Dohlenfelder Thronfolgestreit - Am jenseitigen Darlinufer
◅ | Im Lazarett am Darlinufer II |
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Für Rondra! Mir nach! | ▻ |
Am anderen Ufer des Darlin, beim Niederhof, hatten es sich die mehr 250 Flussgardisten, Stadtwehrkämpfer und Söldner sowie ebenso viele Trossleute unter dem Befehl des nordmärkischen Allwasservogts Gorfang Reto und des Twergenhäuser Bürgermeisters Throndwig Gliependiek bequem gemacht. Die Reiter waren abgesessen, die Pferde grasten zufrieden. Einen Helm trug aufgrund der drückenden Hochsommerhitze keiner mehr, ein Sonnenschutz war Dank der dichten Wolkendecke ohnehin nicht nötig. Manch ein Kämpfer hatte sich sogar seines Brustpanzers entledigt.
Doch damit nicht genug: Zweihundert weitere Schaulustige waren pünktlich zum Beginn der angekündigten Schlacht aus Twergenhausen eingetroffen, dazu kamen noch Honoratioren und Schlachtenbummler aus nahegelegenen Ortschaften, so dass annähernd eintausend Zuschauer am Erzweilerer Ufer des Darlin versammelt waren. Alle fieberten der Schlacht an Rondras höchstem Feiertag entgegen, die durch das feige Attentat im Marktort Dohlenfelde wenige Stunden zuvor einen so unrühmlichen Prolog gefunden hatte.
Geschäftstüchtig, wie die Bewohner des Tals des Großen Flusses und die Anwohner der Via Ferra, der wichtigsten Handelsstraße im Eisenwald, waren, fanden sich allerlei Verkäufer von erfrischenden Getränken und kleinen Speisen, so dass für das leibliche Wohl der Zuschauer gesorgt war. Zudem boten ebenso findige wie phexgefällige Bürger an, für oder gegen den Sieg der einen oder anderen Partei zu wetten. Ein Travia- und ein Perainegeweihter, die aus dem nahegelegenen Lazarett gekommen waren, baten die Zuschauer, ihren Dienst vor den Göttinnen zu leisten statt Maulaffen feil zu halten, fanden jedoch kein besonderes Gehör.
Die meisten Schlachtenbummler saßen auf dem Erdboden, Angroschim aus dem Markt Dohlenfelde hatten sogar einige Tische und Bänke für die besseren Leute herangeschafft. So saßen die Patrizier und Handwerkswerksmeister nebeneinander und diskutierten bereits, welche Auswirkungen ein Sieg der einen oder anderen Partei für die Stadt haben könnte.
Bürgermeister Throndwig Gliependiek hatte es sich an einem Tisch mit den übrigen Ratsmitglieder bequem gemacht, an seiner Seite saß Allwasservogt Gorfang Reto. Der 46 Jahre alte, hünenhafte, kräftige Kaufmann mit seinen sich lichtenden grauen Haaren und seiner seine Körperfülle noch betonenden Plattenrüstung und der ein paar Jahre ältere, ebenso in Vollplatte gewandete Vetter des Herzogs, ein nicht weniger eindrucksvoller Krieger, plauderten angeregt miteinander.
An der Unterhaltung beteiligten sich neben den Ratsleuten auch einige der höchsten Geistlichen der Herzogenstadt und der Baronie, die durchgehend für Baron Hagen eingenommen waren: Seine Hochwürden Efferdan Gliependiek, ein Onkel des Bürgermeisters und Bewahrer des Flusses der Sankta-Bethana-Sakrale unterstützte schon aus Familienbande seinen Neffen Throndwig in dessen Politik, wie er zuvor seinen entführten Bruder Perval unterstützt hatte. Ihre Hochwürden Gratfride Praiodera von Föhrenstieg, Lichtwächterin des Sankta-Lechmin-Tempels zu Dohlenfelde, hatte ihr Amt von Illuminatus Jorgast vor allem aufgrund ihrer Opposition gegen Angrond erhalten. Seine Hochwürden Helmbrecht Angroban von Zweifelfels, in Twergenhausen residierender Ordentlicher Inquisitionsrat der Grafschaft Isenhag|Isenhag, verfolgte das Ziel, nach dem Sieg Baron Hagens den Zauberer, der die Eroberung der Burg Schwarzfels erst ermöglicht hatte, dingfest zu machen und anzuklagen.
