Dohlenfelder Thronfolgestreit - Ein Vertrag unter Brüdern

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
K118. Rückzug!
K121. Im Kosch
K122. Frieden!
K123. Epilog
Autor: Reichskammerrichter, weitere


Nordmarken, 1033

Einer der letzten Reiter der Vorhut, die zum Auskundschaften der Gegend ausgeschickt wurden, kehrte zusammen mit zwei Rittern zum Heer zurück. Schon aus der Ferne sah man deren grüne Wappenröcke, Schilde und Wimpel und man rätselte, zu wem diese Farbe passen könnte – die meisten tippten auf eine koscher Delegation, die zu Verhandlungen herbeigeritten kämen.
Wie groß war die Überraschung, als man die Reiter als Voltan von Sturmfels und Ardor von Schwarzfels erkannte, die ihre angestammten Wappen abgelegt und stattdessen die Farbe der Peraine angenommen hatten!
„Peraine zum Gruße!“ grüßte denn auch der Wichtenfelser seinen Vetter Angrond. Ritter Ardor – seit seinem Bündnis mit Hagen ein Feind Angronds – nickte nur knapp und schien sich sichtlich unwohl zu fühlen ob der Größe des Heeres, das er erblickte.
„Der Landadel Dohlenfeldes hat sich unter meiner Führung und in trauter Eintracht mit den hiesigen Geweihten der Peraine und der Travia dazu entschlossen, diesem unseligen Bruderkrieg zu entsagen! Wir werden nicht das Blut unserer Verwandten und Freunde vergießen! Dies tun wir auch zum Schutze unserer Lehen und Untertanen, wie Praios es befiehlt. Die Walstatt ist auf den Auwiesen am Darlin bereitet. Die Geweihte der milden Schwestern haben dort ein Feldlazarett errichtet, um die schlimmste Not zu lindern, der Landadel Dohlenfeldes hat sich und seine Landwehren in Grün gewandet und wird die Verletzten vom Schlachtfeld bergen sowie das Lazarett beschützen.“
Der Landedle hielt kurz inne und atmete durch, das laute Sprechen schien ihn anzustrengen.
„Das Heer Hagens steht noch vor der Burg Schwarzfels. Mit Eurem Einverständnis werden wir einen schnellen Reiter dorthin schicken und Euren Bruder über Euer Eintreffen unterrichten.“
„Peraine zum Gruße, Vetter!“, grüßte Angrond den Landedlen Voltan, sichtlich überrascht über gleichermaßen dessen Erscheinen wie dessen Kleidung. Auch die übrigen Anwesenden, besonders diejenigen, die Voltan zu kennen glaubten, waren irritiert, den Turniermarschall des Herzogs in den Farben der Therbûniten zu sehen. Aber zumindest wusste man nach Voltans knappem Bericht nun, was Sache war: Hagen belagerte die Burg Schwarzfels, die vor nun bereits mehr als eineinhalb Monden vom Edlen zu Schratzelroth erobert worden war – und Voltan hatte durch rondragefällige Zweikämpfen dafür gesorgt, dass weder Ardor von Schwarzfels noch die Ritterin von Freyen an der Entscheidungsschlacht um die Baronie teilnehmen würde. Damit würden keine Landwehrkämpfer aus Wichtenfels, Wolkenfold und dem Rittergut Freyen – und womöglich der ganzen Altenau – mitkämpfen.
