Dohlenfelder Thronfolgestreit - Auf der Schwelle des Todes

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
K118. Rückzug!
K121. Im Kosch
K122. Frieden!
K123. Epilog
Autor: Reichskammerrichter, Geron, weitere


Nordmarken, 1033

Aus dem Dachstuhl eines Steinhauses stiegen meterhohe Flammen auf, zwei Fachwerkhäuser brannten bereits zur Gänze. Offensichtlich waren die Gebäude von den angreifenden Schergen präpariert worden. Dichte Rauchschwaden zogen durch den Marktort und raubten die Luft zum Atmen.
Angrond von Sturmfels, von drei Bolzen schwerst getroffen, lag in seiner Plattenrüstung in einer Blutlache im Staub, er war bewusstlos, seine Augen waren geschlossen. Derya von Sturmfels war mit Ritter Koromar, der seine Freundin mit dem Schild deckte, in Windeseile an die Seite des Dohlenfelder Barons geeilt. Die Baronin hatte den Heiltrank, den sie vor einigen Jahren von einem Alchimisten gekauft hatte und seither an ihrem Gürtel trug, entkorkt. Sie wiegte das kleine Glasfläschchen in ihren Händen hin und her. Die Inschrift in Nanduria konnte sie nicht lesen. Ein kurzes Gebet an Peraine, dann hob Derya ihrem Bruder den Kopf ein wenig an und setzte ihm den Heiltrank an den Mund. Die kristallklare Flüssigkeit benetzte seine kreidebleichen Lippen, füllte seinen Mund.
Doch Angrond schluckte nicht! Atmete er überhaupt noch?
Hektisch und mit zittrigen Fingern versuchte Derya, den Korken wieder in die Flasche zu drücken, als ein Pfeil einer nur zwei Schritt von ihr entfernt knieenden Ritterin, die über ihren Schild lugte, in die Stirn drang. Die Frau war auf der Stelle tot. Erschrocken ließ Derya den Heiltrank fallen, er versickerte langsam im Boden. Im Schild des Koromar von Liobas Zell schlug in diesem Moment mit großer Wucht ein Pfeil ein, die Spitze ragte mehr als einen Spann aus der Rückseite des Schildes hinaus. Wäre der wachsame Ritter nicht gewesen, das Geschoss hätte fast unweigerlich die Sturmfelserin getroffen. Verzweifelt versuchte Derya nun, die Schnallen des Brustpanzers ihres Bruders zu öffnen, um wenigstens Tücher auf seine Wunden pressen zu können.
Überall waren Schmerzensschreien von Mensch und Tier und Hilferufen zu vernehmen. Doch zumindest Bolzen, Pfeile und Brandsätze flogen nun keine mehr. Die hinterhältigen Attentäter hatten offensichtlich das bewerkstelligt, was sie erreichen wollten – und befanden sich nun auf dem Rückzug. Es war nicht viel mehr als eine Minute seit dem ersten Bolzenschuss vergangen.
Angrond lag nicht weit vom schmucken Perainetempel Dohlenfeldes entfernt. Doch die verzweifelten, aus vielen Kehlen erschallenden Rufe nach einem Geweihten oder Akoluthen blieben ungehört, befanden sich die Hochgeweihte und die Ihren doch in Vorbereitung der Schlacht im Lazarett, das auf Anregung des Landedlen zu Wichtenfels errichtet worden war.
Ritter Koromar versuchte in dem heillosen Durcheinander den Überblick zu behalten. Er war überrascht, als er geordnet herangaloppierende Söldlinge in horasischer Tracht sah. Dies mussten wohl die Streiter sein, die in Diensten des Edlen zu Schratzelroth standen und Burg Schwarzfels für einige Wochen gehalten hatten.
