Glaube im Kosch — Teil X: Peraine, die Spenderin

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Ausgabe Nummer 44 - Rahja 1029 BF

Auf dem Zwölfergang

Glaube im Kosch — Teil X: Peraine, die Spenderin

Nach einer bedauerlichen Unterbrechung in der letzten Ausgabe setzen wir nun unsere Reihe über den Zwölfergang fort und begleiten unseren Berichterstatter Born von Stedtler auf seiner Wallfahrt nach Storchenklausen, wo er den heiligen Blütengrund der guten Göttin Peraine aufzusuchen gedenkt.

Vom Traviakloster am Greifenpass steige ich wieder hinunter ins Hügelland. Bei Anpforten verlasse ich die Reichsstrasse in Richtung Norden. Meine nächste Station ist der Blütengrund der Peraine in der Geistmark. In Trallik lasse ich den bekannten Tempel der Travia links liegen, denn der Gedanke an meine liebe Bachede zu Hause treibt mich, möglichst rasch voranzuschreiten. So schaffe ich es am selben Tage noch bis nach Eberrast am Rand der Harschenheide — doch die Eile rächt sich, denn am Rübentopf in der hiesigen Herberge verderbe ich mir den Magen, und am nächsten Tag quälen mich Bauchschmerzen auf Schritt und Tritt.

Die Sommersonne scheint unbarmherzig auf die Harschenheide und hat die Gräser längst zu bleichem Braun gebrannt. Ein wenig bereue ich, dass ich nicht später zu meiner Pilgerfahrt aufgebrochen bin, denn mit dem ersten Efferdsregen ist hier ein echtes kleines Wunder der Herrin Peraine zu erleben, wenn plötzlich, gestärkt vom frischen Wasser, alles rundum ergrünt und Blüten treibt. Umso mehr freue ich mich auf den Blütengrund.

Die Pilgerstation der Peraine liegt beim Kloster Storchsklausen, am Rande der Heide. Das satte Dunkelgrün des Geistmärker Forstes kündigt von weitem an, dass ein von der Göttin gesegneter Ort vor mir liegt. Das Kloster macht bei meiner Ankunft allerdings einen wenig gesegneten Eindruck: Die Tempelhalle steht, nur zur Hälfte errichtet, zwischen verwaisten Baugerüsten, die Arbeiter sitzen untätig um eine Feuerstelle vor den verkohlten Resten eines abgebrannten Gebäudes. Der Hüter der Saat und der zwergische Baumeister seien wieder einmal über das weitere Vorgehen beim Bau zerstritten, erklärt mir die Akoluthin, die mich in Empfang nimmt. Offenbar ist Hochwürden der Ansicht, dass der Angroscho es etwas am Respekt gegenüber der Göttin fehlen lässt und zu sehr an ingerimmsgefälligen Prinzipien hängt.

Trotz der gedämpften Stimmung im Kloster gewährt mir Hochwürden die Ehre, mich persönlich zum Blütengrund zu führen. Nach einigen hundert Schritt auf einem schmalen, schattigen Waldpfad eröffnet sich uns ein herrlicher Anblick: Auf einer kreisrunden, zur Mitte leicht abfallenden Lichtung leuchtet ein dichter Teppich der unterschiedlichsten Blumen in allen erdenklichen Farben. Auf dieser Lichtung sei die Gründerin des Klosters begraben worden, erklärt mir Hochwürden. Seither sprössen jedes Jahr von Phex bis Travia die schönsten Blumen, ganz egal, ob Firun das Land in seinem eisigen Griff hält, Praios den Boden in seiner Strenge versengt oder Efferd seine Gnade Übermässig ausschüttet. Jeder Pilger auf dem Weg der Zwölfe dürfe über die Wiese schreiten und sich eine einzelne Blüte pflücken, die zu seinem Herzen spricht. Zögernden Schrittes betrete ich den heiligen Boden und lasse meinen Blick über die Blumen gleiten. Welche mag für mich bestimmt sein? Dieser Klatschmohn, jener Hasenklee vielleicht oder diese gelroten Rädchen, die ich noch nie gesehen habe? Endlich fällt mir ein Enzian ins Auge, der mich sogleich an die Berge erinnert, an das Traviakloster am Pass und an den Brief meiner lieben Bachede. Meine Wahl ist gefällt: Vorsichtig breche ich das Blümlein ab und bringe es zu Hochwürden. Dieser erklärt mir die Bedeutung der Blume: Das Blau stehe für Treue, der niedere Wuchs für Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit. Außerdem helfe der Enzian vorzüglich bei Magenbeschwerden. Ich traue meinen Ohren kaum, denn noch immer liegt mir der Rübentopf von gestern wie ein Stein im Magen. So hilft uns die Göttin, ruft Hochwürden lächelnd, als ich ihm davon berichte, und sogleich suchen wir zusammen ein paar weitere Enziane für einen lindernden Tee.