Voltan berichtete Angrond und den übrigen Adligen zudem, dass er am vergangenen Abend mit Hagen von Salmingen-Sturmfels, dessen Koscher Heerführerin Baronin Alvide, dessen Schwager Baron Roklan von Leihenhof, dem herzoglichen Allwasservogt Gorfang Reto vom Großen Fluss und von Brüllenfels sowie dem von beiden Seiten respektierten Rondrageweihten Throndwerth von Zweibruckenburg gesprochen hatte, um ein akzeptables Schlachtfeld zu finden. Dazu gesellte sich Ardare von Sturmfels, Heroldin Angronds, die kurz zuvor erst bei Hagens Heer vor der Burg Schwarzfels eingetroffen war. Vielerlei war dabei zu bedenken. Erstens musste ein Schlachtfeld dem ritterlich-rondrianischen Kampfe – besonders dem Streit hoch zu Ross – angemessene Entfaltungsmöglichkeiten biete, zweitens durfte es keine Partei über Gebühr begünstigen, drittens war auch an das gemeine Volk zu denken. Denn im Rondramond waren die meisten Feldfrüchte noch nicht geerntet, so dass die Verheerungen durch eine Feldschlacht leicht zu einer Hungersnot in der ganzen Baronie führen konnten.
So hatten die Adligen und der Rondrageweihte, über eine Karte der Baronie gebeugt, die Vorzüge und Nachteile mehrerer möglicher Schlachtorte besprochen. Mit Voltan waren mehrere Hochgeweihte der Peraine und Travia sowie der Äbtissin der Twergenhäuser Badilakanerabtei und die Spitalschwester des dortigen Siechenhauses der Therbûniten in Hagens Heerlager gereist. Die Adligen und Geweihten berieten mehr als eine Stunde. Alles Hügelland und ebenso alles Land, auf dem in erster Linie gutes Brotgetreide wuchs, wurden von vornherein ausgeschlossen. Dies machte die Wahl des Schlachtfeldes nicht leicht, waren doch im Vorland des Eisenwaldes fast alle geeigneten Flächen entweder bewaldet oder Ackerland. Hagen ließ sich sogar zum Scherz hinreißen, ob es nicht klüger wäre, die Entscheidungsschlacht auf den Silkwiesen vor den Toren Gareths auszutragen. Schließlich einigte man sich aber auf eine Walstatt am rechten Darlinufer, südlich des Marktortes Dohlenfelde. Dort, auf dem Schönbunder Grün, würde mit Waffengewalt entschieden werden, wer künftig Baron zu Dohlenfelde sein sollte. Das Ort war ein Kompromiss. Das Gelände wies nur eine geringe Steigung auf. Fruchtbares Ackerland fand sich dort zwar auch, doch gedieh in erster Linie Gerste zum Vermalzen und guter Hopfen, dazu Hanf und Flachs – doch zumindest kein Weizen und auch nur wenige Acker Roggen. Einige Bauern würden unter den Folgen der Schlacht große Not zu leiden haben, der Bierpreis würde steigen – jedoch würde zumindest die Baronie insgesamt von einer Hungersnot infolge des Ringens der beiden Brüder verschont bleiben. Und darauf kam es an.
In Vorbereitung der Schlacht hatten die Geweihten der Peraine und Travia der Baronie und insbesondere auch die Therbûniten und Badilakaner aus der Herzogenstadt Twergenhausen damit begonnen, ein Feldlazarett zu errichten. Man erwartete dutzende, wenn nicht hunderte Verwundete. Es würden mehr als zweitausend Kämpfer aufeinander treffen, die womöglich größte Schlacht, die je auf Dohlenfelder Grund geschlagen wurde!
Bis zum Aufeinandertreffen der Heere sollte ein uneingeschränkter Waffenstillstand gelten. Um die aus Weidleth und Liepenstein vorstoßenden Truppen Angronds von diesem und vom Schlachtort in Kenntnis zu setzen, wurden ortskundige Eilboten ausgesandt. Voltan gestattete, nachdem ihn Angrond darum gebeten hatte, den Durchzug des Heeres durch das Landedlengut Wichtenfels – der direktes Weg zur Walstatt.
So setzten sich die Truppen schon bald wieder in Marsch. Angrond führte das Heer mit seinen engsten Vertrauten an, auch Voltan und Ardor von Schwarzfels waren hier zu finden. Ihnen folgten die Ritter mit ihren farbenfrohen Wappenschilden und Wimpeln, danach die übrige Reiterei, dann kamen die Fußkämpfer, am Ende folgten die Geschützmannschaften und der Tross. Schon bald zog sich das marschierende Heer über weit mehr als eine Meile in die Länge. Letztlich bestimmten jedoch die Langsamsten das Fortkommen, weshalb man sich im gemächlichen Tempo träger Ochsenfuhrwerke und dahintrottender Zwergensöldner bewegte – und die Reiter an der Spitze des Heeres waren immer wieder gezwungen, Halte einzulegen.