Ihre Hochwürden Gurnhilde Dreyschwerdt, Meisterin der Esse des Ingerimmtempels zu Erzweiler, war eine lautstarke Befürworterin des Anspruchs Hagens, denn hatte sich dieser nicht im Rondratempel zu Erzweiler zum Baron zu Dohlenfelde krönen lassen, wohingegen Angrond den Praiostempel im Markt Dohlenfelde vorgezogen hatte? Noch wichtiger für Gurnhilde war jedoch das ungezähmte Feuer, das in der Seele des dreifachen Barons Hagen glühend heiß brannte. Der junge Mann hatte sein Leben noch vor sich, und die Flammen in seiner Seele trieben ihn zu Großem, zu Größtem! In wenigen Menschen und auch Angroschim hatte Gurnhilde je solch ein Feuer lodern gesehen wie in dem Sohn Bernhelms und Frylindes. Die Glut in Angronds Seele hingegen schien der Ingerimmhochgeweihten bereits fast erloschen, als wäre der Mann ein Greis der keine Ziele mehr hätte.
Die eher für Angrond eingenommenen und bei der einfachen Bevölkerung so hoch angesehenen Peraine- und Traviageweihten verrichteten unabhängig von Rang und Namen ausnahmslos Dienst im Lazarett, ebenso wie Seine Hochwürden Throndwerth von Zweibruckenburg, Schwertbruder der Sankt-Reghian-Sakrale zu Twergenhausen.
Allwasservogt Gorfang Reto, weithin als lebensfroher Salonlöwe bekannt, fragte mit einem Lächeln den neugewählten Bürgermeister:
„Wünscht Ihr zu wetten? Ich setze einhundert Goldstücke darauf, dass Angrond die Schlacht gewinnt.“
„Exzellenz, warum wettet Ihr für Angronds Sieg? Stehen wir nicht beide – wie auch Seine Hoheit – auf Hagens Seite?“
„Auf Hagens Seite? Sind wir das tatsächlich, geschätzter Bürgermeister? Warum sitzen wir dann hier bequem und bei einem kühlen Bier vor dem Niederhof, anstatt dort drüben mit Hagen das Gefecht zu erwarten?“
Der Bürgermeister wusste nichts zu erwidern, wiederholte daher seine Frage:
„Warum wettet Ihr für Angrond?“
„Das ist ganz einfach: Weil ich gerne gewinne, lieber Bürgermeister! Sollte Hagen den Sieg auf der Walstatt davontragen, erfreue ich mich seines Triumphes. Sollte jedoch, Frau Rondra sei dem vor, Angrond gewinnen, habe ich wenigstens das Gold.“
Throndwig antwortete: „Exzellenz, ich halte es mit dem Herrn Efferd: Größte Freude in der Stunde der Freude und größte Trauer in der Stunde der Trauer. Ich erhöhe auf zweihundert Goldstücke – für Hagens Sieg!“
Der Allwasservogt schlug ein, die beiden Männer prosteten sich zu.
Der Efferdhochgeweihte Twergenhausens ergänzte: „Gepriesen sei der Alte Gott, mein Neffe hat wohl gesprochen! Ich lege aus meiner Schatulle nochmals einhundert Dukaten dazu!“
Dann begann auch schon die Schlacht. Die Schwüle war drückend, einzig der Efferdgeweihte schien sich trotz seines hohen Alters am Wetter nicht zu stören.
Throndwig Gliependiek hatte gerade einen kräftigen Zug Dohlenfelder Dunkelbräu aus einem Maßkrug genommen, als er vor Überraschung fast von seiner Sitzbank fiel und sein Bier verschüttete: Die gesamte linke Flanke Baron Hagen von Salmingens machte sich davon! Die Truppen aus Fuchsgau, Arraned und der Baronie Eisenstein verließen unmittelbar, nachdem sich die Heere in Bewegung gesetzt hatten, ihre Positionen und zogen sich geordnet über die Farnbachbrücke zurück!
Er fragte Gorfang Reto: „Exzellenz, was geschieht dort?“
Aus den Reihen der Schlachtenbummler waren unflätige Rufe in Richtung der sich Zurückziehenden zu hören, man war sichtlich erbost ob dieses ehrlosen Verhaltens am höchsten Feiertag der Rondra, zudem galten fast alle Sympathien der Twergenhäuser Baron Hagen.
