Das Reich streitet um Schetzeneck

Aus KoschWiki
Version vom 1. April 2024, 15:11 Uhr von Kunar (D | B) (Textersetzung - „nor:“ durch „xyz:“)
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Kosch-Kurier36-.gif

Ausgabe Nummer 36 - Peraine 1027 BF

Das Reich streitet um Schetzeneck

Von denkwürdiger Tjoste um die Hand der Prinzessin Iralda Mechtessa

KOSCHTAL. Endlich war er da, der 4. Travia 1027 BF, der Tag der Helden. Lange war geplant, an Tribüne und Feld gezimmert und geschmückt worden. Graf Helkor von Schetzeneck hatte seine Boten ins gesamte Raulsche Reich ausgesandt, um eine Auswahl der hehrsten der edlen Geschlechter einzuladen, einen, und nur einen, würdigen Jüngling aus ihren Reihen in die Grafenstadt zu entsenden. Denn dem Sieger sollte die Ehre zuteil werden, seine geliebte Tochter Iralda, die dereinst die Grafschaft erben soll, bereits bald nach dem Turniere festlich zu heiraten.

Unter schlechten Sternen

Auch wenn die braven Koschtaler die Brückfelder als verwunschenen Ort sehen und am liebsten meiden, so zog sie die nach und nach eintreffende Auswahl der wackersten Jünglinge des Reiches doch in ihren Bann. Wohl wissend, dass sich hier einige der stattlichsten Burschen und ‚besten Partien’ tummeln würden, waren auch so manche unvermählten Jungfern, wie die Baronin von Herbonia oder die Junkerinnen von Neuensteinigen und Munkelstein, zugegen. Schließlich würde nur einer von Ihnen die Hand der Grafentochter erringen können — genug andere würden unvermählt bleiben. Voller Bewunderung säumten sie alle den zum Turnierfeld führenden Grevensteig und jubelten den einziehenden Rittern auf ihren prächtigen Rössern zu, obwohl das launische Herbstwetter alles andere als zum Feiern einlud: Kalter Wind ließ die Zelte erzittern, immer wieder peitschte ein Regenschauer über die Versammlung und weichte den Grund auf, der daraufhin von den Knappen immer wieder mit frischen Sägespänen bedeckt wurde. Man überlegte gar, ob man die Wettkämpfe nicht auf einen der kommenden Tage verschieben sollte, doch Graf Helkor bestand felsenfest auf dem symbolträchtigen Tag der Helden. Seine Tochter sollte den würdigsten Streiter zum Gemahl erhalten — und nur an diesem Praioslauf könne er gefunden werden.

Geladene und Gedemütigte

Es mag weniger an der widrigen Witterung gelegen haben, sondern vielmehr an den noch immer bedrohlichen Zeiten im Mittelreiche, dass sich am Ende zwar einige der größten, aber deutlich weniger Streiter einfanden, als ursprünglich geladen waren. Zu viele Familien haben einen bitteren Blutzoll erlitten oder stehen in Wacht und Kampf an den gefährdeten Grenzen. Dennoch blieb Truchsess Garubald Grobhand ein gestrenger Wahrer der Regeln. Junker Gisbrun von Treublatt, einer der Söhne des fürstenhorter Vogts, ritt mit polierter Rüstung und stattlichem Ross an ihn heran, um seine Ladung abzugeben und zu zeigen, dass er für das Turnier bereit sei. Wer den kräftigen Rittersmann sah, zweifelte wahrlich nicht an seinen Fähigkeiten. Allein Truchsess Garubald nahm das Pergament mit skeptischem Blick entgegen, entrollte es und warf einen Blick darauf: „Mit diesem Schreiben wurde nicht das Haus Treublatt, sondern das ehrbare Haus Mersingen geladen!“ — „Das mag sein“, entgegnete der Junker mit triumphalem Lächeln, „doch auf ihm stehen die Worte ‚Mit Empfang dieses Schreibens sei Euer edles und ehrbares Geschlecht erwählt und geladen, einen Vertreter auf das Gräfliche Turnier zu Koschtal zu entsenden…’ — nun, ich habe dieses Schreiben empfangen…“

