Herr zweier Grafschaften

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Ausgabe Nummer 42 - Tsa 1029 BF

Von edelsten Geschlechtern: Herr zweier Grafschaften

Denkwürdige Krönungsfeier zu Schetzeneck

„Da ritt die Herrin Hamvide mit ihren Gethrewen hinauf zum Berghe im Ammerngrunde jennseyts des Sylbrigen Sees, von wo man hinyber gen Ferdok sehen konnt, stellte sich auf den hoechesten Steynn und rief mit festemm Blick gen Ferdok: ‚Nimmermehr solle diesz Landt jenseyts des Groszen Flusses geknechtet werdten von den selpstsuichtigen und streytluisternen Graffen von Ferdok1. Nimmermehr sulle eyn Tropfen Blut der unsrigen mehr flieszen in deren Namen undt fuir deren Kriege. Wir wullen Ruh undt Friede undt Trewe zum Koscherlandt, allezeyt.’

Undt dass Lycht der auffgehenden Sonn liesz ihr schoenes Antlitz hell erstrahlen als sie diesz sprach, undt die tausend Ammeren im Thal sangen ihr schoenstes Liedt, undt die Gethrewen aus allen Landten von jenseyts des Groszen Flusses riefen: ‚Hamvide, du Schoene, du sollst unsre Graeffin seyn! Dir schwoeren wir gethrew bisz ins Grab.’“

Erläuterungstafel eines Reliefs von der legendären Gründung der Grafschaft Schetzeneck im Jahr 243 BF, so zu sehen im Innenhof der Koschtaler Grafenburg Götterzahn.

Seit jenen Tagen versammelten sich alle Nachfolgerinnen der ersten Gräfin Hamvide mit ihren Getreuen an just jenem Grafenstein, um dort ihr Amt anzutreten, den Treueschwur ihrer Vasallen zu empfangen und meist auch tüchtig zu feiern2.

Nun, am 12. Travia des Götterlaufes 1029 BF, sollte es wieder soweit sein: Iralda Mechtessa von Bodrin, das älteste und einzige lebende Kind des Grafen Helkor, würde kommen, um das Amt ihres Vaters anzutreten. Längst waren auf dem Hügel unweit von Koschtal Zelte errichtet worden, in und zwischen denen man eifrig den Festtagsschmaus vorbereitete, Fässer stapelte und Krüge putzte. Auch die versammelten Adeligen des Landes hatten ihre bunten Zelte errichtet, denen man ansah, dass sie schon an vielen Turnierplätzen gestanden hatten. Wahrlich, es herrschte Vorfreude auf dem gesamten Platz. Auch wenn Iraldas Äußeres wohl das Gegenteil der als wunderschön gerühmten Hamvide sein mochte, so gilt sie doch als gutherzig und fromm. Überall erzählte man in mitfühlendem Ton, wie sehr sie das geheimnisvolle Verschwinden ihres Vaters Helkor traf, mehr noch, wie sorgsam sie ihren geliebten Gatten Throndwig pflegte. Er hatte das Feuer des Alagrimm durch einen Sturz in den Angbarer See wohl überlebt, doch grausam waren die Brandwunden. Nach mondelanger Sieche, während der Iralda noch hoffte, erlösten die Götter ihn am Tag des Schwurs von seinem Leiden, in den Armen seiner schwangeren Frau. Wahrlich, sie würde eine gute Gräfin sein!

So war es weniger Mitleid, das in den Gesichtern der Anwesenden zu lesen war, als die Prinzessin schließlich durch die Reihen zum Grafenstein trat, sondern tiefe Ehrfurcht vor so viel Göttervertrauen und Tapferkeit. Vor ihr trug Truchsess Garubald den Grafenreif, an ihrer Seite schritten Fürst Blasius und die Grafen Jallik, Wilbur und Growin3. Auch ihr kleiner Sohn wohnte in den Armen ihrer Amme dieser Zeremonie bei. Der Fürst fand in einer kleinen Ansprache warme und aufmunternde Worte, die selbst in das Antlitz Iraldas ein kleines Lächeln zauberten — ehe Seine Durchlaucht den Reif vom Kissen nehmen und die Krönung vollziehen wollte.

