Dohlenfelder Thronfolgestreit - Voltans Reise
Schwaden würziger Kräuteraufgüsse hingen schwer im Halbdunkel des
kleinen Nebenraumes, dessen geschlossene Läden vergebens die Hitze des Sommers draußen zu
halten versuchten. Der seifige Geruch des Ulmenwürgers trat unangenehm hervor, als die Hüterin
der Saat einen dampfenden Holzbecher an Voltans Mund führte. „Trinkt! Ist gegen das Wundfieber.
Peraine sei's gedankt!“ Der bestimmende Ton schmeckte dem Landedlen ebensowenig wie der
Aufguss. Er wusste, dass die resolute, aber wohlwollende Praetorin es nicht guthieß, wenn
Menschen ihre Auseinandersetzungen mit der Waffe lösten. Aber dieses Mal musste es sein. Und
Rondra gab ihm Recht! Was war das für eine Reise!
Angefangen hatte alles damit, dass der Schrazelrother ihn auf die eroberte Burg Schwarzfels einlud.
An diesem Tag überschlugen sich die Ereignisse. Die Hinrichtung seines Vaters, die Ankunft des
Allwasservogtes, dessen Gesuch um militärischen Beistand, der Aufmarsch Twergenhausens, seine
verzweifelte Mutter, dieser Drecksmagier. Zu viel war es an Ereignissen für einen Tag im
Eisenwald. Und es war erst der Anfang zweier Tage, die er nie wieder vergessen würde; zweier
Tage, die das generationenalte Geflecht von Freundschaften, Beziehungen, Sitten und Rivalitäten
des Adels in Dohlenfelde veränderte. Lange gab es keine ernsthaften Zweikämpfe mehr zwischen
Häusern der Baronie. Am zehnten Rondra schwor er Darian von Lîfstein zu Schrazelroth, dies zu
ändern und Hagen seiner Hausmacht zu entledigen. Er würde die Oberhäupter der hagentreuen
Familien Maringen, Nadelfels und Schwarzfels notfalls zum Zweikampf fordern, um zu erreichen,
dass sie sich von Hagen und dessen Gelichter abwandten. Mehr wollte er nicht erreichen. Der
Landadel Dohlenfeldes sollte sich aus diesem unseligen Streit seiner Vettern heraushalten. Keiner
von beiden hatte die Heeresgefolgschaft verdient, die allein dem Baron zu Dohlenfelde zusteht. Der
eine floh feige in der Stunde der Not und verurteilte all jene, die es ihm nicht gleichtaten, der andere
kämpfte und taktierte mit Mitteln und Subjekten, die ihn selbst entehrten.
„Danke, Perainada. Das reicht für's erste.“ Die Worte der Geweihten rissen Voltan aus seinen
Gedanken. Durch die Tür zum großen Gebetsraum des Tempels, die zusätzlich mit einem grünen
Vorhang verhängt war, damit keiner der betenden Bauern einen Blick auf den Adeligen im
Nebenraum erhaschen konnte, war eine Novizin getreten und hatte einige Verbände und Tücher
gebracht. Ihr schüchterner, gesenkter Blick ließ erahnen, wie unangenehm es ihr war, den
Landedlen verwundet und fast nackt auf dem tischhohen Krankenbett liegen zu sehen. Voltan
erinnerte sich an sie und ihre Eltern. Vor vier Jahren baten sie ihn als ihren Herrn und Vormund, es
zu erlauben, dass Perainada den Weg der Peraine-Geweihten einschlagen dürfe. Es war das erste
Mal, dass er einem solchen Gesuch zustimmte, woraufhin der sehr perainefürchtige Ritter zu
Maringen ihn zu einem üppigen Festmahl einlud, so groß war seine Freude darüber.
