Die Schmach des Hauses Unterangen

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Ausgabe Nummer 39 - Efferd 1028 BF

Die Schmach des Hauses Unterangen

Baron Tradan erhenkt — Jungfer Cathine Spott der Bürger

BRN. OBERANGBAR. Ein großer, kahler Eichbaum steht an der Grenze zwischen Geistmark, Garnelhaun und Oberangbar — und gehört doch keiner dieser Baronien an, denn Schauerliches munkelt man von der „Blattlosen Eiche“ und dem verderbten Boden, auf dem sie steht. An diesem Ort nun fand Herr Tradan von Unterangen, der Baron von Oberangbar, ein schmachvolles Ende.

Zuletzt hatte man Herrn Tradan Mitte Ingerimm gesehen, als er beim Nahen des Alagrimm in furchtsamer Hast aus Oberangbar floh, Stadt und Leute ohne Schutz und Führung zurücklassend. Während manche Gutgläubigen noch meinten, der Herr sei aufgebrochen, um eilig Hilfe zu holen oder einen geheimen Rettungsplan in die Tat umzusetzen, mutmaßten andere, er stehe vielmehr mit dem nahenden Feind im Bunde. Die meisten aber waren der Ansicht, den Baron — immerhin ein Angehöriger der Fürstlichen Schlachtreiter! — habe schlichtweg die Angst gepackt. Und so scheint es auch gewesen zu sein.

Glücklicherweise wurde Oberangbar nicht von dem Schrecken heimgesucht, der Alagrimm wandte sich zuvor nach Süden, gen Angbar. Doch auch nachdem die Bedrohung vorüber war, kehrte der Baron nicht in die Stadt zurück. So schickte man einige Berittene aus, nach ihm zu suchen und zu forschen, ob er in einem der benachbarten Orte gesehen worden sei — aber nirgends fand sich eine Spur von ihm.

Der Zufall wollte es nun, dass die Bänkelsängerin Jolande Blaustrumpf, die in Bauersglück genächtigt hatte, quer über die Harschenheide wanderte, um über Harschburgen nach Oberangbar zu gelangen. Wir haben ihren Bericht getreulich aufgeschrieben:

„Das Land war über weite Strecken verbrannt und von Asche bedeckt — es war, als wanderte ich über eine riesige, erloschene Feuerstelle. Hier und da sah ich die schwarzen Trümmer eines Heidehofes, auch stieß ich zuweilen auf die verbrannten Überreste von Schafen oder anderen Tieren. Das war schon recht unheimlich, und ich war froh, meinen guten Stecken dabei zu haben, der mir schon manche Gefahr vom Leib gehalten hat. Gegen Mittag sah ich dann in der Ferne einen großen Baum, mit dunklem Astwerk vor dem sommerblauen Himmel. Etwas Großes, das im Winde hin und her schwankte, hing von einem der Äste herab. Auch sah ich zahlreiche Vögel kreisen, sodass ich den Baum für eine jene Henkerseichen hielt, wie man sie vor allem in den Nordmarken des öfteren am Wegesrand findet. Eigentlich wollte ich den unheimlichen Ort in einem Bogen umgehen, doch zugleich trieb mich eine merkwürdige Neugier näher heran. Es war wohl dieses Blitzen und Blinken, das jedes Mal entstand, wenn sich der Körper des Gehenkten im Sonnenlicht drehte — das machte mich stutzig, denn welcher Strauchdieb oder Wegelagerer wird mit blankem Rüstzeug an den Ast gebracht? Und wirklich, der Mensch, der dort hing, muss wohl ein Ritter und Edelmann gewesen sein, denn er trug einen guten Harnisch und Reitersporen. Die Vögel hatten indessen ihr Werk schon weit vorangetrieben, sodass es ein abscheulicher Anblick war. Ich beschloss, im nächsten Ort zu fragen, ob hier ein schurkischer Raubritter hingerichtet worden sei oder ein aufrechter Streiter ein schmähliches Ende gefunden habe und ein borongefälliges Begräbnis verdiene.“

Wie sich herausstellte und der geneigte Leser wohl bereits vermutet hat, waren es die sterblichen Überreste des Barons von Oberangbar, die von einigen wackeren Leuten eilends geborgen und in das nächste Dorf gebracht wurden, wo man den entstellten Leichnam am selben Tag noch einäscherte. Allem Anschein nach hatte der Baron im Sinn gehabt, auf seiner Flucht die feindlichen Horden zu umgehen und nach Norden zu reiten, denn der Alagrimm war ja auf dem Wege nach Südwesten. Er muss jedoch einigen marodierenden Schergen des Jergenquell in die Hände gefallen sein, die ihn, der Obrigkeit und aller Ordnung spottend, kurzerhand an der Blattlosen Eiche erhenkten. Dabei gingen die Galgenstricke denkbar stümperhaft (oder mit grausamer Absicht?) zu Werke, denn der Strang war schlecht geknotet, sodass der Tod nicht gleich eintrat; dem elenden Ringen des Erhenkten wurde erst durch einen Armbrustbolzen, der noch in Herrn Tradans Brust steckte, ein Ende bereitet.

