Auersbrücker Fehde - Ein schwieriges Dorf
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Ein schwieriges Dorf
„Haben wir dann eine Abmachung?“, erkundigte sich Baerwin von Hartsteig mit einem schon fast flehentlichen Unterton in der Stimme. Die beiden Männer, denen die Frage galt, waren Musterbeispiele für Einwohner der Wengenholmer Grafenlande. Bolzer Borkinger und Malzan Knorrhag waren jeweils unglaublich stolz, gerade heraus und stur wie Maulesel. Jeder der zwei nahm für sich in Anspruch, der rechtmäßige Sendrich von Wintrang zu sein, und ließ sich davon auch nicht abbringen. Es hatte Baerwin sein ganzes Verhandlungsgeschick und einiges an Autorität abverlangt, die beiden erst einmal an den Verhandlungstisch zu bekommen und wieder miteinander reden zu lassen.
Normalerweise hätte Baerwin schon viel früher das Handtuch geworfen, doch die Lage war zu ernst und seine Befehle zu eindeutig. Noch vor einer Woche hatte ihn der Graf, Jallik von Wengenholm, mit vier Mitgliedern seiner Grafenschar nach Wintrang geschickt. „Die Fehde zwischen Auersbrück und Angenfurten droht sich zu einem Flächenbrand auszubreiten, wenn wir nichts dagegen unternehmen“, hatte ein sichtlich mitgenommener Graf seinen Gefolgsleuten offenbart. „Sowohl die Sendschaften als auch die Ritterin von Angenfurten haben mächtige Verbündete an ihre Seite gerufen. Doch meine größte Sorge ist, dass auch meine neutralen Landeskinder in diesen Kampf hineingezogen werden. Daher werde ich so bald wie möglich zum Fürsten eilen und ihn um Hilfe bitten. Doch in meiner Abwesenheit muss jemand anderes Wacht stehen und dort kommt Ihr alle von meiner treuen Grafenschar ins Spiel.“
Dann hatte der Graf einige Befehle an seine Gefolgsleute verteilt und schließlich war sein Blick auf Baerwin gefallen. „Ritter Baerwin, Ihr seid noch nicht lange in meinem Dienst, aber als Sohn einer Adligen und eines Gemeinen solltet Ihr mit beiden Fehdeparteien sprechen können. Nehmt vier Kämpfer meiner Grafenschar und reitet nach Wintrang. Euer Befehl, beschützt die dortigen Einwohner, zur Not auch vor sich selbst. Ich denke zwar, dass der Ort zu unbedeutend ist, um überhaupt bemerkt zu werden, aber sicher ist sicher. Leider kann ich Euch keine weiteren Truppen mehr überlassen, da der Rest hier bleiben soll, um Wengenholm und meine Familie zu schützen. Möge die Herrin Rondra mit Euch sein."
Und so war Baerwin in diese unangenehme Situation hineingeraten. Der Weg nach Wintrang war kein Problem gewesen, aber das Dorf an sich stellte ihn doch vor große Herausforderungen. Vor allem die Feindschaft zwischen der Müllersippe Knorrhag und der Großbauernsippe Borkinger hatte er anfangs unterschätzt. „Wir haben eine Abmachung“, meinte Malzan nun. „Zumindest so lange, bis diese Fehde in unserer Nachbarschaft beendet ist“, meinte Bolzer, ohne dem Knorrhager dabei in die Augen zu sehen. Baerwin fiel ein Stein vom Herzen, so erleichtert war er. „Wunderbar, möge Mutter Travia Euch segnen. Wenn Ihr dann so gut wärt und …“ „Jaja“, brummte Malzan, „wir sammeln unsere Kämpfer und bringen sie gleich zu Euch.“ Die beiden Männer schritten von dannen und Baerwin atmete tief durch.
„Nicht schlecht, Euer Wohlgeboren.“ Er drehte sich um und erblickte eine hochgewachsene, etwas hagere Frau mit zwei langen Zöpfen. Dies war Mathild Gerbaum, ein Mitglied der Grafenschar, die ihn begleitet hatte. „Danke, aber es hat auch lange genug gedauert. Gibt es Neuigkeiten von den anderen?“ Mathild schüttelte den Kopf und meinte: „Von unseren Kameraden, die den Weg Richtung Angenbrück bewachen sollen? Nein, bisher haben sie keine Meldung gemacht.“ Der junge Ritter nahm das beruhigt zur Kenntnis. Mathild reichte ihm nun einen Krug Bier und er trank dankbar. „Wie viele Leute meint Ihr können die Dorfbewohner im Ernstfall wohl zusammentrommeln?“ Mathild legte den Kopf schief, als sie nachdachte, und meinte dann: „Ich denke wohl 20 bis 30 Kämpfer, im allerbesten Falle. Das Dorf ist nicht sonderlich groß oder wohlhabend. Daher erwartet nicht allzu viel.“
Sie sollte Recht behalten, denn als die örtliche Miliz schließlich vor Baerwin erschien, musste er sich anstrengen, nicht lautstark zu seufzen. Rüstungen oder brauchbare Kopfbedeckungen trug hier keiner, es war stattdessen ein buntes Gemisch aus Winter- und Arbeitskleidung, kombiniert mit wenigen eisernen Töpfen und sogar hölzernen Eimern als Behelfshelme. Bei der Bewaffnung sah es auch nicht besser aus. Die Milizionäre um die Borkinger Sippe trugen zumeist einfache Speere, primitive Sturmsensen und weiter hinten glaubte der junge Ritter sogar, ein langstieliges Paddel gesehen zu haben. Die Knorrhager hatten zumindest oft lange Äxte und schwere Beile bei sich, aber Baerwin erblickte auch einige einfach zurechtgeschnittene Holzknüppel und sogar zwei wuchtige Nudelhölzer.
„Dies wird einiges an Arbeit erfordern, die Leute zumindest halbwegs auf einen Kampf vorzubereiten“, dachte der junge Ritter bei sich. Außerdem musste er den Trupp dringend ausmisten. Es waren zwar mehr Milizionäre erschienen, als Mathild vermutet hatte, doch nicht alle davon hatten hier auch wirklich etwas zu suchen. In der Truppe befanden sich einige Wintranger, vor allem weißbärtige Alte und noch halbe Kinder, die absolut nicht auf ein Schlachtfeld gehörten. In Gedanken flehte er stumm zu Väterchen Angrosch und Mütterchen Travia, dass sie diesen Kelch an ihnen vorüber gehen lassen sollten. Ein Kampf mit einer solche Bauerntruppe konnte nur in einem Blutbad enden. Vielleicht sollte er sich doch mal nach Möglichkeiten umsehen, die Leute im Fall der Fälle möglichst schnell evakuieren zu können. „Vielleicht mit den Flößen ans andere Flussufer flüchten?“, überlegte der Ritter stumm. „Wir wären dann vollständig“, meinte Malzan und riss Baerwin so aus seinen Überlegungen. Der Hartsteiger Ritter atmete tief durch. Jetzt war nicht die Zeit zum Nachdenken, jetzt musste erst einmal eine Heerschau abgenommen werden.