Der Vetter des Herzogs antwortete: „Das weiß ich nicht. Die Vögte unterstehen, wie Ihr wisst, nicht meinem Befehl – und der Eisensteiner schon gar nicht.“
Throndwig wusste nicht, ob er dem Vetter des Herzogs trauen konnte, hatte er nicht eben noch auf Angronds Sieg gewettet? Welches Spiel spielte Gorfang Reto? Verschwieg der höchste Richter auf dem Großen Fluss etwas, oder war er tatsächlich ratlos? Die Herzogenstadt Twergenhausen hatte mit der Erringung der Burg Schwarzfels an der Via Ferra mehr erreicht, als sie zu Beginn des Konfliktes zwischen Angrond und Hagen hatte erträumen können.
Throndwig musste breit grinsen, als er sich bildlich vorstellte, wie der ermordete Baron Bernhelm von Sturmfels in Rondras Hallen tobte und fluchte ob des Zwists seiner Söhne und des Triumphs des Magistrats der Stadt. Jedenfalls gab es für Throndwig in diesem Kampf nichts mehr zu gewinnen.
Angronds Truppen marschierten wohl geordnet auf Hagens Streiter zu. Die Reiter beider Seiten, im Zentrum aufgestellt, prallten mit rondragefälliger Gewalt aufeinander, es entwickelte sich ein zähes Ringen, wobei Angronds zahlenmäßig deutlich überlegenen Berittenen von Anfang an klare Vorteile genossen. Die Infanteristen auf der rahjawärtigen Seite des Schlachtfeldes tauschten einen Pfeil- und Bolzenhagel aus, bevor mit Spießen und Schwertern Tod und Verderben in die Reihen der Feinde gebracht wurde. Throndwig konnte durch sein teures Fernrohr aus horasischer Fertigung sehen, wie sich insbesondere die Kämpfer der Baronien Galebquell und Gernebruch einen heftigen Schlagabtausch lieferten.
Die Lage auf der den Schlachtenbummlern zugewandten Schlachtfeldseite entwickelte sich dagegen reichlich unübersichtlich: Auf den feigen Rückzug der Truppen der Baronie Eisenstein und der Vogteien Fuchsgau und Arraned reagierte Hagens Heerführerin, die Koschbaronin Alvide von Eichental, indem sie ihre Artilleristen anwies, ihre Geschosse auf diesen Abschnitt des Schlachtfeldes zu konzentrieren. Zudem sandte sie ihre teure Reserve, kampferfahrene Koscher Söldner, aus, um die bunt gemischten Truppen der mit Angrond Verbündeten Barone aufzuhalten. Dies gelang mit überraschend gutem Erfolg.
Der Allwasservogt sprach mit Hochachtung: „Wohl gestritten, brave Koscher!“
Angronds ganze rechte Flanke geriet nun ins Wanken, die nicht selten schlachtunerfahrenen Kämpfer der Verbündeten Angronds waren nach dem Rückzug ihrer eigentlichen Gegner zu siegessicher und selbstgewiss und zeigten sich dem erbitterten Sturmangriff der Koscher Söldner nicht gewachsen. Jubel brandete bei den Schlachtenbummlern auf, Hochrufe auf Hagen erschallten, als die zahlenmäßig überlegenen Verbündeten Angronds weichen mussten.
Auch Throndwig Gliependiek hielt es nicht mehr auf seinem Platz, er gönnte Hagen von ganzem Herzen den Sieg, waren es doch Unterstützer Angronds gewesen, die Ende Praios in einer heimlichen Aktion seinen Vater entführt und vermutlich ermordet hatten.
Der Bürgermeister wischte sich den Schweiß von der Stirn und fragte Gorfang Reto: „Erhöhen wir auf fünfhundert Golddukaten, Exzellenz?“
„Bei Phex, nur zu gerne!“, antwortete der Vetter des Herzogs beiläufig, während er interessiert dem großen Sterben in einigen hundert Schritt Entfernung zusah.
Dem Heerführer Angronds, Baron Garmwart von Quakenbrück, blieb nichts anderes übrig, als wiederum einen Gutteil seiner Reserve zur Stabilisierung seiner rechten Flanke zu entsenden – just jene horasischen Söldner unter dem Befehl des Edlen zu Schratzelroth, die vor wenigen Wochen mit List und Magie und zur Schmach Twergenhausens und des Herzogs die Burg Schwarzfels genommen hatten und die Burg erst gestern nach einem Göttinnenurteil geräumt hatten. Als der Schwarze Adler auf dem Banner der Söldner gesichtet wurde, brandete wieder einmal die Wut der Schlachtenbummler auf.
