Dohlenfelder Thronfolgestreit - Der Sommer in Wichtenfels III

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
K118. Rückzug!
K121. Im Kosch
K122. Frieden!
K123. Epilog
Autor: M.W.

Nordmarken, 1033

An der kaputten Brücke etwa zur gleichen Zeit
Eine Gruppe gut gerüsteter Reiter, angeführt von einem Mann im schwarzen Umhang kam in schnellem Tempo auf die zerstörte Brücke und die, auf der anderen Seite versammelte Landwehr zu. Sobald die Brücke in Sicht kam, fächerten die Reiter zu einer Schlachtlinie auf und verlangsamten ihre Geschwindigkeit. Je näher sie kamen, desto besser konnte man ihre Ausrüstung sehen. Schwer gerüstet waren die Reiter, mit Leichter Platte, Plattenzeug und einem Glockenhelm. Jeder der Reiter, bis auf den bemäntelten Mann, dessen Gesicht unter einer Kapuze verborgen war, trug eine Armbrust.
Der Mann der nicht zu erkennen war, saß auf einem ansehnlichen Pferd, das für Pferdekenner recht schnell als gut ausgebildetes Streitross zu erkennen war. Der Reiter gab einen kurzen Befehl und die Truppe blieb kurz außer Armbrustreichweite stehen. Der Mann näherte sich alleine der Brücke, dabei hob er die Hände und kreuze sie, um so zu signalisieren, dass er nur reden wollte.
Als er die Hände hob, konnte unter dem Umhang eine ungewöhnliche Rüstung erkennen, wie sie wohl noch keiner der Bauern, die die Landwehr stellten gesehen hatte, handelte es sich doch um eine Rüstung, wie sie nur von Elfen hergestellt wurde.
Die Zimmerleute waren noch nicht da und in Ermangelung passender Werkzeuge waren auch die Feldbefestigungen noch nicht im Bau. So blieb den Bauern nur, auf der wichtenfelser Seite der Brücke Feuerholz zu sammeln, im Schatten der Bäume ihre Gleven zu schärfen und sich die Hitze vom Leib zu halten. Als die Reiter in Sicht kamen, geriet Hektik in die Leute an der Brückenruine. "In Deckung und Armbrüste spannen!" hieß der dreimal laut gerufene Befehl des Hauptmanns. Tatsächlich waren auch fast alle Landwehrleute vom Weg verschwunden, als sich der Fremde der anderen Seite des Baches näherte. Vereinzelt lugten neugierige Augen und zitternde Stangenwaffen hinter alten Bäumen und dichten Hecken hervor. Bloß der Bannerträger, eine Hüne von Bauer, und ein Gardist harrten wenige Schritt vom Ufer dem Unbekannten.
Der Mann schaute sich kurz um und rief dann herüber: „Den Göttern zum Gruße, wer ist der Befehliger dieses Landwehrhaufens?“
Der Mann mit dem Umhang nickte anerkennend, als er das sah. Die beiden Männer hatten Mut. Er hatte mittlerweile auch seine Hände wieder gesenkt, die nun auf dem Sattelhorn ruhten. Hinter ihm hatten sich die Söldner soweit genähert, dass sie die Landwehr mit ihren Armbrüstenbolzen bedecken könnten, sollte einer der Bauern auf die Idee kommen seine Armbrust abfeuern. Die Söldner wirkten recht ruhig, so als ob sie solche Situationen schon öfters erlebt hätten.
"Ich bin das. Gerion Caleener, Hauptmann der Wichtenfelser Garde sowie seiner Landwehr." Der Gardist nahm die Armbrust in seine Linke und grüßte mit der Rechten mit einem rondrianischen Schlag gegen sein Kettenhemd. "Und wer seid Ihr?"
Der Reiter, der die Landwehr angerufen hatte, hatte die Reste der Brücke erreicht und ließ sein Pferd halten. Jetzt schlug er seine Kapuze zurück und zum Vorschein kam ein Kopf mit kurzen schwarzen Haaren. Würde Gerion schätzten, wie alt Reiter ist, würde er ihn wohl für um die dreißig Sommer halten.
Das Gesicht des Reiters zeigte deutlich, dass dieser schon in mehreren Gefechten dabei war und die eine oder andere Verwundung davon getragen hatte. Anders als die Söldner trug er aber keinen Helm.
