Dohlenfelder Thronfolgestreit - Furchtbare Neuigkeiten
27. Boron 1032 BF – Morgens
Burg Dohlenhorst lag trutzig über dem ruhig dahinströmenden Großen Fluss, es war für einen Herbstmorgen ziemlich kalt.
Baron Angrond von Sturmfels befand sich in der Kanzleistube des Rittertrakts seiner Burg, einem der wenigen beheizten Räume. An seiner Seite standen seine Gattin Isida von Quakenbrück, sein Schwiegervater Roderich von Quakenbrück sowie Burgvogt Muragosch, der erzzwergische Verwalter Dohlenfeldes.
Die vier waren über mehrere schwere Folianten gebeugt, Steuerlisten aus frühen Zeiten der Almadaner Kaiser. Sollte sich darin – wie Roderich aufgrund von Recherchen in Eisenhuett vermutete – tatsächlich ein Beleg dafür finden lassen, dass ein Dorf in Kaiserlich Weidleth zum dohlenfeldschen Edlengut Wolkenfold gehören sollte?
Man war nun schon den dritten Tag an diesen alten und unvollständigen Steuerlisten, die Burgvogt Muragosch irgendwo aufgetrieben hatte. Aber ein entsprechender Beleg würde vielleicht zu einer neuen Grenzziehung führen, zumindest aber zu einer Entschädigung für die entgangenen Einnahmen der letzten Jahrhunderte.
Die vier versuchten schon seit mehreren Minuten, den Namen einer Gemarkung „an der Weihl“ zu entziffern, als es an die Tür klopfte. Nachdem Isida ein knappes „Herein!“ gerufen hatte, kam Meister Negosch Sohn des Normasch, Kammerherr der Baronie Dohlenfelde und ein Vetter des Burgvogts, gewandet in einen schweren Lodenmantel, durch die Tür und sprach:
„Hochgeborene, geschätzter Vetter. Herr Cordovan von Sturmfels aus Twergenhausen wünscht den Herrn Baron zu sprechen – es sei dringend.“
Roderich schaute kurz verwundert, dann erinnerte er sich dieser unglücklichen Geschichte, über die in der Familie Sturmfels nicht viel gesprochen wurde: Cordovan, ein jüngerer Bruder Bernhelm von Sturmfels’, war aufgrund seiner unstandesgemäßen Ehe mit einer Bürgerlichen aus Twergenhausen, wo er nach wie vor lebte, aus der Familie ausgestoßen worden. Voltan von Sturmfels, der Landedle zu Wichtenfels und herzogliche Turniermarschall, war dieser Verbindung entsprungen.
Angrond zögerte einen Augenblick, als überlege er, was Cordovan „dringendes“ von ihm wolle. Die beiden kannten sich kaum und hatten zuletzt bei Bernhelms Bestattung, also vor über zwei Jahren, ein paar flüchtige Worte gewechselt. Cordovan war aus der Familie ausgestoßen worden, als Angrond erst zwei Götterläufe zählte. Dann bat er seinen Kammerherrn, seinen Onkel einzulassen.
Cordovan, der die Fünfzig fast erreicht hatte, war in vornehme bürgerliche Kleidung gehüllt und hatte ein Schwert gegürtet. Er verbeugte sich andeutungsweise vor Angrond und Isida, und hub an zu sprechen:
„Angrond, es ist Krieg! Fünf Flussschiffe sind zu früher Stunde in Twergenhausen angelandet, mit Kämpfern und Pferden und Geschützen – angeführt von Eurem Bruder Hagen. Es sind koscher und auch nordmärker Barone darunter. Die Twergenhäuser haben zudem ihre Wehr ausgehoben, die Stadt ist offensichtlich mit Hagen verbündet. Zwei Heere marschieren nun – die Twergenhäuser gen Schwarzfels, Hagen und seine Verbündeten hierher. In weniger als einer Stunde könnte Hagen bereits hier sein.“
Der ausgestoßene Sturmfelser schaute in ebenso entsetzte wie ungläubige Augen. Bereits vor ein paar Tagen hatte Angrond von einer Vertrauten in Twergenhausen erfahren, dass im Magistrat darüber debattiert worden sei, Partei im Dohlenfelder Thronfolgestreit zu beziehen, angeblich aber ergebnislos – und heute, am 27. Boron 1032 BF, sollte in der Herzogenstadt ein Waffenappell zu Ehren eines neuen Zunftmeisters stattfinden. Sollte dieser Waffenappell nur ein Vorwand gewesen sein, um einen Kriegszug vorzubereiten? Und wie mochte es Hagen gelungen sein, die Stadt – die zu Beginn des Bruderzwists ihre Neutralität erklärt hatte – auf seine Seite zu bringen? Den Bürgerlichen Zugeständnisse zu machen, dazu wäre Hagen sicherlich noch weniger bereit als er selbst.
