Die Spur des Grauen Wolfes
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Die Spur des Grauen Wolfes
Von der gräflichen Jagd in Wengenholms Forsten
WENGENHOLM. Während man in Angbar um das Leben des Prinzen bangte, machte im Norden des Fürstentums eine andere Nachricht in den Tavernen und Stuben die Runde: die Geschichte von der Jagd des Grafen Jallik auf den gefürchteten Grauen Wolf von Wengenholm.
Die Waidgesellschaft hatte am Wulfenstieg ihr Lager aufgeschlagen, wo man das Untier zuletzt gesichtet hatte. Mit großem Troß und einer edlen Schar Begleiter genoß der junge Graf dies Abenteuer, das noch so manche wundersame Wendung nehmen sollte. Mit dem Vogt von Albumin und Ritter Lucrann von Auersbrück standen ihm zwei der treusten Vasallen zur Seite, zudem der Rondrianer Lucardus von Hirschingen. Aus der Geistmark waren Baron Kordan und der Junker Globerich von Bockzwingel herbeigeeilt, und aus dem Schetzeneck der Ritter Falk von Siebental mit seinem Knappen Metzel von Uztrutz. Die Runde schloß der Greifenfurter Schütze Wilbor Tannschlag, dessen Erfahrung den Edlen hoch willkommen war.
Voller Tatendrang ging man ans firunliche Werk, und am Abend brachte man auch reiche Beute heim — allein, der gesuchte Wolf war nicht darunter. Denn im weiten, dunklen Forst ist es das reinste Boltansspiel, die Fährte eines einzelnen, bestimmten Wildes zu finden; dafür aber stieß man anderntags auf die Spuren von Wilderern, die ihre Beute im Unterholz verborgen hatten.
Von einem seltsamen Rätsel
Die Herren Lucrann und Globerich schickten sich an, diese Jagdfrevler aufzuspüren. Doch Seltsames widerfuhr den beiden Recken auf ihrem Wege: sie kamen an einen Bergquell, der sich rauschend von der Höhe in eine Klamm ergoß. Hinter dem Wasserfall entdeckte Ritter Lucrann eine Grotte, in der er eine Stimme vernahm, als ob das Wasser zu ihm spreche. Ein seltsames Rätsel gab sie ihm auf, dessen Sinn er nicht verstand. Als er aber wieder aus dem Felsen trat, da war mehr denn ein voller Tag verstrichen, und sein Begleiter hatte voll Sorge schon den Grafen und die übrigen Edlen zu Hilfe geholt. Denn als Globerich nach dem Verschwundenen gesucht hatte, da war er nur auf blanken Fels, doch keine Höhle gestoßen! Nun ahnten die Jäger, daß es mit jenem Ort wohl eine besondere Bewandtnis hatte und das Rätsel nicht von ungefähr kam.
Von des Wolfes füchsischer Schläue
Indessen war noch etwas anderes vorgefallen, das alle in Staunen versetzte: nach alter Jagdlist hatte man der Freßgier des Wolfes Köder ausgelegt und sich unweit davon auf die Lauer begeben. Doch finster war die Nacht, und mit welchen Kräften auch immer der Räuber im Bunde war — es gelang ihm, der Köder habhaft zu werden, ohne daß ihn die Augen der Jäger erspähten. Eine Fährte aber hinterließ er durchaus, und ihr folgte man mit kläffender Meute — bis just zu einem Wasserlauf, in dem sich jede Spur verlor; auch die feinen Nasen der Hunden versagten vor den rauschenden Fluten. So kehrte man unverrichteter Dinge wieder ins Lager zurück. Da rätselten die edlen Waidgesellen, ob es mit dem schlauen Wildtier nicht doch gar etwas dämonisches auf sich habe (wie’s die abergläubischen Bauern schon lange munkelten) — zumal es ja mit einiger Sicherheit den braven Firungeweihten Treuepfeil getötet hatte.
Ein unerwarteter Fingerzeig
Es zeigte sich bald, daß die Jäger nicht alleine waren in dieser sonst so einsamen Gegend. Am nächsten Tage fand man in der Nähe Abdrücke von Menschenfüßen, und es schien, als sei der fremde Wanderer an einem Stock gegangen. Da entsann sich der Baron von Geistmark des Rätsels der sprechenden Quelle. Hieß nicht einer der Verse: „Das Alter macht den Menschen weiß und weise. In den Zeiten liegt die Frage, in den Jahren liegt die Antwort.“ — „Wie alt wohl“, fragte Herr Kordan die Gefährten, „mag der Fremde sein, daß er sich auf einen Stock stützen muß? Dies könnte doch ein Fingerzeig zur Lösung unsres Rätsels sein! Und wenn es nur ein harmloser Wandersmann ist, tun wir ein gutes Werk, ihn vor dem Wolf zu warnen.“
Sie folgten also dem Waldweg und gelangten an die Hütte jenes alten Weibes, das sie vor einigen Tagen beim Pilzesammeln getroffen, aber kaum weiter beachtet hatten. Schlohweiß war ihr Haar, und sie schien den Edlen so gänzlich anders als bei der letzten Begegnung: das war keine schlichte Kätnerin, sondern das Mütterchen wußte um so manches Geheimnis dieser Gegend.
Isgrimma vom Walde nannte sich das Weibsbild, und freundlich lud sie den Grafen und seine Mannen zu einer Pilzsuppe ein. Während sie aßen, erfuhren die Jagdgefährten auch die Lösung des übrigen Rätsels, auf die sie ohne Hilfe der weisen Frau wohl nie gekommen wären.
Die Mär derAlten
„Vor vielen Jahren“, so erzählte ihnen Isgrimma, „herrschte ein schlimmer Winter, und die Leute drohten zu verhungern. Da kam ein Fremdling in Begleitung einer Wölfin in die Gegend und bot den Leuten Hilfe an. Tag für Tag versorgte er die hungernden Menschen mit Wildbret, das seine Gefährtin, die Wölfin Bronja, erjagt hatte. Doch statt des Dankes brachte man dem Paar nur Furcht entgegen, denn der Mann verfügte über seltsame Kräfte und den Bösen Blick. Als nun ein Kind von einem Wolf gerissen wurde, da glaubte man die Schuldige zu kennen: die Leute erschlugen Walbrods Wölfin und jagten ihn aus dem Lande. Doch nun ist er zurückgekehrt, um sich zu rächen. Und heute ist die Nacht der vollen Mada, da er die Wölfe seinem Bannspruch unterwirft, um sie zu Dienern seiner Rache zu machen.“
Das Ende des Schurken
Da erkannten die Recken, daß die Zeit drängte, und man ließ sich von Isgrimma an die besagte Stätte führen. Mutig stellten sie den Schurken, und mit der Götter Hilfe trugen sie den Sieg über seine Schwarze Kunst davon. Was genau in jenem finstern Tal zur Vollmondnacht geschah, läßt sich nur schwerlich hier berichten. Doch haben Seine Hochwohlgeboren Auftrag gegeben, den genauen Hergang in die Chroniken der Angenburg einzutragen, und eine Abschrift davon ward auch an die Hallen der Hesinde zu Angbar gesandt, wo sie für jedermann zur Einsicht liegt.