Gortoscha Mortomosch!
Gortoscha Mortomosch!
Der Rat der Zwergenvölker zu Ingrahall
Brennende Kessel tauchen den achteckigen Saal in düsteres Licht. Das Spiel der Schatten scheint die steinernen Reliefs an den Wänden für Augenblicke zum Leben zu erwecken — uralte Bildnisse der zwergischen Geschichte, von der Erschaffung durch Angrosch über den Tag des Zorns bis zum Auszug der Zwergenvölker; Zeugnisse aus jener längst vergangenen Zeit, als hier im Kampf gegen die Drachenbrut noch ein Zwergenkastell als Vorposten der Koschberge über das Tal des Angbarer Sees wachte. Heute sind es gleichsam Geweihte des Angrosch und Ingerimms, welche die ehrwürdigen Gänge und Hallen von Ingrahall bewohnen — und das alte Kastell, seit Jahrhunderten schon, zu einer Begegnungsstätte zwischen Angroschim und Menschen machen. Doch noch nie hat dieser Ort eine solch denkwürdige Zusammenkunft erlebt wie in diesem Mond der Rondra 1028 BF, den die Zwerge den Hitzemond nennen.
Kein Geringerer als der Hochkönig aller Zwerge selbst, Albrax Sohn des Agam, hatte zu einem Treffen aller Völker der Angroschim in das Kloster Ingrahall gerufen. Mächtige Schläge auf Eiserne Röhren verkündeten den Beginn des Rates und begleiteten die Geladenen bei ihrem Einzug in die Versammlungshalle. Voran schritten die Malmarraxim 1 mit den gekreuzten Hämmern, den Symbolen der Reiche unter dem Berg — dahinter betraten die Bergkönige selbst mit ihrem Gefolge den Saal: Die rostroten Schmiedehämmer des Eisenwaldes und der umsichtige Rogmarok Fargol Sohn des Fanderam, die polierten Kupferhämmer von Koschim mit dem geblendeten König Gilemon Sohn des Gillim, die grünspanigen Hämmer der Hügelzwerge und ihr gewichtiger Oberster Richter Nirwulf Sohn des Negromon, die goldschimmernden Feinschmiedehämmer von Angralosch und der Brillantzwergenkönig Cendrasch Sohn des Odmar, schließlich die stählernen Kriegshämmer von Waldwacht und das weise Väterchen Arombolosch Sohn des Agam (der Bruder des Hochkönigs). Die steingrauen Steinmetzhämmer von Xorlosch jedoch wurden ohne Begleitung ihres Rogmarok Tschubax Sohn des Tuagel hereingetragen, der selbst gerne Hochkönig geworden wäre und wohl nicht zuletzt deshalb fern blieb, was freilich schon im Vorfeld für Unruhe sorgte — weniger jedoch als der Eklat mit den Zwergen aus dem westlichen Finsterkamm. Diese haben vor Jahren ein eigenes Bergkönigreich ausgerufen, welches jedoch von den übrigen Bergkönigen nie anerkannt wurde. Als sich die Delegation aus dem Finsterkamm in die Reihen von Bergkönig Arombolosch einreihen sollte, wie die anderen Ambosszwerge auch, kam es zum offenen Streit, da sie auf einen eigenen Einzug pochten. „Wenn ihr uns nicht anerkennt, werden auch wir euch nicht anerkennen — ihr seid nicht mehr unsere Brüder!“, rief der selbsternannte König Bonderik erbost und zog schließlich wütend mit seinem Gefolge ab.
