Alle Räder stehen still
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Alle Räder stehen still
Grolmenzauber auf der Angbarer Warenschau
ANGBAR. Unzählige Handwerker, Händler, Reisende und Pilger waren wie in jedem Jahr nach Angbar gekommen, um vom 21.-23. Ingerimm die größte Warenschau des Mittelreiches zu besuchen. War die Zahl der Fremden auch kleiner als in vergangenen Götterläufen, so fand sich doch bereits um die Mitte des Feuermondes kaum ein freies Bett mehr in der für ihre Gastfreundschaft berühmten Stadt, und alles wartete ungeduldig auf die traditionelle Eröffnung der Warenschau. Niemand aber ahnte, dass diesmal alles anders kommen sollte als sonst...
Schon war die Stunde da, schon drängten sich die Gläubigen aus beiden Völkern, Menschen wie Zwerge, vor dem Tempel der Ewigen Flamme; denn unter Ingerimms Schutze steht die Warenschau, und mit seinem Segen wird sie begonnen. Da ertönte zwölf Mal Baldarosch, der heilige Amboss der Flammenden und Erz-Kirche, und aus dem Ehernen Portal des großen Tempels trat die Erhabene Meisterin Sephira Eisenlieb, gefolgt von der Geweihtenschaft und den Honoratioren der Stadt.
Mit lauter, weithin tragender Stimme begann die Hochgeweihte zu sprechen; sie grüßte die Angbarer Bürger und alle die Gäste von nah und fern im Namen des Gottes von Feuer und Erz. Dann intonierte sie feierlich im Wechsel mit den Gläubigen das Brogum Dosch, das uralte Gebet an Allvater Angrosch, und mächtig schallten die Worte aus den unzähligen Kehlen über den Platz.
Doch die Messe wurde unterbrochen durch einige Gestalten, klein, bucklig, in schwarze Kapuzenmäntel gehüllt. Dreist bahnten sie sich ihren Weg durch die Menge und bauten sich trotzig vor der Erhabenen und den Ratsherren auf. Grolme waren es, „Feilscher“, wie der Reichsvogt Bosper zu Stippwitz sogleich erkannte. Auf der Stelle wollte er sie zornig der Stadt verweisen, zu welcher der Zutritt ihnen seit Jahrhunderten verboten ist, doch die Antwort der Grolme war nur Hohn und Spott. Die Wachen, die sie ergreifen sollten, rangen sie mit einer lässigen Bewegung ihrer Hand zu Boden, denn große Meister der Beherrschung sind die Grolme — einer der Gründe, weshalb man sie fürchtet und nicht gern zu Handelspartnern wählt. Vor den Augen der ratlosen Bürger begannen nun die ungebetenen Gäste ein Wagenrad, das sie mit sich geführt hatten, auf dem Boden zu drehen, schneller und schneller, dazu sangen sie eine unverständliche Weise. Dann rief der Anführer der Grolme: „Wenn der Grolm es will, stehn die Räder still!“ Und in demselben Augenblick hielten sie das kreisende Rad an. Nun sei kein Rad, gleich welcher Art, in ganz Angbar mehr zu bewegen, verkündeten er. Ärgerlich, doch verunsichert ließ der Vogt diese Drohung überprüfen, und tatsächlich: Selbst mehreren starken Männern und Frauen gemeinsam gelang es nicht, den kleinen Rübenkarren einer Marktbäuerin auch nur einen Finger weit zu bewegen. Kurz darauf kam ein Büttel, der meldete, die Uhr am Haus der Zünfte, die doch seit ihrer Einrichtung stets tadellos läuft, sei stehen geblieben; und als man dann noch erfuhr, dass sich auch Relams Pforte nicht mehr öffnen ließ, wurde es allen unheimlich und bang. Denn diese Pforte, welche die St.-Ilpetta-Kapelle verschließt, ist ein Meisterwerk der Mechanik aus vielen Zahnrädern und Hebeln; dahinter aber liegen die Reliquien und Werkzeuge, welche die Hüterin der Flamme braucht, um die Weihe der Meisterwaffen vorzunehmen.
So war also guter Rat teuer, denn offenbar war der Zauberfluch überaus stark, und weder ein Hochgeweihter des Herrn Praios noch ein Erzmagus war anwesend — denn wer sonst wäre in der Lage, einen so mächtigen Zauber zu brechen. Die Grolme erklärten, sie seien durchaus bereit, den Fluch wieder aufzuheben, wenn die Angbarer ihnen eine Reihe von Dingen brächten, die sie begehrten; und sie verlasen eine lange Liste, auf der sich einige berühmte alchemistische Ingredienzen, aber auch allerlei merkwürdiges und rätselhaftes Zeug befand, so etwa „der Schweiß von dem größten Faulpelz aus Heimthal“ oder „drei Haare eines roten Leuen“. Dies alles zu besorgen, hätten die Angbarer zehn Stunden Zeit.