Bevor er zu sprechen begann, musterte er Hauptmann noch einmal gründlich und erwiderte den rondrianischen Gruß. „Ihr habt Mut Hauptmann, genauso wie euer Bannerträger, dass ihr hier stehen bleibt und nicht in Deckung geht, wie der Rest eurer Männer.“
In der Stimme des Reiters war keinerlei Verachtung über das Verhalten der Landwehrleute, die sich versteckt hatten zu hören, hatte er doch schon oft gesehen, wie die Landwehr von Söldnern oder gar Rittern nieder geritten wurde. In seiner Stimme lag dagegen echte Anerkennung für den Mut des Bannerträgers und Hauptmanns. „Ich hatte euren Herrn bei euch erwartet und wollte eigentlich erst diesem meinen Namen nennen, aber euer mutiges Verhalten“, dabei schaute er kurz vom Hauptmann zum Bannerträger, „möchte ich nicht unbelohnt lassen. Mein Name lautet Darian von Lîfstein, Edler von Schrazelroth.“
Seine Worte wirkten aufrichtig und ernst. Kein Funken Lüge oder ähnliches war in den Worten oder der Haltung des Edlen zu erkennen.
„Wo ist euer Herr, seine Wohlgeboren zu Wichtenfels zu finden? Ich würde mal behaupten, dass er nicht nur seine Landwehr hier hergeschickt hat, ohne diese selbst anführen.“
Darian wirkte ruhig, während er sprach und beobachtete seine beiden Gegenüber genau. Was würde der Hauptmann dazu sagen, dass ihm plötzlich ein Edler gegenüberstand, den er nicht kannte und der kein Wappen trug. Auch wenn sowohl das Schwert an seiner Seite, als auch das edle Ross, auf dem er saß, darauf hindeutete, das Darian die Wahrheit sprach.
Adelige, die seltsame Rüstungen trugen und die an keinem Wappen zu erkennen waren, kannte Gerion zu Genüge von den Schlachtfeldern Albernias. Auch das theatralische Gehabe mit der Kapuze passte in dieses Bild. Aber Schrazelroth? ... Schratzelroth? Gerion hatte diesen Namen schon einmal gehört. Eher in einem guten denn in einem feindseligen Zusammenhang. Hm, nein; auf die Schnelle konnte er es nicht zuordnen. "Es gehört nicht viel Mut dazu, mit zwanzig versteckten Armbrustern hinter sich hier zu stehen. Da ist es eher mutig, so nah heran zu kommen, Euer Wohlgeboren" antwortete der Hauptmann in einem süffisanten aber freundlichen Ton. Gerion hoffte, dass sein Gegenüber ihm glaubte. Zwanzig Armbruster - auf Burg Wichtenfels, wo die meisten Armbrüste derzeit neben einem riesigen Berg Bolzen in der Waffenkammer lagen, ja. Aber nicht hier.
Darian lächelte geheimnisvoll, sagte aber nichts zu der kleinen Lüge des Hauptmanns, wusste er doch um die Zahl und die Ausrüstung der Männer, die hinter dem Hauptmann in ihren Versteck waren.
Die meisten Landwehrleute wurden mit Gleven ausgestattet, mit welchen die sensen- und hopfensteckengeübten Bauern auch eher zurecht kamen und die gegen Reiter, die man ja suchte und nun offensichtlich gefunden hatte, recht effektiv waren. Nur die beiden besten Schützen hatten Armbrüste bekommen; und die Gardisten natürlich, aber die waren bis auf ihn ja alle mit seiner Wohlgeboren zur Schwarzfels geritten. "Aber Ihr kommt nicht umsonst. Gerne möchte ich Euch sagen, wo seine Wohlgeboren zu Wichtenfels derzeit ist. Allein, verzeiht mein Misstrauen Euer Wohlgeboren, ich weiß Euch nicht einzuschätzen. Reiter wie die Euren zerstörten diese Brücke. Steht Ihr uns feindlich gegenüber?"
Darian nickte wieder anerkennend. Guter Mann, dass er nicht sofort preisgab, wo sein Herr befand, sondern sich zu erst vergewisserte, in welcher Beziehung sein Gegenüber zu seinem Herrn stand.
„Ich will es mal so beantworten. Wenn ich euch feindlich gegenüber wäre, wäre ich dann alleine so nahe an euch und die euren heran geritten? Was die Brücke angeht, so geschah dies alleine aus strategischen Gesichtspunkten“, Darian hätte sich am liebsten geohrfeigt. Er hätte daran denken können, dass die Brücke schon zum Landedlengut Wichentfels gehörte. „Ich werde schnellst möglich Handwerker aus Dohlenfelde herschicken, um den Schaden zu beheben. Was euren Herrn angeht, so werde ich ihm kein Leid antun, solange er sich neutral verhält, wie er es bisher getan hat. Darauf habt ihr mein Ehrenwort als Ritter.“
Darian schwieg kurz und musterte den Hauptmann und den Bannerträger noch einmal.
