Drei Opfer für den Wahren Boron
Drei Opfer für den Wahren Boron
Visaristenspuk endlich beendet — Märtyrertod bei Moorbrück
SCHETZENECK, MOORBRÜCK. Über den Untergang des Visaristenpredigers Sorban Visant und der Vertreibung der Visaristen aus Kosch berichtet Odilbert der Fromme, Mitbruder des Klosters Garrensand und Augenzeuge des glorreichen Märtyrertods von Kalmun Breckenbart.
Über Monde hinweg waren wir Puniner Gegenreformatoren schon bemüht, die visaristischen Ketzer aus dem Kosch zu vertreiben. Oh, der große Kalchas der Seher hatte uns vor der Gefahr früh schon gewarnt. Und tatsächlich spitzte sich die Lage mehr und mehr zu. Während die Visaristen um Aufrührer Sorban anfänglich noch im östlichen Schetzeneck ihr Unwesen trieben, hatten sie zum heurigen Tage gar schon in den durch die Wirren der letzten Zeit geschwächten Ferdoker Baronien Nadoret und Moorbrück Fuß gefaßt. Auch wenn es unserer Reconquista gelungen war, die Lage im Schetzeneck allmählich in den Griff zu bekommen, verloren wir doch mit jedem Tag neue Seelen an die dunklen Brüder. Wäre unser weiser erleuchteter Kalmun Breckenbart nicht gewesen, wir hätten uns der Verzweiflung hingegeben.
Im frühen Rondramonde XXI nach Hal war es, daß wir von einem neuen Tempelbau der Visaristen hörten. Während die Visaristen in Nadoret schon von den dortigen Praiosgeweihten vertrieben wurden, hieß es, daß Sorbans Schüler Grakhoul Greuelstein in Moorbrück ein steinernes Monument des falschen Glaubens errichten ließ. Eine weitere Brutstätte des Übels? Sollte die Ketzerei nun auch jenseits des Großen Flusses Landstriche in ihre eisigen Klauen nehmen? — Sofort mahnte uns Bruder Kalmun, gen Moorbrück zu ziehen, war doch unsere Arbeit um Koschtal endlich getan. Boron, der Herr wollte es, daß unser Zug (mit uns waren die altehrwürdige Noionitin, Schwester Surxinda, sowie drei Geweihte und vier Novizen und Novizinnen aus Kloster Garrensand) am selben Tage wie die Brüder des Zorkabinerordens um Zakharabas Extor Zorkaban ankam. Dieser Tag, der XVII. des Rondramondes, dürfte später wohl in die Rollen der Chronisten eingehen.
Nun standen wir um den letzten verbliebenen der ehemals drei Tempel der Visaristen in Kosch versammelt, denn die Bauten bei Colena und Koschtal wurden bereits vom Bösen gereinigt. Unsere Ankunft bemerkend, flüchteten die Visaristen nicht etwa oder ließen sich wieder zum rechten Pfade bekehren, nein, Sorban persönlich hatte den Mut, vor das Tor zu treten und sprach: „Sollte einer von euch Ketzern dies heilige Haus betreten, so wird er ein Opfer unserer Streiter! So weichet und lasset euch nie wieder sehen!“ — Man möge mir die Wiedergabe dieser ketzerischen Worte verzeihen.
Tatsächlich. Es traten nun mehrere Dutzend bewaffneter Visargläubiger heraus an die Seite ihres Wortführers, so daß wir zurücktreten mußten. Auch unsere stillen Gebete ließen sie nicht weichen, und wir dachten gar schon an einen Rückzug; vielleicht wäre ja noch nicht die rechte Stunde gekommen.
Aber wieder war es Bruder Kalmun, der uns Mut zum Ausharren gab. Und siehe, der Mut ward belohnt, denn von ferne ritten elf Bragahner um Markvogt Toqual Cilatchi heran. Sorban, der dies ebenfalls sah, sprach voll Zorn: „So soll es sein!“ und zog sich eilig in den Tempel zurück. Kurz darauf begann ein eisiger Wind zu wehen und wir spürten großes Unheil heraufziehen. Finstere Mächte begannen frei zu werden, als stetig lauter werdender Gesang aus dem Ketzerhaus drang.
