Dohlenfelder Thronfolgestreit - Reaktionen des Adels

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
K118. Rückzug!
K121. Im Kosch
K122. Frieden!
K123. Epilog
13. Tra 1032 BF
Reaktionen des Adels
Ein Angebot


Kapitel 14

Endlich Ruhe
Autor: Reichskammerrichter, Geron, weitere

Salmingen, 1032

Ritter Gorwin hatte abermals nahe jenen Platz genommen, die im gewogen waren.
Er hatte den vergangenen Abend und auch die Sauenjagd für manch erquickliches und ergiebiges Gespräch zu nutzen gewusst. Es gab einiges zu planen, vieles zu besprechen und nicht wenig zu bedenken.
Die Ausführungen Gliependieks hatte der Ritter aufmerksam verfolgt. Es war nicht wenig, was der stattliche Kaufherr verlangte, aber vieles doch recht vernünftig. Niemand konnte erwarten, dass sich die Stadt leicht würde überzeugen lassen. Dass es die Zwölfe jedoch wollten, dass ein bedeutender Vertreter der Stadt in der Nähe weilte und einen im Wesentlichen doch einen annehmbaren Vertrag vortrug, lies die Unternehmung in einem weit besseren Licht erscheinen, als es am Abend zuvor schon war.
Gorwin waren die veränderten Lichtverhältnisse im Saal ohnehin nicht entgangen. Einige Anmerkungen hatte er wohl, doch wollte er nicht unverfroren wirken und überlies es einen höher stehenden das erste Wort zu ergreifen.
„Verzeiht, werte Freunde, aber die Idee mit dem Inquisitionsrat erachte ich als ungeeignet.“
Der tandoscher Baron schien die Blicke, die nun auf ihm ruhten, zu genießen. Schon seine Abwesenheit bei der Jagd hatte für Erstaunen gesorgt, mehr noch das Fehlen seines Korgeweihten, der am Vorabend noch anwesend war.
„Der sechste Punkt sprach von Geheimhaltung, wir sollten daher jemand anderes finden, um die Unterzeichnung zu bezeugen. Vertreter von Efferd oder Phex erscheinen mir angebrachter. Und bei Bedarf mag auch ich mich als siegelnde Partei anbieten.“
Gorwin nickte bei dem Vorschlag des Tandoschers. Eine Randerscheinung für die meisten. Es machte Sinn, dass anwesende Parteigänger im Range eines Barons zumindest, hier ihre Bezeugung niederlegte. Aber ein Phex-Geweihter? Die Vorlieben des Tandoscher, nicht zwingend aller Anwesenden.
Wohl mochte der Vorschlag, der dem Ritter nun kam, kaum mehr seinem Geschmack entsprechen, aber er schien angemessen.
„Euer Hochgeboren“, womit er nur ein Wimpernzucken zu Irian blickte, dem eigentlich seine Worte galten, sich sodann in Richtung Frylinde wandte, „wenn ich hier etwas ergänzen darf. So nahe Phex dem auch liegt, sollte doch die Unternehmung unter dem guten Zeichen der weisen Herrin Hesinde stehen. Liegt es da nicht am nächsten, hier einen hohen Diener der Bewahrerin von Wissen und Geheimnissen zu Rate zu ziehen?“
Erlan hatte den Auftritt des Patriziers mit wachsendem Zorn verfolgt. Der Kerl benahm sich schlimmer, als der flegelhafteste Adlige und doch waren sie alle auf sein Wohlwollen angewiesen. Das Angebot erschien ihm durchaus annehmbar, aber die Forderungen waren seiner Meinung nach doch ein wenig hoch gegriffen. Aus diesem Grund ergriff er nun das Wort.