Es war an diesem Morgen des ersten Tages des Schwertfestes des Jahres 1033 BF nicht ganz so heiß wie an den Tagen zuvor, am vergangenen Abend und nachts waren heftige Sommergewitter niedergegangen. Die Truppen zogen durch den Weiler Altengrund nicht weit von Burg Dohlenhorst entfernt, die Bewohner grüßten Angrond freundlich, wenn auch nicht übermäßig. Von Jubel jedenfalls konnte keine Rede sein, war man sich hier der Stärke von Hagens Koscher Söldnerheer – das viele Monate unweit der Ortschaft gelagert hatte – wohl bewusst. Angronds Schwester Derya ließ es sich aber nicht nehmen, die örtliche Rahjakapelle – in Altengrund gab es mehrere Winzer – aufzusuchen. Ritter Koromar, besorgt um die Sicherheit der Baronin zu Tommelsbeuge, begleitete seine Freundin auf Schritt und Tritt.
An steilen Wingerten entlang führte der Aufstieg nach Wichtenfels, das etwa 150 Schritt über der Altenau lag. Dass der nicht unbeschwerliche Weg am angenehmen Morgen erfolgte, und nicht in der Mittagshitze, kam den schwer Gerüsteten sehr entgegen. Das Landedlengut lag pittoresk, Praios und Peraine gleichermaßen zugewandt, in einem weiten Talkessel, in dem sich der fruchtbarste Ackergrund ganz Dohlenfeldes befand. Verständlicherweise war der Landedle, ein Vetter der streitenden Brüder, bemüht, den Krieg von diesem Fleckchen Dere fernzuhalten.
Als der Praiosschild seinen höchsten Stand erreichte, war die Erfrischung, die die nächtlichen Gewitter gebracht hatten, so gut wie verflogen. Doch zum Glück für Ross und Reiter zog das Heer nun durch den Caleener Forst. Die dicht stehenden Bäume spendeten auf dem Waldweg wohligen Schatten, so dass Mensch und Tier nicht allzu sehr unter der fast unerträglichen Mittagshitze litten. Hier im Wald, am fröhlich dahinplätschernden Arborin, wurde daher auch die Mittagsrast befohlen. Mit der Überquerung der Arborinbrücke, die die Grenze zwischen Wichtenfels und dem Junkergut Erzweiler markierte, wurde der Schutz des Caleener Forsts verlassen, und unbarmherzig brannte Praios auf das Heer nieder. Es war nicht nur ein Kämpfer in schwerer Rüstung, der vom Hitzschlag niedergestreckt wurde – Dank der unmittelbaren Nähe des Arborin und Darlin stand jedoch stets kühlendes Nass bereit, um die schlimmsten Folgen abzuwenden.
Man befand sich nun im Rittergut Maringen, das im Junkergut Erzweiler lag, das, soviel bekannt war, ebenso treu wie geschlossen hinter Hagen von Salmingen-Sturmfels stand. Die für ihren Eigensinn bekannten Erzweilerer wurden von Hagen in Dohlenfelde in jeder Hinsicht gegenüber den „echten“ Dohlenfeldern begünstigt. Besondere Brisanz erlangte dies dadurch, dass das Junkergut das Stammlehen des mittleren Hauses Sturmfels war – und Hagen sich somit als wahrer Erbe, wenn nicht seines Vaters, dann jedoch zumindest seines Hauses präsentierte. So oder so stand die Erzweilerer Landwehr, darunter viele geübte Armbrustschützen, in Hagens Reihen – und würde gegen Angronds Truppen kämpfen. Doch der Weg führte durch keinen Ort und keinen Weiler, nur wenige Gehöfte lagen in Rufweite, und auf diesen ließ sich keine Menschenseele blicken. Ob aufgrund der unerträglichen Hitze oder aus Abneigung gegenüber Angrond, dies musste offen bleiben.
