Dohlenfelder Thronfolgestreit - Einen Baron zu fangen
Immer noch schaute Hagen seinem Gegenüber, Darian, in die Augen. Der Edle wurde ein wenig unruhig, er war auf alles vorbereitet.
Der Baron holte tief Luft, er würde es nun hinter sich bringen, und sprach: „Wohlgeboren, ich ergebe mich. Frau Rondra hat ihre Entscheidung gefällt, ich werde mich dem Willen der Göttin nicht länger entgegenstemmen.“
Aber sein Schwert Hlûtharhilf, das würde er nicht abgeben. Niemals würde er einem Niederadligen die Klinge seiner Familie als Zeichen seiner Niederlage übergeben. Darian würde sich mit seinem Wort als Baron begnügen müssen.
Dann sank Hagen wieder auf seine Knie und schaute auf den Kirschbaum. Das Unwetter ließ nur ganz langsam nach, fast alle Kirschen lagen am Boden, die meisten aufgeplatzt. Es war ein trauriges Bild.
Hagen erhob sich, ging unter den kritischen Blicken Darians zum Kirschbaum, sammelte einige der Früchte auf, wusch sie kurz im Regen und fing an, zu essen. Erst jetzt merkte er, welch einen Bärenhunger er hatte. Er konnte eigentlich immer essen, das musste das Koscher Blut sein, dass in seinen Adern floss.
Er bot Jungfer Thalia von Eichhain eine Handvoll Kirschen an, seine Vasallin nahm mit kritischem Blick – offensichtlich nur aus Höflichkeit – einige der Früchte. Normalerweise genoss sie Früchte nur in gebrannter Form. Doch die Vasallin Hagens atmete tief durch. Endlich, es war vorbei.
Hagen nahm eine weitere Handvoll der leckeren Kirschen, ging zu Darian, reichte sie ihm, dessen Gefangener er nun war. Der junge Baron wirkte irgendwie verändert. Er wirkte nicht, als hätte er eben noch auf einem Schlachtfeld um sein Leben gekämpft, sondern als hätte er einen feierlichen Götterdienst besucht.
Den Mund voll der heiligen Früchte der Göttin Tsa, sprach zum Eisenhuetter Edlen, zwischendurch immer mal wieder einen Kirschkern ausspuckend: „Gibt’s in dem Lazarett hier eigentlich irgendwo was Vernünftiges zu trinken? Ferdoker oder zumindest Dohlenfelder Dunkelbräu? Wir haben auf viele gefallene Helden anzustoßen! Besonders auf meinen lieben Freund und Bundesbruder Garmwart, Herr Boron habe ihn selig! Garmwart, Ihr habt Golgari sicherlich ordentlich die Sporen gegeben und seid schon längst da oben irgendwo.“
Hagens Blick wanderte über die dichte Wolkendecke, aus der es immer noch nieselte. „Garmwart, Ihr habt da oben an Rondras Tafel mit meinem Vater bestimmt einiges zu besprechen.“
Kauend ergänzte er: „Warum Ihr zum Beispiel das Heer gegen mich geführt habt. Nur so als Idee. Vor allem aber dürfte meinen Vater interessieren, warum Ihr in unserem Zweikampf die Deckung so unerwartet habt fallen lassen. Und Ihr könnt Bernhelm noch was anderes erzählen, dann wird er Euch das mit der Schlacht mitten in seiner Baronie auch nicht mehr übelnehmen...“
Hagen, der alle Kirschen aufgegessen hatte, machte eine Pause und lächelte. Jungfer Thalia von Eichhain konnte nicht so ganz glauben, was sie da sah. Der junge Baron hatte soeben eine Schlacht verloren, in der Hunderte ihr Leben gelassen hatten und noch mehr tapfere Frauen und Männer schwerste Verwundungen erlitten hatten, er hatte dann im Zweikampf den besten Freund seines Vaters erschlagen und sich in Gefangenschaft begeben.
Dann fuhr Hagen fort, den Blick immer noch nach oben gerichtet: „Garmwart, sagt meinem Vater, dass er noch in diesem Jahr Großvater werden wird. Meine Ansoalda von Leihenhof ist schwanger!“
Die Wolkendecke riss auf, zum ersten Mal an diesem Tag war Praios‘ Schild zu sehen. Ein prächtiger Regenbogen spannte sich im Nieselregen über das Tal des Darlin. Die Schlacht war in der Tat beendet.