Auersbrücker Fehde - Verhandlungen vor Wintrang
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Verhandlungen vor Wintrang
Baerwin von Hartsteig blickte angespannt in die Ferne und versuchte auf dem Pfad, der in Richtung des kleinen Flößerdorfs führte, irgendetwas zu erkennen. Heute Morgen waren die beiden Späher der Grafenschar zurückgekommen und hatten bestätigt, wovor Rigund sie tags zuvor gewarnt hatte. Bewaffnete Kämpfer näherten sich dem Dorf Wintrang. Der junge Ritter seufzte. Dieser Tag versprach nicht gut zu verlaufen.
Das lag zum einen daran, dass die stämmige Rigund Recht behalten hatte. Baerwin dachte zurück an vorgestern, als er Wache gestanden hatte und plötzlich die tropfnasse Frau vor ihn getreten war. Er hatte sie auf den ersten Blick für eine mystische Nymphe gehalten, doch würde der Flussvater wohl nicht so breitschultrige und stämmige Dienerinnen in seinen Reihen haben. Durch die Nässe zeichneten sich ihre Körperformen ab und man konnte durch das Untergewand hindurchsehen. Er hatte sie wohl mehrere Augenblicke mit offenem Mund angestarrt, so überrascht war er gewesen, bis Rigund fragte: „Na Junge, gefällt dir, was du da siehst?“ Schon der Gedanke allein ließ ihm die Schamesröte ins Gesicht steigen.
Die Anführerin des Drifter Haufens und er hatten sich eindeutig auf dem falschen Fuß erwischt. Rigund wollte zuerst gar nicht glauben, dass so ein junger und wenig beeindruckender Ritter ein Gefolgsmann des berühmten Grafen von Wengenholm war. Sie begegnete ihm mit wenig Achtung, sondern meinte nur immer wieder „He Kleiner.“ Wäre es nach Baerwin gegangen, hätten die Wintranger erst mal nicht geholfen, die Drifter über die Ange zu setzen. Doch Rigund hatte von einem bevorstehenden Angriff der Alttreuen auf das Dorf gewarnt und so dafür gesorgt, dass die verängstigten Leute von Wintrang auf sie hörten. Daher stand der Drifter Haufen wenig später und trockenen Fußes mit seinen Pferden am anderen Flussufer.
Der Haufen verhielt sich allerdings nicht besonders dankbar. Nicht nur hatten die Milizionäre darauf bestanden, von den Dorfbewohnern verpflegt zu werden, nein, sie hatten sich auch gleich in den verschiedenen Höfen einquartiert. Baerwin hatte einst seinen Großvater schimpfen hören, als er von den Aufständen in Drift im Kosch-Kurier gelesen hatte. Für Rodhelm war das wiederholte Aufbegehren der Bauern ein Verstoß gegen Praios' göttliche Ordnung und ein Zeichen für ein Erstarken der Kräfte des Chaos. Diesen radikalen Ansichten konnte Baerwin zwar nicht so viel abgewinnen, doch er verstand einige Vorurteile seines Großvaters nun viel besser.
Die Drifter waren zwar ein kampferprobter Haufen, aber es mangelte ihnen an Disziplin und Umgangsformen. Und da sie von niemandem besoldet wurden, interessierten sie sich vor allem für Beute und wie man diese erringen konnte. In ihren Reihen sahen sich alle als gleichrangig an und hörten nur auf die Befehle ihrer Anführerin, die sie auch selbst gewählt hatten. Baerwin und den Wintrangern brachten sie nur wenig Achtung entgegen, was dafür sorgte, dass Baerwin sowie die beiden großen Familienoberhäupter mehr als einmal eingreifen mussten, damit die Lage im Dorf nicht eskalierte. Langsam war der junge Ritter es müde, immer wieder erklären zu müssen, dass Wintrang gar nicht die Möglichkeiten hatte, den ganzen Drifter Haufen über einen längeren Zeitraum zu versorgen.