Mit der Überquerung der Hopfenbrücke, die das 40 Schritt breite Bett des Darlin auf zwei massiven Pfeilern ruhend überspannte, das im Sommer nur zur Hälfte gefüllt war, betraten Angrond und seine Verbündeten die „Dohlenfelde“, das historische Kernland der Baronie Dohlenfelde. Beeindruckend öffnete sich das fast vollständig gerodete Darlintal vor den Streitern, und dahinter, nur gut 10 Meilen weiter im Süden, stieg der Eisenwald schroff in den Himmel. Man sah die wolkenverhangenen Gipfel, die ausgedehnten Massive aus glitzerndem Granit und die uralten Basaltstöcke türmten sich teils einige hundert Schritt senkrecht auf, man konnte gar Gletscher erahnen.
Zur Linken konnte man den mythenumwobenen Darlinstein sehen, eine urtümliche Felsformation am Zusammenfluss von Darlin und Arborin. Dort waren die Barone Dohlenfeldes bis zur Priesterkaiserzeit vom Landadel der Baronie mit der Darlinkrone gekrönt worden, seither war der Krönungsort jedoch der Praiostempel im Markt Dohlenfelde.
Angrond von Sturmfels war überrascht, als er von einer Schar von etwa vier Dutzend Dohlenfelder Landwehrkämpfern, angeführt vom Ritter Markward von und zu Darlinstein und dessen Tochter Sigberta begrüßt wurde. Zwei Ritter, zwei Waffenknechte und weitere Armbruster und Nahkämpfer in Kompaniestärke waren für Isenhager Maßstäbe eine beachtenswerte Streitmacht – anbetracht des gigantischen Heeres, das Angrond und seine Verbündeten aufgeboten hatte, war es aber nicht mehr als ein verschwindendes Häuflein. Ritter Markward, der von Baron Angrond in Acht gestellt worden war, weil er Hagen den Treueeid geleistet hatte, hatte offensichtlich erneut die Seiten gewechselt. Der aus dem ältesten Adelshaus der Baronie – seit bosparanischen Zeiten aktenkundig – stammende Landadlige sprach:
„Rondra zum Gruße, Euer Hochgeboren Angrond, ich grüße Euch am Heiligen Schwertfest in Eurer Heimat! Ich unterwerfe mich Eurer Gnade als Baron zu Dohlenfelde. Meine Tochter und ich und die Dohlenfelder Landwehr bieten Euch Schwert und Schild an, um für Eure Sache zu streiten.“
Der Baron in Vollplatte betrachtete den acht Jahre älteren Ritter in seiner blankpolierten Rüstung, der ihm sein Schwert – Knauf vorweg – entgegenreckte.
„Rondra zum Gruße, Hoher Herr. Gürtet Euer Schwert und reiht Euch ein. Ich heiße Euch in diesem Heer willkommen. Praios sei mein Zeuge, Eure Acht sei aufgehoben.“
Die Zeit der Gnade war angebrochen, Angrond war nicht nachtragend. Aber ihm war nicht ganz wohl dabei, nun dohlenfeldsche Landwehrkämpfer in seinen Reihen zu haben. Nicht, dass er an deren Loyalität zweifeln würde – aber nun würden in der Entscheidungsschlacht Dohlenfelder gegen Erzweilerer streiten, zum ersten Mal seit vielen Generationen! Ganz abgesehen davon, dass Wolkenfolder und Wichtenfelser Landwehrleute im Grün der Therbûniten im Lazarett Dienst tun würden...
Verstärkt um die dohlenfeldsche Landwehr zogen die Truppen Angronds weiter, in brütender Sommerhitze am Rittergut Darlinstein vorbei immer in Richtung des Gebirges, auf den Markt Dohlenfelde zu, den Hauptort der Baronie, der mehr als 600 menschliche und 70 zwergische Einwohner zählte.
