Dohlenfelder Thronfolgestreit - Praios‘ Auge abgewandt

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
F25. Epilog
Autor: Reichskammerrichter, weitere

Nordmarken, 1033

Roklan stapfte vom Fenster seines Gemachs zur Tür. Runzelte missmutig die Stirn. Und stapfte wieder zurück. Mit Nachdruck stützte er sich auf dem schmalen Fenstersims mit beiden Händen auf.
„Das darf nicht sein!“ fauchte er und starrte hinaus, hinaus über die Ländereien rund um die Burg Dohlenhorst. Er fuhr herum. „Bei Nandus, nein!“ Der hochgewachsene Mann ihm gegenüber verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust und nickte barsch. „Doch, Euer Hochgeboren.“ Roklan seufzte.
Der breitschultrige Halbelf mit dem weißblonden Haar rückte seinen Ornat zurecht. Das Grün des schlichten Überwurfes mit der silbernen Borte hob sich deutlich vom Grau der Leinentunika ab. „Unsere Ermittlungen haben sehr eindeutige Ergebnisse erzielt.“ Koradin von Rothammer sprach mit betont ruhiger Stimme. Sein scharf geschnittenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen zeige keinerlei Regung. „Zeugenaussagen sowie verschiedene Spuren am Tatort beweisen, dass Lindos von Lilienthal in Twergenhausen und mehr noch, an der Entführung des Bürgermeister Gliependiek beteiligt war.“
„Wie?“
Ungerührt fuhr der Nandusgeweihte fort. „Unser Informant befragte verschiedene Personen, darunter auch seine sicherste Quelle, den Stellmacher Alder Holzmann.“ Roklan hob die rechte Augenbraue. Koradin lockerte seine verschränkten Arme und warf einen Blick zur ebenfalls anwesenden Magierin. Heidruna von Galebfurten stand kerzengerade, steif mochte man fast sagen, und hielt ihren knorrigen Stab fest umfasst. Sie schwieg, lauschte dem Bericht. „Besagter Holzmann war zu dieser späten Stunde unterwegs von einer Kaschemme in seine Stube.“
„Betrunken?“ hakte Roklan ein und hob nun statt der linken, die rechte Augenbraue. Koradin nickte. „Weshalb unser Informant eine gezielte Befragung unterstützt durch die magischen Fähigkeiten Magistra Heidrunas durchführte.“
„Zauberei?“ Roklan konnte nicht anders, er blieb einfach einsilbig.
„Korrekt.“ erwiderte Koradin.
Roklan schaute zu Heidruna. Er runzelte wieder seine sonst jugendlich glatte Stirn. „Ihr wart in Twergenhausen?“ Die Angesprochene nickte und schwieg.
„Ich hielt die Notwendigkeit für gegeben, Euer Hochgeboren.“ Erklärte Koradin und schaute seinem Baron und seinem Schüler offen in die Augen. „Wir sind auf verwertbare Informationen angewiesen.“
Der junge Baron lehnte sich an die Wand neben dem Fenster. Sein Blick heftete sich abwechselnd auf Koradin und Heidruna. „Wie habt Ihr…?“ Der Halbelf sah die Zauberin an.
Diese nickte kurz und antwortete dann mit kühler Distanz. „Eine Variation des klassischen Canti Blick in die Gedanken, gemeinhin Tiefentelepathie genannt. Mir gelang es, während der langen Befragung des Subjektes dessen Erinnerungen genau zu studieren. Durch gezielte Fragen unseres Informanten traten die Erinnerungen klar an die Oberfläche. Es gelang mir, deutliche Bilder zu empfangen. Das Subjekt traf während seines Heimweges vom Ogertod auf eine Gruppe vier dunkel gekleideten Gestalten, welche eine weitere Person mit sich führten. Aus den Erinnerungen besagten Subjektes konnte ich eindeutig das Gesicht Lindos von Lilienthals dezidieren.“
„Lindos von Lilienthal war also in Twergenhausen?“ Roklans Stimme vibrierte. Die Magierin nickte. „Dem ist so. Seine Wohlgeboren war, zumindest den Erinnerungen des Befragten zufolge, in Begleitung einer jungen Frau. Ich schätze sie auf etwa siebzehn bis höchstens zwanzig Sommer. Das Gesicht kommt mir bekannt vor, aber…“
„Beschreibt es!“ fiel Roklan ihr ins Wort.
Heidruna schloss die Augen, ihre Stirn runzelte sich. „Dieses Bild konnte ich nicht klar erkennen. Offenbar hat der Proband die junge Frau nicht so deutlich wahrgenommen wie Ritter Lindos. Es ist eine junge Frau mit spitzem Gesicht und einer Haut von vornehmer Blässe. Die Haare sind unter der dunklen Kapuze nicht zu erkennen. Die Nase ist schmal und leicht emporgezogen…“
Der Baron wartete einige Augenblicke, doch dann merkte er, dass die Beschreibung seiner Leibmagierin beendet war. Roklan verfiel nun ebenfalls ins Grübeln. „Diese Beschreibung ist nicht wirklich … aussagekräftig.“ Sowohl die Magierin als auch der Nandusgeweihte stimmten zu. „…und die anderen Gestalten?“
Heidruna zuckte mit den Achseln. „Der Statur nach hätten es sowohl Männer als auch Frauen sein können, Gesichter hat der Proband nicht erkennen können und gesprochen haben sie nicht.“
Roklan seufzte. „Es wäre möglich, dass es sich bei der Frau um Odrud von Gernebruch handelte. Aber ebenso trifft die Beschreibung auf mindestens fünfzig von hundert jungen Damen im ganzen Herzogtum Nordmarken zu.“
„Wieso sollte die Baronin von Gernebruch mit ihrem Ritter gemeinsam in den Bürgermeister entführen?“ wandte Koradin ein. Er stand immer noch steif wie ein Stock neben der Magierin und rührte sich kaum.
Diesmal zuckte Roklan mit den Achseln. „Hm… berechtigte Frage.“ Er seufzte. „Ich weiß es einfach nicht. Wir wissen nun, dass Lindos an der Entführung beteiligt war. Ich vertraue auf Eure Fähigkeiten, Magistra Heidruna.“ Die Angesprochene neigte dankend das Haupt. „Aber das ist nichts, was wir vor Gericht verwerten können.“
„Korrekt, Baron.“ antwortete der Nandusgeweihte. „Vor Gericht sind die Ergebnisse unserer Ermittlungen nicht zu verwerten. Aber darauf aufbauen, werden wir weitere Ermittlungen durchführen, um Beweise zu sammeln. In jedem Fall wissen wir – Ihr, Magistra Heidruna und ich – nun aber, dass Lindos von Lilienthal Bürgermeister Gliependiek entführt und möglicherweise auch einen Mord durchgeführt hat, zumindest aber mittelbar beteiligt war. Praios‘ Recht hat er also gebrochen.“
Roklan drehte sich um, sah aus dem Fenster der Burg hinaus. Gen Norden, jenseits des Darlin, konnte er die Mauern und Türme der Stadt Twergenhausen erkennen. Dort saß irgendwo Lindos von Lilienthal in einem Kerker und harrte seines Schicksals. Der junge Baron seufzte noch einmal…