Noch größer war sie jedoch vor drei Tagen, als er seine Tochter nach zwei Wochen der Geiselhaft
auf Burg Schwarzfels wieder in den Armen halten konnte! Rondrian zu Maringen hatte geweint vor
Glück. Voltan gefiel es nicht, dass Darian sich der Geiselnahme bediente, um seine Sicherheit zu
stärken. So etwas war ehrlos! Oh, hätte er doch nur schon vor drei Tagen gewusst, wie unritterlich
der Schrazelrother tatsächlich ist! Dann hätte er ihm niemals das Gold zur Verfügung gestellt, um
die Zwerge zur Verteidigung der Burg anzuwerben, die er so schändlich in seine Gewalt gebracht
hatte! Nun, wenigstens konnte er ihn dazu bringen, die Geiseln frei zu lassen. Der Maringer dankte
es ihm mit dem Versprechen, nicht die erzweilerer Landwehr in die Schlacht um Dohlenfelde zu
führen und sich gänzlich aus dem Thronfolgestreit heraus zu halten. Ein diplomatischer Erfolg!
Voltan war stolz auf sich. Doch es war nur der erste Schritt seiner Reise. Der zweite war schwerer:
Freyen musste von Hagens Einfluss losgelöst werden. Jenes Freyen, das dem Hörensagen nach
besetzt war von Söldnern, die auf einen Angriff aus Westen warteten. Zum Glück waren die
Berichte aus dem Rittergut übertrieben. Nur wenige Kämpfer lagerten zwischen den großen
Bosparanien außerhalb des Gutshofes und keiner von ihnen wagte es, sich ihm in den Weg zu
stellen. Seltsamerweise reagierte Wilgunde von Nadelfels, die Ritterin zu Freyen, weniger brüskiert
auf Voltans Forderung, als er vermutet hatte. Jedoch bestand sie auf ein Kräftemessen, in dem sie
ihr Sohn Anshelm vertreten sollte. War Wilgundes Kampfkraft schon schwer einzuschätzen, so traf
das in noch viel größerem Maße auf ihren Erben zu. Dem Bannstrahl nahe stehend und stets mit
einem weißen Umhang gewandet, hatte sich dieser in den Kriegen im Osten und Albernia einen Ruf
als kaltblütiger, effektiver Kämpfer erstritten. Ganze Untotenhorden und albernische
Landwehreinheiten sind an seinem Ehrgeiz, stets um jeden Preis als eindeutiger Sieger aus einer
Schlacht zu gehen, zerschollen. Voltan hatte ihm oft dazu gratuliert. Er achtete den Ritter, in dem er
jemanden sah, dessen Weg auch der seine hätte sein können. Schlachttaktiken erwiesen sich jedoch
oft genug als untauglich im Kampf Mann gegen Mann. So hatte Anshelm auch auf keinem Turnier
bisher wirklich brilliert – und Voltan hatte noch nie mit ihm die Klingen gekreuzt.
Beide Ritter einigten sich darauf, den Kampf standesgemäß mit der Lanze zu eröffnen und so lange
mit Waffen der freien Wahl zu kämpfen, bis einer aufgab. Doch die bereitgehaltenen Kriegshämmer
und Zweihänder sollten nicht geschwungen werden: Schon im ersten Anritt auf der staubigen Straße
des Gehöfts trafen beide Lanzen kraftvoll auf die Schilde, schleuderten die Kontrahenten aus den
Sätteln und zerbarsten. Den Sturz gut abgefangen und bereits zu seinem Zweihänder eilend, nahm
Voltan wahr, dass Anshelm benommen schien und hilflos versuchte, aufzustehen. Als er dann bei
ihm war und dem Nadelfelser die Klinge an die Kehle hielt, mehr symbolisch, als tatsächlich damit
rechnend, dass Anshelm sich nicht ergeben würde, sackte dieser nach hinten zusammen. Gegen
Untote schien man selten vom Pferd zu fallen, ging es Voltan durch den Kopf. Jedenfalls hatte der
erste Zweikampf einen klaren Sieger hervorgebracht und eine Mutter, die sich in den nächsten
Tagen weniger um den Krieg als um die Prellungen und ausgekugelten Glieder ihres Sohnes
kümmern musste.