Aus der Historie

Uralte Sagen aus den Dunklen Zeiten lassen vermuten, dass das gemeine Volk in jenen Tagen der ersten Siedler häufig eher Wald-, Baum- oder Feldgeistern, Wurzelwichteln und Blumenwesen huldigte — obwohl Paranja eigentlich schon früh eine Göttin der Bosparaner Siedler war. Der älteste bekannte Tempel ist jener in Borking, der wohl in der Zeit des Zwölfgötteredikts 98 v. BF begründet worden sein mag. Die Geweihten Peraines gewannen in den frühen Jahren des Neuen Reiches rasch an Bedeutung, als es galt, fruchtbares Ackerland aus der Wildnis neu- oder zurückzugewinnen.

Um 300 BF herrschte eine schlimme Dürre im Schetzeneck, selbst die gütige Gräfin Perdia aus dem Hause Brandoval lag im sommerlichen Fieber, als ihr die Gebende erschien. Am Tag darauf gab die Herrscherin all ihre Kornvorräte den Bauern, doch sollten sie dieses Korn nicht einfach zermahlen und zur Brot backen, sondern im Vertrauen auf die Göttin aussähen. So mancher Bauer gehorchte jedoch nicht und schlug sich insgeheim doch den Magen voll, hatte jedoch nur kurz etwas davon, denn der Hunger kehrte bald wieder. Die gehorchenden Frommen aber sahen nach einigen Tagen wie frischer Regen auf ihre Felder fiel und ihnen ein Vielfaches vom ausgesäten Korn schenkte — genug, um auch ihre voreiligen Nachbarn mit guten Brei und Brot zu versorgen und diese zur guten Göttin zu bekehren. Auch als die Brandovals in den Tagen der Priesterkaiser ihren Titel an die Sonnenvögte der Lichtei Greifenpass verloren, galten sie den Landleuten noch lange als geheime Herrschaft, die Notleidenden mit Rat und Tat half — und den Gedanken an ein einiges Schetzeneck aufrecht erhielt. So manches Mal gerieten sie so auch mit der Obrigkeit jener Tage aneinander, bis das Haus Brandoval schließlich vom Lichtboten großzügig mit dem Fürstentitel des Orklandes belehnt wurde — und von dort letztlich vom Versuch der Urbarmachung nie wiederkehrte.

Unter Rohal wurden nicht nur die Heilmagie, sondern auch die heilkundigen Geweihten gefördert und so manches Spital errichtet, so dass selbst die Pockensieche von 470 BF im Kosch recht glimpflich verlief. Nachdem Magierkriege und Fürstenlose Zeit überstanden waren und das Haus Eberstamm neue Ordnung ins Land brachte, schrieb die Geweihte Ulide aus Sindelsaum ihr Bäuerliches Brevier — eine Sammlung kleiner Lieder und weiser Bauernregeln, von denen viele bis heute den Jahreskreis auf so manchem Hof bestimmen.