Wozu den Grolmen diese Sachen dienten, wollten sie nicht preisgeben. Und so blieb den Angbarern nichts übrig, als zähneknirschend auf den Handel einzugehen. Da sich nicht nur die Einheimischen rüstig aufmachten, sondern auch viele der Gäste ihre Hilfe anboten, gelang es tatsächlich, zur vereinbarten Stunde alles herbeizuschaffen, was die Grolme gefordert hatten. Diese prüften Stück um Stück genau, wobei sich herausstellte, dass manch ein sonderbares und schwer zu beschaffendes Stück nur deshalb auf der Liste stand, um die Angbarer tüchtig zu ärgern.
Die Arme voll mit ihren „Schätzen“ verließen die Grolme den Platz, um nach einiger Zeit mit einem Kessel wiederzukehren, in dem es sonderbar brodelte und dampfte. Vor aller Augen tauchten sie eine Rose, die sie einem Elfen abgenommen, in das Elixier ——— und zogen sie heraus, jedoch verwandelt in lauteres Gold!
„Davon werdet ihr bald noch mehr sehen“, rief der Anführer der Feilscher Vogt Bosper hämisch zu, warf ihm die Goldrose vor die Füße und zog mit seiner Sippe davon. Über die Schulter sagte er noch hochnäsig: „Ach ja, der Fluch ist hiermit aufgehoben“ — und tatsächlich ließen sich die Räder wieder bewegen.
Die Versammelten waren zum einen froh, die Grolme los zu sein, doch dass sich das Geheimnis des Goldmachens (man bedenke: des Goldmachens!) in den Händen dieser habgierigen Gesellen befand, erfüllte alle mit Sorge. Umso mehr beeilte man sich, den so schnöde unterbrochenen Gottesdienst an dem Herrn Ingerimm fortzusetzen, und in feierlicher Prozession zogen alle zu St. Ilpettas Kapelle. Hier ließ sich die Erhabene Meisterin die besten Waffen des Götterlaufes reichen, und nach genauer Prüfung gab sie ihnen die begehrte Prägung ING XXI und die Weihe mit dem heiligen Schleifstein.
Doch auch dieser Teil des Gottesdienstes wurde unterbrochen, diesmal aber von dem Elfen, dessen Rose die Grolme zu Gold verwandelt hatte. Triumphierend hielt er die Blüte in die Höhe, und da sahen alle, dass sie sich in eine gewöhnliche Blume zurückverwandelt hatte — das Rezept der Grolme war also nicht von Dauer.
Nun zeigte sich auch, dass der Reichsvogt und die Hüterin der Flamme im Stillen schon weitere Vorkehrungen getroffen hatten: Eine Gruppe wackerer Helden, angeführt von Seiner Exzellenz Fenn Weitenberg von Drôlenhorst, hatte herausgefunden, wie man vor ungefähr vierhundert Jahren die Grolme aus der Stadt verbannt und seither ferngehalten hatte: Im Jahre 601 BF, ein Jahr nach der Schlacht auf den Blutfeldern von Ferdok, hatte der Rat der Zünfte den Erzmagier Growenian Rotberg beauftragt, Abhilfe gegen die Grolme zu schaffen, welche großen Unfrieden im Handel stifteten. Der geniale Magier schuf daraufhin einen Bannkreis, bestehend aus Zaubersteinen, die in regelmäßigen Abständen in die Stadtmauer eingelassen wurden. Dieser Bannkreis schützte die Stadt vor den Heimsuchungen der Grolme — bis im vorletzten Jahr Teile der Befestigung durch den Alagrimm zerstört wurden. Beim Wiederaufbau achtete man zwar auf gute Koscher Maurerarbeit, aber nicht auf (zudem zerborstene) magische Steine, denn seltsamerweise war diese Geschichte in Vergessenheit geraten — wahrscheinlich deshalb, weil die Koscher sich nicht gern an Zauberwerk und magische Umtriebe erinnern. Und so gelang es den Grolmen in diesem Jahre, in die Stadt einzudringen.
Nun galt es also, den beschädigten Bannkreis wiederherzustellen, damit sich so etwas nicht wiederhole. Zwar ist heutzutage kein Magier mehr in der Lage, derartige Artefakte zu erschaffen, doch der kluge Magister Rotberg hatte vorgesorgt und einen kleinen Vorrat seiner Zaubersteine an einem geheimen Orte aufbewahrt. Diese wurden nun herbeigebracht und feierlich an den entsprechenden Stellen der Mauer eingelassen. Daraufhin zogen die Angbarer und ihre Gäste erleichtert zur frohen Feier in die Wirtsstuben und Tavernen, auch wenn ihnen nicht ganz wohl bei dem Gedanken war, dass in ihrer schönen Mauer magische Steine sitzen sollten...