Dohlenfelder Thronfolgestreit - Angronds Entscheidung
Das Dilemma, in das Angrond durch die eigenmächtige Aktion des Eisenhuetter Edlen gebracht worden war, war offensichtlich: Angrond hatte die Besitzrechte der Herzogenstadt Twergenhausen an Burg Schwarzfels nie anerkannt, die Burg an der Via Ferra war für ihn immer noch im Besitz der Ritterfamilie zu Schwarzfels, die Hagen treu folgte. Aber er wusste natürlich auch, dass schon ein Greif selbst aus Alveran herabsteigen müsste, um die Herzogenstadt dazu zu bewegen, die Burg wieder aufzugeben. Was das Haus vom Großen Fluss einmal in seinem Besitz hatte, gab es nicht mehr her – und was Twergenhausen gehörte, gehörte auch dem Herzog. Im schlimmsten Falle würde Seine Hoheit die Flussgarde schicken, um dafür zu sorgen, dass die blau-grüne Flagge über dem Bergfried Schwarzfels’ wehte. Er musste eingehend über die Situation nachdenken, würde sich mit Kollegen im Reichsgericht darüber beraten müssen – war womöglich der Vertrag zwischen Hagen und den Gliependieks angreifbar? Gab es Präzedenzfälle, auf die er sich beziehen könnte? War der besondere Rechtsstatus des Isenhag womöglich eine Chance? Bot die Lex Zwergia einen Ausweg?
Nur eines war klar: So unwahrscheinlich es war, dass Jast Gorsam seine Garde entsenden würde, um Hagen auf dem Dohlenfelder Baronsthron zu halten, so wahrscheinlich war es, dass die Herzoglichen marschieren würden, um Burg Schwarzfels wiederzuerlangen. Der taktische Vorteil, den Darians dummer Vorstoß ihm eingebracht hatte, kam ihm gelegen. Die mittelfristigen Folgen des blinden Aktionismus des Lîfsteiners waren unangenehm. Aber mehr für Darian als für ihn, Angrond. Darian hatte aus Eigensinn gehandelt. Angrond würde den Vorteil, den Darian ihm verschafft hatte ausnutzen. Aber er würde nicht einmal versuchen, seine schützende Hand über den Eisenhuetter Edlen zu halten, denn sich seine Finger zu verbrennen, darauf war der Baron zu Dohlenfelde nicht erpicht. Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, dass Truppen aus Weidleth zur Burg Schwarzfels vorstoßen würden, eine Einnahme der gut geschützten Wasserburg wäre aber kaum zu erwarten gewesen, bevor Hagen in Altengrund kapituliert hätte. Und nach Hagens Waffenstreckung hätte Angrond befohlen, die Belagerung der Bürger und Flussgardisten auf der Schwarzfels aufzugeben, er wäre in Verhandlungen mit dem Magistrat Twergenhausens getreten. Mit Stirnrunzeln sprach er: „Garmwart, die Einnahme der Schwarzfels geschah nicht in meinem Namen, wohl aber ist sie vom militärischen Standpunkt aus betrachtet in der gegenwärtigen Lage meiner Sache dienlich. Über alles Weitere werde ich mir den Kopf zerbrechen, wenn wir siegreich auf Burg Dohlenhorst eingezogen sind. Aber gleichgültig, wie Du mit Darian zu verfahren gedenkst, werde ich Dich in Deiner Entscheidung unterstützen. Er ist Dein Vasall.“
Bei Hagen von Lîfstein war, für einen aufmerksamen Beobachter, ein gefährliches Funkeln in den Augen zu sehen und sein Körper spannte sich kurz an. Unter dem Tisch hatte er eine Hand zur Faust geballt.
An den Boten gewandt fuhr Angrond, ebenso interessiert wie streng schauend, fort. Der Baron hoffte, dass die Gerüchte, die man in den Trosszelten hören konnte, nicht auf Tatsachen beruhten: „Hab Dank für Deine Ausführungen. Eine Sache interessiert mich jedoch noch sehr...“ Er machte eine kurze Pause: „Wie genau wurde die wehrhafte Wasserburg von den Söldlingen ‚im Handstreich’ eingenommen? Dort waren auch herzogliche Flussgardisten stationiert, und des Herzogs Garde ist nicht gerade dafür bekannt, sich einfach so überrumpeln zu lassen – und das zudem auch noch so gut wie kampflos, wie ich es Deinen Schilderungen entnommen habe. Es gibt Geschwätz, dass ein Zauberwirker daran beteiligt gewesen sein soll.“ Angrond atmete tief durch und schaute dem Boten sehr ernst in die Augen: „Bei Praios und Rondra, ist dem so? Wurde die Burg mit Hilfe ehrloser Zauberei eingenommen? Spare nicht mit Worten!“
Der Bote schien sich für kurze Zeit nicht ganz wohl in seiner Haut zu fühlen und schwieg auch noch mehrere Herzschläge, nachdem Angrond geendet hatte.