„Würdet ihr mir jetzt verraten, wo euer Herr ist. Außerdem würde ich gerne den Namen eures Bannerträgers erfahren.“
Warum er letzteres wünschte, verriet der Edle von Schrazelroth nicht, aber es würde nicht zum Schaden des Bannerträgers sein. Der Bannerträger war, im Gegensatz zum Hauptmann kein Kämpfer und hatte sich dennoch nicht versteckt, dieses Verhalten verdiente eine Belohnung.
Gerion behagte es nicht, mit einem fremden Adeligen zu sprechen. Von vielen Begegnungen mit standesbewussten nordmärkischen Edelleuten in den letzten fünfundfünfzig Jahren wusste er, dass diese einfache Freie wie ihn kaum wahrnahmen und sich nicht dazu herabließen, mit ihnen zu reden. Außer, sie wollten etwas. Und dann duldeten sie meist kein Zögern und erst recht keine Widerworte. Seine Wohlgeboren zu Wichtenfels war da nicht anders. Lediglich seine Position als Hauptmann der Garde ließ es zu, Rückfragen zu stellen. Wirkliche Gespräche mit dem Adeligen ließen sich an zwei Händen abzählen und fanden wenn überhaupt nur auf langen und langweiligen Reisen statt. Aber hinterfragen würde er die Worte und Taten des Landedlen niemals, das würde womöglich böse enden. Hier jedoch lag die Frage dermaßen greifbar in der hitzegeschwängerten Luft, dass sie einfach gestellt werden musste. Auch schon, um den Fremden besser einschätzen zu können. Gerion wollte sich nicht zum Opfer einer List machen lassen, denn das ließe den Landadligen erst recht zornig werden. "Verzeiht vielmals, Euer Wohlgeboren, Ihr habt diese Brücke aus strategischen Gründen vor nicht einmal drei Stunden zerstört und wollt sie nun wieder aufbauen?" Ungläubig schaute der Hauptmann Darian an.
Darian drückte sich mit seinen auf dem Sattelhorn liegenden Händen hoch, um sich bequemer auf seinen Sattel zu setzen.
„Ja, möchte ich“, Darian lächelte schwach, während er zur Bestätigung nickte. Er schaute kurz zu Boden und lächelte dann noch etwas breiter. Sah er doch dort etwas, was bei so einem kleinen Fluss, der im Hochsommer wenig Wasser führte, nahe liegend war.
Der Edle von Schrazelroth schaute noch einmal zu Boden und musterte den Burghauptmann noch einmal gründlich. Der Mann war erfahren und wollte wohl jede Schwachstelle beseitigen, um keinen Ärger mit seinem Herrn zu bekommen.
„Warum sollte ich eine Brücke über einen kleinen Fluss zerstört lassen, wenn man den Fluss auch so überqueren kann?“
Darian schaute seinem Gegenüber in die Augen und zog dabei halb fragend, halb amüsiert die linke Augenbraue nach oben. Ob der Burghauptmann an die Spuren gedacht hatte, die schwere Pferde mit gepanzerten Reitern als Gepäck im feuchten Flussrand machten. Noch einmal schaute er zu Boden. Um dieser Spur zu folgen brauchte man kein Spurensucher sein, dieser hätte sogar sein junger Sohn folgen können. Der Edle schaute wieder auf „Herr Caleener, es ist gut und wird euren Herrn erfreuen, dass ihr so wissbegierig seid, bevor ihr Informationen herausgebt, aber ich denke doch, dass ihr nun genug wisst.“
Die Worte, gesprochen von einem Mann, der das Befehlen im Feld gewohnt war, waren zwar freundlich gesprochen, ließen aber keinen Zweifel daran zu, dass der Lîfsteiner langsam genug von der Fragerei hatte.
„Ich unterhalte mich mit euch ein anderes Mal, wenn der rechtmäßige Baron in dieser Baronie auf seinem Thron sitzt. Dann könnt ihr mir gerne einem kühlen Bier Fragen stellen, aber nicht mehr hier und bei diesem Wetter.“
Darian machte eine kurze Pause.