Aber Frylinde? Seine Stiefmutter hatte immer ein exzellentes Verhältnis zu den nichtadligen Ständen gepflegt, eine alte Tradition der Salminger, die immer beste Kontakte nicht nur zur Geweihten- und Magierschaft, sondern auch zu den Bürgern ihrer Baronie im Ferdokschen hatten.
Und welche nordmärkischen Barone sollten nun mit Hagen in Twergenhausen eingetroffen sein? Einige hatten sich im Thronfolgestreit auf Hagens Seite gestellt – aber nun tatsächlich einen Krieg zu führen, und zudem Seite an Seite mit Herzoglich Twergenhausen, das war ein großer Schritt mehr. Mehr Fragen als Antworten.
Der tiefe Bass Burgvogt Muragoschs durchbrach die betretene Stille: „Das sind wahrhaft bemerkenswerte Nachrichten, Herr Cordovan. Wer hätte gedacht, dass Ende Boron ein Feldzug begonnen wird. Die Jahreszeit erscheint ungewöhnlich, zumal dieser Herbst ein unangenehm kühler ist. Menschen können mich selbst nach solch vielen Jahrzehnten immer wieder überraschen.“
Roderich war nicht minder ob der Nachricht überrascht. Er wusste von den grundsätzlichen Absichten Hagens und auch, dass manche Pläne bereits geschmiedet wurden. Mancher Rauch war nicht zu übersehen.
Der Baron von Tandosch hatte am Hof zu Eisenhuett vor seinem Bruder vorsprechen lassen und diesen tatsächlich aufgefordert, sich an einem Heerzug gegen Angrond und Isida anzuschließen. Auch vom jungen Herrn von Galebquell hatte er erfahren, dass er manche Pläne schmiedete und bereits um Liepenstein nach Verbündeten gesucht hatte, dort auch manche seiner Ansichten ausgebreitet hatte.
Beides hatte ihn verwundert, mochte Roderich hier auch meinen seine Gegner lange überschätzt haben, denn die Nähe Angronds als auch Liepenstein zum Hause Quakenbrück waren allgemein bekannt. Es mochten aber jeweils Finten gewesen sein. Vor allem dem jungen Galebqueller mochte er einiges zutrauen. Er mochte nicht so gerissen erscheinen, wie sein Vater, doch Satinav würde es an Praiosblick bringen.
Es waren keine Finten, befand er nun. Allerdings hatte auch Roderich nicht erwartet, dass zu dieser Jahreszeit noch ein Feldzug beginnen würde. Entweder waren Hagen und die seinen besonders töricht, denn lange würde Firun in den Hängen des Eisenwaldes nicht mehr auf sich warten lassen, oder besonders entschlossen.
Fünf Flussschiffe waren eine beachtliche Zahl und mit der Stadt Twergenhausen im Rücken würden sich weitere Söldlinge anschließen. Seit seiner Abreise aus Eisenhuett hatte Roderich allerdings von keinen besonderen Bewegungen gehört. Der Tandoscher, so hatte er erfahren war noch in Albernia beschäftigt. Auch von den benachbarten Baronien waren keine Auffälligkeiten berichtet worden. Einzig in Kyndoch war es dieser Tage nach dem Tod des vormaligen Barons noch immer etwas unruhig. Auch mit Eisenstein gab es erneuten Ärger, doch das war eine ältere Geschichte.
Hagen war also entschlossen einen schnellen Sieg zu erringen, anders mochte er das Vorhaben nicht deuten. Im Winter würde kein Gegenschlag erfolgen können, sodass er sich bis zur Schneeschmelze in Dohlenfelde einnisten konnte. Er würde also alles daran setzen, die Verteidigung Angronds durch diesen überraschenden Angriff zu überrollen. Gelänge es ihm Angrond zu schlagen, keinen Widerstand mochte er mehr fürchten müssen.