„Es… war ein Zauberer der Söldner zu gegen. Ob der aber was gemacht hat weiß ich nicht genau. Allerdings habe ich von einem Söldner gehört, dass der Magier die Wachen irgendwie hat einschlafen lassen.“
Jast überlegte kurz, während er an seinem Wams rumfummelte, da er jetzt noch nervöser geworden war. Wieso konnten die Adligen sich nicht freuen, dass sein Herr ihnen mit der Einnahme der Burg in die Hände gespielt hatte? Wieso klangen die Worte des Barons so anklagend? Was hätte er dafür gegeben, wenn sie einen Magier gehabt hätte, als er mit seinem Herrn in Osten gedient hatte. Dann wäre einiges anders gelaufen und mehr seiner Freunde hätten überlebt.
„Als wir die in die Burg kamen, da waren die Wachen schon gefesselt. Die Flussgardisten waren aber nicht draußen, die waren alle im Hauptgebäude, zumindest habe ich keinen draußen gesehen.
Ihre Leutnantin… wie hieß sie gleich… von Schellenstein, von Schellenfels oder so ähnlich, auf alle Fälle war sie eine Ritterin. Also, sie hat ihren Männern befohlen, die Waffen zu strecken, als sie gesehen hat, wie viele wir waren.“
Wieder grübelte er, zuckte dann aber mit den Schultern und schaute abwechselnd von Angrond zu Garmwart.
„Mehr kann ich euch dazu leider nicht berichten, euer Hochgeboren.“
Genau so etwas hatte Angrond nicht hören wollen. Er hatte gehofft, dass die Gerüchte über den Einsatz eines Magiers aus dem Gefolge Darians bei der Einnahme der Schwarzfels nur Geschwätz der Unterstützer Hagens war, um ihn und seine ehrenwerte Sache zu diskreditieren. So war es offensichtlich nicht. Angrond ballte seine rechte Faust, die auf der Tischplatte ruhte, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er atmete einmal tief durch. Diejenigen, die seinen Vater Bernhelm gekannt hatten oder seinen Halbbruder Hagen kannten, wussten, dass diese beiden sicherlich ihren Krug vom Tisch gefegt hätten. Aber Angrond wahrte seine Selbstbeherrschung und sprach überraschend ruhig Hagen von Lîfstein an. Er würde sich seinen Feldzug nicht von einem praios- und rondravergessenen Edlen zerstören lassen. Aber womöglich gab es einen Ausweg ohne allzu großen Ehrverlust, und zudem mit der Möglichkeit, den taktischen Vorteil, der sich durch Darians Dreistigkeit ergeben hatte, nicht zu verlieren: „Euer Wohlgeboren, mit feiger und schändlicher Magie hat sich Euer Neffe also der Burg Schwarzfels bemächtigt, wenn man den Worten diesen Gemeinen trauen kann, wovon ich aber ausgehe. Was auch immer Darian zu dieser Dummheit bewogen haben mag, ich kann sein Handeln nicht ignorieren. Heute ist der 10. Rondra, am frühen Morgen des 15. Rondra wird unser Heer die Grenze Dohlenfeldes überschreiten und den Thronfolgestreit zu einem Ende bringen. Am 14. Rondra wird ein von mir entsandter Parlamentär meinem Bruder unseren bevorstehenden Angriff ankündigen, auf dass dieser sich darauf vorbereiten kann. So ist der bisherige Plan.“
