Dohlenfelder Thronfolgestreit - Der Vertrag
Nachdem er Zeuge des Praiosuntergangs auf dem Bergfried geworden war, drängte Throndwig Gliependiek seine Begleiterinnen Ansoalda und Leuengunde zurück in den Grafensaal.
Die beratenden Adligen verstummten, als der stämmige Patrizier mit schweren Schritten den Raum betrat. Es folgten nun für viele der Anwesenden – vorneweg Baron Hagen höchstselbst – quälende Stunden der Vertragsverhandlungen, und oft endlose Debatten um kleinste Formulierungen. Der Nandusgeweihte, aber auch die Baronin zu Wolfsstein schienen diese Diskussionen fast zu genießen.
Zweimal wäre es fast zu Handgreiflichkeiten gekommen, dreimal drohte Baron Hagen mit dem Abbruch der Verhandlungen, einmal verließ er sogar den Raum und konnte nur von seiner Gattin Ansoalda wieder beruhigt werden, den Raum mit „dem fetten, dummdreisten, stinkenden Pfeffersack“ noch einmal zu betreten. Doch schließlich, fast schon zur frühen Morgenstunde – von entlegeneren Plätzen war schon seit Stunden Schnarchen zu hören, unter anderem von Ritter Korbrandt, dessen bierseliges Entschlummern der Sachlichkeit der Verhandlungen durchaus zuträglich war – war man sich vertragseinig geworden. Woher Frylinde die Kraft nahm, bis zum Ende stets aufmerksam zu sein und zudem ihre Höflichkeit zu wahren, war vielen ein Rätsel.
Schließlich zog man sich in die Schlafgemächer zurück.
Erst am nächsten Mittag versammelten sich die Adligen wieder im Grafensaal. Der 14. Travia war, im Gegensatz zu den beiden vorangegangen Tagen, keinesfalls ein goldener Herbsttag. Vielmehr hingen dichte Wolken, die der Beleman in den frühen Morgenstunden über die Koschberge getrieben hatte, über der Baronie Dunkelforst. Die Pfützen im Burghof erinnerten
an die Regenschauer der ersten Morgenstunden.
Als alle versammelt waren, verlas die Sekretärin Throndwig Gliependieks den überarbeiteten Vertrag, den sie am Vormittag zusammen mit Ihrer Hochwürden Sephira Birninger in makelloses Bosparano übertragen hatte. (Man wusste von Baron Hagens Unwillen, längere Verhandlungen in Bosparano zu führen, weshalb man dieses – eigentlich sehr unübliche – Vorgehen der nachträglichen Übersetzung gewählt hatte.)
Die Sekretärin hub an:
„Dies ist ein Vertrag zwischen dem Baron zu Dohlenfelde, Seiner Hochgeboren Hagen von Salmingen-Sturmfels, und dem Bürgermeister der Herzogenstadt Twergenhausen, dem Geehrtesten Ratsherrn Perval Aurentian Bosper Gliependiek, der laut Privilegium Sighelmi berechtigt ist, solche Verträge eigenmächtig zu schließen. Der Vertrag teilt sich in zwölf Paragraphen.
Ad primum: Die Benutzung des Hafens Twergenhausens und seiner Anlegestellen für die Schiffe des Barons zu Dohlenfelde und seiner Verbündeten wird ohne die üblicherweise anfallenden Liegegebühren gewährt, wobei jeweils zwei volle Tage für das Entladen genehmigt werden. Die Stadt zu betreten ist den Kämpfern, die nicht von Stand sind, untersagt, die Kämpfer
werden von Waffenträgern der Stadt umgehend zu einem Sammelplatz in der Growinsmark geleitet werden und von dort vom Baron zu Dohlenfelde zum gewünschten Zeitpunkt an die Grenze seiner Baronie geführt. Ein Betreten der Growinsmark ist allen Kämpfern, die nicht von Stande sind, von diesem Zeitpunkt an ohne ausdrückliche Erlaubnis des Magistrats untersagt. Allen auf den Schiffen des Barons zu Dohlenfelde und seiner Verbündeten Anreisenden ist es ohne ausdrückliche anderweitige Erlaubnis untersagt, Handel oder Gewerbe in Twergenhausen oder der Growinsmark zu treiben.
Ad secundum: Die Herzogenstadt offeriert die Bezahlung der vom Baron Dohlenfeldes
und seinen Verbündeten angeworbenen, in der Baronie Dohlenfelde stehenden Söldner (nicht der Gardisten oder Landwehrleute) vom einschließlich 20. Hesinde bis zum einschließlich 30. Tsa 1032 BF (die voraussichtlich nichtschiffbare Zeit). Die Bezahlung erfolgt nach dem Khunchomer Kodex und durch Mittelsmänner der Stadt direkt an die Söldnerführer.