Als letzter betrat schließlich der Hochkönig selbst den Saal. Kein Fanfarenhall oder Pomp wie bei menschlichen Kaisern, sondern allein mit seinem kampferprobten Kettenhemd und mit bescheidenem Ehrengeleit einiger überlebender Söldlinge der Korknaben, betrat Albrax Sohn des Agam die Runde. Hinter ihm der Menschenfürst Blasius vom Kosch, wie alle seines Geschlechts ein erklärter Freund der Zwerge. Der donnernde Klang der Eisenröhren verstummte, und Fargol vom Eisenwald stellte als erster die Frage, die wohl allen Versammelten auf der Seele brannte: „Nun, unser Hochkönig hat gerufen und wir sind hier. Seit dem Krieg der Menschenmagier unter Hochkönig Ambros sind nicht mehr alle Sprecher der Kinder Angroschs vereint zusammengetreten. Nun möchten wir erfahren, was Euch, Hochwürdiges Väterchen, zu diesem ungewöhnlichen Schritt bewogen hat.“
Zustimmendes Gemurmel begleitete diese Worte, und auch Albrax selbst nickte: „Eine gute Frage — ich schätze jeden, der ohne Umschweife zum Punkt kommt. In der Tat ist es ein bedeutsamer Moment, der uns zusammenführt. Die Erkenntnis erlangte ich in einem kurzen Augenblick während der Schlacht bei Wehrheim, als wir, wackere Streiter aller Reiche und ich, dem untoten Drachen gegenüberstanden.“ Nun hob der Hochkönig an, den Versammelten den Verlauf jenes Kampfes zu schildern. Gebannt lauschten alle seinen Erzählungen von Grausamkeit, Schrecken und Verderbnis, bis er mit den Worten schloss:
Blut... nichts als das Blut, der gefallenen Freunde und Kameraden ebenso wie das eigene, konnte ich sehen, riechen, ja schmecken — hörte einzig das höllische Donnergrollen des triumphierenden Feindes vor den Toren Wehrheims. Was soll man in einem solchem Moment schon anderes tun, als dem Seelenfeuer noch ein kurzes Stoßgebet auf seine Reise zu Angrosch hinterher zu schicken?
Doch, bei sämtlichen Bärten der Urväter, ich überlebte, und nicht das Ende kam mir in den Sinn, sondern die Gewissheit, dass dies ebenso wenig ein Ende war wie der Fall Lorgoloschs — all dies war und ist erst der Anfang. Wir alle stehen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, das am Horizont dämmert und uns prüfen wird wie keine Zeit zuvor.
Seht euch um — überall verfallen dieser Tage die guten und schützenden Reiche, überall erheben alte und neue Schrecken ihr Haupt, immer bereit weitere, noch größere Schrecken auszubrüten. Jedes Mal, wenn man denkt, es könne nicht schlimmer werden, wurde ein noch grausamerer Feind geboren — und das Ende dieses Weges mögen wir noch immer nicht ahnen. Doch auch wenn wir es nicht kennen, bei Angrosch, wir werden dennoch gewappnet sein!
Schwestern und Brüder, lasst uns Seite an Seite, Schulter an Schulter, Axt an Axt, zusammenstehen und dem trotzen, was kommen mag! Schwören wir dies, jetzt und heute:
An jenem Tag, an dem der Donner des Amboss Angraborosch das Tal von Malmarzrom erklingen lässt und die Hämmer aller anderen heiligen Grotten, Stollen und Tempel des Angrosch seinen mächtigen Ruf in jeden Winkel tragen werden, wird sie gekommen sein, Angroschs letzte Prüfung: Die entscheidende Schicksalsschlacht, an deren Ende die Zwerge entweder untergehen oder ihre Erfüllung im verheißenen Ewigen Zeitalter2 finden werden.
Angrosch, unsere Feinde mögen uns fordern, aber Deine Kinder werden Dir keine Schande bereiten — und sei es unser letzter Kampf! Das schwören wir beim ewigen Feuer, und darauf trinken wir mit feurigem Brannt — GORTOSCHA MORTOMOSCH!“
Da stimmten alle Angroschim in den Kampfruf mit ein und erhoben ihre Kelche, mancher recht zaghaft, mancher voller Inbrunst… denn allen war klar, dass dieser Moment die Verkündung eines entscheidenden Kampfes des Kleinen Volkes war — vielleicht gar des legendären letzten Zeitalters, vor dem sie sich der entscheidenden Prüfung durch Angrosch selbst stellen müssen. Dieser Gedanke ließ bei vielen Heldenmut, bei manchen aber auch bange Sorge aufkommen. Manch ein Xorloscher Erzzwerg zweifelte gar und murmelte insgeheim die Vermutung, der Hochkönig habe im Kampf gegen den untoten Drachen bei Wehrheim den Verstand verloren.
Die übrigen Völker schmiedeten jedoch bereits Pläne, wie man die, wohl bereits 1020 BF mit dem Falle Lorgoloschs begonnene Zeit des Übergangs und der Vorbereitung — die sogenannte ‚Zeit der Helden’ — weiterhin nutzen wolle. Denn bisher weiß niemand, welche Prüfungen noch bevorstehen und wann oder gegen wen schließlich die Schicksalsschlacht stattfinden wird. So beschloss man, die uralten Stählernen Hallen von Lûr im Amboss als Übungsstätte der Kämpfer wiedererstehen zu lassen.