Nach einer kurzen Pause ergänzte Angrond, nach einem knappen Blickwechsel mit Baron Garmwart: „Euer Wohlgeboren Hagen von Lîfstein, wäret Ihr bereit, als mein Parlamentär zu meinem Bruder Hagen in Dohlenfelde zu reiten und diesen von unserem bevorstehenden Angriff zu unterrichten und einen entsprechenden von mir verfassten Brief zu übergeben? Ihr werdet hier in Nilsitz so losreiten, dass Ihr am Morgen des 14. Rondra mit meinem Bruder sprechen könnt, und danach weiterreiten zu Eurem Neffen Darian auf Burg Schwarzfels, und diesen in meinem Namen auffordern, die von ihm so schändlich genommene Burg spätestens bis zum Abend des 15. Rondra zu räumen, SOFERN DIE SCHWEREN ANSCHULDIGUNGEN, DIE SEIN BOTE JAST BRANDER HIER VORBRACHTE, ZUTREFFEN SOLLTEN, UND sofern man ihm freien Abzug zusichert Darian wird zudem alle seine Geiseln schadlos freilassen und nichts aus der Burg Schwarzfels mitnehmen, was er nicht schon bei seiner Ankunft dort mit sich führte. Selbstverständlich wird Euer Neffe keine Verwüstungen und mutwilligen Zerstörungen auf der Burg hinterlassen. Meinen Bruder Hagen werde ich über all dies ausführlich in dem Brief unterrichten, den ich Euch mitgeben werde. Euer Wohlgeboren, wäret Ihr dazu bereit, mein Parlamentär zu sein?“
Der eindringliche Blick des 37jährigen Reichskammerrichters ruhte auf Hagen von Lîfstein. Keine Gefühlsregung war mehr im Gesicht Angronds zu erkennen. Der Baron wusste nur zu gut, dass diese Lösung einem Juristen würdig war – nicht aber einem strahlenden Ritter. Denn am Abend des 15. Rondra würde der Streit um Dohlenfelde bereits entschieden sein, so die Zwölfe wollten.
Im Gesicht der junge Baronin von Ambelmund zeichnete sich entsetzen ab. Hatte sie den Mann ihrer Schwertmutter bisher falsch eingeschätzt? Der Einnahme mittels Magie war nicht sonderlich rondrianisch, aber was machte Angrond hier? Er wollte die Burg einfach so räumen lassen und sich dafür auch noch bei seinem Bruder entschuldigen? Seinem Bruder, der Dohlenfelde in einer hinterhältigen Aktion besetzte? Wunnemine schaute Angrond mit großen Augen an und schien nicht recht glauben zu wollen, was sie da hörte.
Bevor Hagen etwas sagen konnte, war sein Bruder, der jetzt vor Wut schäumte aufgesprungen und erhob laut stark das Wort.
„Den Vorteil wollt ihr ernten, aber meinen Neffen, der die Burg einnahm um euch zu helfen, lasst ihr fallen?“
Wut spiegelte sich in den Augen des Junkers von Lîfstein und Oberhaupt der Familie wieder.
„Was mein Neffe getan hat, mag nicht sonderlich rondragefällig gewesen sein, aber wäre es lieber gewesen, dass er die Burg hätte stürmen lassen und die Besatzung niedergemacht hätte, wozu er, so wie ich ihn kenne, auch die Möglichkeit gehabt hätte und in der Lage gewesen wäre? Wär euch lieber gewesen, dass Flussgardisten gestorben wären und so der Unmut des Herzogs erregt worden wäre?“
Bernhelm funkelte den Sturmfelser böse an.
„Die Tat mit der mein Neffe die Burg einnahm, ist eine Sache, er tat es so, dass keiner zu Schaden kam. Eine ganz andere Sache ist hinter seinen Verbündeten zu stehen.“
Bernhelm schaute in die Runde um danach wieder Angrond anzuschauen.
„Ich habe gedacht, dass IHR jemand wärt, der so handelt. Aber ich habe mich getäuscht, ihr seid doch nicht der für den ich euch gehalten habe!“
Der 65 Sommer zählende Kämpe trat einen Schritt von Tisch zurück und stellte sich zu voller Größe auf.
„Ich werde meine Männer nicht für jemanden in die Schlacht führen, der noch nicht einmal den Mut hat sich hinter seine Verbündeten zustellen, selbst wenn diese nicht unbedingt schlau handelt, aber dennoch einen Vorteil rausschlugen! Die Männer meines Neffen werden ebenfalls nicht für euch in die Schlacht ziehen!“
Mit diesen Worten drehte er sich um und war im Begriff das Zelt zu verlassen. An der Zeltklappe drehte er sich noch einmal um.