Ein wenig mehr Ehre hätte er dem Salminger schon zugebilligt. Ohne Fehdeerklärung wie ein Raubritter zu erscheinen, das war doch etwas anderes. Solange der Zwerg in Calbrozim keinen der beiden Brüder zum Baron ernannte, waren es nur Ansprüche, die sich stellten und noch immer galt das einst von Bernhelm von Sturmfels erlassene Wort. Der Nachlass bestimmte keinen Vogt von Dohlenfelde, also galt Angrond noch als solcher. Zweifelsohne war dies jedoch das Werk Hagens Mutter Frylinde, befand Roderich. Zudem musste vor allem Koscher verbündete am Werk sein, denn andernfalls hätte er von den Vorhaben eher erfahren. Es galt nun aber nichts zu bedauern, sondern bald und rasch zu handeln.
„Ihr habt gut getan, herzukommen und uns vor diesem hinterhältigen Überfall zu warnen. Konntet Ihr jedoch erkennen wie viele Streiter es sind und wer Hagens Verbündete sind?“ ergriff Roderich vor seinem nicht minder erstaunten Schwiegersohn und seiner Tochter das Wort und verlangte zunächst von Cordovan zu erfahren, ehe er weiteren Überlegungen nachging. Sein Ton war jedoch freundlich und anerkennend, ob der Warnung des Sturmfelsers.
Die Ritterin Alannia von Krotenau, Jungfer von Finsterklamm, auch hierin in einem Erbstreit verstrickt, schloss sich der Zuhörerschaft an. Die junge Ritterin hatte die Knappschaft im Hause Sturmfels vor einigen Jahren hinter sich gebracht und war am Hofe zu Dohlenhorst verblieben.
Angrond war immer noch ratlos, die Gedanken schienen in seinem Kopf hin- und herzurasen. Eine seiner Fragen war, warum gerade Cordovan, der aus der Familie Ausgestoßene, ihn warnen sollte. Aber dass Cordovan ernstlich um sein Schicksal besorgt war, stand außer Frage. Auf das drängende Nachfragen berichtete Cordovan von Sturmfels von allen Details, die ihm als wichtig erschienen:
Es seien Truppen aus Koscher Baronien angelandet, vor allem Salminger und Sindelsaumer. Zudem Nordmärker aus den Grenzbaronien Galebquell und Schwertleihe sowie den Baronien Tandosch und Eisenstein, den bekannten Opportunisten eben. Dazu eine beträchtliche Anzahl Söldlinge, bezahlt von Hagen – woher auch immer die Salminger das Gold hatten – und anderen Adligen, darunter gar der illustre Trisdhan von Hartsteen. Die Herzogenstadt habe ihre gesamte Stadtwehr mobilisiert und, so scheint es, Hagens Kommando unterstellt. Alles in allem dürfte Hagen damit über Truppen in beinahe Regimentsstärke verfügen, die in zwei Heersäulen auf die beiden wichtigsten Burgen Dohlenfeldes marschierten, Schwarzfels und Dohlenhorst. Es sei Eile Gebote! Es sei keine Zeit mehr für nähere Ausführungen! Die Burg müsse verteidigungsbereit gemacht werden!
Nach den Erläuterungen Cordovans – mittlerweile waren in der Kanzleistube auch die Burghauptfrau Dohlenhorsts, Ituberga von Liepenstein, die Hofheroldin Angronds, seine Tante Ardare von Sturmfels, sowie Ritterin Alannia von Krotenau eingetroffen – herrschte erneut Stille.