Vorerst letzte Station auf dem blühenden Wege Peraines ist die Ansiedlung des Dreischwesternordens in Gôrmel, wo die neuen und hergerichteten Kurgebäude in Kürze ihre Weihe erfahren sollen.

Koscher Eigenheiten

Freilich gilt auch im Kosch die Mutter der Fruchtbarkeit vor allem bei den Bauern sehr viel und ist meist ihre meistverehrte Göttin, deren Festtage den Jahreskreis bestimmen.

Bereits zu Frühlingsanfang gilt es im Ferdokschen als Brauch, grüne Bändchen an Freunde zu verschenken — wenn man diese so lange trägt, bis man den ersten Storch sieht, dann kann man sich etwas wünschen.

Überhaupt gilt, wie in den meisten zwölfgötterfürchtigen Landen, freilich auch im Kosch der Storch als Bote von Glück und Fruchtbarkeit. Stolzieren Störche etwa beim Beackern des Feldes der Pflugschar hinterher (was sie oft tun, um aufgebrachtes Wurmgetier zu verspeisen), gilt dies als Hinweis für das Wohlwollen der Göttin und reichen Ertrag. Kaum ein Zeichen wird als günstiger angesehen als ein Storchennest auf dem Hause oder im Orte — ihm schreibt man je nach Ort Glück, sichere Ernte, Gesundheit, viele gute Geburten oder gar alles gemeinsam zu. Grund genug für viele Dörfler, auf ihren Dächern Wagenräder und Körbe als Nisthilfen anzubringen 2. Kein Wunder, dass sich Dörfler wie aus dem geistmärkschen Bauersglück voller Stolz rühmen, seit Generationen schon jährlich Störche zu beherbergen, oder dass regelmäßige Versammlungsorte der heiligen Vögel, wie die südlich von Angbar gelegene Storchenau am Angbarer See, fast schon Pilgerstätten der Gläubigen sind.

Mühlen sollen angeblich von Störchen gemieden werden, weil sie deren Klappern nicht leiden können, weshalb manch frommer Bauer sein Korn lieber etwas weiter karrt, statt direkt neben einem Müller wohnen zu müssen.

Schwangeren hängt man gerne Anhänger um den Hals, die den besagten Schreitvogel oder das Symbol der Göttin zeigen — je nach Stand aus Achat, Holz oder schlichten getrockneten Apfelringen. Diese Talismane bleiben nach der Geburt noch für mehrere Wochen oder Monde an der Wiege hängen. Im Tal der Rakula wird die Schlafstatt der Kinder oft auch mit Knoblauch geschmückt — weil dieser nicht nur der Peraine heilig ist, sondern auch vor bösen Geistern schützt (und nebenbei im Essen sehr gesund sein soll).

Im Wengenholmschen wird diese Bedeutung eher der Zwiebel nachgesagt, die man gleichwohl gerne verspeist; in den Hügellanden hingegen scheint man dem Apfel den Vorzug zu geben. So sollen auch die zahlreichen, am Wegrand der wichtigen Landstraßen stehenden fürstlichen Apfel- und Birnbäume ihren Ursprung darin gehabt haben, dass ein Fürst aus Dank für die Genesung seines Kindes der Göttin jene Bäume pflanzen ließ — von denen bis heute der Wanderer seine Verpflegung nehmen darf. Eine Tradition, die seither auch von den folgenden Fürsten — bis hin zu Seiner Durchlaucht Blasius vom Eberstamm — aufrecht erhalten wurde.

Auch in der Stadt Ferdok findet man so manchen Apfelbaum zur Ehre Peraines und als willkommenen Imbiss zwischendurch. Schon die Apfelblüten gelten als segensreich und werden in manchem Ort gepflückt und (nicht selten im Rahmen des Saatfestes) auf die Felder gestreut.

