Dohlenfelder Thronfolgestreit - Zu Gast auf Burg Wichtenfels
- eine Unterredung Garmwarts von Quakenbrück mit Rohaja und Voltan von Sturmfels auf Burg Wichtenfels –
Es waren die Tage nach dem Albernischen Heerzug, nach dem Beenden der albernischen
Sezession durch der Kaiserin weisen Schluss und der Invher demütigen Bußgang.
Garmwart von Quakenbrück nutzte die ersten Tage des Traviamondes für eine kurze Reise gen Dohlenfelde. Nur kurz sollte seine Anwesenheit sein, doch nicht weniger wichtig nahm er sie deswegen. Die Entscheidungsträger hatten sich verwehrt, den Disput der Söhne Bernhelms zu schlichten und während der Zeit zu Abilacht hatte Garmwart die Söhne Bernhelms manches unversöhnliche Wort miteinander wechseln gehört. Es dauerte ihn sehr, dass seines Freundes Erbe, derart in Zwist geraten war, seine Erben, derart ihrem Vater gedachten. Er wusste wohl, welchen Respekt und welche Zuneigung beide gegenüber ihrem Vater hegten. Umso mehr grämte es den Baron, dass sie dies nicht in Eintracht taten. Auswege sah er keine mehr, doch wollte die verbliebenen Möglichkeiten nicht unbeachtet wissen. Er kannte Voltan lange, wollte seinen Rat derart schätzen, wie es einst Bernhelm getan hatte und so schien ihm ein Besuch auf dem Gut des Landedlen unumgänglich.
Mit großem Wohlwollen bewertete er zudem den Empfang durch den Landedlen, denn selten sind hochgeborene Gäste von außerhalb Dohlenfeldes zu Gast auf der kleinen Burg Wichtenfels. Darob ließ der Landedle alle Feuerkessel bestücken und Kerzen brennen, um seinem Gast einen angemessenen Empfang zu bieten. Die schwere Tafel im Rittersaal war reich mit Hasenbraten, Weißbrot, Äpfeln, Birnen und dunklem Bier gedeckt, als seine Wohlgeboren zusammen mit seiner Frau - Hochgeboren Rohaja - seinen Gast nach dessen Ankunft empfing.
Als die blanken Knochen des gebratenen Hasen vom Ende des Schmauses kündeten, waren die hochundwohlgeborenen Herrschaften schon längst in das unvermeidliche Gespräch über den scheinbar ebenso unvermeidlichen Thronfolgestreit vertieft.
„... nein, ich konnte Angrond ebenfalls nicht dazu bewegen, die Lösung im rondragefälligen Zweikampf zu suchen“, konnte man Voltan ausführen hören, „obwohl es nicht nur der ehrenhafteste, sondern auch der schnellste, Land und Untertanen schonendste und nicht zuletzt der am wenigsten angezweifelte Weg gewesen wäre, diesen unsagbaren Streit zu beenden.“
Der Landedle machte eine bedeutsame Pause.
„Es ist eine Schande, dass Angrond so wenig auf seine Schwertkünste hält. Freilich, er mag nicht der beste Raufer sein, aber Hagen ist ebenfalls nicht unbesiegbar. Und wäre Rondra an seiner Seite, wie sie es auch Lebtags an Bernhelms Seite war, so hätte er sich nicht sorgen müssen um den Ausgang des Kampfes. Ach, manchmal will es mir scheinen, als sei Bernhelm in seinen Söhnen entzwei gebrochen. Der eine ein formidabler Jurist, der andere ein mutiger Heerführer und Rittersmann. Egal, wer einst die Baronskrone tragen wird – er wird noch viel zu lernen haben, bis er seinem Vater gleicht.“
Garmwart nickte zustimmend bei den Ausführungen Voltans. Das Mahl hatte ihm wohl gemundet und die Gespräche waren ihm bis dahin angenehm. Garmwart teilte die Ansicht Voltans, dass es der beste und würdigste Weg wäre, die Entscheidung über ein Urteil der Herrin Rondra zu finden, wenn es sonst keine Einigung geben mochte.