Dann sprach Angrond: „Cordovan, ich habe keinen Grund, Eure Informationen anzuzweifeln, und ich zweifle auch nicht an den üblen Absicht meines Halbbruders und meiner Stiefmutter. Ich bin Euch zu Dank verpflichtet!“
Dann wandte er sich seiner Gattin zu: „Isida, Du und die Kinder, geht sofort mit den Dienern in den Bergfried, dort seid Ihr am Sichersten. Muragosch wird Dir die Baronskrone in den Bergfried bringen lassen.“
Anschließend sprach er zu Ituberga: „Hochgeboren, ist meine Burgwache kampfbereit und vollständig anwesend?“
Die Burghauptfrau antwortete mit einem zackigen „Jawohl!“
Angrond fuhr fort: „Ituberga, schickt sofort Euren Weibel hinunter nach Altengrund, lasst dort die Landwehr ausheben. Die Kämpfer sollen sich umgehend hier oben melden und danach soll er sofort weiter nach Freyen reiten und Wilgunde von Nadelfels an ihre Pflichten mir gegenüber erinnern...“
Cordovan fiel seinem Neffen ins Wort: „Angrond, es tut mir leid, Euch unterbrechen zu müssen, aber dafür ist keine Zeit mehr! Bis die Landwehr aus Altengrund – Ihr wisst ebenso gut wie ich, wie langsam die Bauern sind – hier sein werden, steht das Heer Hagens bereits vor dem Burgtor. Und vertraut Ihr tatsächlich auf die Nadelfelserin? Die Baronin zu Wolfsstein, eine gute Freundin dieses Hauses, befindet sich in Hagens Heer!“
Angrond schluckte. Bei allen Zwölfen, er wusste, dass Cordovan recht hatte – wenn die Angreifer sofort losmarschieren würden, und nichts anderes würde Sinn machen, könnten sie in einer Stunde vor der Burg stehen. Dann würde der letzte Landwehrmann in Altengrund gerade seine Hellebarde vom Speicher geholt oder die Armbrust entstaubt haben. Und die Loyalität der Nadelfelserin hatte er selbst schon oft genug angezweifelt.
Die Ritterin zu Perainshof, der Ritter zu Darlinstein und der Ritter zu Schwarzfels standen getreu hinter ihm, aber gerade die Nadelfelserin nicht.
Die Verteidigung musste mit dem auskommen, was momentan auf der Burg war. Angrond dankte den Zwölfen, dass die Speicher der Burg im Travia zum Bersten gefüllt worden waren, er hatte darauf bestanden, obwohl Muragosch Zweifel an dieser übervorsichtigen Vorratshaltung hatte, wäre doch vor zwei Jahren viel Getreide auf Dohlenhorst verschimmelt. Auch Waffen waren genügend auf der Burg, dazu Munition für die Rotzen im Geschützturm der Vorburg.
Aber es war klar, dass seine Verbündeten informiert werden müssten. Den gleichen Gedanken hatte offensichtlich seine Frau Isida, die sich an Roderich wandte:
„Vater, ich danke den Zwölfen, dass Ihr zu dieser schweren Stunde hier auf Burg Dohlenhorst seid! Wollt Ihr mit mir einen kurzen Brief an Euren Bruder Garmwart verfassen, zur Lage in Dohlenfelde? Wir werden eine Brieftaube nach Eisenhuett losschicken, sobald Hagens Kämpfer in Sicht sind – denn auf Entsatz des Hauses Quakenbrück werden wir angewiesen sein, soviel ist sicher.“
„Ich werde das Schreiben gerne aufsetzen, aber ich werde es allein machen. Ihr werdet meinem Bruder von Angesicht zu Angesicht berichten. Angrond, Ihr werdet aufbrechen!“
Roderichs Worte waren eindringlich. Er kannte seinen Schwiegersohn gut genug, als dass er wusste, dass er unter keinen Umständen weichen würde. Angrond galt nicht als Kriegsheld, wie sein Bruder Hagen, doch im Gegensatz zu diesem Wankelmütigen, war Angrond ehrenhaft und standhaft.
Davon zeugten nun auch seine Worte. Niemals würde er Burg Dohlenhorst dem Feind überlassen. Niemals jenen überlassen, die nicht selbst Bernhelms sondern nur seine sie begünstigenden letzten Worte ehrten. Worte die nicht von Bernehlm stammen konnten, davon war Roderich überzeugt, deren Saat der Zwietracht nun aber erste Früchte trugen.
Bittere Früchte des Verrats und der Gier waren es.
„Ihr müsste gehen. Es war der Wunsch meines Bruders Euch die Hand meiner Tochter zu geben. Ich war damit einverstanden. Ich gab sie Euch, um den Bund der Familien zu besiegeln. Es sollten dereinst Eure Nachkommen sein, welche die Baronskronen von Dohlenfelde und Eisenhuett trügen. Ich gab Euch die Hand Isidas, auf dass Ihr sie schützen möget, die Verbindung Früchte trüge. Ihr habt vor Praios und Travia geschworen dies zu bewahren. Das werdet Ihr nun tun.