Feiertage

Tsamond — Zu Beginn des Frühlings ist es, vor allem im Ferdokschen, Brauch grüne Bändchen an Freunde zu verschenken und den ersten Storch zu erwarten.

Tsa bis Phex — Almauftrieb. Höhepunkt am ersten Markttag im Phex, an dem das Tolle Treiben in Angbar stattfindet. Zu Frühjahrsbeginn wird sämtliches Viehzeug durch die Gassen der Stadt getrieben. Ehrung des bestens Schafszüchters und Bocksritt der wagemutigen Jugend.

30. Phex — Vortag des Saatfestes. Die Frauen backen das Perainebrot und Belmartkränze, die Männer bereiten die Saat vor und die Kinder ziehen mit den Familienältesten auf die Wiesen, um gemeinsam Blumen zu sammeln, aus denen Blumenkränze und anderer Schmuck geflochten werden. Vielfach wird der letzte Abend, an dem das Bier nach dem Koscher Reinheitsgebot zum billigeren Winterpreis verkauft wird, in den Schänken ausgiebig ausgenutzt.

1. Peraine — Saatfest. Das Saatfest selbst wird wie andernorts auf dem Lande innig und kaum anders gefeiert (mit ein wenig mehr Bier und besserem Essen vielleicht). Feierlicher Auszug der mit Blumen geschmückten Menschen und Tiere auf die Felder und Segnung der ersten Aussaat, Opfergaben zu Ehren der Göttin Peraine und kleine abendliche Feier im Dorfkreis.

18. Peraine — Hasenfest. Die Saat sollte ausgestreut sein, Gelegenheit für ein kleines Dank- und Fruchtbarkeitsfest in Hoffnung auf Peraines Gnade. Warum Kaninchenbraten und für die Kinder süße Kuchen in Hasenform dazugehören, ist unbekannt.

1.-3. Travia — Das Fest der eingebrachten Früchte gilt als höchster Feiertag der Koscher Bauern und Landbewohner und zieht sich über drei Tage hin. Nach dem Tag der Heimkehr, einem eher traviagefälligen Familientreffen, bereitet man im Kreis der Nachbarn das gemeinsame Dorffest vor, das am dritten Tag in einem großen Schmaus im Dorfkreis den krönenden Abschluss findet. Zeit der Dankbarkeit, Götterdienste zu Ehren von Peraine und Travia, rituelle Weihe der Ernte und der Vorräte, damit der Winter nicht so lang werde und die Vorräte nicht verfaulen. Bei den Hügelzwergen wird an diesem Tag das ähnliche Vorratsfest begangen.

4. Travia — Am 4. Travia ziehen die Besucher wieder in ihre neue Heimat. Im Nordkosch und Teilen der Grafschaft Ferdok schließt sich als Ausklang der Feierlichkeiten bisweilen an diesem Tag noch das Rübenfest an.

Wichtige regionale Heilige

Neben Bibernell von Storchsklausen, von der in diesem Artikel an mehreren Stellen berichtet wird, sei hier die Jungfer Selissa aus Herbonia erwähnt, die als Kind zur Zeit der Priesterkaiser von Peraine (manche meinen auch von den Elfen des Waldes) die Kunst der Kräuterzucht gelehrt bekam und so vielen Kranken half — schließlich aber von Neidern und übereifrigen Praios-Anhängern als Hexe verbrannt wurde.

Auch die mildtätige Gräfin Perdia von Schetzeneck wird von vielen als Heilige verehrt, wie überhaupt die ganze Sippe Brandoval als fromm und von der Göttin gesegnet gilt — und dereinst wiederkehren soll um den Schetzeneck zu neuer Blüte zu führen. Nicht nur in Koschtal heißt so manche Jungfer Perdita, was soviel wie „kleine Perdia“ bedeutet.

