Nordmärker Hoftag in Aufruhr
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Nordmärker Hoftag in Aufruhr
Ein toter Held — ein böser Frevel — eine sture Gräfin — gestrafte Piraten
Gleichsam wie vor Jahresfrist war eine Delegation der edelsten Damen und Herren des Kosch auf des Fürsten Geheiß zum Landtag der Nordmarken aufgebrochen, denn wieder gab es über einiges Rat zu halten, das für beide Lande von Belang war.
Diesmal geschah dies leichteren Geistes als ehedem — eingedenk der weiland zu Gratenfels geschlossenen Freundschaft, welche nicht nur die Grafen von Wengenholm und Gratenfels als Schwertgefährten einte, sondern auch durch den Austausch von Knappen hochedlen Blutes nunmehr besiegelte werden sollte. Anderes freilich bereitete noch Kummer: „Die Albenhuserin soll endlich Betragen lernen und sich an das halten, was gemeinschaftlich beschlossen wurde!“ — so polterte der wackere Graf Growin, als sich die koscher Gesandten vorab in der Feste Thûrstein versammelten.
Die Feste lag in Sichtweite des Albenhuser Landes, wohin der nordmärkische Herzog den Landtag gerufen hatte, und der um ihretwillen von Frau Calderine angezettelte Streit dauerte unverändert an, obgleich man ihn doch auf dem letztjährigen Landtag für beschlossen glaubte. Damals hatte der Herzog Jast aufgrund der vom Meister Growin vorgebrachten Klage seine Vasallin (welche nicht selbst erschienen war) scharf gemahnt, die Umtriebe ihrer Söldlinge um die koscher Feste zu beenden. Der Ferdoker seinerseits hatte der Nachbarin großzügig gestattet, auch eine Lanze ihrer Soldaten zur gemeinschaftlichen Wacht mit der ferdoker Besatzung auf Thûrstein einzuquartieren. Die Albenhuser waren freilich auf dies Angebot mit einer doppelt so großen Schar angerückt, was auf ferdoker Seite für höchste Empörung gesorgt hatte (zu lesen davon steht im Kosch-Kurier No. 27).
Leidtragende der Grenzstreitigkeiten waren unglückliche Schiffer, die Opfer dreister Piraten wurden, während sich koscher und nordmärker Flußwächter gegenseitig belauerten. Des Herrn Growins Zorn war darob höchst verständlich, zumal die in den vergangenen Monden immer zahlreicher und Mal um Mal unverfronener auftretenden Piraten zuletzt gar einen Weiler in der ferdoker Baronie Bragahn unbehelligt plünderten (wie dem Kosch-Kurier No. 28 zu entnehmen war).
Die in des Fürsten Namen sprechen und nach Albenhus reisen sollten — namentlich der Baron von Geistmark für die See-Grafschaft, aus dem Schetzeneck der Baron von Bärenfang, sein Lehnsmann Ritter Wulfhelm Rondrian Burgherdall und der allseits bekannte Herr Falk Barborn (welche dem Enkel ihres Grafen, Prinz Geldor, in die Knappschaft Geleit geben sollten) sowie der junge Graf Wengenholms, Herrr Jallik — sie alle stimmten mit dem ferdoker Grafen darin überein, daß über die dergestalte Infamitäten der Albenhuserin erneut vor dem Herzog der Nordmarken Klage zu führen sei. Der Cantzler Duridan von Sighelms Halm aber, ihr Führer, gab den Edlen recht, doch mahnte er zur Besonnenheit. Man solle dieses mit jenem verknüpfen, das täte sich in Verhandlungen stets gut, riet er.
So erreichte die Gesandtschaft Albenhus am Vortag des Landtages. Die alle Tage geschäftige Stadt am Großen Fluß glich einer Angbarer Schenke, in der die Wirtin Tsatag feiert, denn all die Edlen der Nordmarken, die etwas auf sich hielten, hatten sich mit zahlreichem Gefolge eingefunden, und so wimmelte es in von Pferdemägden, Leibdienern, Pagen und Söldlingen in den blauen-grünen Röcken der Nordmarken und nun auch den grün-schwarzen des Kosch, denn auf eine Bedeckung hatte des Fürsten Emissäre nicht verzichten wollen. Die Herbergen und Gasthäuser der Stadt waren allesamt bis auf den Heuboden belegt, und weil die hohen Adeligen mit ihren Talern nicht knauserig waren, blieb den Krämern, Schaustellern und anderem Volk, das das Spektakel zu schauen gekommen war, häufig nichts anderes, als im Pilgerheim des Tempels der Fließenden Wasser beim Meister des Flusses und seinen Brüdern und Schwestern um Aufnahme zu bitten.
Die Koscher waren nicht die letzten, die zu Albenhus erschienen: Später noch kamen Edelleute aus Weiden, und sie trugen schwer am Leichnam des toten Marschalls Wunnemar von Hardenfels. Groß waren da Trauer und Zorn der Hinterkoscher, und nicht wenige, die argwöhnten, die Weidener wollten die Waffenhilfe, welche ihnen die Hinterkoscher gegen den Verräter Baeromar hatten zukommen lassen, mit Undank und Haß vergelten (denn dieser Streit geht so lange schon wie das Nordmärker Expeditionsheer nach Weiden zog). Mühsam beherrscht nur nahm Calderine von Hardenfels, die albenhuser Gräfin, den Leichnam ihres lieben Verwandten entgegen und verlangte mit bebender Stimme vom Hofmeister von Weißenstein, der die Weidener führte, eine Erklärung des Todes.