Wenn Ihr auf Dohlenhorst bleibt, wird Eurem Bruder nur eine Wahl bleiben. Nur eine letzte Tat wird er bei jedem Eurer Familie wiederholen müssen. Ihr wisst, wie Ich, Ihr könnt nicht auf Dohlenfelde verzichten. Ihr dürft es nicht! Habt kein Recht dazu. Tut Ihr dies jedoch nicht, muss Hagen Euch und Eure Nachkommen töten. Tätet Ihr es, so müsstet Ihr auch zugunsten Eurer Nachkommen sterben. Ihr könnt also nur fliehen.
Dies ist nicht der Moment in dem Ihr wählen könnt, welcher Weg Euch der ehrenhafteres ist oder besser gefällt. Ihr müsst Eure Verpflichtungen eingehen. Der Winter naht, Firuns Amten bläst bereits durch den Eisenwald. Eure Verbündeten werden nicht vor Phex ein Heer aufstellen können. Doch bis dahin mag viel Unwägbares geschehen. Ihr könnt nicht bleiben.“
Roderich hoffte, dass seine Worte Angrond überzeugen mochten, denn Zeit blieb keine mehr. Roderich fürchtete bereits, dass jedes Wort das Heer Hagens bereits einen Schritt näher an Dohlenhorts brachte. Angrond mochte dem dagegen einiges entgegenbringen.
Wie auch sein Bruder war er im Reichgericht. Doch im Gegensatz zu Hagen, dem es schon zum Reichstag zu Weidleth schwer gefallen war, ruhig auf dem Richterstuhl zu sitzen, galt Angrond vollendet in der Kunst der Argumentation. So mochten ihm etliche Gegenargumente in den Sinn kommen, um die Worte seines Schwiegervaters zu entkräften.
Doch Roderich hatte Recht. In Dohlenhorst wartete nur sein Grab. Dereinst mochte dies die Familiengruft sein, doch bliebe er nun an Ort und Stelle, würde ein Tag kommen an dem er, seine Gemahlin und seine Nachkommen zusammen dorthin getragen würden. Wie Roderich sagte, er konnte und würde nicht auf die Baronswürde verzichten können.
Angrond blickte Isida an. Die Kinder befanden sich bei ihrem Großonkel und dem Kindermädchen. Isida war mutig, war entschlossen. Sie war ihm in den Tagen nach dem Tod des Vaters eine Stütze gewesen. Sie wirkte nun jedoch schwach und verletzlich. Ihre Augen blickten ihn bittend an. Sie würde an seiner Seite bis zum letzten Kämpfen wenn es sein musste. Doch ihre Kinder würde sie nicht opfern.
„Es gibt nur einen Weg, nur eine Zuflucht. Ihr müsst nach Eisenhuett!“
Roderich hatte die letzten Jahre auf den Baron von Eisenhuett, seinen Bruder, versucht einzureden, in dem Streit eindeutig Partei für Angrond zu ergreifen. Doch obgleich Garmwart von Quakenbrück als derjenigen galt, der Bernhelm neben wenigen anderen am besten einzuschätzen vermochte, ihn sogar noch vor dessen Reise nach Salmingen getroffen hatte und Bernhelm ihm von einer Nachlassänderung nichts mitgeteilt hatte, es war ihm nicht gelungen.
Ja, Garmwart war inzwischen schon davon überzeugt, dass es Charissia von Salmingens Werk sein musste.
Er kannte seinen Waffenbruder Bernhelm gut genug um an dessen Testament zu zweifeln, ja zweifeln zu müssen. Dennoch, er wollte sich nicht auf die Seite eines der Nachkommen seines Waffenbruders Bernhelm stellen und sein Schwert das Blut des anderen Nachkommen kosten lassen. Dies wollte er Charissia nicht gönnen, dies durfte nicht die Hinterlassenschaft Bernhelms sein. Das hatte er oft betont.
Er hatte sich zuletzt darin versteift Charissia selbst zur Stecke zu bringen. Er hatte sogar seinen eigenen Knappen den Ritterschlag verwehrt, bis dieser eine letzte Queste erfüllt hätte, die noch flüchtige Mörderin Bernhelms zu stellen. Es mochte sich zeigen welchen Erfolg diese Queste haben würde. Doch erneut war etwas in Garmwart gestorben.