Aufgrund dieser Probleme war es dem Ritter von Hartsteig auch nicht schwer gefallen, die beiden Sendriche von Wintrang in einem persönlichen Gespräch von seinem Schlachtplan zu überzeugen: Kaum hatte er die Nachricht vom Vorrücken der Alttreuen erhalten, sandte er Rigund und die ihren in ein nahegelegenes Waldstück, um sich dort erst mal zu verbergen. Begründet hatte er diesen Befehl, indem er ihnen den Wert eines möglichen Überraschungsangriffs darlegte. Von Schlachtstrategie und -taktik, so dachte er, hatte seine Wenigkeit schließlich mehr Ahnung. „Ihr kommt also erst raus, wenn ich euch das Signal gebe, in Ordnung?“ hatte Baerwin Rigund erklärt. Die große Frau tat gelangweilt und meinte: „Jaja, das Signal ist, dass du beide Hände auf deinen Helm legst - dann greifen wir an. Ansonsten bleiben wir verborgen, damit sich der Feind erst mal auf euch konzentriert.“ Der junge Ritter schien erleichtert und achtete dabei nicht darauf, wie Rigunds Augen plötzlich hart wurden und ihn kurz durchdringend anstarrten. Die große Frau schien sich selbst etwas zu überlegen, doch als Baerwin seinen Kopf wieder zu ihr drehte, war dieser Blick verschwunden und sie sah den Ritter wieder mit halb geschlossenen Lidern an. Der junge Ritter hoffte derweil immer noch, dass er seinen Auftrag erledigen konnte, ohne kämpfen zu müssen. Schließlich hatte der Graf ihn nur darum gebeten, dafür zu sorgen, dass den Leuten hier nichts passierte. Verhandlungen und Abmachungen hatte er dabei nicht verboten und ehrlicherweise war es dem jungen Ritter auch egal, ob etwas zu Lasten der Alttreuen oder des Schwurbundes ging, solange er damit nur seinen Auftrag erfüllen konnte.
Derweil hatten die anderen hierher abkommandierten Mitglieder der Grafenschar die ganzen Waffenfähigen von Wintrang hinter ihm versammelt. Kinder, Alte und alle, die nicht kämpfen konnten, hatte man über die Ange gesetzt. Auch die allermeisten Flöße und Boote waren nun am anderen Flussufer in Sicherheit. Sollten sie daher angegriffen und geschlagen werden, dann würde der Feind erst mal nicht übersetzen können, auch wenn Baerwin innerlich bezweifelte, dass die Angreifer großes Interesse an den Unbewaffneten hatten.
In diesem Moment trat die Truppe der Alttreuen in sein Blickfeld. Wie Geister schritten sie aus dem dichten Morgennebel und marschierten in guter Ordnung auf das Dorf zu. Baerwin zählte stumm die Anzahl der Kämpfer und machte sich ein Bild von deren Bewaffnung. Das Gesehene ließ ihn zur Einsicht gelangen, dass Verhandeln wirklich die beste Idee war. Er straffte sich und wandte sich an die versammelten Wintranger: „Meister Knorrhag, Meister Borkinger, bitte begleitet mich. Schauen wir einmal, ob wir mit den Alttreuen verhandeln können.“ Unter einem kleinen Banner des Wengenholmer Grafen schritten die drei den bewaffneten Söldnern entgegen, aus deren Reihen sich nun ebenfalls drei Leute lösten und ihnen entgegenkamen. Dies war für Baerwin schon einmal ein gutes Zeichen, sah es doch aus, als würde ihr Gegenüber einer Unterredung nicht abgeneigt sein. Die zurückgebliebenen Söldner hatten nun eine lockere Formation eingenommen und wirkten auf Baerwin nicht so, als würden sie gleich zum Sturmangriff übergehen wollen. Dann trafen die beiden Verhandlungsführer aufeinander.
Baerwins Gegenüber ergriff sofort das Wort und begann in einem für den Ritter unbekannten Akzent mit „Efferds Segen, Freunde. Hier haben sich ja ganz schön viele Bewaffnete eingefunden. Befürchtet ihr denn Ärger?“ Der Wengenholmer Ritter musste sich kurz anstrengen, um den Ausführungen seines Gegenübers folgen zu können, daher versuchte er nun, mit so wenig Akzent wie möglich zu antworten. „Garoschem, Ihr Fremde. Mein Name ist Baerwin von Hartsteig, Ritter des Grafen Jallik. Wir in Wengenholm wollen nie Ärger, aber falls doch, so stehen wir unseren Mann. Wie kann ich Euch denn zu Diensten sein, Herr ..?“ Der Söldnerhauptmann grinste schief und meinte: „Arrkat ist der Name meiner Sippe. Auf Cormac haben sich meine Eltern im Namen Tsas geeinigt. Ich bin der Hauptmann der Bunten Hunde, die ihr dort hinten in ganzer Pracht sehen könnt. Abgänger der Akademie `Ruadas Ehr´ in Havena und zurzeit im Sold des Landvogts von Uztrutz. Doch lasst uns uns nicht lange mit Titeln und Posten aufhalten und zur Sache kommen!“
Der Ritter hob eine Augenbraue leicht, widersprach jedoch nicht. „Nun gut, Herr Arrkat, was will Eure Truppe von mir und von dem kleinen Dorf Wintrang?“ Der Mann lächelte nun breit, offensichtlich schien es ihm zu gefallen, dass Baerwin direkt zum Punkt kam. „Ich befinde mich in einer verzwickten Lage, guter Ritter. Ich muss mit den Meinen über diese Straße Efferds setzen und dafür brauche ich Boote und Flöße. Hast du zufällig eine Ahnung, wo ich solche Fortbewegungsmittel finden kann?“ „Eine dämlich Frage“, dachte Baerwin sich, war dieser Cormac doch wohl sicher, dass er hier fündig werden würde, schließlich wäre er sonst wohl kaum den ganzen Weg marschiert. Aber er antwortete nur: „Das kommt darauf an, die hiesige Sendschaft ist neutral und befindet sich unter dem Schutz des Grafen. Aber wenn Ihr bereit seid, ein Geschäft im Sinne des Herrn Phex vorzuschlagen, können Euch Meister Knorrhag und Meister Borkinger sicher helfen.“ Nun traten die beiden Männer vor und begannen mit dem Söldnerhauptmann zu feilschen.