„Mir scheint auch, dass ein Hochgeweihter der Hesinde die angemessenere Wahl wäre, doch sollten wir uns erst einmal mit dem Vertrag selbst befassen, bevor wir uns mit Formalitäten aufhalten. Das Angebot der Stadt Twergenhausen ist durchaus beachtlich, aber die Forderungen sind auch gepfeffert. Mir scheint, bei dem Passus über die Besetzung der Burg Schwarzfels, dass dort vergessen wurde, dass sich die Stadt Twergenhausen verpflichten muss, von dieser aus niemals gegen den rechtmäßigen Landesherrn, sprich den Baron von Dohlenfelde vorzugehen. Darüber hinaus scheint es mir ein wenig vermessen, die Burg auf ewige Zeiten zu beanspruchen.“
Am liebsten hätte Erlan Throndwig einen Fausthieb verpasst, oder ihn gar am nächsten Baum aufgeknüpft, denn solche Arroganz trieb ihn stets zur Weißglut. Was er jedoch auszunutzen gedachte war, dass die Stadt die Kosten für die Söldner übernehmen würde. Es wäre ja gelacht, wenn er sein Kontingent nicht noch ein wenig verstärken könnte. Die Pfeffersäcke würden sich bei den gesalzenen Soldforderungen der Wühlschrate noch in die Faust beißen, aber das war noch Zukunftsmusik.
Ynbaht hatte während der Ausführungen des Stadtherrn gelauscht. Zwölf Paragraphen – zwölf wahrhaft phexische Paragraphen. Der Nandusgeweihte verbarg ein Lächeln, indem er seinen Kelch mit Wasser hoch nahm und an seine Lippen setzte.
Phex musste Throndwig Gliependiek im Nacken gesessen haben. Wohl war es ein erstaunlich…interessantes… Angebot, was er Hagen von Sturmfels machte, aber er wusste auch, welches sein Pfund war, mit dem er wuchern konnte. Und Dohlenfelde, nein – Hagen von Sturmfels brauchte Twergenhausen.
Neben dem Nandusgeweihten sah man auch Roklan von Galebquell nachdenken. Die Augen halb geschlossen, taxierte er den Rand seines Kelches und ließ sich auch nicht vom Ausbruch des Sindelsaumer Barons aus der Ruhe bringen. Hinter seiner Stirn schien es zu rumoren, die Gedanken schienen sich zu überschlagen. Kampflustig stürzte sich der junge Baron auf die ihm derzeit fassbaren Argumente und Vertragsbestandteile. Er öffnete die Augen und sah erst seinen Schwager Hagen an, dann den Kaufherrn Gliependiek – die sich gegenseitig anstarrten wie zwei kampfbereite Hähne.
„Grundsätzlich obliegt die Entscheidung, ob der Vertrag abgeschlossen wird, seiner Hochgeboren Hagen von Salmingen-Sturmfels als Baron von Dohlenfelde“, erklärte Roklan betont objektiv.
„Aber, geehrter Herr Gliependiek, die Bedenken seiner Hochgeboren Erlan von Sindelsaum sind, bei Nandus, durchaus berechtigt.“
Sein Blick glitt langsam von Hagen zu Gliependiek. Die braunen Augen mit den unglaublich dichten Wimpern blieben an diesem hängen.
„Der Passus undecimum sollte erweitert werden um den Punkt, dass der jeweilige Kommandant der auf Burg Schwarzfels stationierten Truppen niemals gegen den Lehnsherrn, ergo: den Baron von Dohlenfelde, zu den Waffen greift.“
Roklan lächelte, seine breiten Lippen wurden noch ein Stück breiter.
„Also fast sowas wie der Lehnseid eines Ritters zu seinem Baron, nur eben auf vertraglicher Ebene. Ihr werdet doch verstehen, dass dies gerade im komplexen Lehnsrecht ein notwendiges Übel ist? Weiters ist eine Pacht auf ewig ein äußerst schwer zu fassender Zeitraum. Würdet Ihr Feld und Haus auf ewig verpachten wollen?“
Roklan dankte insgeheim seinem Lehrmeister, dass er so auf die Rechtskunde-Unterweisungen bestanden hatte – ein noch breiteres Grinsen unterdrückend, warf er einen kurzen Blick zu Ynbaht von Lichtenberg.