Garubald, der treue Diener und Verwalter des Grafen aber war von dieser Spitzfindigkeit sichtlich erbost und blies zurück: „Gisbrun von Treublatt — ich weiß nicht, wie Ihr an diese Ladung gekommen seid, doch eines ist gewiss: Niemals würde Seine Hochwohlgeboren einen Vertreter Eures Geschlechtes auf diesem Turnierplatz zu sehen wünschen. Wäre es nicht genug, dass Euer Vater Roban sich dereinst mit anderen verderbten Gesellen wider den Grafen verschwor, so wäre es Eure eigene Dreistigkeit, die mich zu diesem Urteil triebe: Junker Gisbrun von Treublatt, ich verweise Euch im Namen des Grafen dieses Platzes und eines Umkreises von zehn Meilen auf Jahr und Tag!“ Das Lächeln des Junkers war einer eisigen Miene gewichen, wortlos machte er kehrt und ritt davon — in seinen Augen funkelten Wut und Hass.

Hohe Herren

Die anderen eintreffenden Teilnehmer dagegen wurden vom Truchsessen freudig begrüßt und im Turnierbuch verzeichnet. Große Namen standen dort auf feinstem Pergament — Hirschfurten, Hartsteen, Rabenmund, Bregelsaum, Stepahan, Nadoret, vom See waren nur einige davon. Selbst der Grafenbruder und fürstliche Herold Hernobert von Falkenhag ließ es sich nicht nehmen, um die Hand der holden Iralda zu streiten. Der überraschendste Teilnehmer aber traf erst kurz vor Beginn der Tjoste ein. Nun muss man wissen, dass Graf Helkor es für angemessen ansah, da er die größten Geschlechter des Reiches einlud, auch den Häusern der Provinzherren und dem Kaiserhaus Einladungen zukommen zu lassen. Freilich lehnten diese, vom mitgliederreichen Haus Rabenmund abgesehen, erwartungsgemäß dankend und höflich ab — wie etwa die von Ehrenstein, Löwenhaupt oder Wertlingen. Auch das Fürstenhaus beschränkte seine Teilnahme auf das Zusehen von der Ehrentribüne aus — wo Fürst Blasius, Prinz Anshold und die in hohem Maße tsagesegnete Prinzessin Nadyana neben den Grafen Growin und Jallik Platz nahmen. Aus den Nordmarken aber hatte man keine Absage erhalten, und mancher murrte schon, das Herzogenhaus schätze die Grafen von Schetzeneck derart gering, dass es noch nicht einmal eine Antwort für nötig halte. Doch weit gefehlt — ein Krieger mit glänzendem Panzer galoppierte auf einem kraftvollen Elenviner Streitross heran, Federbusch und Zaumzeug in den grünweiß-blauen Farben des Hauses vom Großen Fluss, der Umhang mit dem Herzogswappen bestickt. Ein Raunen erhob sich auf den Rängen, denn kein Geringerer als Frankward, leiblicher Sohn des Herzogs Jast selbst, gab sich die Ehre. Selbst Meister Grobhand verzeichnete diesen hohen Teilnehmer sichtlich verblüfft in seinem Buche, während man auf der Tribüne und selbst unter den Gemeinen am entfernten Rand des Feldes tuschelte.

Im Namen Travias und Rondras

Gegen Mittag, als das Feld der siebzehn anerkannten Teilnehmer komplett war und das Turnier beginnen konnte, legte sich auch der eben noch tosende Wolkenbruch. Die Zuschauer erhoben sich, als Mütterchen Burescha, die hügelzwergische Traviageweihte von Koschtal, das Feld betrat — auf ihrem Arm eine wohl genährte Gans. „Bedenket eines: Durch dieses Turnier gilt es nicht nur, einen guten und kräftigen Streiter zu finden, sondern vor allem einen würdigen, treuen und göttergewollten Gemahl für Prinzessin Iralda Mechtessa. Möge allein er es sein, der durch die Kraft der Liebe und seines starken Herzens den Sieg davonträgt und den Ruhm erntet. Der Segen und das Glück Mutter Travias liege über diesem Tag und der daraus entspringenden Verbindung.“ So sprach sie und segnete ebenso jene Gans, die den Willen der guten Göttin offenbaren sollte, indem sie die Paarungen bestimmte. Dazu wurde ein Kreis aus kleinen, hölzernen Toren errichtet — wobei ein jedes das Wappen eines der verbliebenen Teilnehmer zierte. In der Mitte wurde ein wenig vom besten Korn gestreut und getreulich verzeichnet, durch welches der Tore die Gans nun trat. Dieses wurde sogleich geschlossen und das Verfahren wiederholt, um den Gegner zu ermitteln.