Wie einst, als Hadelin, seine Tochter, von Golgari über das Nirgendmeer getragen wurde, wie einst, als Tsawine die Gunst von Tsa versagt blieb, als sie und ihr ungeborener Sohn diese am meisten brauchten. Was der Beginn eines neuen Lebens sein sollte, war das Ende von zweien.
Doch was hier geschah, würde alles ändern. Der Tandoscher hatte sein Wort gebrochen und zog gegen Angrond und seine Gemahlin Isida von Quakenbrück zu Felde. Der Eisensteiner hatte seinen Fuß auf Dohlenfelder Boten gesetzt.
Das bereits mochte Garmwart reichen um einzuschreiten, wenn die Aussagen Cordovans stimmten. Vom Galebqueller und seiner Verwandtschaft hatte Roderich selten viel gehalten, aber wo Hagen war, da war verständlicherweise auch Roklan nicht fern.
Dass Praiodora von Wolfsstein-Föhrenstieg unter den Gefolgsleuten sei, überraschte ihn. Jedoch nur insofern, als dass sie wohl persönlich erschienen war. Roderich verstand sich recht gut mit der Gemahlin des Baron von Wolfsstein, weit besser als dieser selbst. Allerdings hatte er schon vor eigen Götterläufen von ihren Neigungen erfahren, was den Kontakt mehr Firun- denn Praiosgefällig gewandelt hatte. Er hoffte jedoch, dass sich die Wogen trotz Erbstreit glätten mochten.
Hagen hatte seine Gunst bei Garmwart verspielt, darin war sich Roderich sicher. Erführe er, dass Hagen derart nach Dohlenhorst gekommen war, dass er sich mit solchen Verbündeten umgab, es gäbe kein Halten mehr.
„Brecht auf. Übertragt mir die Verantwortung über Dohlenhorsts und ich werde Euch Zeit verschaffen. Ich werde die Burg solange halten, wie Efferd und Firun mir beistehen mögen, und wenn es bis Phex sein muss.“
Auch für Roderich war dies keine leichte Entscheidung. Doch ihn zu töten nutzte niemandem etwas, nicht einmal dem Eisensteiner. Lebend hatte er einen Wert. Und auch im Tod würde er einen Nutzen haben, es wäre das fehlende Argument für Garmwart. Das letzte überzeugende Argument um das Kriegsbeil des Gerobald Gryphans von der Wand zu nehmen und es davon trinken zu lassen, wonach es diesem über die Jahrhunderte am meisten gedürstet hatte. Wenn es erforderlich war, dann mochte Roderich dieses Opfer bringen, doch nicht jetzt, noch gab es andere Auswege.
„Nun eilt Euch. Lasst das nötigste zusammenpacken und brecht auf, ehe die Späher Hagens Euer Aufbrechen erblicken können. Ihr müsst bis nach Nilsitz kommen. Der Vogt wird Euch nicht aufhalten. Er kennt Euch und Ihr versteht Euch gut mit ihm. Und sicherlich ist er kein Freund von Menschenjägern.“
Die drei Erwachsenen schritten zur Kammer der Kinder. Der Junge und die beiden Mädchen waren für die Reise, die vor ihnen lag bereits eingekleidet. Roderich verabschiedete sich von seinen Enkeln. Die Zwölfe mochten wissen, wann er sie wiedersehen würde. Auch ihretwegen war er nach Dohlenhorst gekommen.
„Es muss sein“, erwiderte Roderich bei dem leicht zweifelnden Blick Angronds.
Roderich strich über das Haar Retos. Der Junge zählte bereits zehn Sommer und verstand, was geschah, wenn er sich auch nicht erklären konnte. Er würde einst Baron von Dohlenfelde werden.
Und seine kaum zwei Götterläufe jüngere Tochter Haldane, dereinst würde sie Herrin von Eisenhuett sein, war es zwischen den Familie beschlossen worden.
Und die Jüngste, Raulgunde. Sie würde den Göttern dienen oder selbst an der Seite eines Barons stehen.
Alannia von Krotenau erschien in der Tür, hinter ihr der Knappe Veromir. Die Vorbereitungen waren beendet.
„Ihr müsst nun gehen. Praios mit Euch!“
Roderich war kein Mensch großer Gefühl, doch nun umarmte er seinen Tochter und seinen Schwiegersohn. Beide vermochten sich nicht an das letzte Mal erinnern.
„Geht, ich werde die Verantwortung über die Burg tragen.“