Trotz der Hitze fühlte es sich kühl an, als der feste Verband um die rechte Schulter abgewickelt
wurde. Der Duft von Wirselkrautsalbe breitete sich von der Unterseite der Binde aus. „Ja, die Salbe
hat ihre Wirkung getan, Peraine sei's gedankt! Die Blutung hat aufgehört. Versucht nun, Euren Arm
zu heben.“ Die Hand der Praetorin schob sich unter die rechte Schulter und befühlte die Muskeln.
Es kostete einige Kraft, den Arm zu bewegen, aber die Schmerzen waren – anders als gestern – gut
zu ertragen. „Noch ein, zwei Tage mit der Salbe und viel Ruhe, und die Schulter ist geheilt.“ Die
Schulter. Anders als die zahlreichen blauen Flecken, Prellungen und Schnitte war sie die einzige
Wunde, die Voltan heute noch Sorgen machte. Die viel schlimmere Bauchverletzung indes musste
gestern Nacht in einer langen, gebetsreichen Zeremonie geschlossen werden und war schon wenige
Stunden danach nicht mehr zu spüren. Ritter Ardor von Schwarzfels hatte ihn nahe an den Rand des
Todes gebracht. Nicht wenige hat Voltan schon an solchen Wunden und den ihnen folgenden
Eiterungen und Entzündungen sterben sehen. Bauchwunden verheilten nie – ohne die Hilfe eines
Geweihten oder Magiers zumindest nicht. Wie es zu der Verletzung kam, konnte Voltan auch einen
Tag danach noch immer nicht fassen. Zwar hatte er von solchen Streichen schon öfter gehört, aber
Ardor war der einzige, den er jemals einen solchen hat führen sehen. Der Schwarzfelser ist ein
famoser Schwertkämpfer. Das hatte er einmal mehr bewiesen! Anders als in Freyen begegnete
Voltan auf dem Weg nach Wolkenfold zu Ritter Ardor gleich einem halben Banner Söldlingen auf
einmal. Diese waren zwar sehr viel neugieriger als jene unter den alten Bosparanien, ließen ihn
jedoch nach einigem Zureden passieren. Angesichts der riesigen Ruine Wolkenfold mitten in den
östlichen Wäldern, jenem ehemaligen Schmuckstück des vergangenen Ordens vom Heiligen Grabe
Reghians, durchfuhr ihn Ehrfurcht vor der Leuin und seiner Aufgabe. Bestärkt darin, seinen Teil zu
einem rondragefälligen Ende des Erbstreites beizutragen und die Bewohner Wolkenfolds den
Klauen Kors zu entreißen, ritt er durch die offenen Mauern und vorbei an gespaltenen Türmen, bis
er den kleinen, instandgehaltenen Teil der Burg rund um das Rondraheiligtum erreichte. Ardor
empfing ihn persönlich am mit Löwenschnitzereien reich verzierten Tor. Keine Ritterfamilie
Dohlenfeldes achtet Rondra und ihre Gebote so, wie die Schwarzfelser es tun. Auch wenn es viel zu
verlieren gab, Ardor konnte die Duellforderung nicht ablehnen. Voltan zollte so viel Ehrenhaftigkeit
allergrößten Respekt – gäbe es doch mehr solcher idealer Ritter! Und so geschah es: Auf dem
jahrhundertealten Turnierplatz der Burg, von dessen Breite das umgebende Dickicht kaum mehr als
eine rankenüberwucherte Bahn übrig gelassen hatte, standen sich im Angesicht der Edlenfamilie
von Schwarzfels die beiden Streiter gegenüber. Ehrenvolle Grüße wurden ausgetauscht und der
Kampf mit den Lanzen eröffnet. Wie schon in Freyen trafen beide Lanzen ihr Ziel und zerbarsten,
doch konnten sich die Ritter in ihren Sätteln halten. Mit gezogenen Schwertern ging es beritten
weiter. Kaum gelang es einem, die schwere Rüstung des anderen zu durchdringen. Heller Klang von
Klinge auf Platte durchschnitt das Rauschen des nahen Waldes. Womöglich würden eher die
Schwerter brechen, als dass so eine Entscheidung herbeigeführt wurde; da gelang es dem
Wichtenfelser, an die Schildseite Ardors heran zu reiten und ihn mit einem Riss am Schildarm aus
dem Sattel zu ziehen. Ardor rollte sich flink zur Seite, aus dem Sichtfeld Voltans, entledigte sich
seines Helmes zugunsten einer besseren Sicht, stand auf und durchschnitt mit flinker Klinge Zügel
und Steigriemen. Voltan gelang es noch, einige Schritt zwischen sich und Ardor zu bringen und saß
dann ab. Der Rondrianer versperrte ihm nicht den Weg zu seinem Zweihänder, kämpfte aber selbst
zu Voltans großer Verwunderung mit dem Langschwert weiter. Voltan wusste, dass dies Ardors
Lieblingswaffe war und sie in seinen Händen alles zuverlässig ausführte, was ihr Träger wünschte;
aber in seiner Schlachtrüstung fühlte er sich vor ihrer Schärfe sicher. Zu sicher, wie sich zeigte.