Selbst unser Bruder Kalmun wurde von Unruhe geplagt, doch noch stärker von Unrast befallen wurden Bruder Zakharabas und Markvogt Cilatchi. Schon ließ Bruder Zakharabas seine Zorkabinermönche ihre schwarzen Pechfackeln entzünden und schon hieß Torqual Cilatchi seine Mannen die Schwerter zu zücken, als Bruder Kalmun Breckenbart, vollkommen ruhig geradewegs auf den Tempel zulief. Entsetzen und Erstaunen ergriff die Reihen der Unsrigen ob dieser seltsamen Tat. Kalmun öffnete das Tor der Götzenstätte — doch nicht mit seinen Händen, nein, sein Geist war’s, der die schwere Pforte bewegte. Ein wunderlich herrlicher Schein umgab seinen Körper, seltsam strahlend, in einer Form, die an einen Raben erinnerte. Ohne zur Seite zu sehen, schritt Bruder Kalmun in das dunkle Innere des Tempels, ehe sich die Toren wieder zu schließen begannen.
Nun war es Zakharabas, der ebenso unerwartet loslief und sich in letzter Sekunde durch den Torspalt preßte, bevor sich die großen Torflügel mit einem dumpfen Laut schlossen.
Die folgende Momente schienen der Ewigkeit nahe. Regungslos standen wir im Kreise um den Visaristenort versammelt. Schreie zerrissen die Stille, ehe, sich aus den Fenstern an den Seiten des Gebäudes stürzend, die Bewaffneten voller Entsetzen und Angst flüchteten. Nun waren nur noch Ketzerpriester Sorban Visant, Ordensherr Zakharabas und Bruder Kalmun, die im Inneren blieben.
Alsbald mischte sich übler Gestank in den eisigen Sturm und grausames Grollen erschrak unsere Herzen, als ein greller Feuerball aus dem Tempeldach emporstieg und die inzwischen angebrochene Dunkelheit vertrieb. Schreckensschreie der Umstehenden, Gejammer von Grakhoul Greuelstein und der visaristischen Sorbanschülerin Ranaliya und das Wiehern scheuender Pferde erklangen. Krachen begannen die Mauern des Ketzerbaus einzustürzen und begruben die drei Männer unter sich. Die verzweifelten Versuche, die brennenden Trümmer zu löschen, erwiesen sich als sinnlos, denn erst am nächsten Morgen gaben die Flammen die Überreste frei. Schwarze, verkohlte Mauern, als Mahnung und Zeichen, daß der wahre Boron über die Visarsekte siegte. Und er gewann durch das Opfer Kalmun Breckenbarts einen Märtyrer, erst durch seinen Tod konnte der wahre Glaube zurückkehren in das schöne Kosch... Dank sei Dir, oh Kalmun!
Inzwischen sind auch die letzten Dörfer in Südkosch vom falschen Visarglauben befreit und Ruhe beginnt endlich wieder einzukehren. Lediglich der Bericht von Markvogt Torqual Cilatchi, daß er in der Tempelruine auf dem Hügel bei Moorbrück (er soll als Mahnung und Pilgerstätte bleiben) nur zwei unkenntliche Leichen vorfand, sorgte für etwas Verwirrung. Ich habe auf das dringende Ansinnen zahlreicher Boronis den Antrag zur Heiligsprechung Kalmun Breckenbarts dem Raben zu Punin ausgehändigt.
Jedoch auch der etwas undurchsichtige Bruder Zakharabas soll unterdessen von diversen Kreisen eine gweisse Verehrung erfahren. Sein Orden der Zorkabiner jedenfalls will in seinem Sinne fortfahren, ‘da das Ketzertum noch nicht vollends vertrieben wurde’... nun ja.
Leider wird nun andererseits auch Sorban bei den noch verbliebenen Visaristen als Märtyrer gefeiert — ein wahrhaft bitterer Nachgeschmack. Doch in Kosch hat der wahre Boron gewonnen und nichts trübt diese freudige Erkenntnis.
Zum Ende noch möchte ich für die Unterstützung der Gegenreformation meinen Dank aussprechen an die Grafen Growin von Ferdok und Helkor von Schetzeneck, an die Barone von Bragahn, Metenar, Twergentrutz und andere, sowie Abt Faragund vom Kloster Garrensand. Dank auch den vielen wahren Gläubigen für ihre helfenden Gebete und Opfer.
Odilbert der Fromme