„Euer Bruder hätte nicht so politisch motiviert gehandelt, nur damit seine Wams weiß bleibt, sondern wäre seinen Verbündeten treu geblieben, wenn man den Geschichten über ihn Glauben schenken darf. Vielleicht habe ich den Falschen unterstützt….“
Damit viel die Zeltklappe zu und der Junker zu Lîfstein war verschwunden. Zurück bleib Hagen und eine nun gänzlich verstörte Wunnemine von Fadersberg, in deren Gesicht man deutlich sehen konnte, dass sie mit ihren Gefühlen kämpfte. Es schien so, als ob sie sich nicht entscheiden konnte, es ihrem Lehnsmann, der ein langjähriger Freund ihres Vaters war, gleich zu tun oder sitzen zu bleiben.
Hagen von Lîfstein schien nicht sonderlich überrascht über den Ausbruch seines Bruders zu sein. Auch seine Augen funkelten, aber er war deutlich ruhiger als Bernhelm, als er sich erhob.
„Ich werde nicht euer Parlamentär sein, um die Entschuldigung“, ein böser Unterton lag in der Stimme, des jüngeren Bruders von Bernhelm, „bei eurem Bruder, der eure Baronie in einer Nachtaktion besetzte und fast euch und eure Familie tötete, zu überbringen. Den Vorteil der besetzten Burg wollt ihr nutzen, aber ihr sagt, dass die Burg nicht in eurem Namen eingenommen wurde…. Ihr unterstützt meinen Neffen nicht, aber ihr wünscht, dass ich euch als Parlamentär diene, um meinen Neffen vollends den Dolch in den Rücken zu bohren? Mein Bruder hat Recht, wir haben euch, Hochgeboren, falsch eingeschätzt.“
Traurig schüttelte Hagen den Kopf, während er wieder zu sprechen begann.
„Mein Wort darauf, dass mein Neffe die Burg räumen wird. Ich werde mich unverzüglich auf den Weg machen. Ihr lasst meinen Neffen fallen, also sollt ihr auch nicht die Vorteile ernten, die seine Tat brachte! ‚Man erntet das, was man sät‘, dieser Spruch sagt euch vielleicht was….“
Mit diesen Worten verließ auch der letzte Lîfsteiner das Zelt und kehrte dem Baron von Dohlenfelde den Rücken. Auch der Bote verließ lieber das Zelt und folgte den Verwandten seines Herrn.
Wunnemine von Fadersberg schaute von Angrond zur Zeltklappe, die eben zugefallen war, und zurück. Sie musste eine Entscheidung treffen…. Nein, die hatte sie schon getroffen….
Angrond hatte befürchtet, dass der alte Lîfsteiner so reagieren würde. Aber so war es nun einmal. Doch er fühlte sich anbetracht der Stimmung im Zelt enorm unwohl. Eine Burg, die er juristisch als die Seinige betrachtete, im Handstreich zu nehmen, das war für ihn akzeptabel. Der Einsatz von Beherrschungsmagie jedoch gegen Zwölfgöttergläubige ohne deren ausdrückliche Einwilligung, das war ein Dammbruch! Womöglich hätte dieser Zauberer Darians auch einen Dämon beschworen, wenn es ihm opportun erschienen wäre.