Was die Weidener zu sagen wußten, war wahrlich nicht viel, außer daß man Marschall Wunnemar seit langem schon vermißte und fürchtete, er sei einem Überfall Opfer geworden, als er mit kleiner Bedeckung ausritt, doch jetzt erst seinen toten Körper aus dem Neunaugensee zog, wo ihn das Eis gefangenen gehalten hatte. Wo er die Wunden trug, frug der koscher Cantzler die Weidener schlau, und ein Aufschrei ging durch die versammelten Edlen, als man hörte, daß es im Rücken sei. Orks seien es gewesen, die dem wackeren Wunnemar mit Armbrüsten aufgelauert hätten, versicherten Weidens Hofmeister und sein Marschall (der ein Verwandter des jüngeren Hauses vom Berg ist), noch aber habe man ihrer nicht habhaft werden können.
Wahrhaftig aufgeheizt ward die Stimmung, als ein Weidener Baron am Rande des Landtages von einem Armbrustbolzen gefällt war und womöglich zu Boron gefahren wäre, wäre nicht die elfische Baronin von Rodaschquell aus dem Isenhag mit ihrer Heilkunst zur Stelle gewesen. So kam es, daß die Weidener Angelegenheiten nach Absprache mit den Koschern, mit welchen die Nordmärker eigentlich reden wollten, zur vordringlichsten Angelegenheit gemacht wurden. Einigung zu finden vermochte man hier jedoch nicht, und nicht wenige Hinterkoscher, denen der von den Weidenern vorgebrachtete Freundschaftsvertrag wie schlechter Hohn erschien. Auch wenn man’s nicht glauben möchte: Schlimmer noch kam es, auch wenn, praiosbehüte, niemand den Frieden des Landtags mit der Waffe brachte: Ein Nordmärker Edler aber, den eben selbst der Herzog zum Ritter geschlagen hatte, ließ sich herab, den Leichnam des Helden zu schänden und trachtete danach, den Verdacht auf die Gesandten der Liebfelder Häuser Grötz zu schieben, doch entkam er seiner Straf nicht.
Vom Streit um das Erbe jenens alten Grafenhauses wollen wir hier schweigen (obzwar’s zuweilen gar unterhaltsam ward, als etwa die Liebfelder Inspektoren die lange Liste der Erbgüter verlasen, in denen gar einzelne Misthaufen verzeichnet schienen, als überraschend der Gaugraf Welferich von Schradok sich mittels Dokumenten aus dem Angbarer Adelsarchiv in die Reihe der Erben einreihte und schließlich dem Herzog alles zu bunt ward, wessenthalben er einen Vogt zur Verwaltung der Güter bestallte — seinen Sohn Frankward nämlich), und das erzählen, was das Koschland betraf:
Die Albenhuser Gräfin ward von ihrem Herzog arg gerügt und mit scharfen Worten an den Ratsschluß vom vorherigen Jahre erinnert (daß ja niemand glauben sollte, Herzog Jast Gorsam wüßte nicht Ruhe zu halten unter seinen Vasallen). So schaute auch Graf Growin leidlich befriedigten Blickes, wie zwei Kinder aus Grafenhäusern über die Koschberge hinweg in Knappschaft gegeben wurden: Der Prinz Geldor Arbelian von Bodrin zu Drakfold und zum Schetzeneck folgte dem Landgrafen Alrik Custodias; die Komteß Elfgyva von Hardenfels, Frau Calderines Enkeltochter, aber folgte Graf Jallik dem Wengenholmer.
Dies werde wohl keine bloße Geste bleiben, sondern zu stärkerer Zusammenarbeit führen, so hofften Herr Duridan und der Nordmarken Landhauptfrau, Frau Iswene. Über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Piraten, von denen auf dem Landtag nicht nur der Baron von Geistmark erneute Schandtaten berichtete, die ihm auf seiner Herreise bekannt geworden waren, müsse man sich dringlich einigen. Nämliches erbaten sich die Kaufmannschaften und Handelshäuser der Städte in beiden Landen in einer gemeinschaftlichen Petition an die hohen Herrschaften.
Das dies fürwahr bitter Not tat, wurde am Abend offenbar: Da störten mit einem Male Hornsignale und Alarmrufe die zum Mal versammelten Adeligen: Da wagten es die Piraten des Hagen von der Grötz gar, die Stadt zu überfallen, in der der Herzog und so viel Adel und Kriegsleute weilten, und es hieß später, das Verrat im Spiele war. Lagerhäuser geplündert, Schiffe in Flammen und allergrößte Verwirrung — eilends befahl der Herzog eine Strafexpedition, obgleich er zu selben Zeit noch einen Heerzug gegen seinen Vertrauten alter Tage, den Baron Liepenstein, entsenden mußte, da jener sich voll und ganz jeder Einigung mit den Liebfelder Grötzen versperrte, ihre Boten gefangennahm und sich auf seiner Burger verschanzte.
Graf Growin, Baron Balinor von Bärenfang, Ritter Enno zu Stippwitz und mehr noch der tüchtigen Koschleute gingen den Nordmärker Piratenjägern gern zur Hand, und mit vereinten Kräften — und der Hilfe der Thûrsteiner Garnison — gelang’s, dem schändlichen Hagen von der Grötz das Handwerk zu legen.
Wen wundert’s noch, daß dieser Piratenhauptmann in Wahrheit freilich anders hieß und wohl mit dem Liepensteiner unter einer Decke steckte? Gar noch weiterer Schurke fand sich in dieser Bande, von der die meisten am Albenhuser Hafen hangen: niemand anders als der verrruchte Gundewald von Schleiffenröchte, ein verstoßener nordmärker Adelssproß, der auch mit dem Jergenquell im Bunde sein sollte. Nach all jenem Wirrnissen mag man die Herrschaft des Herrn vom Großen Fluß noch eifriger bestaunen als vordem, denn groß wie seine Macht ist die Zahl seiner Feinde.