„Ich würde vielleicht eine Pacht auf ein hesindegefälliges halbes Dutzend Götterläufe – oder ein göttergefälliges Dutzend – begrenzen. Mit…“, er hob die Hand, bevor jemand – sofern denn dieser jemand den Drang hegte – aufbegehren konnte, „… der Möglichkeit der Verlängerung.“
Roklans Lächeln war da, ja, aber es wirkte gekünstelt. Der Baron hangelte sich an den Passi entlang. Ob es ihm behagte, Rittergüter zu verpachten wie irgendein Haus in irgendeiner Stadt? Innerlich zuckte er mit den Achseln – ein notwendiges Übel, wie so vieles. Und Dohlenfelde brauchte Twergenhausen. Um Kompromisse würde Hagen nicht herumkommen.
Roklan sah seinen Schwager an, sein Blick trug Mitgefühl in sich, er hob kurz beide Augenbrauen.
„Und ganz nebenbei: Ich würde an dieser Stelle auch einen Nandusgeweihten als Eidzeugen vorschlagen. Vertritt er doch als Diener seines Herrn hesindianische Weisheit und phexgefälliges Händlertum und wäre auch eher bereit, Geheimnisse – sofern notwendig zu beeiden – denn eine der Wahrheit verpflichtete Geweihte der Allweisen Herrin. Und – er sitzt schon hier.“
Ynbaht runzelte die Stirn. Ein vermessener Vorschlag seines Lehnsherrn und Schülers. Er las es in den Gesichtern der Adligen rund um ihn herum. Ein Phexpriester war schon eine gefährliche Wahl, wie würde man auf einen vermeintlichen Freigeist wie ihn reagieren?
Rondirai war verwirrt. Warum liess Hagen es zu, dass dieser Gliependiek Zeuge der Beratungen wurde. Wäre es nicht besser gewesen, man hätte den Text verlesen lassen, darüber beraten und Gliependiek DANN hinzurufen lassen? Aber nun war der Mann hier, saß wie die Spinne im Netz, lauschte jedes ihrer Worte und las in ihren Mienen.
Nein, er war keine Spinne! Kein Wunder, dass man sich so zurückhielt. Es durfte nicht gestritten werden! Denn verprellte man Gliependiek, so war Twergenhausen verloren.
Sie wagte einen Vorstoß, lehnte sich zu Hagen über den Tisch und sprach mit gesenkter Stimme:
„Mögt Ihr den geehrtesten Herrn Gliependiek nicht lieber draußen warten lassen, während der ‚Rat‘ sich zu dem Vertag äußert?...“
Gorwin nickte bei dem Vorschlag Rondirai. Sein Gesichtsausrdruck, obwohl er sonst jegliche Gefühlregung zu kontrollieren versuchte, bewusst zu steuern gewillt war, schien nicht allzu erbaut zu sein. Obgeleich er ihren Vorschlag teilte, den Herrn hinaus zu bieten, konnte er seine Worte nicht zügeln.
„Wir wollen über das Angebot des verehrten Herrn Gliependiek beraten und ihm sodann wieder hinzu holen, um die Entscheidung zu verkünden.“
Er bedachte den diesen mit einem wohlwollenden Blick.
„Aber wollen wir darum schachern?“ wandte er sich wieder in die Runde.
„Wollen wir wie raffgierige Phexjünger“, wobei er den Blick zu jenen vermied, die er dafür hielt, „um jeden Slibertaler schachern, den es uns kostet, das Recht in Dohlenfelde durchzusetzen? Ist es so, wie wir seiner Hochgebohren Hagen von Salmingen unsere gestern versicherte Unterstützung beweisen wollen? Herr Gliependieck hat uns ein gutes Angebot gemacht, und wer dies nicht erkennt, zeigt, wie wenig über das Handeltreiben er versteht oder ihm die Unternehmung zusagt. Denn ab diesem Vertrag wird sie möglich. Die Stadt des Herzogs kommt uns entgegen, wo sie kann, und verlangt, was sie benötigt und ihr zusteht. Manches muss ausgebessert werden, doch das meiste ist gut. Wenn wir den Vertrag unterzeichnet haben, so steht uns kein Hindernis mehr im Weg, wer ihn jedoch verhindert, der legt sich genau in den Weg Hagens von Salmingen! Und verzeiht, doch wie wohl ein Geweihte des Nandus anwesend ist, ist es auch jene der Hesinde!“
"Aber das Haus Galebquell möchte ich als siegelnde Partei vorschlagen.“
Erlan hatte sich mittlerweile wieder weitestgehend beruhigt und überdachte das Vertragswerk erneut.