Fast wäre es der Aufmerksamkeit der Zuschauer entgangen, dass einer Schwadron Ritter, die für Angrond kämpfte, der Durchbruch gelungen war. Die Reiter leisteten sich ein kurzes Scharmützel mit der Reserve Hagens, dann jedoch hielten sie auf die unbewachten Koscher Geschütze zu, die ihre tödliche Fracht in die Reihen Angronds trugen. Eilends verließ die Landwehr des zur Baronie Dohlenfelde gehörenden Junkerguts Erzweiler ihren Platz auf der rechten Flanke von Hagens Heer und eilte zur Verteidigung der wertvollen Torsionswaffen gegen die Ritter herbei. Die Erzweilerer stritten unter dem stolzen Kriegsbanner der Baronie Dohlenfelde, das sich seit dem Beginn des Streits um Dohlenfelde in Hagens Händen befand.
Doch was geschah dann? Die Landwehr und die Ritter kämpften nicht etwa miteinander, vielmehr schienen sie sich zu verbrüdern und gemeinsam gegen die Koscher Geschütze vorzugehen! Aliena zu Maringen – die wichtigste Verbündete, die Hagen im Dohlenfelder Landadel noch hatte – war mitsamt dem Kriegsbanner der Baronie übergelaufen!
Verwirrt schaute eine Ratsdame durch das Fernrohr, das sie kurz zuvor von Bürgermeister Throndwig ausgeliehen hatte:
„Die Erzweiler haben sich ergeben!“
Throndwig riss der Frau das Fernrohr aus der Hand, schaute selbst und sah, wie die Erzweilerer Landwehr zusammen mit den Rittern Angronds die Geschützmannschaften der Koscher überrannten.
Er tobte los: „Das kann doch nicht wahr sein! Gibt es denn nur noch Feiglinge und Verräter auf dem [[wikav:Dere|Derenrund?“
Gorfang Reto vom Großen Fluss hatte den Zwischenfall hinter den Linien ebenso beobachtet und sprach emotionslos: „Ein Wunder, einzig ein Wunder kann Hagen nun noch den Sieg bringen.“
Er wandte sich an Bürgermeister Throndwig und dessen Onkel Efferdan Gliependiek: „Aber Frau Rondra wird sich nicht erbarmen, das ahne ich. Ich danke Euch schon jetzt für Eure fünfhundert Goldsstücke, Hochwürden und werter Bürgermeister.“
Der war vor Aufregung hochrot angelaufen und starrte entsetzt auf die Geschehnisse der am anderen Darlinufer liegenden Walstatt. Sein Onkel Efferdan hatte vor Wut seinen Bierkrug auf dem Tisch in tausend Stücke zerschlagen und schaute nun zum Himmel. Fünfhundert Goldstücke, das war selbst für Patrizier mit dem Namen Gliependiek ein stattliches Vermögen!
Der Efferdhochgeweihte blickte zu den immer dichter werdenden, sich hoch gen Alveran auftürmenden, tiefschwarzen Wolken, in denen immer häufiger Höhenlichter zu sehen waren. Nicht mehr lange, und ein Wolkenbruch würde niedergehen, wie ihn die Lande am Darlin seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen hatten. Dessen war er sich sicher, und darauf freute er sich schon so sehr, dass ihm sein absehbarer finanzieller Verlust erträglich erschien.
Efferdan Gliependiek kannte als ranghöchster und einflussreichster Geweihter Twergenhausens Hagen und Angrond seit deren Kindheit. Seine Sympathie für Hagen war nicht nur familienpolitisch begründet, sondern auch im Charakter des jungen Ritters: Hagen ließ seinen Gefühlen, seinen Leidenschaften, wie es dem Herrn Efferd wohlgefällig war, freien Lauf. An Hagen war keine Falschheit, auf Hagen war Verlass.
Angrond hingegen war ein aalglatter Politiker und Jurist, der es gewohnt war, zwischen den Zeilen zu lesen. Angrond achtete sehr wohl die Ideale der Göttin Rondra, aber er dachte immer nach, bevor er handelte – ein Verhalten, dass dem Wesen des unbeherrschbaren Wassers diametral entgegenstand. Wenn in Hagens Herz die Wogen eines ganzen unendlichen Ozeans tosten, plätscherte in Angronds Herz ein nicht einmal bis zum Rand gefüllter Wasserkrug. Der Efferdhochgeweihte wäre überrascht gewesen, hätte er gewusst, wie sehr seine Einschätzung der ungleichen Brüder mit derjenigen der Meisterin der Esse des Ingerimmtempels zu Erzweiler übereinstimmte.