Auf der Gemeindewiese nordwestlich der schmucken Bauern- und Handwerkerhäuser der wohlhabenden Ortschaft befahl Angrond zu halten und ein Lager zu errichten, es war Nachmittag. Angrond selbst ritt mit einigen Vertrauten, aber ansonsten ohne weitere Bedeckung in die Siedlung. Fast alle Bewohner des Ortes, Menschen wie Angroschim, hatten sich auf dem Marktplatz, der zwischen Travia- und Praiostempel lag, versammelt. Sie jubelten Angrond zu und ließen ihn hochleben.
Aber nicht nur Einheimische waren dort anzutreffen, auch viele Dutzend neugierige Durchreisende, wie immer im Sommer, wenn der Handel über die Via Ferra zwischen Twergenhausen und Almada florierte und die schnellste Verbindung zwischen Almada und den Nordmarken belebte. Was die Geschäfte zwischen den Provinzen betraf, war es fast wieder, als wäre der Zwist zwischen den kaiserlichen Geschwistern Rohaja und Selindian beendet – die hohe Reichspolitik hatte die phexisch gesinnten Kaufleute und Krämer nicht lange davon abhalten können, ihrem Treiben nachzugehen.
Der Baron und Reichskammerrichter war vom Empfang gerührt, eine Regung, die man nur selten bei ihm sah. Es schien, als sei für die Dohlenfelder die Zeit der Herrschaft Hagens schon vorbei, als hätte Angrond den Streit um die Herrschaft um seines Vaters Baronie bereits gewonnen. Doch zweierlei irritierte Angrond:
Wie konnten diese Leute einfach so ignorieren, dass nur einige Meilen entfernt, vor Burg Schwarzfels, ein tausend Streiter starkes Heer lagerte, das auf die Befehle Hagens, des Allwasservogts und des neuen Bürgermeisters zu Twergenhausen, Throndwig Gliependiek, hörte?
Dazu kam, dass die formell ranghöchste Geweihte der Ortschaft, die Vorsteherin des praiosgeweihten Sankta-Lechmin-von-Weiseprein-Tempels, Ihre Hochwürden Gratfride Praiodera von Föhrenstieg, ihren Tempel verlassen und verschlossen hatte – die Schwester der Baronin zu Wolfsstein, deren Sympathien im Thronfolgestreit ohnehin Hagen galten, hatte sich zu dessen Heer begeben.
Als Angrond im Markt Dohlenfelde war, trafen dort, von Hagens Heerlager kommend, zwei Reiter auf erschöpften Pferden ein: Der Rondrageweihte Throndwerth, ehemals Beichtvater und engster Freund seines Vaters, sowie seine Tante Ardare, die er als Heroldin am Vortag zu Hagen geschickt hatte. Der Landedle Voltan begrüßte die beiden Neuankömmlinge als erster und herzlich. Throndwerth berichtete zuerst vom rondrianischen Duell, das zwischen Darian von Schratzelroth und dem Allwasservogt um den Besitz der Burg Schwarzfels ausgefochten worden war – der Allwasservogt hatte den Zweikampf für sich entschieden. Der schwer verwundete Darian würde wohl bald mit seinen Streitern im Markt Dohlenfelde eintreffen.
Ardare, die Heroldin Angronds, trug zwei gleichlautende, von Hagen, Alvide und Roklan bereits gesiegelte Urkunden bei sich, in denen die am vergangenen Abend im Feldlager vor Burg Schwarzfels getroffenen Schlachtvereinbarungen schriftlich festgehalten waren. Angrond, Baron Garmwart von Quakenbrück und Torgus von Albenbluth-Lichtenhofen zogen sich in ein Gasthaus zurück und gingen die zwölf Punkte einen nach dem anderen durch. Angronds Finger spielten mit dem Siegelring Dohlenfeldes, den er schon so viele Jahre trug. Es war noch Platz für Garmwarts, Torgus’ und seine Unterschriften und ihre Siegel. Sein Bruder, diese Koschbaronin und Roklan hatten bereits ihre Zustimmung gegeben, Garmwart, Torgus und er standen damit unter Zugzwang.