Just in diesem Augenblick brach ein stolzer Reiter in schillernder Rüstung auf einem makellosen Elenviner Schimmel durch die Reihen, an seiner Seite zwei weitere stolze Ritter als Ehrengeleit.

Kein Geringerer als Prinz Frankward, der Sohn des Herzogs der Nordmarken, stieg da von seinem Ross, verbeugte sich kurz vor dem Fürsten und wandte sich sodann an Iralda und die Menge: „Verzeiht die kleine Störung dieser Zeremonie, doch ich wollte sie keineswegs versäumen. Mehr noch, ich möchte sie mit einer freudigen Ankündigung in noch hellerem Licht erstrahlen lassen. Vor etwas über zwei Götterläufen stritten Wir im finalen Gestech gegen Euren späteren Gemahl Throndwig um Eure Hand, werte Prinzessin. Wie umstritten die Umstände von Sieg und Niederlage auch waren, so gab ich doch letztlich dem Herren von Bregelsaum den Vortritt. Bedeutsam waren die Worte, welche Euer ehrenwerter Herr Vater Graf Helkor, möge Boron ihm gnädig sein, in diesem Moment zu mir sprach: ‚Ihr habt tapfer gestritten — Wir versprechen, Euch soll die Hand meiner Tochter gehören, wenn Herr Throndwig dereinst nicht mehr unter uns weilt.’“

Noch ehe die verblüffte Prinzessin ihrem zweifelnden Blick Worte folgen lassen konnte, fuhr der Herzogensohn fort: „Meine Begleiter hier, beides Edle aus Eurer Grafschaft und Männer von makellosem Leumund, waren dabei, als der Graf dieses Versprechen gab.“ Auf einen Wink traten die Schetzenecker Ritter Trest von Vardock und Bolzbold von Rüpeln vor und bestätigten in knappen Worten das eben Gesagte.4

Lautes Gemurmel erklang unter den Zeugen dieses Ereignisses, das erst langsam wieder nachließ, als Frankward mit triumphierenden Lächeln vor Iralda das Knie beugte: „So frage ich Euch, wollt Ihr, dem Wunsch und Willen Eures Vaters entsprechend, meine Frau werden?"

In den Augen Prinzessin Iraldas wichen Verblüffung und Widerwillen einem aufflackernden Feuer, als sie sprach: „Wenn Ihr mir diese heilige Frage stellt, Prinz Frankward, so seht mich an und sagt mir: Würdet Ihr meine Hand auch nehmen, wenn ich niemals Gräfin werden würde?“

Frankward, der es bisher allem Anschein nach vermieden hatte, in das Gesicht der Grafentochter zu blicken, sah sie mit großen Augen an. Sein Mund öffnete sich, doch seine Zunge schien am Gaumen zu kleben, seine Kehle völlig trocken zu sein.

Kurz war der Moment des Zögerns, doch viel zu lange für eine Entgegnung auf diese Frage. Iralda erlöste den Prinzen, indem sie erneut das Wort erhob: „Eure Antwort ist ohnehin gleichgültig, denn mein Herz gehört Throndwig und es ist kein Platz für einen Zweiten.“ Dann ging sie zu Truchsess Garubald, nahm behutsam den Grafenreif und schritt damit vor Graf Wilbur vom See, der sie erstaunt ansah. „Eher werde ich einfache Geweihte der Peraine im Dreischwesterkloster von Gôrmel, als Gräfin unter Frankward im Schetzeneck. So bitte ich Euch, als Sohn des letzten Freundes meines geliebten Mannes Throndwig, die Ehre der Grafenwürde für mich tragen.“