Zunächst gelang es ihm, Ardor auf Distanz zu halten und den einen oder anderen Treffer auf
weniger dick gepanzerten Stellen zu landen, wie einige Dellen und Risse in den Beinschienen zu
erkennen gaben. Das Ziel musste es sein, Ardor mithilfe der größeren Reichweite von den Beinen
zu holen und ihm dann das Schwert an den Kopf zu setzen. Doch mit einem Male war der
Schwarzfelser heran und schob seine Klinge unter der Schwebescheibe hindurch in seine rechte
Schulter. Was für ein Schmerz, begleitet von hässlichem Knacken! Mit einem kräftigen Stoß gelang
es Voltan, sich zu befreien. Doch betäubt vom Schmerz in der Schulter und nicht in der Lage, den
Zweihänder mit der schwächeren Linken zu führen, gelang es ihm nicht, Ardors nächste Treffer
abzuwehren. Seltsamerweise spürte er sie zunächst nicht. Doch mit einem Male merkte er, dass die
Lederschnallen an der Seite seines Bauchpanzers nachgaben und sein ganzer Oberkörperpanzer ins
Rutschen geriet. Siegessicher hielt Ardor inne und gab Voltan Zeit, sich zu ergeben. Voltan konnte
nicht. Zu zuversichtlich war er ob des Erfolges seiner Reise, bestärkt noch durch den geheiligten
Ort dieses Zweikampfes! Während Ardor durchatmete, löste Voltan schnell die verbliebenen
Schnallen und streifte den Panzer ab. Das kettenverstärkte Untergewand klebte vor Schweiß und
Blut an seinem Körper. Den Zweihänder beiseite lassend, griff nun auch Voltan wieder zu seinem
Langschwert und führte es mit beiden Händen, so gut es ging. Die Entscheidung kam schnell und
war äußerst knapp. Die Attacke Ardors ließ Voltan zum Boden hin abgleiten und machte einen
Schritt auf ihn zu. Der Schwarzfelser zog instinktiv seine Klinge hoch und wieder durchfuhr
Schmerz Voltans Körper. Doch er war nahe genug an seinem Gegner, um ihm den Schwertknauf mit
aller verbliebenen Kraft gegen die Schläfe zu schlagen. Ardor fiel um. Auch Voltan ging in die Knie
und hielt sich seinen Bauch. Schnell war die Familie Ardors herbei und kümmerte sich um die
Verletzten. Beide wurden gemeinsam auf einen Karren gelegt und in den Perainetempel nach
Mühlenheim gefahren. An die holperige Fahrt nach Pappelhof erinnerte sich Voltan noch. Danach
war das Gebet der Perainepriester an seiner Liegestatt seine nächste Erinnerung. Heute wurde er auf
eigenen Wunsch in den Tempel nach Wichten verbracht. Und in wenigen Tagen mochte der Kampf
um Dohlenfelde endlich entschieden sein! Ohne, dass der Kriegslüsterne Besitz ergriff von Gut und
Leben der edlen Ritter am Darlin. Bei Rondra! Diese Reise war es wert!