Die Nachricht vom Tode des Barons wurde in Oberangbar zwar mit Betroffenheit, aber ohne große Trauer aufgenommen; Herr Tradan hatte in den vier Jahren, da er den Titel trug, weder den Hass noch die Zuneigung der Leute auf sich gezogen — doch waren alle über sein unrühmliches Verhalten in der Gefahr zutiefst verbittert. Denn wie es die Pflicht des Untertanen ist zu arbeiten und seine Abgaben zu entrichten, so hat der Herr ihn zu schützen — und eben dies hatte der Baron nicht getan.

So verwundert es nicht allzu sehr, was sich wenig später ereignete, auch wenn dergleichen für die braven Koscher ungewöhnlich ist: Einige Tage nachdem man ihren Vater gefunden hatte, brach Jungfer Cathine von Unterangen mit einem kleinen Gefolge von ihrem Stammsitz auf, um als neue Baronin in Oberangbar Einzug zu halten. Zuvor aber hatte sie einen Boten ausgesandt, der den Bürgern ihre Ankunft melden und den Empfang vorbereiten sollte. So schön und feierlich die Edeldame sich das alles wohl erdacht haben mochte — einige Meilen vor der Stadt kam ihr der Bote entgegen, eine unerwartete Nachricht mit sich bringend: Gerne, so meldete er, wolle die Bürgerschaft Frau Cathine einlassen und ihr in einem der traviagefälligen Gasthöfe Herberge gewähren; allein die Schlüssel der Stadt zu überreichen, die Tore der Feste zu öffnen und sie als neue Baronin zu empfangen — dazu sei man keineswegs bereit noch imstande, sei doch mit dem Tode des Herrn Tradan das Lehen heimgefallen, und so sei es wohl die Sache des Fürsten allein zu entscheiden, wessen Stirne künftig der Baronsreif schmücken solle.

Die Stirne der Junkerin mag sich ob solcher Antwort in tiefe Zornesfalten gelegt haben, doch setzte sie unbeirrt den einmal eingeschlagenen Weg fort. Als sie aber mit wehendem Banner und grimmiger Miene vor der Stadt erschien, schlossen die Wächter kurzerhand das Tor und wollten sie nicht einlassen. Auf Frau Cathines Frage, was ihnen einfalle, erwiderte die Weibelin Alvide Stitzenbrink gelassen: „So tut man’s hierzulande, wenn jemand sich in Waffen naht, um von der Stadt Besitz zu nehmen“, wobei sie auf das halbe Dutzend Waffenknechte zeigte, welche die Eskorte der Jungfer bildeten. Diese Antwort war freilich recht phexenhaft, und vielleicht wäre alles noch anders gekommen, hätte Frau Cathine nun besonnener gehandelt. Doch ihre barschen Befehle, die schließlich in wütende Drohungen übergingen, dienten nur dazu, die trotzigen Wächter in ihrem (gewiss eigenmächtigen und nicht durchdachten) Handeln zu bestätigen. Schließlich rief die kecke Weibelin vom Torturme hinab: „Dann sagt uns doch, hochedle Dame, wo wart denn eigentlich Ihr selbst, als der Feind die Stadt bedrohte? In Angbar etwa, unterm Fürstenbanner, wo Euer Vater hätte stehen sollen?“ Das fragte sie jedoch nur, weil sie genau wusste, dass die Jungfer zu diesem Zeitpunkt auf Gut Unterangen krank im Bett gelegen. Diese hatte also nichts zu erwidern, was ihr Ansehen nicht noch weiter untergraben hätte, und so wendete sie wutschäumend ihr Ross und preschte davon, nicht ohne noch ein paar Verwünschungen gegen die aufsässige Stadt im Allgemeinen und die kecke Weibelin im Besonderen auszustoßen. Als der alte Stadtmeister Gernot Mantelsaum, der inzwischen von dem Vorfall unterrichtet worden war, herbeigeeilt kam, sah er nur noch das flatternde Banner in der Ferne. Zwar hätte er nun eiligst einen Boten hinterdreinschicken und alles als ein Missverständnis ausgeben, die Tore öffnen und einen würdigen Empfang bereiten können — doch das beliebte dem ehrwürdigen Greis nun auch nicht. Denn mochte er auch die Dreistigkeit Alvide Stritzenbrinks rügen, da sie schlimme Folgen haben konnte, so war er von dem Auftreten der Junkerin, wie es ihm geschildert wurde, bei weitem nicht angetan. Auch erinnerte er sich nun, dass Frau Cathine in den vergangenen Jahren sehr oft mit der — nun als Dämonenbuhle entlarvten — Charissia von Salmingen ihre Zeit verbracht hatte... was freilich nichts bedeuten muss, bei vielen aber einen bösen Verdacht aufkommen ließ.

So blicken die Oberangbarer mit banger Sorge nach Angbar und nach Fürstenhort, wo der gute Herr Blasius über die Nachfolge entscheiden wird; dass der Baronsreif im Besitz des vor vier Jahren erst belehnten Hauses Unterangen bleibt, steht trotz aller Ansprüche Jungfer Cathines keineswegs fest.

Karolus Linneger