Wenn Hagen auf einen Teil der Angebote Twergenhausens verzichten würde, könnte man die Forderungen der Stadt sicherlich herunterhandeln. Schnell schrieb er einige kurze Zeilen, mithilfe eines Kohlenstiftes auf ein Stück Papier. Dann überflog er kurz seinen Text.
´Braucht Hagen den Kredit der Stadt? Und wenn ja wie viel Geld wird er benötigen? Ich unter Umständen einen Kredit aus den Mitteln Sindelsaums bereitstellen.´
Dann gab er den Text an seine Frau weiter. Diese nickte zustimmend, woraufhin Erlan das Schriftstück zusammenfaltete und seinem Leibdiener Leubold überreichte.
„Gib das hier Frylinde“, murmelte er diesem zu. Leubold zog sich von der Tafel zurück, umrundete diese aus einigem Abstand und reichte dann Frylinde das Briefchen in dem Moment, in dem der Galebqueller zu dem Vorschlag mit dem Nandusgeweihten gekommen war und die Anwesenden somit abgelenkt waren.
Den Ausführungen ihrer Verbündeten lauschten Hagen und vor allem Frylinde aufmerksam. Der Praiosgeweihte als siegelnde Partei war ihr auch übel aufgestoßen, und sie war erfreut, sich in dieser Sache bestätigt zu sehen. Der Nandusgeweihte, nun ja, der würde sicherlich nicht ein Adelsdokument, das ihr Haus betraf, siegeln. Nach dem Vorschlag des definitiv nicht für seine Affinität zur Hesindekirche bekannten Ritters aus Eisenstein würde Gliependiek kaum etwas dagegen sagen können, dass Hochwürden Sephira Birninger den Vertrag siegeln würde.
Als der Zettel Erlans Frylinde erreichte, nickte diese zustimmend dem Baron zu Sindelsaum zu. Natürlich, hier war noch Platz zum Feilschen. Was ihr jedoch Sorge bereitete, war der zusehends grimmigere Gesichtsausdruck Gliependieks. Würde der machtbewusste Patrizier den Raum tatsächlich verlassen, damit die Adligen sich auf phexgefällige Weise beraten können? Oder würde er seinen Stolz über das Zustandekommen des Vertrages stellen?
Der Baronsmutter schwante, dass der versammelte Adel nicht bereit war, vor dem Sohn des Bürgermeisters zu Twergenhausen weiter zu verhandeln. Sie wusste, dass es eine Provokation war, Gliependiek in die Runde der Adligen zu rufen. Aber dies hatte der Patrizier, der sich auf einer Stufe mit zumindest jedem Baron betrachtete, zu indiskutablen Vorbedingung gemacht.
Auch sah Frylinde, dass Hagen unruhig wurde. Sie hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er sich zurückzuhalten hätte, wenn es zu einem Vertrag mit Twergenhausen kommen sollte.
Aber nun sah ihr Sohn seinen Stolz verletzt: Er war der Burgherr, und seine adligen Gäste forderten von ihm, einen Bürgerlichen vor die Tür zu bitten. Es ging nun offensichtlich um eine Machtprobe – und Hagen würde diese unbedingt gewinnen wollen.
Frylinde erahnte aus einem kurzen Blickwechsel zwischen Hagen und seinem Totschläger, diesem flegelhaften Ritter Korbrandt, dass die beiden sich in dieser Sache einig waren. Ein Wort von Hagen würde genügen, und Korbrandt würde den unverschämten Gliependiek, seine Sekretärin und den Zwerg nicht nur vor die Tür des Grafensaales, sondern gar vor das Burgtor zu setzen – und den dreien beim geringsten Widerstand den Schädel einschlagen.