Halb zu sich selbst, halb zu Wunnemine sprach Angrond: „Mein Wunsch wäre es gewesen, Darian hätte überhaupt keine unüberlegte und nicht abgesprochene Operation gegen Burg Schwarzfels unternommen. Der böswillige Einsatz von Magica Controllaria gegen rechtschaffene Personen ist laut Codex Albyricus verboten. ‚Rechtschaffen’ im Sinne des Codex Albyricus sind die Bürger Twergenhausens und die Flussgardisten ohne jede Frage. Die entsprechenden Passagen der Inquisitorischen Halsgerichtsordnung sind noch viel eindeutiger, aber das brauche ich nicht gesondert zu erwähnen. In dieser Sache geht es daher nicht um Loyalität oder Disloyalität, wie es eben formuliert wurde. Ganz abgesehen davon, dass der Loyalitätsbruch von Darian unternommen wurde, mit dem Beginn seiner eigenmächtigen Aktion. Der Zauberer im Gefolge des Edlen Darian hat sich aber einer magischen Straftat schuldig gemacht, mit Duldung seines Auftraggebers, wie anzunehmen ist. Über die Person des Zauberwirkers hat die Gildengerichtsbarkeit oder die Inquisition zu befinden, die sich aus dem sträflichen Handeln des Magiers ergebenden Folgen jedoch darf ich nicht ignorieren. Mein Entschluss, den Boten am 14. Rondra nach Dohlenfelde zu entsenden, entspricht den zu Turehall getroffenen Beschlüssen, Hagen einen Tag vor unserem Einmarsch am Schwertfest zu warnen. In Turehall wurde hingegen niemals beschlossen, Burg Schwarzfels noch vor Beginn unseres Feldzuges und zudem unter der Praios und Rondra verhöhnenden heimtückischen Zuhilfenahme von Magica Controllaria einzunehmen!“
Angrond war beim letzten Satz deutlich lauter geworden, machte eine kurze Pause. Er schaute zu Wunnemine. Er konnte die junge Baronin, die ehemalige Knappin seiner Ehefrau, gut leiden. Sie war ein sympathisches Mädchen gewesen, als sie auf Burg Dohlenhorst eintraf – und sie war zu einer stolzen jungen Frau herangewachsen. Wie die Zeit verging! Auf Burg Dohlenhorst war Wunnemine dazu erzogen worden, dass Gesetzestreue ein hohes Gut war. Zwei Göttern hatte der Adel seine Vorrechte gegenüber den Freien und den Unfreien zu verdanken: Rondra und Praios. Das Schwert Rondras symbolisierte die Gewalt, über die der Adel verfügte. Seine Wehrtüchtigkeit, seine Fähigkeit und seine Tradition, Konflikte mit der Waffe zu lösen. Das Gesetz Praios’ hingegen war es erst, das den Frieden sicherte, das den Menschen vom Ork schied. Denn ohne Gesetz würde dank Rondras Gnade zwar auch der Adel herrschen, aber er müsste ununterbrochen seine Herrschaft mit Gewalt verteidigen. Erst das Gesetz ermöglichte es dem Adel, dass von seiner gerechten Herrschaft alle Stände profitieren konnten – zur Freude aller Zwölfe, zum Wohle aller Zwölfgöttergläubigen! Gesetzesbruch durch Adlige, oder auch nur das Tolerieren von Gesetzesbruch, war somit ein Rütteln an den Grundfesten Alverans. Es würde nicht nur den Adel, sondern alle Stände ins Verderben stürzen.
Der Baron hub erneut an zu sprechen, wieder leiser: „Was den Angriff des Edlen Darian auf die Burg Schwarzfels grundsätzlich betrifft – und auch die Belagerung der Burg durch unsere Truppen, wie sie zu Turehall geplant wurde –, dazu wäre folgendes anzumerken: Der Rechtsstatus der Burg Schwarzfels ist nicht endgültig geklärt, denn Hagen war zum Zeitpunkt seines Vertrages mit Twergenhausen, in dem er Burg Schwarzfels für 12 mal 12 Jahre an die Herzogenstadt verpachtete, kein von Graf Ghambir anerkannter Baron zu Dohlenfelde, wie auch ich es noch nicht bin. Der Vertrag zwischen Hagen und dem Magistrat mag null und nichtig sein, darüber werden Gerichte zu befinden haben. Ich betrachte aber bis zu einem Urteil die Burg Schwarzfels als Teil des Lehens meines Vasallen, des Ritters Ardor zu Schwarzfels, der von mir geächtet wurde, weil er Hagen folgt. Die Burg fiel damit an mich als Herrn Dohlenfeldes zurück. Die Twergenhäuser Garnison hielt sich auf meiner Burg Schwarzfels ohne meinen Wunsch und ohne meine Zustimmung auf. Wer sich auf meinem Grund und Boden ohne meinen Wunsch und meine Zustimmung aufhält, den darf ich von diesem Grund und Boden entfernen, notfalls auch mit rondragefälliger Waffengewalt und phexischer List, denn diese stehen mir zu, um mein Eigen zu schützen. Nicht jedoch steht es mir zu, Magica Controllaria gegen rechtschaffene Personen anzuwenden.“
Der Baron schluckte, denn ihm war sehr wohl klar, dass Jast Gorsam auf die Gültigkeit des Vertrages zwischen seinem Bruder und Twergenhausen bestehen würde. Mittelfristig war Burg Schwarzfels für ihn verloren. Auch in 143 Jahren würde die Stadt die Burg nicht herausrücken. Genau so war die Growinsmark an die Stadt gekommen. Und sich mit einer Herzogenstadt und damit dem Herzog anzulegen, das war in den Nordmarken sehr dünnes Eis. Das wusste Angrond, das wusste jeder der Anwesenden. Und es ließ nicht wenige schaudern. Auf was hatte man sich hier eingelassen? Nach einer kurzen Pause atmete Angrond tief durch und fuhr fort: „Bei den Zwölfen! Ich hoffe, dass Wohlgeboren Darian nicht auch hinter der Entführung des alten Perval Gliependiek steckt!“
Wunnemine war immer noch schockiert von den Geschehnissen der letzten paar Minuten, fing sich erst langsam und antwortete Angrond nach einigen Herzschlägen.
