Dohlenfelder Thronfolgestreit - Die Lifsteiner im Lazarett
Darian zügelte sein Pferd und blieb wie angewurzelt stehen. Was war das?
Vor seinem inneren Auge hatte er gerade seinen Baron am Boden liegen gesehen und neben diesem kniete derjenige, der Feuer und Tod über die Baronie Dohlenfelde gebracht hatte. Und wieder…. Er sah ein Teil des Lazaretts und den Soldmagier der „Schwarzen Adler“.
Immer noch etwas verwirrt gab er seinem Pferd die Sporen, während sich seine Männer hinter ihm fragend anschauten und ihm dann folgten. Der Lîfsteiner wusste, wo er den Halbbruder Angronds finden würde. Aber wie und warum, dass musste ihm der Magier später erklären…
Es dauerte im fürchterlichen Unwetter, das die Schlacht zum Erliegen gebracht hatte, noch etwas, bis der Lehensmann Garmwarts mit seinen Reitern das Lazarett erreichte. Wo war Hagen?
Darian schaute sich um und entdeckte den Magier, der, als er den Herrn von Schrazelroth sah, winkte und in eine Richtung deutete, wo sich wohl Hagen befinden sollte.Der Lîfsteiner lenkte sein Ross in die gedeutete Richtung. Kurz darauf entdeckte er die Rösser der beiden Ritter und dort war Hagen.
Der streitbare Herr über zwei Baronien kniete bei einem Kirschbaum, neben ihm stand eine Ritterin, deren Gesichtsausdruck alles andere als glücklich wirkte. Im Umkreis der beiden standen, ebenso neugierig wie irritiert, mehrere Dutzend Männer und Frauen.
Langsam näherte er sich mit den Seinigen. Er stieg vom Pferd und bedeutete es seinen Männern gleich zu tun, aber zurück zu bleiben. Seinen Helm hatte Darian abgenommen und einem seiner Männer gegeben.
Alleine, mit dem Schwert in der Scheide, ging er auf den Sohn Bernhelms zu. Er ging an der Ritterin vorbei, ohne sie dabei aus den Augen zulassen. Dann wandte er sich Hagen zu und baute sich vor ihm auf. Langsam rollte dem Ritter und Edlen von Schrazelroth eine Träne die Wange hinunter, während er zu dem Baron von Dunkelforst und Baruns Pappel sprach:
„Hochgeboren, ich fordere euch auf, euch zu ergeben! Begebt euch in meine Gefangenschaft und ich werde euch so behandeln, wie es einem Ritter und Baron zusteht.“
Darian von Lîfstein sprach mit ruhiger, aber fester Stimme. Seine Rechte ruhte nicht auf seinem Schwertknauf, sondern hing locker an seiner Seite hinab. Aber die ganze Haltung des Edlen von Schrazelroth zeugte davon, dass Angrond, auch wenn er schwerverletzt nicht bei der Schlacht anwesend und sein Heerführer gefallen war, aus der Schlacht, die das Unwetter gerade zum Erliegen brachte, siegreich hervorgegangen war, und dass er, sollte sich Hagen widersetzen, ihn auch mit dem Schwert in der Hand gegenübertreten würde.
So wartete er auf die Antwort des nur vier Sommer jüngeren Baron.
Hagen, immer noch Tränen in den Augen, schaute zu dem Edlen aus dem Gefolge des Barons auf, den er gerade getötet hatte, auf. Er versuchte, sich zu erheben. Dabei merkte er wieder, wie sehr er alle Knochen seines Leibs spürte.
Zudem hatten die Schwerthiebe seiner Gegner die Gelenkscharniere seiner Rüstung schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass fast jede Bewegung ein Ankämpfen gegen verbeultes und verkantetes Metall war. Mit beiden Händen stemmte sich der Baron auf die Beine. Der Regen prasselte auf seinen ungeschützten Kopf, voller Schlamm waren seine Beinlinge, Stiefel und Hände.
Als Hagen endlich aufrecht stand, schaute er Darian direkt an. Sein Blick ruhte selbstsicher auf dem Vasallen Garmwarts. Er kannte ihn nicht näher, aber Garmwart und auch Rondmar hatten häufiger von ihm erzählt.
An Flucht hatte Hagen ohnehin keinen Augenblick gedacht – ein Anführer dürfte das Schlachtfeld nicht verlassen, solange seine Leute noch für ihn stritten, das wäre gegen die Gebote der Herrin Rondra. Aber ein Zweikampf gegen diesen Eisenhuetter Edlen kam auch nicht in Frage. Hagen musste an Ansoalda und seinen ungeborenen Erben denken.
Tief atmete Hagen durch. Das Gefühl, eine Schlacht verloren zu haben, hatte er bislang nicht gekannt. Aber es wog unendlich viel schwerer, als einen Zweikampf zu verlieren. Denn hier, auf dem Schönbunder Grün, waren viele Adlige gestorben, nicht wenige ehrlos von Bolzen und Pfeil durchbohrt – einzig aufgrund ihrer Treue oder Freundschaft oder Pflichtgefühl gegenüber ihm oder seiner Familie. Und noch nie hatte Hagen so viele tote Pferde gesehen, aufgespießt von Lanzen und Piken, die Flanken aufgeschlitzt von Hellebarden. Besonders das Leid der treuen Tiere, die nicht verstanden, warum ihnen dies angetan wurde, bedrückte den Baron.
Die Last der Niederlage war kaum zu schultern: War eine Schlacht gewonnen, tröstete der Sieg über alle Verluste hinweg, man konnte mit seinen Kameraden den Triumph feiern und Heldenlieder anstimmen.
In der Niederlage jedoch war man alleine. Selbst die Zwölfe schienen Hagen unendlich fern. Wie hatte die Herrin Rondra es nur zulassen können, dass Angronds Heer diese Schlacht gewann? Gab es denn keine Gerechtigkeit mehr? Wie konnten die Zwölfe es seinem geliebten Vater antun, dass gut drei Jahre nach dessen sinnlosem Tod nun auch sein letzter Wille durch die tumbe Übermacht der Verbündeten Angronds in ihr Gegenteil verkehrt wurde?
Wäre nicht seine schwangere Gattin Ansoalda, hätte Hagen sich womöglich hier und jetzt in sein Schwert gestürzt. Da ihm diese Option verschlossen war, war die einzige Frage, die sich Hagen noch stellte, diejenige, ob es mit seiner Ehre vereinbar war, sich einem rangniedrigeren Adligen zu ergeben. Denn die Ehre, die war wichtiger als das Leben, wichtiger als alles andere.
Die Umherstehenden, mehrere Dutzend Lazaretthelfer und Leichtverwundete, wirkten angespannt, Unruhe verbreitete sich. Die Dunkelforster Jungfer Thalia von Eichhain stand regungslos an der Seite ihres jungen Lehensherren. Augenblicke dehnten sich zu Ewigkeiten. Thalia hoffte, dass Hagen keine Dummheiten machen würde. Der Baron würde in seiner jetzigen Verfassung selbst einen Kampf gegen einen Goblin oder tumben Bauerntölpel verlieren.
Der Regen prasselte derweil ohne Unterlass, Blitz folgte auf Blitz und erhellte die gespenstische Szenerie.