Auersbrücker Fehde - Wer reitet so spät durch Nacht und Wind
◅ | Ein schwieriges Dorf |
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Verhandlungen vor Wintrang | ▻ |
Angenfurten, Grafschaft Wengenholm 22. Travia 1047 BF
Der Herbstwind heulte um die Zinnen der alten Angenwehr, deren graue Mauern sich trotzig gegen die Belagerer erhoben. Die Ange schlängelte sich wie ein dunkles Band durch das Tal und reflektierte hier und da das fahle Licht des bewölkten Himmels. Die Bäume an ihren Ufern waren bereits weitgehend kahl, ihre goldenen und roten Blätter trieben auf dem Wasser oder bedeckten den feuchten Uferboden.
Auf einer Anhöhe zwischen der Burg und der Angenfurt hatten der Drifter Haufen auf Anordnung von Daria Hangklos sein Lager aufgeschlagen. Auf der anderen Seite der Furt hatten bereits die Alttreuen Stellung bezogen, aber eine der beiden Auersbrücker Rotzen hielt sie davon ab, den Fluss zu queren. Zumindest fürs erste.
Zelte aus grobem Leinen boten wenig Schutz gegen die aufkommende Kälte. Es war bereits Nachmittag und die schwache Sonne würde bald hinter den Hügeln verschwinden. Der Atem der Soldaten kondensierte in der Luft, während sie sich um kleine Feuer versammelten. Ihre Anführerin, Rigund die Faust, streckte ihre Hände den Flammen entgegen. Ihr Blick schweifte zwischen Wehrturm und Furt. Der aufkommende Abendwind ließ ihren Fellmantel im Wind flattern, und sie zog ihn enger um sich, als ein Bote aus dem Lager der Auersbrücker an das Feuer trat: "Frau Kommandantin, Rigund", stammelte er, schwer atmend. "Was ist so dringend, dass du bei diesem Wetter und zu dieser Stunde hierher jagst?", fragte sie. "Nachricht von Daria Hangklos", antwortete der Bote. "Ein vertrauenswürdiger Zuträger aus dem Lager der Alttreuen hat uns informiert, dass der Feind den Söldnertrupp der Bunten Hunde Richtung Wintrang ausgeschickt hat. - Ihr müsst sie aufhalten.“
Rigunds Augen verengten sich, während sie zuhörte: „Ausgerechnet wir? Ich weiß nicht mal, wo dieses Wintrang liegt, geschweige denn wie man dort hin gelangt.“ Der Bote machte eine beschwichtigende Geste: „Daria hat euch ausgewählt, weil Ihr beritten seid und als einzige die Möglichkeit habt, den Feind einzuholen, bevor er sein Ziel erreicht. Natürlich wird Euch ein ortskundiger Kundschafter begleiten, aber Ihr müsst sofort aufbrechen.“ Rigund nickte und wandte sich entschlossen an ihre Leute. "Ihr habt's gehört - sattelt die Gäule!", befahl sie mit fester Stimme. "Wir brechen sofort auf." Die Vorbereitungen waren schnell getroffen. Bald darauf saß Rigund auf dem Rücken eines der erst kürzlich erworbenen Grünberger Rösser und führte den Drifter Haufen in die graue Dämmerung hinein. Der Boden war matschig und rutschig, das Geräusch der Hufe gedämpft von den nassen Blättern, die den Weg säumten. Der Wind pfiff durch die kahlen Äste der Bäume, und der Duft von feuchter Erde und moderndem Laub lag schwer in der Luft.
Neben Rigund ritt Grimald, ein bärtiger Veteran der Auersbrücker, der dem Drifter Haufen nun als Kundschafter diente: „Passt auf, der Weg ist tückisch, wir müssen schnell sein, aber vorsichtig. - Wenn wir erst in Wintrang angekommen sind, werde ich euch den beiden Dorfvorstehern vorstellen – wegen eines alten Streits gibt es nämlich gleich zwei. Angeblich sind auch Leuten der Grafenschar vor Ort, die über die Neutralität Wintrangs wachen. Wie es heißt, führt sie der Ritter Baerwin von Hartsteig an.“ Rigund duckte sich unter einem tiefhängenden Ast hindurch, während sie versuchte, neben Grimald einher zu reiten. Sie, so wie fast alle Reiter des Drifter Haufen, hatte sichtlich Mühe, ihre Pferde in anbrechender Nacht über diesen morastigen Waldpfad zu führen. „Wenn die Grafenschar vor Ort ist, werden diese alttreuen Halunken nicht wagen, das Dorf anzugreifen. - Wozu braucht es da uns?“, protestierte Rigund. Grimald richtete seinen Blick in die Ferne: „Sie müssen nicht angreifen. Sie haben ihr Ziel erreicht, wenn sie dem Dorf Boote und Lotsen abpressen. Außerdem ist Baerwin der Enkel von Rodhelm dem Schinder, der sich auf die Seite der Angenfurter geschlagen hat und die Sendschaften hasst. Wer weiß, ob Baerwin nicht nur tatenlos zusieht, wenn die Alttreuen zugange sind.“ Rigund erwiderte mit grimmigem Ton und starrte in die Finsternis des Waldes: „So weit wird es nicht kommen ...“
Die Bäume schienen wie schwarze Säulen um sie herum aufzuragen. Die Nacht war kalt und still, nur das leise Flüstern der Natur begleitete ihren Weg. Nach einigen Stunden erreichten sie eine kleine Lichtung und rasteten. Das Lager war spärlich, ein kurzes Innehalten, um die Pferde ruhen zu lassen und die eigene Erschöpfung zu mildern. Der Himmel über ihnen war tiefschwarz, aber am Horizont begann sich das blasse Licht des Mondes zu zeigen, das bald durch die Baumkronen fiel und die Lichtung in ein gespenstisches Silber tauchte. Als der Mond vollständig aufgegangen war und sein kaltes Licht den Pfad erhellte, setzten sie wortlos ihren Weg fort, tiefer in den Wald hinein, der sich nun wie ein endloses Labyrinth aus Schatten vor ihnen erstreckte. Im ersten Grau der Morgendämmerung führte sie Grimald schließlich zu einer Stelle am Fluss. Das Wasser floss still und schwarz unter dem dunstigen Himmel, doch auf der anderen Seite lag ihr Ziel: das Dorf Wintrang. Die Umrisse der Hütten waren kaum zu erkennen.
Ohne Zögern fasste Rigund einen Entschluss. "Wir müssen auf die andere Seite, bevor der Tag anbricht", sagte sie fest. „Als Gildenmitglied der Flussmeister ist es eine Ehrensache, dass ich uns Boote beschaffe!“ Sie band ihren Fellumhang ab, zog die schweren Stiefel aus und trat mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Fluss. Mit kräftigen Zügen schwamm sie durch das eiskalte Wasser. Als sie das gegenüberliegende Ufer erreichte, schüttelte sie das Wasser ab und blickte zurück auf ihre Truppe. Dann wandte sie sich zum Dorf, bereit, Boote zu holen, um ihre Kameraden sicher über den Fluss zu bringen.