Angeblich wird mancherorts im Ferdokschen auch die Zwergin Grambalda aus Grambax’ Sippe fast wie eine Heilige von Peraine und Travia verehrt, sagt man ihr doch nach, dass sie durch einen glücklichen Zufall das heutige, mit Hopfen gebraute, Bier erfand. Letztlich mag es aber doch weniger fromm als gesellig gemeint sein, wenn in koscher Schenken der Trinkspruch erschallt: „Grambalda, fürs Bier danken wir Dir!“

Heilige Artefakte

Bis 1012 BF wurde im Kloster Storchsklausen das Setzholz der Bibernell verwahrt. Dieser Reliquie sagt man verschiedene wundertätige Wirkungen nach. Leute, die es berührt haben, wurden geheilt, Pflanzen, die damit gesetzt wurden, sollen besondere Wirkungen erhalten haben. Allerdings treten diese Wirkungen nicht verlässlich ein, sondern hängen offenbar vom rechten Glauben ab, so dass das Setzholz im strengen Sinne nicht als Artefakt gelten kann. Seit die Orks Storchsklausen gebrandschatzt haben, ist das Setzholz verschollen. Mag sein, dass es mit dem Kloster verbrannt ist, mag sein, dass die Orks es achtlos weggeworfen haben — oder gar, dass ein ahnungsloser Schwarzpelz-Bauer heute damit sein Feld im Orkland bestellt.

Um die Fürstlichen Apfelbäume rankt sich mittlerweile die Legende, dass an einem von ihnen ein Goldener Apfel (wahlweise auch eine Birne) hinge — und wer von diesem koste, bliebe für all seine Lebtage von jeglichen Zipperlein verschont.

Heilige Orte

So mancher Ort gilt unter den Landleuten als von Peraine gesegnet. Neben der bereits erwähnten Storchenau am Angbarer See, den heilkräftigen Quellen von Gôrmel (die freilich ebenso als Heiligtümer der Tsa gelten), und dem sagenhaften Goldenen Apfel wird so manchem alten Baum oder Hain Wunderkraft zugeschrieben. Kein Heiligtum hat jedoch die Bedeutung von Storchsklausen und des dortigen Blütengrundes erlangt.

Wichtige Tempel

Unmöglich, an dieser Stelle auch nur annähernd alle Tempel der Provinz zu erwähnen. In jedem zweiten Bauerndorf mag man einen geweihten Baum, ein Standbild, einen Schrein oder gar Tempelbau finden — der sich oft auf den ersten Blick nicht von den Landhäusern umher unterscheiden mag. Darum wollen wir uns hier auf eine Auswahl der bedeutsameren Stätten beschränken.

Der Legende nach wurde das Perainekloster Storchsklausen in der Zeit Kaiser Tolaks gegründet, nachdem eine schwere Seuche den nördlichen Kosch heimgesucht hatte. Die Geistmärker Geweihte Bibernell soll durch inbrünstige Gebete und selbstlose Krankenpflege die Göttin so gerührt haben, dass sie eines Tages überall ein bisher unbekanntes heilkräftiges Kräutlein wachsen ließ. Zum Dank stiftete der damalige Baron der Geistmark das Kloster, das sich Bibernell zum Heim und danach zur Ruhestatt erwählte. Über ihrem Grab soll schon im nächsten Jahr der Blütengrund entstanden sein, der später Teil des Zwölferwegs wurde.

Im Orkzug von 1012 BF wurde Storchsklausen gebrandschatzt und alle Bewohner erschlagen. Zwei Travia-Akoluthen stellten aus eigenem Entschluss das Gesindehaus wieder her und benutzten es als Heim für Waisen des Orkkriegs. Als alle Bewohner dem Kindesalter entwachsen waren, wurde das Heim aufgelöst, und Baron Kordan von Geistmark beschloss die Wiedereinrichtung des Perainestifts. Sie konnte bisher nicht abgeschlossen werden: Erst sorgten Geldmangel und Streitigkeiten zwischen dem leitenden Priester der Peraine und dem zwergischen Baumeister für Verzögerungen, dann brannten das Gesindehaus und das bereits wieder aufgebaute Wohnhaus der Geweihten im unheiligen Feuer des Alagrimm nieder. Einzig der nur halb vollendete Tempelbau entging wie durch ein Wunder den Flammen.