Nicht nur das Wohlwollen Travias sollte auf diesem Wettstreit liegen, freilich sollte auch die Göttin Rondra um Beistand gebeten werden, auf dass die Kämpfe ehrenvoll und ritterlich ausgetragen würden. Doch licht sind die Reihen der Rondrageweihten auch im Kosch nach den Gefechten der letzten Jahre geworden. Zudem hatte das Schwert der Schwerter in diesen Tagen viele von ihnen unerwartet zum Rat nach Perricum oder anderen Diensten gerufen, so dass die Schwertbrüder von Angbar, Ferdok und Rhôndur kurzfristig absagen mussten. In aller Eile schickte man darob einen Boten zum einzigen Tempel, der rechtzeitig einen Geweihten entsenden konnte – nach Gerrun. Niemand Geringeres als der Ordensmeister des Schwertordens der Niam, der greise Ungol Greocc, wollte es sich nicht nehmen lassen, trotz seines fortgeschrittenen Alters diese Ehre selbst wahrzunehmen. In einem wahren Gewaltritt folgte er den Boten des Grafen durch das Unwetter und traf so gerade noch rechtzeitig zur Eröffnung ein. Sichtlich erschöpft trabte der weißhaarige Ritter der Göttin auf seinem schweißnassen Ross in die Mitte des Platzes. Erneut erhoben sich alle Anwesenden, er schlug das Zeichen Rondras, hob an, ihren Segen zu erbitten, doch aus seiner Kehle drang nur noch ein leises Seufzen — ehe er tot aus dem Sattel fiel.

Schnell beeilte man sich, die Leiche würdig vom Feld zu tragen und das Turnier zu beginnen, auf dass niemand Zeit hätte, diese Wendung als böses Omen zu deuten.

Das erste Gefecht

Zunächst jedoch galt es zu klären, wer die Farben des ebenso alten wie verzweigten Hauses von Sturmfels vertreten würde. Denn gleich zwei Recken stritten um diese Ehre, doch gemäß der Regeln durfte jede Familie nur einen Recken stellen. Um den Sturmfels’schen Streiter zu ermitteln, baten sie deshalb darum, in einem Vorkampf gegeneinander antreten zu dürfen. Graf Helkor hatte entschieden, dass dieser nicht im Lanzenritt, sondern mit Turnierschwertern auszuführen sei, damit niemand der anderen Teilnehmer sagen könne, das Geschlecht Sturmfels sei geübter in die Tjoste eingetreten. So standen sich Junker Rondred Bernhelm von Sturmfels m.H., ein Recke aus den Nordmarken, und der darpatische Vetter Ferian von Rabenmund-Sturmfels gegenüber. Vielleicht entschied letztlich der größere Wille, die Familienehre vertreten zu wollen. Am Ende jedenfalls entschied der eifrige Dohlenfelder das Duell für sich. Sein geschlagener Blutsverwandter jedoch reichte ihm anerkennend die Hand und wünschte ihm mit ehrlichen Worten Glück bei der Vertretung ihrer stolzen Sippe. Eine ehrenvolle Geste, welche die eigentliche Tjoste einleitete. Das Turnier beginnt Fanfaren erklangen, als die nurmehr sechzehn Lanzenreiter einritten und sich in der Mitte des Feldes aufreihten — wahrhaft einer stattlicher und beeindruckender als der nächste, wenngleich mancher etwas überrascht blickte, als sie Prinzessin Iralda erstmals zu Gesicht bekamen. Zwar war ihr Antlitz von einem feinen Schleier verhüllt, doch von der Nähe konnte man sehr wohl erkennen, warum sie bisher nicht vermählt war und weshalb manch braver Schetzenecker bisweilen einen zusätzlichen Silberling an Rahja und Travia für sie opfert. Denn als lieb und herzensgut ist sie bekannt, doch wenn man die Schönheit preist, fällt ihr Name nicht. Dem gestrengen Grafen Helkor entgingen die bisweilen mitleidsvollen, unbehaglichen, bestenfalls reglosen Mienen mancher Teilnehmer nicht — nur einer von ihnen lächelte zu des Grafen Überraschung für einen Augenblick sanft, als er sie sah.

