Dohlenfelder Thronfolgestreit - Die Weißen Löwen
Die fünf Lanzen, die Baron Arlan Stepahan von Draustein aus der Nachbarprovinz Albernia auf das Schlachtfeld geführt hatte, drohten im Reiterkampf mit den ihnen entgegenstehenden Streitern gänzlich ihre Ordnung und Geschlossenheit zu verlieren. Nur den umsichtigen Befehlen des altgedienten Wehrmeisters Arnvald Wellenstein von Nebelwacht war es zu verdanken, dass sich die Weißen Löwen nach dem Aufeinanderprallen der Schlachtreihen so standhaft behauptet hatten.
Dies und die achtbare Felderfahrung der Lanzenmeister Rondred Stepahan, Lûran Falkraun und Rhéged Taladan hatten die unter Sollstärke kämpfenden Lanzen Leuen-, Pforten-, Nebel-, Fluss- und Feenwacht bisher zusammengehalten.
Die Weißen Löwen schlugen sich zwar tapfer doch ihre Durchschlagskraft war so kurz nach dem verlorenen Bruderkrieg viel zu gering um entscheidend in den Schlachtverlauf eingreifen zu können. Zu unerfahren waren die aufgebotenen Waffenknechte aus Draustein und zu wenige noch dazu.
So mancher Gemeine hatte sich auf beiden Seiten unter dem entsetzlichen Eindruck des grauenhaften Handgemenges zur heillosen Flucht gewandt. Überall roch es nach Blut und anderen Körpersäften. Angetrieben von der Hoffnung dem Tode zu entkommen und nicht das kummervolle Schicksal der zu Boron befohlenen Streiter zu teilen. Aber nur Wenigen gelang so tatsächlich die unversehrte Absetzung aus dem Zentrum des entflammten Klingensturms. Andere versuchten die Reihen mit kühler Gleichgültigkeit zu ordnen und den Tag für ihre Seite zu entscheiden.
„’Der Löwe’ steht allein!“
Mit eiserner Stimme wandte sich Arnvald Wellenstein Ritter Rondred Stepahan von Draustein und Steinvasall Lûran Falkraun von Flusswacht zu, während die eisernen Sporen seiner schweren Reiterstiefel seinem Streitross den Weg an die Seite seiner beiden Waffenbrüdern wies. Der Vetter von Arlan Stepahan öffnete mit der Schwerthand seinen Visierhelm und sah zu den eingeschlossenen Lanzen hinüber. Keine fünfzig Schritte entfernt wehte das ruhmreiche Kriegsbanner des Hauses Stepahan über dem Kopf seines Anverwandten. Das auf Crumolds Auen in die Hände der Nordmärker gefallene Banner legte mit der ehrenvollen Rückgewinnung in der jüngsten Vergangenheit den ersten Trittstein für diese Schlacht in der Gegenwart.
Die beiden Lanzen waren keine fünfzig Schritte entfernt. Der Baron von Draustein war umringt von Feinden! Nur zwei Waffenknechte der Lanze Leuenwacht und sein Schildknappe Arnbrecht Wellenstein, der Sohn des Wehrmeisters, saßen noch wehrhaft im Sattel. Dazu noch die wenigen Streiter der zerschundenen Lanze Feenwacht von Ritter Rhéged Taladan von Schildwacht. Der Baron selbst war unfreiwillig vom Pferd gegangen. Ein abgebrochener Lanzenschaft ragte blutig aus dem kühnen Hals seines treuen Tieres.
Rondred Stepahan blickte über ihre Reihen. Gut ein Drittel ihrer Gefolgsleute war bereits gefallen, oder Borons Hallen näher als dem Leben. Aber auch der Feind hatte seinen Blutzoll entrichtet.
„Sammelt eure Lanzen und folgt mir nach“, befahl ihnen der Wehrmeister und ließ seine schwere Handwaffe erneut für das tödliche Handwerk des Krieges über seinem Haupte Kreisen.
„Für Rondra und Draustein!“ erklang sein Schlachtruf über die blutgetränkte Kampfesstätte so fern der Heimat.
Der Kampfruf wurde vor allem von seiner getreuen Bannerträgerin Khorena Dunlaith zurückgeworfen.
„Wir weichen nicht!“, antwortete ihm Rondred Stepahan mit dem Sinnspruch seines Hauses und gab seinem Ross die Sporen.
Wenige Augenblicke später befand sich Ritter Rondred wieder im eisigen Handgemenge mit dem Feind. Wieder und wieder versuchte eine ungestüme Reiterin ihn mit ihrem Streitkolben vom Pferd zu wuchten. Mit einem kreischenden Ächzen verkantete sich seine eigene Schwertklinge in der hölzernen Schildkante seiner Gegnerin. Diese riss ihren Schildarm geschickt nach hinten und damit Rondred seine Waffe aus der Hand.