„Ihr habt wohl recht, Angrond stünde es wohl an, wenn er manche Ertüchtigung nicht leichtfertig vernachlässigen würde“, Garmwart lies sich noch etwas von dem köstlichen Bier einschänken.
„Worin ich Euch jedoch nicht zustimmen kann, ist in der Überlegenheit Hagens, die zu fürchten wäre. Zweifelsohne ein formidabler Heerführer wird er einst sein und die Sporen hat er sich auf Crumolds Auen bereits verdient. Doch seine Leerzeit ist noch nicht beendet. Mut allein reicht dabei nicht, wenngleich es Hagen daran nicht mangelt. Was der eine an Geschick und Mut aufbringt,
gleicht der andere jedoch in Erfahrung und Konzentration wieder aus. Ich habe beide im Gefecht und im Turnier gesehen. Hagen hat zweifelsohne den Schwertarm und die Lanzenführung seines Vaters geerbt, doch zu ungeduldig, zu ungestüm ist er noch. Die nötige Ruhe fehlt ihm im entscheidenden
Moment. Eine Fähigkeit, die ich bei Angrond dagegen schon oft beobachten konnte. So gelang es ihm auch manch überlegenen Gegner schon aus dem Sattel zu heben, in dem er die Gelegenheit abwarten konnte, die Lanze günstig zu platzieren. Mochte der Stoß dann nicht kräftig oder besonders
gekonnt ein, so war er doch erfolgreich“, Garmwart dachte hierbei an den Lanzengang zwischen Angrond und Welfert von der Wiesen, der sich nach eines unangemessenen Wortes des Dichterfürsten vor zwei Götterläufen zugetragen hatte.
„Ein Zweikampf wäre ausgewogen und jeder würde seine Stärken der Göttin vorstellen, sodass die Wahl auch nur einer Göttin anstehen würde“, Garmwart war in dieser Hinsicht zuversichtlich. Er hatte jedoch erfahren, dass auch Hagen entgegen seiner Neigung, vermutlich durch schlechten Rat, einen Zweikampf letztlich wohl selbst aus dem Weg gehen würde.
„Beiden Söhnen Bernhelms steht es auch an und gut, eine Baronskrone zu tragen. Und ich bin mir sicher, gleich welcher Schluss sich für das Erbe Bernhelms ergeben wird, dass es ihr Schicksal auch sein soll“, Garmwart deutete damit eine Entscheidung hinsichtlich Angrond und seiner Nichte Isida, die er zugegebener Zeit verkünden wollte, doch nicht unter den aktuellen Gegebenheiten.
Der turnierverliebte Landedle musste schmunzeln.
„Ist Euch schon einmal aufgefallen, Euer Hochgeboren, wann Angrond die sichersten Streiche führt?“
Er lehnte sich genussvoll zurück und ließ seinem Gegenüber Zeit zum Nachdenken. Als Garmwart ihn nach einigen Herzschlägen fragend ansah, fuhr er fort:
„Wenn die Augen Seiner holden Gattin, Eurer werten Nichte Isida von Quakenbrück, auf ihm ruhen. Sie verleiht ihm die Ruhe, Selbstsicherheit und Präzision, von der Ihr sprecht. Auf Turnieren, bei denen sie anwesend ist, hält er mehr Durchgänge durch als in ihrer Abwesenheit.“
Rohaja, die inzwischen die Kinder zu Bett gebracht hatte und nun unweit der Tafel an einer großen Standharfe Platz genommen hatte, schaute amüsiert zu den Herren hinüber ohne ihr angenehmes,
leises Spiel zu unterbrechen.