Der erste Ritt gebührte, so wollte es Mutter Travia, einem Streiter aus dem altehrwürdigen Geschlecht derer vom Berg und dem einzigen Schetzenecker, der an diesem Turnier sein Glück versuchte. Es geht das Gerücht, dass sich Baron Balinor von Bärenfang nicht selbst melden wollte, sich jedoch fügte, als treue Freunde das für ihn getan hatten. Die Sympathien der Koschtaler Bürger allerdings waren ihm dennoch gewiss. Vielleicht gab ihm dies den entscheidenden Antrieb, der ihn letztlich zum viel umjubelten Sieg über den Nordmärker Rondragoras Sigred vom Berg-Berg führte. „Ein Schetzenecker Siegesritt — das Turnier beginnt wirklich gut!“, so kommentierte die am Feld stehende Bäckermeisterin Nale.

Entsprechend verwöhnt erwartete man einen weiteren koscher Sieg im Duell zwischen dem Darpaten Goralf von Firunslicht und Angrich von Zweizwiebeln, dem ältesten Sohn des Barons von Auersbrück. Doch der stolze Vater, ein wackerer Veteran der Schlachtreiter, wurde ebenso bitter enttäuscht, wie der Großteil der übrigen Zuschauer. Denn der Firunslichter erwies sich als sattelfester, was die anwesenden Darpaten — zumeist Gefolge der dort gebürtigen Teilnehmer — mit Freude vernahmen. Ungleich gespaltener waren die darpatischen Vorlieben insgeheim wohl beim folgenden Aufeinandertreffen der Häuser Bregelsaum und Rabenmund, Geschlechter, die sich bekanntermaßen nicht recht grün sind und in der Vergangenheit gar blutige Fehden ausgetragen haben. Es hieß, Mutter Travia selbst habe diese Begegnung erwählt, um die Festigkeit des geschlossenen Friedens zu prüfen — und so mühte man sich in Frömmigkeit um gute Miene, als letztlich nach langem, überaus ritterlichem Kampfe der junge Bregelsaum (ein Mitglied des Warunker Zweiges und Neffe des gleichnamigen Markgrafen) mit etwas Glück und Ausdauer den Sieg errang. Wie ein Ehrenmann gratulierte der unterlegene Leomar von Rabenmund seinem Gegner und gewann damit das Wohlwollen vieler Anwesender, die den Namen Rabenmund noch immer mit Hochverrat und Thronraub in Verbindung brachten, und spätestens jetzt eines Besseren belehrt wurden. „Offenbar sind die Rabenmunds im Kerne doch ein traviafrommes und respektabel ritterliches Haus“, bestätigte selbst Baron Alderan von Zweizwiebeln, nachdem er seinen schmachvoll ausgeschiedenen Sohn gescholten hatte.

Zwei Favoriten der anwesenden Damenwelt, der schneidige Firundal aus dem rahjagefälligen Hause Herbonia und Talanvor Stepahan ä.H. von Stepahan, ein mannhafter Albernier mit schwarzer Haarpracht und gewinnendem Lächeln, maßen sich als nächstes. Ein wilder Ritt, dann blickte Firundal zu Iralda, wurde wohl davon abgelenkt — und fiel, nachdem ihn die Lanze des Alberniers doch nur leicht gestreift hatte. Die Stimmen, er habe sich absichtlich fallen lassen, sind bis heute nicht verstummt. Wie dem auch sei, das ehrbare und alte Haus Stepahan hatte die nächste Runde erreicht.