„Wieso geht ihr davon aus, dass es Magica Controllaria war? Der Bote sagte nur ‚eingeschlafen‘. Ich kenne mich nicht sonderlich mit Magie aus, aber“, sie schaute sich im Raum um, „ich vermute, dass tut keiner von den Hieranwesenden, schließlich sind wir keine Magier. Also sollten diese das auch entscheiden und nicht wir.“
Die Worte der jungen Baronin waren lauter und klangen deutlicher, als sie gewollt hatte, dennoch sprach sie weiter, allerdings mit einer leichten Unsicherheit in der Stimme, war sie es doch noch nicht gewohnt, dass sie als Gleichrangige mit den anwesenden Baronen sprach.
„Ich weiß, dass ihr ein guter Jurist seid, Euer Hochgeboren.“ Dabei schaute sie Angrond an. „Aber wir sind hier nicht in einem Gerichtssaal, sondern auf einem Feldzug. Hier gelten andere Regeln, wenn ich so an die Geschichten denke, die ich in meiner Knappenzeit gehört habe. Hier zählt Treue mehr, als Gesetzestexte oder Verhandlungen. Aber sei es, wie es sei. Seine Wohlgeboren zu Schrazelroth hat in eurem Interesse gehandelt und hat eine Burg, in eurem Namen befreit, die wie ihr sagt euch gehört. Wie könnt ihr ihm da so in den Rücken fallen, selbst wenn dabei Magie angewendet worden sein soll?“
Wunnemines Blick hing auf Angrond und dieser konnte darin sehen, dass es ihr äußerst schwer viel diese Worte an ihn zurichten. Sie schien mit sich selbst überhaupt nicht mehr im Reinen zu sein und nicht genau zu wissen, was sie tun sollte.
Der Baron zu Dohlenfelde schaute Wunnemine, die er seit dem Beginn ihrer Knappenzeit kannte, fest an. Vom Tage ihres Ritterschlages durch seine Gattin Isida von Quakenbrück an hatte er Wunnemine immer konsequent mit „Ihr“ angesprochen und musste sich nun zwingen, nicht in das ebenso vertrauliche wie belehrende „Du“ zurückzufallen, erschien ihm die Baronin zu Ambelmund doch wieder wie das trotzige Mädchen, als dass er sie kennengelernt hatte: „Euer Hochgeboren, ich bin es nicht, der Seiner Wohlgeboren Darian in den Rücken fällt. Er war es, der mir durch sein Handeln in den Rücken fiel und damit alle Pläne ins Wanken brachte. Darians Angriff auf die Burg war weder rondra-, noch praiosgefällig. Ich weiß nicht, warum sich Darians Bruder Gorwin in Twergenhausen aufhielt. Und ich weiß nicht, warum Gorwin dort festgenommen wurde. Und vor allem weiß ich nicht, warum Darian Burg Schwarzfels, über der das Banner der Herzogenstadt Twergenhausen wehte, angriff. Seine Wohlgeboren Darian fragte mich weder nach meiner Meinung, noch bat er mich um meine Zustimmung.“
Wer Angrond gut kannte, wie Wunnemine, hörte im letzten Satz echtes Bedauern in seiner Stimme, die er jedoch mit seiner formalen, oftmals bosparanisierenden Sprache, die man ihm auf dem Beilunker Rechtsseminar beigebracht hatte, gut überspielen konnte: „Ich weiß jedoch, dass der taktische Vorteil, den ich durch die Okkupation der Schwarzfels durch Darians Leute erlangte, entscheidend zum Sieg über Hagen beitragen mag, und selbstverständlich hoffe ich das auch – aber es mag auch genau das Gegenteil eintreten: Es mag sein, dass Seine Hoheit durch Darians blindwütigen Aktionismus auf den Plan gerufen wird und damit meine Ansprüche in größte Gefahr gebracht werden. Da über letzteres nur Seine Hoheit selbst befinden kann, erscheint es mir vorerst am Klügsten, sich an die zu Turehall gemeinsam vereinbarten Beschlüsse zu halten.“ Angrond schaute Wunnemine tief in die Augen, wich ihrem Blick keinen Moment aus: „Wunnemine von Fadersberg, Baronin zu Ambelmund und Ritterin zu Dohlenhorst – ich würde Eure Unterstützung missen und es sehr bedauern, wenn Ihr gerade jetzt von meiner Seite weichen würdet.“
Wunnemine schwieg lange, nach dem Angrond geendet hatte. Es schien so, als ob sie nichts mehr zu sagen hätte, bis sie dann doch das Wort erhob.