Ad tertium: Auf Wunsch des Barons zu Dohlenfelde wird die Herzogenstadt Twergenhausen günstigen Schiffsraum für den Truppentransport auf dem Großen Fluss nach Twergenhausen für bis zu zwei Wochen, aber längstens bis zum ersten Eisgang, zur Verfügung stellen. Die Kaufleute können zwei Transportschiffe anbieten, wobei der Baron zu Dohlenfelde einzig den Sold der Mannschaften und des Kapitäns nach den Statuten der Efferdbrüder zu entrichten hat.
Ad quartum: Auf Wunsch des Barons zu Dohlenfelde stellt Twergenhausen Truppen, die
Burg Schwarzfels zu erobern und vor allen Übergriffen Angronds und seiner Verbündeten zu sichern. Für diese Truppen fallen dem Baron zu Dohlenfelde keinerlei Kosten an, und diese Truppen werden vom Plündern in Dohlenfelde absehen. Sollte es diesen Truppen nicht gelingen, Burg Schwarzfels einzunehmen, wird Passus undecimus null und nichtig. In diesem Falle muss der Magistrat Twergenhausens dem Baron zu Dohlenfelde eine Entschädigung zahlen, deren Höhe auszuhandeln ist, jedoch mindestens die Kosten zu decken haben, die dem Baron zu Dohlenfelde durch die eigenmächtige Eroberung der Burg entstanden, oder durch den Schaden und Verlust infolge der Nichteroberung.
Ad quintum: Die Herzogenstadt Twergenhausen offeriert dem Baron zu Dohlenfelde einen Kredit in noch auszuhandelnder Höhe, jedoch hoch genug, um die Eroberung der Baronie sicherzustellen. Die Rückzahlung erfolgt mit einem Jahreszins von zwölf Teilen von Hundert über maximal zwölf Jahre gestreckt. Eine vorzeitige vollständige oder auch nur anteilige Rückzahlung des Kredites mit entsprechendem, anteiligem Zinsvorteil des Schuldners ist ausdrücklich
vorgesehen. Die noch auszuhandelnde Summe wird dem Baron zu Dohlenfelde zu gleichen Teilen in Gold und Silber am 1. Boron in Twergenhausen übergeben. Als Zinstag gilt der 30. Travia eines jeden Jahres, die Zinsen werden jedoch an diesem Tage rückwirkend monatlich und mit Zinseszins, wie den Festumer Tafeln zu entnehmen, berechnet. Eine Rückzahlung vor dem 30. Travia bedeutet automatisch die anteilmäßige Stundung der im vorausgegangenen Zinsjahr angefallenen Zinsen und Zinseszinsen.
Ad sextum: Die strikte Geheimhaltung aller Vorhaben des rechtmäßigen Barons zu Dohlenfelde gegenüber dem illegalen und illegitimen Usurpator, seinen Vasallen, seinen Untertanen und seinen Gefolgsleuten garantieren die für die Herzogenstadt Unterzeichnenden nach bestem Wissen und Gewissen. Dazu gehört, dass am noch näher zu bestimmenden Tage der
Ankunft der Schiffe des Barons zu Dohlenfelde und seiner Verbündeten der Bürgermeister Twergenhausens mittels seiner Amtsgewalt erwirken wird, alle in Twergenhausen als loyale Anhänger des Thronräubers Angrond von Sturmfels bekannten Subjekte vorübergehend festzusetzen, auf dass diese nicht in der Lage sind, den Usurpator vor dem Vorhaben des rechtmäßigen Barons zu warnen. Um die Ratsdame Haldana Engstrand, die Unterstützerin des Thronräubers ist, aber als Ratsmitglied weitgehende Immunität genießt, vom Warnen Angronds abhalten zu können, wird dafür gesorgt werden, dass sie und ihre Tochter Phexiane und möglichst auch noch weitere Familienmitglieder am Tage der Ankunft der Schiffe nicht in Twergenhausen, sondern in der Herzogenstadt Elenvina weilen werden.
Ad septum: Die Baronie Dohlenfelde schränkt den Handel des Albenhuser Bundes innerhalb Dohlenfeldes in keiner Weise ein, noch empfiehlt der Baron Dohlenfeldes seinen Vasallen und Untertanen, nicht mit Kaufleuten des Albenhuser Bundes zu handeln. Dies wird vom Baron Dohlenfeldes per Anschlag und Ausrufer bekanntgegeben. Der Wortlaut ist mit dem
Magistrat Twergenhausens abzustimmen.