Heute und morgen wurde das Schwertfest gefeiert, Rondras höchster Feiertag. Die Entscheidungsschlacht war immer am Schwertfest geplant gewesen, Rondra würde den Sieger bestimmen. Doch ganz wohl fühlte sich Angrond nicht – hatte nicht seine Base Kara noch gestern in der Bulle des Wahrers der Ordnung Pagol vor der Heimtücke Charissias und ihrer Schergen gewarnt? Mochte diese Schlachtvereinbarung eine List sein? War sie gar eine Fälschung? Hagen selbst würde dies nicht wagen – aber einer seiner Verbündeten, womöglich diese Alvide? Der Baron zu Eisenstein sicherlich!
Der alte und erfahrene Krieger Torgus schien Verrat zu wittern, auch Garmwart fühlte sich nicht allzu wohl. Doch diese Bedenken waren abstrus: Angronds und Hagens für seine Aufrichtigkeit weithin bekannter Vetter Voltan, immerhin Turniermarschall der Nordmarken, und der Rondrahochgeweihte Throndwerth hatten diese Vereinbarung mit Hagen und Alvide am Schwertfest ausgehandelt, sie war sicherlich ohne Heimtücke!
So zeichneten und siegelten schließlich Angrond, Garmwart und Torgus die Urkunden, Voltan und Throndwerth taten desgleichen als Zeugen, nachdem sie die Texte auf identischen Wortlaut geprüft hatten. Ardare nahm das für Hagen bestimmte Exemplar entgegen und machte sich mit Throndwerth zurück auf den Weg zur Burg Schwarzfels. Die Vereinbarung war mehr als annehmbar. Der Ort der Schlacht war von Voltan gut gewählt worden, er eignete sich besonders für eine Ritterschlacht. Was wollte man mehr?
Derweil war vor dem Marktort eine wahre Stadt aus hunderten Zelten entstanden. Eine halbe Marschstunde entfernt würde am nächsten Tag die Entscheidungsschlacht stattfinden, man würde den Abend und die Nacht nutzen, sich auf dieses Aufeinandertreffen vorzubereiten. Baron Garmwart befahl jedoch, Feldwachen und vorgeschobene Posten zur Absicherung des Heerlagers einzuteilen. Niemand rechnete mit einem Überraschungsangriff Hagens – und schon gar nicht am höchsten Feiertag der Göttin Rondra. Doch der Baron zu Eisenhuett bestand darauf, seine Befehle auszuführen und geriet darüber sogar in Streit mit einigen anderen Adligen, bis schließlich Angrond die Befehle des Onkels seiner Ehefrau noch einmal wiederholte.
Zudem verlas Angrond mit lauter Stimme erst auf Bosparano und dann in der Volkssprache die Vereinbarung für die Entscheidungsschlacht am kommenden Tag, die Truppenführer wurden zudem angewiesen, die Vereinbarung ihren Leuten am nächsten Morgen nochmals zu verkünden. Außerdem wurden Boten ausgesandt, um die aus Liepenstein und Weidleth vorstoßenden Truppen im Detail über die Vereinbarung zu unterrichten:

„Im Namen der Herrin Rondra, der Donnernden und Unbesiegten, Alverans Schwert und Schild!
Ad primum: Die Entscheidungsschlacht zwischen den Heeren des Angrond von Sturmfels und des Hagen von Salmingen-Sturmfels und ihrer Parteigänger soll unter dem Segen der Himmlischen Leuin ausgefochten werden.
Ad secundam: Die Schlacht soll auf dem Schönbunder Grün südlich des Marktortes Dohlenfelde ausgefochten werden.
Ad tertiam: Die Schlacht soll zur neunten Stunde des zweiten Tages des Schwertfestes 1033 nach Bosparans Fall beginnen.