„Ist es nicht immer so, meine Herren, dass wir Damen Liebe, Mut und zahlreiche gute Eigenschaften mehr in euch zu wecken vermögen? Nicht umsonst sind Rahja und Rondra Göttinnen weiblichen Geschlechts. Mich wundert es jedenfalls nicht, dass Hochgeboren Isida
solcher Art auf Hochgeboren Angrond einwirkt. Sie ist eine wundervolle Frau von großer Klugheit und hohem Ansehen. Ihr seid wohl zu Recht voll des Stolzes über Eure Nichte, werter Garmwart! Und nicht zuletzt hat sie ihm vier wohl geratene Kinder geschenkt, die Ihr mit ebensolchem Stolz
bedenken könnt.“
Voltan nickte zustimmend.
„Euer Hochgeboren, sicherlich habt Ihr Recht, dass ein Zweikampf gerecht gewesen wäre und man den Sieger nicht mit Gewissheit vorhersagen hätte können. Nichts anderes habe ich gesagt. Doch dazu wird es nun leider nicht kommen, wenn ich die Situation richtig deute. Selbst die Rondrageweihtenschaft scheint diese Hoffnung inzwischen aufgegeben zu haben, und das will etwas heißen.“
Der Landedle nahm einen tiefen Schluck aus seinem Krug.
„Vermögt Ihr Euch jedoch den Sinneswandel Bernhelms zu erklären?“
Für Garmwart stand fest, dass vor allem ein Isenhager Baron seinen Nachlass fast nach Belieben zu regeln vermochte, und er dies auch
selbst in Anspruch nahm. Doch die Umstände und der spontane Sinneswandel ohne vorangehende Vorkommnisse, einer Ankündigung , einer Erklärung oder wenigstens einer Andeutung Seitens Bernhelm hatten Garmwarts Gedanken oft in Anspruch genommen. Er hatte Bernhelm gut gekannt, teilte viele seiner Ansichten. Selbst wenn Bernhelm nicht unmittelbar nach dem Ändern seiner letzten Verfügung und der recht zweifelhafte Begleitumstände einer schändlichen Tat zum Opfer gefallen wäre, hätte sich der Baron von Eisenhuett sich sehr gewundert. Die Frage, wie Bernhelm nach einem Dutzend Götterläufen des Vertrauens in der Verwaltung Dohlenfeldes seinen einen Sohn derart verstoßen und den anderen Sohn eine derartige Verantwortung aufladen konnte, noch dazu die Familie entzweien, beschäftigte Garmwart schon lange. Es passte kaum zu jenem Bernhelm, den er einst gekannt hatte, oder zu jenem Bernhelm denn er nur wenige Wochen vor seinem Tod in Elenvina gesprochen hatte. Damals hatten sie über manches gesprochen, auch über die Silberlöwenjagd zu Salmingen, doch nicht über den Nachlass Dohlenfeldes. Bernhelm hatte Garmwart zudem eingeladen, sich der Jagdgesellschaft anzuschließen. Ein Umstand, denn der rondragläubige Baron kaum abgeschlagen hätte, stünden nicht wichtige Angelegenheiten im Widerspruch zu einer Reise in den Kosch. Man hatte sich bereits auf eine spätere Jagd in Dohlenfelde verständigt, doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Voltan setzte den Krug ab. Sein Gesicht wurde schlagartig ernst.
„Nein!“ betonte er mit allem Nachdruck.
„Bernhelms Sinneswandel ist durch nichts zu erklären, wovon ich wissen würde. Und ich ergäbe mich in unrätlichem Spekulieren, wenn ich Vermutungen darüber anstellte. Es gibt wohl nur einen Weg, die Wahrheit zu erfahren. Man muss diese Charissia finden und die Wahrheit aus ihr heraus holen! Dass sie etwas mit der Testamentsänderung zu tun hat, ist doch das, was die meisten denken – und das, was mich am meisten verärgert. Hernach würde ich gerne die Fackel an ihren Scheiterhaufen legen, doch ich denke, da gibt es bereits einige Herrschaften, die mit Grund vor mir in dieser Reihe stehen.“