Ad octavum: Für die Zölle, die der Baron zu Dohlenfelde von Kaufleuten des Albenhuser Bundes in Dohlenfelde erhebt, gelten die Tarife des 1. Praios 1026 BF. Gleiches gilt für die Plätze der Zollstellen. Jede Änderung der Tarife verlangt die Zustimmung des Magistrats Twergenhausens, ebenso jede Verlegung einer Zollstelle oder die Schließung oder Neueröffnung einer solchen. Dies wird vom Baron Dohlenfeldes per Anschlag und Ausrufer bekanntgegeben. Der Wortlaut ist mit dem Magistrat Twergenhausens abzustimmen.
Ad nonum: Das Haus Gliependiek erhält wieder Titel und Funktion des Hoflieferanten des Barons zu Dohlenfelde. Das Haus Engstrand verliert Titel und Funktion des Hoflieferanten. Dies wird vom Baron Dohlenfeldes per Anschlag und Ausrufer bekanntgegeben. Der Wortlaut ist mit dem Hause Gliependiek abzustimmen.
Ad decimum: Die Herzogenstadt erhält die Hälfte der Anteile, die der Baron zu Dohlenfelde am 1. Praios 1032 BF an der Freiherrlich Dohlenfeldschen und Bergköniglichen Eisenwaldschen Minencompagnie hält, mit allen Rechten und Pflichten. Die Herzogenstadt bezahlt dafür dem Baron zu Dohlenfelde die kummulierte Rendite aus den Einnahmen der genannten Compagnie der Jahre 1026 BF, 1027 BF, 1028 BF, 1029 BF, 1030 BF und 1031 BF
zu gleichen Teilen in Gold und Silber.
Ad undecimum: Die Burg Schwarzfels an der Via Ferra wird durch vom Magistrat Twergenhausens bestimmte Truppen besetzt. Die Burg bleibt formell Eigentum der Ritter zu Schwarzfels, diese verpachten dieselbe jedoch für zwölf mal zwölf Götterläufe für zwölf mal zwölf Dukaten pro Jahr an den Magistrat der Stadt. Für die Herzogenstadt Twergenhausen ergeben sich aus dem Besitz der Burg Schwarzfels keinerlei weitergehenden Verpflichtungen gegenüber dem Baron zu Dohlenfelde oder gar dem Ritter zu Schwarzfels. Die sich dort befindlichen Streiter und die dort lagernden Waffen dürfen niemals gegen den Baron zu Dohlenfelde oder dessen Vasallen oder Untertanen eingesetzt werden, auch darf von der Burg nimmer ein solcher Angriff auf den Baron zu Dohlenfelde oder dessen Vasallen oder Untertanen ausgehen. Der Magistrat verpflichtet sich freiwillig, die Burg allzeit gut bemannt und in einem wehrbereiten Zustand zu halten. Der Baron zu Dohlenfelde verpflichtet sich freiwillig, Twergenhäuser Bürgern und Truppen jederzeit freien Zugang zur Burg Schwarzfels zu gewähren. Der Zugang hat auf
direktem Wege von Twergenhausen über die Via Ferra zu erfolgen. Handel oder Gewerbe darf auf dem Weg zur Burg nicht getrieben werden. Auch auf Burg Schwarzfels darf weder Handel noch Gewerbe getrieben werden.
Ad duodecimum: Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertragswerkes aus welchen vor
den Zwölfen zu rechtfertigenden Gründen auch immer unwirksam oder undurchführbar sein oder nach Vertragsschluss unwirksam oder undurchführbar werden, bleibt davon die Wirksamkeit des übrigen Vertrages völlig unberührt. Die Lücke, die durch die unwirksamen oder undurchführbaren Bestimmung entsteht, kann einzig durch Nachverhandlungen und Zustimmung beider Parteien nachträglich geschlossen werden. Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, bleibt die Lücke bestehen. Der Passus duodecimus gilt auch in dem Falle, dass sich der Vertrag als lückenhaft erweist.