Schlag auf Schlag hieb die beglückte Streiterin auf seinen Schild ein, während seine Rechte nach dem Griff seines in der Sattelscheide befestigten Kurzschwertes tastete. Mühevoll hielt sich der Weiße Löwe im Sattel. Denn ein einmal gestürzter Ritter glich einer auf dem Rücken liegenden Flussschildkröte und war genau wie diese, in seiner plumpen Unbeholfenheit, in größter Not und Gefahr. Das einfache Fußvolk hatte so leichtes Spiel die weniger geschützten Stellen im stählernen Plattenpanzer zu durchstoßen und ihre Klingen dort tief durch Kette und wattierte Unterkleidung zu treiben.
Endlich gelang es ihm mit seiner Rechten nach dem Kurzschwert zu greifen und keinen Moment zu spät! Rondred schleuderte die Klinge auf seine überraschte Gegnerin. Wie eine vom Blitz zerborstene Feldulme stürzte die junge Streiterin tot vom Ross.
Wutentbrannt ritt auch Arnvald Wellenstein unter das verruchte Pack und erschlug zwei von ihnen mit seinem todbringenden Morgenstern, ehe die ’Pranke des Löwen’ von einem zu Fuß Kämpfenden Ritter mit seiner abgebrochenen Lanze dumpf aus dem Sattel gehoben wurde.
Sein Gegenüber griff zum Schwert, konnte es aber nicht gegen den Gestürzten führen, da das schwarze Streitross des Wehrmeisters sich dem nachsetzenden Rittersmann massig entgegenstellte und wild mit den Vorderläufen aushieb. Trotzdem war der Wellensteiner in größter Not. Der Sturz war zwar hart gewesen, aber er war glücklicherweise nicht unter sein eigenes Ross geraten.
Vor seinem unrühmlichen Abgang hielten sich neben dem Ritter noch zwei weitere Gegner auf. Ein großgewachsener Waffenknecht mit nussbraunem Vollbart reagierte als Erster. Er griff in die Fehlschärfe seines Schwertes, um damit den Klingenort kraftvoller durch das Kettengeflecht zwischen Brustharnisch und Halsberge zu stoßen. Doch die ’Pranke des Löwen’ hielt ihm geistesgegenwärtig seinen Schild entgegen. Schrill schnitt die abgelenkte Klinge über den weißen Turm auf schwarzem Grund – dem Wappen des Steinvasallengeschlechtes Wellenstein. Der Waffenknecht fluchte lauthals auf und umfasste sogleich mit beiden Händen den Schwertgriff um ungestüm auf den Ritter einzuschlagen.
Arnvald konnte drei der wuchtigen Schläge mit seinem zerbeulten Schild abfangen, ehe er vor sich einen hässlichen Aufschrei und das Geräusch brechender Knochen vernahm. Sein Streitross hatte den unvorsichtigen Waffenknecht mit seinen eisernen Hufen erfasst und einige Schritte durch die Luft gerissen, ehe selbiger schmerzverzerrt auf dem Untergrund zum liegen kam.
Mit schnellen Schritten näherte sich Arlan Stepahan seinem gestürzten Schwertvater. Alles um ihn herum schien plötzlich in der Bewegung zu verharren. So als ob Satinav selbst die Zeit angehalten hätte. Nur für einen flüchtigen Wimpernschlag.
Nur mühsam konnte Arlan den in ihm aufsteigenden Zorn wieder niederkämpfen um sich einen klaren Kopf zu bewahren. Zorn war ihm im Kampf stets ein falscher Freund gewesen. Er spürte wie seine Lungen förmlich nach Luft rangen und dann die Erstarrung seiner Umgebung in tausend winzige Splitter zerbarst. Die Zeit hatte ihn wieder eingeholt. Er warf einen flüchtigen Blick zu Arnvald Wellenstein, der Mühe hatte durch das Gewicht der eigenen Rüstung wieder auf die Beine zu gelangen.
Mit einem lauten Brüllen stellte Arlan den unbekannten Rittersmann zum Kampf. Beide Klingen trafen schrill in hoher Bindung aufeinander. Der Weiße Löwe ließ mit seiner Rechten augenblicklich den Schwertgriff los, die Waffe nur noch mit der Linken am Schwertknauf nach oben führend. Die Klinge des Gegners lag auf der Seinen. Im selben Moment setzte er sein rechtes Bein hinter das des Gegners und ließ die Schwertklinge mit seiner Linken geschützt über den Rücken hängen. Mit seiner Rechten umfasste Arlan den Oberkörper seines überraschten Gegners und warf diesen mit einer schnellen Drehbewegung über seine rechte Hüfte. Noch ehe dieser Begriff was geschehen war, durchbohrte der Klingenort des Anderthalbhänders geübt den ungeschützten Hals des Mannes.
Arlan zog sein Schwert zurück und wechselte die Hut. Ein sommersprossiger Waffenknecht blickte fassungslos auf seinen am Boden liegenden Herrn. Zitternd sah er ’den Löwen’ auf sich zu fliegen. Im nächsten Moment traf ihn etwas in die Seite. Fragen nach dem warum, wurden augenblicklich umhüllt von einem dunklen Mantel aufsteigender Gleichgültigkeit.