„Seine Wohlgeboren hat nicht mit eurer Zustimmung gehandelt, das ist wahr. Aber ohne ihn wirklich zu kennen, würde ich dennoch behaupten, dass er es in eurem Sinne tat. In euren Rücken fiel er euch allerdings auch nicht, dass hätte er getan, wenn er zu eurem Bruder übergelaufen wäre, was er mit den Söldnern gut hätte tun konnte, oder etwa nicht?“
Sie schaute bei ihrer rhetorischen Frage Angrond in die Augen.
„Aber er tat es nicht, auch nicht um seinen Bruder aus den Kerkern der Stadt zu befreien…. Über die Familie Lîfstein mag man vieles sagen können, nicht aber dass sie treulos sind und nicht zu ihrem Wort stehen! Das werdet ihr auch bejahen können, Hochgeboren, oder?“
Sie schaute zu Garmwart, um danach wieder zum Gemahl ihrer Schwertmutter zu schauen und weiter zu sprechen, ohne den Baron von Eisenhuett zu Wort kommen zu lassen.
„Twergenhausen besetzte die Burg, die wie ihr sagt eigentlich euch gehört, da der vorherige Lehensnehmer euch verriet und sein Lehen dadurch verloren hat. Darian von Lîfstein besetzte die Burg, aber der Bote hat sagte auch, dass er euch die Burg übergibt, sobald er euch sieht. Nichts wurde davon gesagt, dass die Burg durch die Söldner besetzt bleibt.“
Sie schaute in die Runde.
„Rondragefällig war der Angriff nicht sonderlich, nein, aber das waren andere Kämpfe auch nicht, unteranderem auch die Besetzung eurer Baronie. Aber nicht praiosgefällig? Er hat immerhin dafür gesorgt, dass die Burg wieder in euren Besitz übergeht.“
Sie trank einen Schluck des lauwarmen Biers und musste es sich dazu zwingen eine angewiderte Miene, ob der Wärme des Biers, aufzusetzen.
„Was seine Hoheit angeht, sollte er sich einschalten, so würde das Maße annehmen, die seine Hoheit sicherlich nicht wünscht, denn dann könnte es passieren, dass sich auch ihre kaiserliche Majestät einschaltet.“
Wieder ein Blick in die Runde von der jungen Baronin, mit dem sie die Überraschung über sich selbst ein wenig verbarg.
„Ich stehe, wie ihr, hinter dem Herzog, aber das heißt nicht, dass ich mir meinen Herrschaftsbereich von ihm einschränken lasse oder abnehmen lasse durch eine Stadt, die ihm untersteht.“
Sie schüttelte kurz den Kopf.
„Entschuldigt, ich schweife ab. Das ist ein Thema, was nicht hier besprochen werden sollte. Lasen wir daher das Thema und widmen uns anderen Dingen.“
Mit diesen Worten hob sie den Krug und prostete Angrond leicht zu, bevor sie trank.
Was dem aufmerksamen Zuhörer aufgefallen sein dürfte war, dass sie Angrond weder ihre weitere Unterstützung zu gesagt noch verneint hätte. Ob sie dies von ihr beabsichtigt war oder sie es einfach in ihrer jungendlichen Art vergessen hatte, blieb offen.
Allerdings konnten Personen, die Wunnemine näher kannten, wie Angrond, aufgefallen sein, dass sie, als sie über die Lîfsteins sprach nicht nur für diese gesprochen hatte.