All dies beeiden feierlich der Baron zu Dohlenfelde vor Rondra und der Bürgermeister Twergenhausens vor Efferd und siegeln dann das Schriftstück als Hauptunterzeichnende. Ersatzweise können die Hauptunterzeichnenden Sekundanten ernennen, dies hat mit gesiegeltem Brief zu geschehen. Außerdem ist der von einem Sekundanten vertretene Hauptunterzeichner verpflichtet, sein persönliches Unterzeichnen und Siegeln möglichst schnell nachzuholen. Jeweils ein von den hauptunterzeichnenden Beeidenden zu bestimmender Geweihter der genannten Gottheiten ist Zeuge dieser Eide, und auch diese siegeln das Dokument. Weiterhin benennt jeder der beiden Beeidenden drei weitere weltliche Zeugen von seinem Stande, die das Dokument siegeln. Als unabhängige Geweihte wird die Hohe Lehrmeisterin des Hesindetempels zu Salmingen als Zeugin und Siegelnde fungieren. Als weiterer Zeuge und Siegelnder tritt der Oberst des Regiments Ingerimms Hammer auf oder ein anderer, von beiden Parteien akzeptierter Offizier im Sold des Herzogs der Nordmarken. Insgesamt ist die Zahl der Siegel damit zwölf.
Aufgrund der Eile, die bei der Siegelung der Urkunde nötig sein könnte, erreicht die Urkunde ihre volle Rechtskraft bereits nach den vier in dieser Aufzählung erstgenannten Zeichen und
Siegeln.“
Viele der im Saale versammelten Unterstützer Hagens waren mit diesem Vertrag alles andere als zufrieden – und einzig, dass mehr als deutlich war, dass Throndwig Gliependiek ebenso unglücklich mit dem fertigen Text war, zeigte, dass man die bittere Schlacht des vergangenen Abends zumindest nicht verloren hatte. Vermutlich würde der Sieger erst in vielen Jahren feststehen.
Da jedoch Twergenhausens Schlüsselrolle im Kampf um die Macht in Dohlenfelde allgemein anerkannt wurde, und sich die Stadt ihrer Position bewusst war, war einfach nicht mehr zu machen. Weitere Zugeständnisse war Gliependiek nicht bereit zu machen – und alleine, dass er nun notgedrungen in die Pläne Hagens eingeweiht war, führte nun zu der
Zwangslage, dass es ohne ihn nicht mehr ging. Alleine die Vorstellung, dass er sein Wissen mit Angrond teilen könnte, war untragbar. Auf die Geheimhaltung wurde von nun an besonders geachtet.
Nachdem der Vertragstext verlesen war, sprach Baron Hagen: „Habt Dank, Sekretaria. Ihr
könnt Euch setzen.“
Danach wandte er sich an seine Verbündeten: „Es war eine bittere Schlacht, die wir in den letzten Tagen hier auf Burg Salmingen geschlagen – wir, der Adel des Kosch und der Nordmarken, aber auch die Bürger Twergenhausens, sind nun Verbündete.“
Man sah ihm an,
dass dieser letzte Halbsatz nicht von Herzen kam, sondern einstudiert war. Er atmete tief durch und nahm schließlich den Faden wieder auf.
„Verbündete, um im Namen des Hauses Salmingen-Sturmfels meine und meiner Gattin Ansprüche auf den Baronsthron Dohlenfeldes durchzusetzen.
Verbündete in der Sache des Rechts und der Gerechtigkeit. Verbündete vor Praios und Rondra.“
Er wirkte zufrieden mit seinen Worten, Frylinde nickte ihrem Sohn zu.
Dieser fuhr fort: „Ich möchte nun meine drei Zeugen benennen, die ich bitten möchte, mit ihrem Zeichen und ihrem
Siegel zur Gültigkeit des eben verlesenen Vertrages beizutragen. Euer Hochgeboren Roklan von Leihenhof, Baron zum Galebquell, Euer Hochgeboren Irian von Tandosch, Baron zu Tandosch
und Euer Hochgeboren Erlan von Sindelsaum, Baron von Sindelsaum – wäret Ihr bereit, den Vertrag mit Eurem Zeichen und Eurem Siegel Gültigkeit zu verschaffen? Es wäre mir eine große Ehre!“
Er schaute die drei Hochadligen erwartungsvoll an.
Nachdem die beiden anderen Barone bereits zur Tat geschritten waren erhob sich Erlan.
„Es ist mir eine Ehre", sagte er kurz angebunden und setzten sein Zeichen und sein Siegel unter das der anderen.
So sollten also die langen Verhandlungen enden. Die Zugeständnisse an Twergenhausen waren hart, aber wenn Hagen seine Baronie erringen wollte, dann musste er solche Zugeständnisse wohl machen. Erlan war nur froh, dass er mit diesen Konsequenzen nicht leben musste.