Derweilen lag der Drifter Haufen einen Steinwurf entfernt im Unterholz auf der Lauer und beobachtete die Szenerie: „Was grinsen die dort nur andauernd so dämlich?“ knurrte Rigund mit zusammengebissenen Zähnen. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Die hecken doch was aus …“
Argwöhnisch beobachteten die Drifter, wie die sechs Männer nun zu feilschen begannen.
Rigunds Blick verengte sich: „... Jetzt tätschelt der Söldnerhäuptling seine pralle Geldkatze.“ Dann holte sie tief Luft und zischte: „Der eine Sendrich hat doch gerade in unsere Richtung gedeutet: Die wollen uns ausliefern - Wusste ich's doch!“
Rigund wandte sich ihren Kameraden zu: „Spannt die Armbrüste. Macht euch kampfbereit.“
In diesem Augenblick zog sich Baerwin einen Schritt zurück, da ihn ein besonders lästiges Insekt umschwirrte. Immer wieder flog es um ihn herum und egal wie oft er danach schlug, es kam immer wieder zurück. Doch dann setzte sich das Mistvieh auf seinen Helm und mit einem raschen Schlag erwischte der Ritter es. Als er die Überreste abputze, hörte er noch, wie Cormac gerade meinte: „Nein, nein, das ist zu viel. Mehr als ein Silberstück pro Überfahrt zahl ich niemals.“ Doch dann drang etwas an sein Ohr, was ihn vor Schreck fast erstarren und ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. „Zum Angriff, Drifter! Für den Bund!!“, und zu seinem Horror erblickte er, wie der Drifter Haufen mit gezogenen Waffen aus dem Wäldchen auftauchte.
Brüllend gingen sie zum Angriff auf die Reihen der Söldner über. Armbrustbolzen zischten durch die Luft und die ersten Leiber sanken unter Schmerzensschreien zu Boden. „Ein Hinterhalt!“ kam es aus den Reihen der Bunten Hunde und Cormacs Hand fuhr sofort zu seiner Waffe. „Verrat!“ Die überraschten Blicke des Ritters und des Söldners trafen sich kurz, dann glitten Baerwins Hände wie im Reflex zu seinem Schild und seiner Axt. Eiligst trat er wieder nach vorne und brüllte: „Knorrhag, Borkinger, hinter mich!!“ Panisch wichen die beiden Männer zurück und gerade noch rechtzeitig konnte sich der junge Ritter zwischen sie und die drei wütenden Söldner schieben. Einer der Begleiter von Cormac hieb im nächsten Moment schon mit einer Art von Breitschwert auf ihn ein, doch die Hiebe waren zu unpräzise, um Baerwin ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Cormac hatte aber bereits keine Augen mehr für ihn, sondern eilte schon zurück zu seinen Männern. Zu Baerwins wachsendem Entsetzen war die Lage aber noch nicht schlimm genug. Seine Kameraden von der Grafenschar und die bewaffneten Milizen der Wintranger, die jetzt mit ansehen mussten, wie er von einem der Söldner attackiert wurde, gingen nun ebenfalls zum Angriff über und stürmten nach vorne. Das Chaos war damit komplett und große Verwirrung herrschte auf beiden Seiten. Dann ertönte der Gesang von Stahl, der auf Stahl traf.