Gliependieks eisiger Blick ruhte abwechselnd auf Hagen und auf Korbrandt. Der bullige Patrizier schien eine Eskalation nicht zu fürchten. Lange würde sich Hagen nicht mehr zurückhalten können. Doch dann wäre der Plan gescheitert, Dohlenfelde wäre Angrond wohl nicht zu nehmen.
Dazu durfte es nicht kommen! Das schuldete sie dem stolzen Erbe des Hauses Salmingen.
Immer wieder schaute Frylinde auch zur Rondrahochgeweihten zu Salmingen, Ihrer Hochwürden Leuengunde vom Berg. Die erfahrene Kämpferin strahlte eine große Ruhe und Gelassenheit aus. Sie schien sich deutlich wohler zu fühlen, seit sich herausgestellt hatte, dass der Tandoscher Korgeweihte heute offenbar nicht bei den Beratungen zugegen war.
Doch gerade hatte Frylinde gesehen, dass sich die Schwertschwester etwas anders hingesetzt hatte, sie hatte den Abstand zu ihrem linken Nachbarn vergrößert – um schneller aufspringen zu können, sollte etwas Unvorhergesehenes geschehen? Auch andere routinierte Kämpfer im Raume schienen zu ahnen, dass Gefahr drohte. Es lag einzig an ihr, das wusste Frylinde, nun einzugreifen.
Hagen ließ plötzlich mit Schwung seinen Bierkrug auf den schweren Eichentisch krachen, Tsadane Platzhalter, die Sekretärin Throndwig Gliependieks, erschrak so sehr, dass sie leichenblass ihren Becher fallen ließ.
Hagen wollte Gliependiek anfahren und zurechtweisen, als Frylinde sich blitzartig erhob und ihrem Sohn, an den Patrizier gerichtet, ins Wort fiel.
Mit gekünstelt höflicher Stimme sprach sie: „Geehrtester Herr! Euch wurde noch nicht die Ehre zuteil, die gerade am Abend so wunderbare Aussicht vom Bergfried der Burg meiner Familie zu genießen. Ich bestehe darauf, dass Ihr, bevor wir weiter verhandeln – und bevor die letzten Strahlen Praios’ hinter dem Horizont verschwunden sind – hinaufsteigt um den erhebenden Blick von dort oben zu genießen!“
Throndwig Gliependiek war überrumpelt. Er hatte mit vielem gerechnet, damit nicht.
Misstrauisch schaute er erst zu Hagen, der ihn voller Wut anfunkelte, dann zu Frylinde, in deren Augen er sehen konnte, dass dies eben keine Frage, sondern ein Befehl war. Dieses aufgeblasene Adelspack!
Mit kühler Stimme hob er an, das „verlockende Angebot“ der Salmingerin abzuschlagen: „Euer Hochgeboren, ich...“
Frylinde ließ dem Patrizier gar keine Gelegenheit, seinen Satz zu vollenden: „Ich wusste, dass Ihr meiner Meinung seid, Geehrtester Herr.“
Fast ohne Unterbrechung ergriff Hochwürden Leuengunde vom Berg das Wort und sprach, an Hagen gerichtet: „Hochgeboren, es wäre mir eine Ehre, Euren Ehrengast aus Twergenhausen auf den Bergfried geleiten zu dürfen, um dort das letzte Flackern von Praios’ Schild für diesen Tag bewundern zu dürfen.“
Und richtete ohne Pause ihre Rede nun an Throndwig Gliependiek: „Geehrtester Herr, lasst uns sofort hinaufgehen! Wir wollen doch nicht, dass wir das prächtige Schauspiel verpassen!“
Der Patrizier erwiderte, seine Gedanken sortierend: „Ja, ähem, Euer Hochwürden, ich würde...“
Ansoalda von Leihenhof, Hagens Gattin, ergänzte geistesgegenwärtig: „Ich werde mich Euch anschließen. Ihr, Eure beiden Begleiter, Ihre Hochwürden und ich werden sicherlich ein halbes Wassermaß oder auch länger brauchen, um wieder hier zu sein. Der Weg auf den Turm ist weit. Seid versichert, Hochwürden, Geehrtester Herr, dass, wenn ich Euch begleite, der Nachtisch erst serviert werden wird, wenn wir alle wieder an dieser Tafel versammelt sind!“
Mit ihrem unschuldigsten Lächeln schaute die bildhübsche Baronin den Patrizier an.