Zwei Grafenhäuser des Landes am Angbarer See standen sich sogleich gegenüber. Zum einen der Bruder des amtierenden Grafen, kein Geringerer als der fürstliche Herold Hernobert von Falkenhag — zum anderen Wilbur vom See, ein schmächtiger Spross jenes alten Geschlechtes, das die Grafenwürde vor den Falkenhags über viele Generationen innehatte und mittlerweile zum armen Landadel zählt — ein Verlust, den der blutjunge Wilbur, der erst kurz vor der Tjoste vom Baron von Dunkelforst den Ritterschlag erhalten hatte, in seiner Unerfahrenheit nicht wettmachen konnte. Zwar schlug er sich recht wacker, unterlag dem Falkenhag dennoch klar im ersten Ritt und wurde von diesem hernach geradezu väterlich getröstet.

Nun war es an der Zeit, dass sich Rondred von Sturmfels mit der Lanze maß und nicht mit dem Schwert wie im Vorkampfe. Ein weiterer Wilbur, diesmal aus dem Hause Nadoret, war sein Gegner; denn das ehrgeizige Baronsgeschlecht wollte (nachdem die Grafenwürde Ferdoks, die sie so gerne errungen hätten, schon an den Angroscho Growin gegangen war) nun diese Gelegenheit nutzen, um zumindest die Grafenkrone Schetzenecks zu sichern. Entsprechend angepeitscht ritt der Nadoreter los, gab seinem Ross dabei jedoch zu stark die Sporen, wurde in hohem Bogen abgeworfen und geriet schließlich gar unter die Hufe. Böse verletzt wurde der junge Schlachtreiter vom Feld getragen und mit ihm einmal mehr die Träume der Nadoreter.

Nun hätte es zu der Begegnung zwischen den ehrenwerten Garetiern Trishdan von Hartsteen und Brinwulf von Hirschfurten kommen sollen. Der junge Trishdan, der bereits im Vorfeld in horasischen Gazetten für Aufsehen gesorgt hatte, etwa als er während der Grangorer Warenschau in leidlich angetrunkenem Zustand einen Stand tulamidischer Händler bepinkelte, wurde nämlich noch kurz vor seiner Tjoste von einem Schreiberling des Kosch-Kuriers im Zelt der hübschen Baroness Neralda Cella von Nadoret, der jüngeren Schwester des Barons, in rahjagefälligem Zustande erwischt. Zwar wurde unser Schreiber vorsorglich von Junker Trishdan mit einem Gehstock niedergestreckt, den Ausschluss aus dem weiteren Turnier konnte der als „lüsterner Junker“ betitelte Hartsteen damit dennoch nicht verhindern. Graf Helkor soll ebenso getobt haben wie der Baron von Hutt, der Vater des besagten Trishdan. Der Graf wies an, den Kampf als Sieg des Hirschfurtens zu werten und die beiden Ertappten kurzerhand vom traviageweihten Grund zu weisen. Wie es heißt, haben sich Junker Trishdan und Baroness Neralda anschließend über geschlagene sechs Tage durch ausgelassene Feste auf Schloss Nadoret getröstet.

Den letzten Teilnehmer der zweiten Runde sollte ein Stechen des Junkers Narmur von Durstein und des Herzogssohnes Frankward vom Großen Fluss offenbaren. Mit Spannung erwartete man den Auftritt des zweifellos höchststehenden Teilnehmers — und wahrlich, der Nordmärker wusste sich in Szene zu setzen. Begleitet von eigens mitgebrachten Fanfarenbläsern und einigen Flussgardisten, ritt er auf stattlichem Streitross und in glänzender, goldverzierter Rüstung in die Runde, grüßte den Grafen mit Rondras Faust und ließ sich sodann die Lanze reichen. Vielleicht von alldem eingeschüchtert, ging der Dursteiner dann auch schon im ersten Gang zu Boden — wurde jedoch, so war es zu vernehmen, später von Prinz Frankward zu gutem Bier in dessen Zelt eingeladen und getröstet.