Da entbrannte Jubel in den Reihen der Schetzenecker, und auch der gute Fürst nickte, trat vor und nahm den Grafenreif feierlich in seine Hände. „Hiermit erhebe ich Euch, Wilbur vom See, auch zum Herren der Schetzenecker Lande. So sei Euer Titel fürderhin jener des gemeinsamen Grafen der Hügellande von Angbarer See und Schetzeneck. Mögt Ihr, als Unser Vasall, weise und wacker unter dem Segen der Göttern, zum Wohl des Koscherlandes und des Reiches regieren!“, waren seine Worte, als er den schlichten bläulich-silbernen Ring über den güldenen Reif der Seegrafschaft auf dem Haupt des Jünglings legte und sich beide Zeichen der Hoheit fast wundersam ineinander fügten5.

Der nordmärkische Prinz aber stieg wutschnaubend auf sein Ross und ritt davon. Der Klang der Freudenrufe der Schetzenecker, die ihren neuen Grafen Wilbur am Grafenstein hochleben ließen, mögen ihn noch weit ins Tal begleitet haben.

1 Zu jenen Tagen herrschten die schwachen Salminger Grafen über die Grafschaft Ferdok, die damals noch alle Gebiete südlich des Angbarer Sees umfasste. Einzelne Geschlechter stritten gegeneinander um die Grafenwürde und forderten auch unter den späteren Schetzeneckern hohen Blutzoll, während das Landvolk immer mehr verarmte. In den schwer erreich- und regierbaren Gebieten jenseits des Großen Flusses waren diese Zustände gar so schlimm, dass sich die dortigen Edlen schließlich erhoben und eine eigene Grafschaft Schetzeneck ausriefen. Seneschalkin Vieska II., die damals den Kosch regierte, erkannte die Grafschaft noch im selben Jahr an, waren doch auch ihr die Verhältnisse im Ferdoker Land ein Dorn im Auge. Es erwies sich als weise Entscheidung, gewannen der Kosch und das Fürstenhaus mit Gräfin Hamvide und ihren Nachkommen doch eine treue Stütze, die erst 915 BF mit dem Aussterben der Erblinie im Kampf gegen Porquid ein Ende fand.

2 Alleine in der Zeit nach Porquids Machtergreifung, als die ‚Verschwörerbarone’ das Land unsicher machten, soll an jenem Grafenstein statt süffigem Bier bitteres Blut geflossen sein.

3 Graf Growin wohnte auf ausdrücklichen Wunsch Iraldas der Zeremonie bei, bei der ursprünglich die einst ungeliebten Ferdoker Grafen ausdrücklich nicht teilnehmen durften — eine deutliche Geste der Versöhnung.

4 Nach den Worten einer Koschtaler Bürgertochter, die zu jener Zeit am Grafenhof diente, sprach Graf Helkor die besagten Worte als Antwort auf einen lautstarken Protest des Prinzen Frankward, der eine Wiederholung des finalen Lanzenganges forderte. Gemäß ihrer Aussage lauteten sie wörtlich: ‚Ihr habt tapfer gestritten, doch Ihr habt verloren. Aber grämt Euch nicht, Ihr könnt die Hand meiner Tochter ja noch bekommen, wenn Herr Throndwig dereinst nicht mehr unter uns weilt.’ Und er sprach diese Worte angeblich mit ungewohnt spöttischem Unterton.

5 Ein sichtlich vergnügter Oberster Richter der Hügelzwerge und Koscher Cantzler Nirwulf sollte noch am selben Abend trefflich in seinem Trinkspruch sagen: „Nun wächst zusammen, was zusammengehört. So wie die Kernlande der Koscher Erzzwerge in Wengenholm und jene der Koscher Ambosszwerge im Ferdokschen, so sind nun endlich auch die Kernlande der Hügelzwerge unter einem menschlichen Grafen vereint. Mögen Angroschim und Menschen auch weiterhin und für immerdar in guter Nachbarschaft und Freundschaft einander beistehen. Dûr Koschima Borod egrai!“

Losiane Misthügel