Ein Magier, wohl zu den Söldnern gehörend, sprang von seinem Ross und eilte raschen Schrittes, wachsam von Koromars Blick verfolgt, zu Angrond und der neben ihm knieenden Derya. Die Baronin hatte die Schnallen des Brustpanzers ihres Bruders mit ihrem elfischen Jagdmesser, einem Geschenk ihres Liebhabers Gwaeron Léoldamir, aufgeschnitten. Auch das blutdurchtränkte wattierte Wams Angronds hatte sie aufgetrennt. Die Bolzen steckten tief in seinem Leib. Derya wusste, dass sie nichts für ihren Bruder tun konnte und schaute hilflos auf das aus seinen Wunden rinnende Blut.
Als die Baronin zu Tommelsbeuge den Magier sah, schöpfte sie neue Hoffnung. Sie wusste von den erstaunlichen Fähigkeiten der von Mada Gesegneten und war Zauberwirken nicht so abgeneigt gegenüber wie viele ihrer Standesgenossen, eingeschlossen ihren Bruder Angrond, an ihren Vetter Voltan gar nicht zu denken.
Der Magier stellte sich mit einer angedeuteten Verbeugung knapp vor: „Hakon von Altenberg, Magus der Schwarzen Adler. Ich werde den Baron retten, wenn Ihr es mir gestattet.“
Ohne eine Antwort Deryas auch nur abzuwarten – die Order Darians war eindeutig gewesen –, kniete der Söldnermagier, der im Jahr des Feuers und in den horasischen Thronfolgewirren schon viele schwere und schwerste Verletzungen gesehen hatte, an Deryas Seite nieder. Ritter Koromar ließ seinen Blick flüchtig über den Zauberkundigen schweifen, widmete seine Aufmerksamkeit dann aber rasch wieder der Umgebung. Hakon war ausgebildeter Kampf- und Antimagier, aber selbstverständlich beherrschte er auch den Balsamsalabunde, den wichtigsten aller Heilzauber, den er im Feld leidlich geübt hatte. Und nur mit Zauberei war Angrond von Sturmfels noch zu helfen.
Der Magus legte seine rechte Hand auf die blutverschmierte Brust des Barons und schloss die Augen. Der Schwerverletzte hatte bereits enorm viel Blut verloren, Hakon spürte keinen Herzschlag mehr. Wäre er wenige Augenblicke später gekommen, Angrond hätte bereits Golgaris Schwingen rauschen gehört. Aber so weit war es nicht – noch nicht.
Er hörte wie aus großer Entfernung Deryas verzweifelte Stimme: „Rettet ihn, bei Peraine, rettet ihn!“
Hakon wob die fein verästelten Kraftfäden, vor seinem geistigen Auge entstand die Matrix des mächtigen Heilzaubers, dessen Potential die Elfen, die ihn vor Jahrtausenden erdacht hatten, nicht einmal annähernd verstanden. Die Elfen mochten die Urheber sein, die Gildenmagier hatten die Perfektion erreicht. Hakon sah die leuchtende Arkanstruktur des Heilzaubers vor sich, wie sie nicht besser im Lehrbuch zu finden war. Dann wiederholte er wieder und wieder das magische Wort: „Balsamsalabunde“.
Fast augenblicklich spürte er die ungeheure, ewige Macht des Sikaryan, die sich mit aller Gewalt im Übergang seiner Astralkraft in die Lebenskraft Angronds äußerte. Die Heilung setzte ein. Der Magier presste die Rechte fest auf die Brust des Barons, mit der Linken zog er den ersten Bolzen langsam und vorsichtig aus dessen Leib. Da spürte er auch schon, wie das Herz Angronds wieder schlug, wie er einen Atemzug tat und eine kristallklare Flüssigkeit heraushustete, die weder Blut noch Galle noch Speichel war.
Die Attentäter waren gescheitert. Denn Angrond von Sturmfels, der Baron zu Dohlenfelde, würde leben, soviel war sicher. Und Hakon würde Darian und seinen Condottiere Dartan di Salsavûr nicht enttäuschen, nicht hier und nicht jetzt!