Ad quartam: Die Schlacht soll, wie es der Frau Rondra wohlgefällig ist, offen und ohne Heimtücke und Hinterlist ausgetragen werden.
Ad quintam: Der Einsatz von Magie – abgesehen zur Lebensrettung Schwerstverletzer – ist beiden Seiten strikt untersagt.
Ad sextam: Bei Angriffen auf Berittene ist der Reiter das erste Ziel, nicht das Ross.
Ad septam: Das Graben von Schanzen und das Befestigen von Stellungen ist beiden Seiten untersagt.
Ad octavam: Die Gefangennahme von Gegnern ist beiden Seiten gestattet. Das Töten von Gefangenen und Verwundeten ist beiden Seiten untersagt. Verwundete der Gegenseite sind ebenso gut zu behandeln wie eigene Verwundete.
Ad nonam: Es dürfen nur Bewaffnete der jeweiligen Gegenseite angegriffen werden, und jeder Bewaffnete ist verpflichtet, Unbeteiligte – wozu auch die Trosse zählen – vor Übergriffen zu schützen. An der Schlacht Unbeteiligte, insbesondere die Bewohner der Baronie Dohlenfelde, sind generell zu schonen und großzügig zu behandeln.
Ad decimam: Die Schlacht endet, wenn eine Seite die Waffen streckt oder den Rückzug antritt. Eine Verfolgung von Flüchtigen ist beiden Seiten untersagt.
Ad undeciman: Bis zum Beginn der Schlacht gilt ein uneingeschränkter Waffenstillstand, ebenso nach Ende der Schlacht. Der Waffenstillstand gilt für ganz Dohlenfelde und auch für Twergenhausen.
Ad duodecimam ultimamque: Es gilt der rondragefällige Geist dieser Worte. Als maßgeblich gilt allein das Urteil der anwesenden Geweihtenschaft des Schwertbundes. Diese Worte sind allen an der Schlacht Beteiligten vorab so bekannt zu geben, dass ein jeder sie versteht.
So vereinbart am Vorabend des ersten Tages des Schwertfestes des Jahres 1033 nach Bosparans Fall, welches ist das vierzigste Jahr seit der Krönung Seiner Allergöttlichsten Magnifizienz Kaiser Hal I. von Gareth.
Gezeichnet und gesiegelt: Hagen von Salmingen-Sturmfels, Angrond von Sturmfels, Alvide von Eichental, Garmwart von Quakenbrück, Roklan von Leihenhof sowie Torgus von Albenbluth-Lichtenhofen und als Zeugen Throndwerth von Zweibruckenburg und Voltan von Sturmfels“

Nachdem sich nach dem Verlesen dieser rondrianischen Vereinbarung die von Garmwart als Feldwache eingeteilten Streiter mürrisch auf ihre Posten begeben hatten, entwickelte sich im Heerlager eine geradezu volksfesthafte Stimmung: Über dutzenden Feuern drehten sich die Ochsen am Spieß und die Spanferkel, Bier und Wein flossen fassweise. Es kam zu Verbrüderungen zwischen den Kämpfern und den Bauern und Handwerkern der Baronie. Unter Anleitung der anwesenden Rondrageweihten wurden der späte Nachmittag und der Abend des ersten Tages des Schwertfestes durch ehrenhafte Zweikämpfe und gar improvisierte Lanzengänge begangen, die einfachen Leute vergnügten sich beim Stockfechten. Die Kämpfer paradierten und präsentierten stolz ihre Waffen, dazu spielte die Dohlenfelder Blaskapelle zünftige Marschmusik. Daneben wurde auch zum fröhlichen Tanz aufgespielt, und Barden sangen bewegende Schlachtenballaden. Nur eine Handvoll Kämpfer zog sich zur stillen Einkehr zurück.
Bei Sonnenuntergang konnten die Vorposten am Nordufer des Dorin sehen, wie eineinhalb Meilen südlich Dohlenfeldes, auf den Höhen um den Eckbertshof, die Truppen Hagens und seiner Alliierten ihrerseits ein provisorisches Lager errichtete.