Throndwig Gliependiek zog widerwillig die Augenbaue zusammen. Was sollte dieses Possenspiel? Glaubten diese sich für besonders schlau haltende Schlange, diese alternde Löwin und diese ihren Charme deutlich überschätzende junge Stute tatsächlich, er würde sich durch so einen plumpen Trick um das Vergnügen bringen lassen, die herrliche Bandbreite zwischen herablassender Abneigung bis hin zu offensichtlich äußerst mühsam beherrschter Tobsucht auf den Gesichtern dieser Adelsversammlung zu genießen, die allesamt genau wussten, wie abhängig sie bei ihrem Vorhaben vom Wohlwollen seiner Stadt waren?
Über die Familie Gliependiek wachte seit mehr als einem Millenium Efferd, der Unberechenbare, der Unergründliche, der Unbändige, der Launenhafte. Und der hier sitzende Sproß der Familie verspürte gerade große Lust dabei, diese eingebildeten Blaublüter durch seine bloße Anwesenheit weiter zu provozieren.
Einen Augenblick später glätteten sich jedoch die abweisenden Falten auf seiner Stirne. Er würde das Spiel der Schlange mitspielen. Manches Mal war es einfach schlauer, Phexens Ratschluss zu folgen, als Efferds Launen nachzugeben.
Wer wusste schon, wie dämlich und heißblütig dieser junge Baron tatsächlich war? Vielleicht würde er am Ende, wenn man ihn zu viel reizte, seinen verletzten Adelsstolz sogar über die Erfolgsaussichten der Eroberung Dohlenfeldes stellen?
Der Patrizier musste schmunzeln bei dem Gedanken. Aber ihm war schließlich auch an dem Zustandekommen des lukrativen Vertrags mit dem Hause Salmingen-Sturmfels gelegen. Sollten sie alle also ihren Stolz haben und ein Weilchen ohne ihn tuscheln können. Er würde schon sehen, mit welchen Forderungen sie am Ende herausrückten, und er konnte immer noch ablehnen. Er wusste schließlich, welchen Schlüssel zur Baronie am Großen Fluss er mit Twergenhausen in der Hand hielt.
So tat Throndwig Gliependiek schließlich, als könne er gar nicht mehr anders, als vor der kokettierenden jungen Baronin klein beizugeben. Der Patrizier erhob sich und schritt, Ihre Hochgeboren Ansoalda zu seiner Linken, Ihre Hochwürden Leuengunde zu seiner Rechten, gen Ausgang – dicht gefolgt von seinem zwergischen Justiziar und seiner Sekretärin.
Hagen war perplex. Ritter Korbrandt ebenso. Einen Zweikampf mit dem Schwert in der Hand zu gewinnen war offensichtlich leichter, als eine Vertragsverhandlung zu führen. Hagen sehnte sich nach einem Schlachtfeld. Und einem Feind. Einem echten Feind, den man erschlagen dürfte. Wie Hagen es hasste, dem Feind in der eigenen Burg zu begegnen – und auf ihn angewiesen zu sein. Wie gerne würde er mit blankgezogener Klinge Seite an Seite mit Korbrandt nun einigen albernischen Freischärlern gegenüber stehen.
Die Tür des Grafensaales fiel schwer ins Schloss, als die fünf Flaneure den Raum verlassen hatten. Frylinde räusperte sich und erhob das Wort:
„Während Gliependiek nun auf dem Bergfried Praios’ hellem Schein am westlichen Horizont bewundert, lasst uns hier Phex zu Ehr’ zur Sache kommen! Der Vertrag benötigt Nachbesserungen, dies ist mir sehr wohl bewusst. Was würdet Ihr vorschlagen?“