„Ihr habt mir immer noch nicht meine beiden Fragen beantwortet. Wie heißt euer Bannerträger und wo befindet sich euer Herr? Oder genauer gesagt, wo befindet sich euer Herr auf der diesseitigen Seite des Arborin? Die Spuren dort“, er deutete neben die Reste der Brücke, auf das Ufer des Flüsschens, wo sich deutlich Hufabdrücke abzeichneten, „gehören doch eurem Herrn und ein paar Begleitern, wenn ich das richtig sehe, oder etwa nicht?“
Wieder zog der Edle die Augenbraue nach oben und beobachtete den Hauptmann, wie würde er reagieren?
Soso. Wenn der rechtmäßige Baron auf seinem Thron sitzt. Also haben wir es hier mit einem Angrond-Verbündeten zu tun. Womöglich ist die Rückeroberung der Baronie bereits in vollem Gang. Dass er zwar die Brücke instand setzen lassen will, aber so herumdruckst, weshalb er sie zerstören ließ, heißt entweder, dass er sich dafür schämte oder dass der Befehl von jemand anderem kam, dessen Ansehen er nun schützen will. Sein Lehnsherr vielleicht. Ehrenhaft. Oder, dass er lügt. Aber Adelige lügen normalerweise nicht. Vielleicht war aber auch das gelogen? Nun, dann würde der Kerl ohnehin nicht mehr lange am Leben sein hier in den praiosgesegneten Nordmarken. Hm, und er wusste, dass Voltan bereits den Arborin überschritten hatte und teilte dies offen und freimütig mit. Das war ehrlich. Und er schätzte ein kühles Bier, das klang sympathisch. Gerion brummte von dem vielen Nachdenken bereits der Schädel. Aber wie es hier im Isenhag hieß: Lieber zweimal gründlich nachdenken als einmal etwas gründlich falsch machen. Also: Brücke wird instand gesetzt, Ehrenwort eines Adeligen, Angrond-Freund, will dem Landedlen kein Leid zufügen und mag Bier. Außerdem hat er Mumm und ist offensichtlich weder Elf noch Zauberer.
"Nun gut, ich will Euch offen und ehrlich Antwort geben. Seine Wohlgeboren ist zur Burg Schwarzfels geritten, um in Erfahrung zu bringen, was dort vor sich geht und um den Zerstörer seiner Brücke zur Rede zu stellen. Die Brücke ist wichtig für uns und der Landedle derzeit mit niemandem in Fehde, müsst Ihr wissen. Und unser Bannerträger", Gerion schaute zu seinem Nebenmann, "heißt Perainor Hopfer."
Mit einem fröhlichen Grinsen nickte der Landwehrmann Darian zu und schwenkte kurz, fast verschämt, das Banner.
Innerlich fluchte Darian, nach Burg Schwarzfels sollte erst einmal keiner kommen und dennoch hatte es der Landedle mit großer Wahrscheinlichkeit geschafft, waren doch die Reiter südlich von Dohlenfelde.
Äußerlich konnte man nichts von den Gedanken, die dem Lîfsteiner durch den Kopf schossen erkennen. Er nickte dem Bannerträger zu. „Dass ihr den Mut hattet stehen zu bleiben und das Banner eures Herrn zu zeigen, soll euer Schaden nicht sein. Ich werde mir euren Namen merken, darauf habt ihr mein Wort!“
Er durfte nicht vergessen, dem Landedlen eine kleine Geldkatze mitzugeben, die dieser dem Bannerträger geben sollte. Mut sollte man belohnen.
An den Gardehauptmann gewandt sagte er: „Ich danke euch für die Antwort. Ihr könnt einen Boten zum Markt Dohlenfelde schicken und einen Handwerker hier her kommen lassen. Nennt meinen Namen, dann wird man dort bescheid wissen.“
Der Edle machte eine kurze Pause und schaute noch mal vom Gardehauptmann zum Bannerträger und zurück.
„Gehabt euch wohl und die Götter mit euch!“ Er nickte den beiden noch einmal zu und wendete dann sein Ross, um kurz darauf von dannen zu reiten. Die Söldner wendeten ebenfalls ihre Pferde und schlossen sich Darians schnellem Tempo an.
Nun würde es zurück nach Schwarzfels gehen, um dort den Landedlen zu Wichtenfels zu treffen.
Die Reiter galoppierten nach Südosten davon, um bei Ochsenheim auf die Via Ferra zustoßen und dieser in südlicher Richtung nach Burg Schwarzfels zu folgen.
Etwas weiter östlich, überquerte zur selben Zeit die Reiterabteilung unter Dartan di Salsavûr die Dohlenbrücke.