Bedeutsam ist Storchsklausen auch, weil dort mit dem Hüter des Frühlings und der Saat einer der Hüter der vier Jahreszeiten lebt. Die weiteren finden sich im Kurort Gôrmel (Sommer/Wachstum und Heilung), im uralten, von ehrwürdigen Baumriesen umwachsenen Tempel zu Borking im Nadoretschen (Herbst/Ernte und Pilzkunde) und in Harkingen bei Hammerschlag am Fuß der Ambossberge (Winter/Vorratshaltung).

Auch der eher kleine Tempel der Rosenschwestern von Feldhain bei Koschtal, der einst von Gräfin Perdia gestiftet wurde, gilt als besonders bedeutsam. Jedes Mitglied der dortigen kleinen Ordensgemeinschaft pflegt ein Leben lang seinen eigenen Rosenstock, an dessen Zustand man die Verfassung des Pflegenden ablesen können soll. Naturgemäß gelten die dortigen Geweihten als Kundige der Rosenzucht und der Gewinnung von Duftwasser. Überhaupt haben sich über die Jahre so manche Tempel und Priester den Ruf weit gerühmter Spezialisten auf ihrem Gebiete erworben, die immer wieder von Pilgern aufgesucht und um Rat gebeten werden.

So gilt der Auersbrücker Tempel nicht nur als Zuflucht der braven Bürger in der Zeit der Unordnung und streunender Unholde im Borrewald, sondern auch als Stätte der Rübenkunde, während man sich im benachbarten Zweizwiebeln auf die namensgebende Bodenfrucht versteht, im Scheunenartigen Haus zu Alt-Garnelen auf die Viehzucht, zu Birnbrosch auf den Obstanbau, während man in Sindelsaum als Gemüse- oder Getreidebauer Hilfe sucht — und das nicht nur, weil dieser Tempel in einer Alten Mühle untergebracht wurde, aus dem die Geweihten einst einen dreisten Wucherer von Müller vertrieben hatten. Auch weiter südlich finden sich entsprechend Kundige, etwa zu Nerbusch in der Baronie Dunkelforst, wo die Geweihte nicht nur als Heilerin sondern auch als Schwester des Waldes bekannt ist, im Hopfentempel zu Rottan bei Ferdok — der auch den prächtigen Schrein von Ingen pflegt, zu Tarnelfurt in Herbonia — dem Ort der Kräuterkundigen und Hirten, dem Knoblauchgarten von Tallon oder dem wundersam aus lebenden Birken geflochtenen Haus auf einer Insel im Pirkensee bei Uztrutz — wo man sich auf die Fischzucht versteht.

Nahezu alle Geweihten werden von ihren Schäfchen auch dann aufgesucht, wenn sie ein Kind erwarten, ihr Vieh, ein Familienmitglied oder sie selbst krank sind. Manche Tempel und Spitäler haben es zu besonderem Ruhm auf diesem Gebiete gebracht — und in so manchem findet man gar ein Mitglied des Ordens der Therbuniten.

Lange stand das Spital zu Trallik im Ruf über die beste Heilkunst zu verfügen, mittlerweile wurde die Pflege der Siechen weitgehend von Traviageweihten übernommen, die nur noch von einem einzigen heilkundigen Therbuniten unterstützt werden. So hat vor allem Gôrmel mit seinen heilkräftigen Quellen Trallik mittlerweile in der Rolle als bevorzugte Pilgerstätte der Kranken abgelöst und wird bisweilen sogar von manch wohlhabendem Reisenden aus dem Außerkosch aufgesucht.