Eines aber sollten wir nicht außer Acht lassen”, sprach Väterchen Nirwulf bedächtig und wartete, bis die ganze Aufmerksamkeit des Rates ihm gehörte. „Wenn auch Vater Angrosch die große Prüfung uns, seinen Kindern, bereitet hat, so gibt es doch seit langen Zeiten gute Verbündete und Freunde unseres Volkes.“ Und mit diesen Worten wies er auf den Fürsten Blasius vom Eberstamm, der als einziger des Menschenvolkes diesem Rate beiwohnte, sich bislang aber schweigend im Hintergrund gehalten hatte.
„Die Menschen des Kosch“, fuhr Väterchen Nirwulf fort, „sind mit unseren Ahnen einst ein Bündnis eingangen, das bis heute fortbesteht, wenn auch — um es bildlich auszudrücken — sich ein bisschen Rost und Staub darauf abgesetzt haben mag. Meine Brüder Arombolosch und Gilemon, würdet ihr dem Gevatter Blasius und mir helfen, diesen Rost ein wenig zu entfernen, damit die alte Freundschaft wieder leuchtet wie eine gut gepflegte Klinge oder Pflugschar?“
Da nickten die Bergkönige von Koschim und Waldwacht; gemeinsam traten die vier Führer ihrer Völker an den Altar von Vater Angrosch und enthülten dort eine kleine Stele, die Herr Blasius aus Angbar mitgebracht hatte. Es war eine getreue Abschrift des Bunds auf Ewig, wie ihn die Schwursäule auf dem Platz der Ewigen Flamme bewahrt und zeigt. Und feierlich, wie einst vor vielen, vielen Jahren ihre Ururahnen, bekräftigten sie die schöne Freundschaft zwischen Angroschim und Menschen zwischen des Koschgebirges weißen Gipfeln und des Großen Flusses Strand. Fürst Blasius wurde gar zum ‚Bruder der Zwerge’ und damit zum Mittler zwischen den Völkern ernannt.
Nach dieser Zeremonie wurde der Rat zu Ingrahall beendet. Am nächsten Morgen schon brach Hochkönig Albrax in Begleitung von Getreuen aller Völker auf, um nach einer neuen Bleibe zu suchen, von der aus er die Zwergenheit in ihre neue Ära geleiten will; denn seine alte Burg in der Schwarzen Sichel wurde von den feindlichen Horden vernichtet. Möge Angrosch die Wege seiner Kinder sicher durch diese Heldenzeit, bis in ihre letzte und entscheidende Schlacht geleiten, und ihr Sieg das darauf folgende Ewige Zeitalter krönen.
Losiane Misthügel, nach Berichten aus Ingrahall
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1 Malmarrax (Rogolan: Hüter der Hämmer) ist ein hohes zeremonielles Amt an den Höfen der Bergkönige, in etwa vergleichbar mit den Truchsessen an den Königshöfen der Menschen. Das Amt wird meist von zwei Brüdern ausgeübt, deren vordringlichste Aufgabe die Bewachung des Schatzes, insbesondere der heiligen Hämmer, darstellt.
2 Der Glaube an Angrosch kennt viele Facetten; so ist die Vision einer schicksalshaften Endschlacht, nach der die Zwerge ihre Aufgabe erfüllt haben werden und entweder als Sieger in Angroschs Hallen eingehen oder als Verlierer einer neuen Schöpfung Angroschs weichen müssen, zwar weit verbreitet aber nicht unumstritten. Die meisten Erzzwerge Xorloschs etwa sind mehr als skeptisch und lehnen diese Theorie bislang offen ab.
Die Bergkönige
Albrax Sohn des Agam (Hochkönig der Zwerge)
Tschubax Sohn des Tuagel (Bergkönigreich Xorlosch)
Fargol Sohn des Fanderam (Bergkönigreich Eisenwald)
Arombolosch Sohn des Agam (Bergkönigreich Waldwacht)
Gilemon Sohn des Gillim (Bergkönigreich Koschim)
Cendrasch Sohn des Odmar (Bergkönigreich Angralosch)
Nirwulf Sohn des Negromon (Hügellande)