weilte. Und dies schien hier, auf seiner Burg, niemanden ernstlich zu interessieren! Dennoch formulierte er eine andere Frage, die ihm schon seit Beginn des Gesprächs mit Alvide auf den Nageln brannte: „Warum marschiert ihr hier mit einem solchen Heer auf, während der Kosch im Wengenholm kämpft?“ Alvide nickte. Sie hatte diese Frage befürchtet und sie kannte nur einige befriedigende Antwort darauf. Die Wahrheit. Auch Alvide blickte nun aus der Fensteröffnung, unter ihr der Große Fluss, am anderen Ufer das Ludgenfelser Hügelland, irgendwo in weiter Ferne ihre Koscher Heimat. Dann sprach mehr zu sich selbst als zu Hagen, aber mit großer Ernsthaftigkeit, die keinen Zweifel ließ. „Bernhelm war auch mein Vater.“
Hagen traf der Schlag. Bei den Zwölfen! Das konnte doch nicht sein! Ungläubig blickte er Alvide an. War sie tatsächlich seine Halbschwester? Alvide wiederholte ihre Worte nicht, sondern nickte nur. „Meine Mutter und er dienten gemeinsam in Gareth und bei ihrem Junggesellenabschied haben sie es dann wohl etwas zu weit getrieben. Nun ja ich bin das Ergebnis dieser Nacht. Ich kannte meinen Vater im Grunde nicht persönlich, ich traf ihn nur wenige Male. Aber bei allem, was meine Mutter über ihn erzählte, und nach allem, was ich selbst über ihn erfahren konnte, war er ein aufrichtiger und tapferer Mann. Ich werde es jedenfalls nicht dulden, dass sein letzter Wille mit Füßen getreten wird.“
Hagen, der nach seines Vaters letztem Willen Baron zu Dohlenfelde sein sollte, blickte Alvide noch immer wie versteinert an, doch dann wurde die Tür aufgerissen und Ansoalda von Leihenhof stürmte herein. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie Hagen erblickte und eilte mit großen Schritten auf ihn zu. Firntraut und Barthalm zuckten nur verlegen mit den Schultern. Sie hätten ja schlecht der Hausherrin den Zugang zu ihrem eigenen Rittersaal verwehren können.