Der Tempel zu Ferdok ist dagegen eher eine Stätte zur Hilfe ärmerer Schichten, hat jedoch so manchem Taglöhner schon das Leben gerettet und zu Peraine bekehrt. Noch recht jung und im Aufbau ist das kürzlich auf denkwürdige Weise noch nach dem Tode des Bürgers Aldur Stiepenbrink von dessen Geist gestiftete Meister-Aldur-Spital zu Angbar (siehe KK 36, Seite 18). Doch es zeigt schon jetzt, dass das Wirken der Göttin lebendig ist wie eh und je.

Bedeutende Geweihte

Iralda Mechtessa von Bodrin Magd der Göttin zu Gôrmel (geb. 992 BF in Koschtal)

Sie könnte jetzt Gräfin von Schetzeneck sein, in ihrer prächtigen Burg zu Koschtal in samtenen Kleidern wandeln, hohe Gäste bewirten und Köstlichkeiten aus fernen Landen genießen.

Doch stattdessen trägt sie die einfache hellgrüne Kutte einer Novizin der Perainekirche und geht ihrer Lehrmeisterin zur Hand, der Hüterin des Sommers von Gôrmel, Mutter Josmene (siehe unten). Sie arbeitet bis zum Sonnenuntergang auf dem Felde, bereitet den Brei für die Siechen, füttert sie mit großer Geduld und isst danach selbst vom aufgewärmten Rest.

Es war die Liebe zu ihrem — vom Feuer des Alagrimm getroffenenEhemann, den sie bis zu seinem Tode pflegte, welche sie auf diesem Wege in die Arme Peraines führte. Ihr zuliebe verzichtete sie auf Thron und Titel, und auch wenn sie nominell noch immer Baronin von Drakfold ist, so zweifelt niemand, der ihre innere Zufriedenheit bei der Pflege eines kranken Kindes sieht, daran, dass sie im Dienst der Göttin ihre wahre Bestimmung gefunden hat.

Umbold Vierblumen Hüter des Frühlings zu Storchsklausen (geb. 977 BF in Weiden)

Seine Gnaden Umbold Vierblumen wurde von der Perainekirche auf Bitten des Barons von Geistmark gesandt, um den Wiederaufbau des Klosters Storchsklausen zu beaufsichtigen. Manch einer, der mit Vierblumen zu tun hat, argwöhnt, dass seine Oberen ihn absichtlich möglichst weit von seinem Heimattempel im Weidnischen weggeschickt haben: Sein ungeduldiges Temperament und sein zänkischer Geist machen den Umgang mit ihm zuweilen sehr schwierig. Wenn er sich wieder einmal mit den Arbeitern, dem Baumeister, einem potenziellen Spender für den Wiederaufbau oder gar mit dem Baron zerstritten hat, obliegt es seiner Gehilfin, der Akoluthin Birsel, die Wogen zu glätten. Dabei ist Vierblumen durchaus von ernstem Glauben an Peraine und ihre Grundsätze erfüllt.

Josmene Grünkapp Hüterin des Sommers zu Gôrmel (geb. 960 BF in Auersbrück)

Die resolute und kräftig gebaute Heilerin gilt als durchaus strenge, aber gutherzige Frau, die das Spital zu Gôrmel mit fester Hand zu führen weiß. So mancher Kranke, der eine von ihr verordnete Schonkost umgehen wollte, hat schon erfahren, was das in ihrem Falle bedeutet. Dabei macht ihre Behandlung auch vor Standesunterschieden nicht halt — was etwa der Oberste Hügelzwerg Nirwulf am eigenen Leib zu spüren bekam, als er von ihr persönlich mit eiskaltem Quellwasser gewaschen und in warmes Moorbad getaucht wurde (was dieser am Ende der offenbar wirkungsvollen Rosskur jedoch mit einem Dankesbrief und einer großzügigen Spende quittierte).

Auch von all ihren Helferinnen, Novizinnen und Akoluthen fordert sie ohne Unterschied ganze Hingabe — selbst von ihrer prominentesten Magd Iralda von Bodrin. Doch lebt sie diesen Einsatz, mit der endlos scheinenden Energie einer Waldbauerstochter, auch vor und vermittelt dabei fast nebenbei ihr immenses Wissen auf dem Gebiet der Heilkunst. Einzig dann, wenn sie sich einige Minuten der Pflege ihres geliebten Kräutergartens widmet, gönnt sie sich etwas Entspannung und innere Einkehr... um gleich darauf wieder mit neuem Elan einen neuen Wickel vorzubereiten.

Weitere Geweihte

Genannt seien an dieser Stelle auch die Hüter der anderen Jahreszeiten, wie Perdinja Dasmin, die alte Hüterin des Herbstes zu Borking, die selbst bei Baronin Neralda von Nadoret als Fürsprecherin der kleinen Landleute gefürchtet sein soll — oder der knorrige Kunhag, weißhaariger Hüter des Winters zu Harkingen.

Darüber hinaus sind die Geweihten der Gebenden meist zu bescheiden, um jenseits ihrer Region große Aufmerksamkeit zu erheischen. Sie verrichten lieber umherziehend oder in ihrer Heimat in selbstloser Bescheidenheit ihren Dienst.

Der hemdsärmelige Alte Roban aus Alt-Garnelen soll sich so gut wie kein zweiter darauf verstehen krankes Vieh zu retten und lässt sich seine Tat gern mit gutem Brannt bezahlen.

Gissa aus Nerbusch weiß die Gaben des Waldes für die Heilkunst zu nutzen und wusste so mit ihrer jungen Gehilfin Wiede Sirbenstein so manch Notleidenden zu helfen — soll aber im Gegenzug auch so manchen kranken Baum gerettet haben.

Ulide Weißenbirk aus Pirkensee wird von manchen Landleuten abergläubisch beäugt — ist sie doch eine silberhaarige Halbelfe, doch gilt ihr Rat auch als weise.

Manche Arbeiter auf dem Acker der Göttin verrichten fast heroischen Dienst. So baut Meister Storko Semmelbrot derzeit seinen Tempel in Auersbrück zu einer provisorischen Wehranlage mit Holzpalisade aus, um die braven Bürger zu behüten, die seit dem Jahr des Feuers ohne den Schutz von Adelsleuten und Bewaffneten den Gefahren des Nordens ausgeliefert sind.

Während Livia Grantel aus Grantelweiher schon seit Jahrzehnten beharrlich — doch bisher weitgehend erfolglos — versucht dem Moorbrücker Sumpf Land abzuringen.

Floggel Rosennag aus Twergentrutz schließlich, wurde von den Bürgern und Bauern der Stadt gar zu Sendrin gewählt und vertritt das einfache Volk der Stadt beim wengenholmer Grafen.

1 Raugriff nennt der Koscher den Tag des ersten Schneefalls, in manchen Regionen auch des ersten Eises auf den Seen oder der ersten ausgeatmeten frostigen Wölkchen. Sobald sie diesen Vorboten von Firuns bevorstehendem Zorn bemerken, schicken brave Bauersleut und Krambolde ein Stoßgebet an Firun, um ihn um einen milden Winter zu bitten.

2 Auch das fürstliche Erbprinzenpaar Anshold und Nadyana folgten dem Rat des Geweihten von Alt-Garnelen und errichteten auf jedem Schornstein des Erlenschlosses einen regenbogenfarbenen Nistkorb... in der Hoffnung, dass die Frauen Tsa und Peraine darob mit Wohlwollen auf das kinderlose Paar herabblicken mögen.

Born von Stedtler, Ratsschreiber zu Angbar

In der nächsten Ausgabe: EFFerd, Herr des Wassers

Irdischer Hinweis: Dieser Artikel bildete die Grundlage für den Wiki-Artikel Peraine.