Ein später Gast

So mancher hatte sich schon gewundert, dass ein Platz auf der Ehrentribüne leer geblieben war — jener des Grafen Orsino vom Angbarer See. Erst jetzt fuhr seine Kutsche vor, um ebenfalls an diesem denkwürdigen Tag teilzuhaben. Was blieb, war der Unmut, den diese Verspätung ausgelöst hatte. Vor allem die braven Schetzenecker spotteten hinter vorgehaltener Hand, dass Graf Orsino von Falkenhag vermutlich wieder einer Mätresse den Vorzug gegeben habe, statt seinem Amtsbruder Helkor an diesem schicksalshaften Tag beizustehen. Ja gar den ersten Ritt seines Bruders ließ er unbeachtet, da er eine Rahja noch immer höher schätze als sieben Rondras. Denn dass er nichts von Turnieren hält und ‚seine Lanze lieber anderweitig einsetze’, sei kein Geheimnis. Munkeleien, die auch an das Ohr des Grafen selbst drangen und ihn im Gespräch mit Graf Helkor zu einer Richtigstellung veranlassten: „Keineswegs waren es rahjagefällige Gründe, die mich fernhielten, sondern alleine unaufschiebbare Amtsgeschäfte und Besprechungen. Ich schätze Rondra und die Tugenden Baduars hoch, so wie es sich für einen rechten Koscher gehört. Um dies zu unterstreichen, gelobe ich hiermit meine Teilnahme an der Frühlingsturnei zu Gareth.“ Fürwahr, da schwiegen die Lästermäuler still.

Ehre, wem Ehre gebührt

Auf zum zweiten Gefecht, hieß es zunächst für Ritter Throndwig Warunko und Brinwulf von Hirschfurten. Erst im fünften Ritt setzte sich der Warunker knapp gegen den noch unerfahrenen Hirschfurtener durch, da dieser seine Lanze etwas zu weit rechts hielt und damit den Schild des Gegners knapp verfehlte. Wie es heißt, hat ihn der spiegelnde Schild des Junkers von Hartsteen im entscheidenden Moment geblendet, als es zufällig von dessen Knappen am Feld vorbeitragen wurde.

Für Aufsehen sorgte die Begegnung zwischen Rondred von Sturmfels und dem Baron von Bärenfang. Das Schicksal schien es zu wollen, dass der Sattelgurt Seiner Hochgeboren beim Lanzengang riss und dieser zu Boden ging. Alles Zetern half nichts, ein böses Spiel des ehrbaren Sturmfelsers konnte trotz genauer Untersuchung nicht nachgewiesen werden — und so erklärte Truchsess Garubald trotz des Unwillens der Schetzenecker Junker Rondred zögerlich, aber dennoch eindeutig zum Sieger.

Die Aufregung sollte sich jedoch noch steigern, als Herold Hernobert auf den Darpaten von Firunslicht traf. Zunächst ließ es sich noch als ritterliche Begegnung an — und die zwei gingen aus drei Ritten ohne Sieger hervor. Beim vierten Gang jedoch riss Goralf von Firunslicht seine Lanze plötzlich nach unten und traf den Kopf des Falkenhagschen Rosses, so dass dieses noch vor Ort von seinem Leiden erlöst werden musste. Der sonst eher besonnene Hernobert war außer sich vor Zorn und war nahe daran sein Schwert gegen den ratlos blickenden Darpaten zu erheben. Allein Truchsess Garubald Grobhands schnelle Entscheidung, den Herren von Firunslicht wegen unritterlichen Verhaltens vom Turnier auszuschließen, vermochte den Falkenhager noch rechtzeitig zu besänftigen. Es heißt, dass am Ende der Firunslichter gar mehr noch als der Bruder des Grafen Orsino von Verschwörung zeterte, denn er habe keineswegs auf das Rosshaupt gezielt, sondern seine Lanze sei wie durch Magie von selbst aus der Hand gefahren…

Schließlich war es erneut an der Zeit, den nordmärker Herzogensohn in die Bahn zu schicken. Diesmal sollte gar ein Albernier der Gegner sein. Und so mancher befürchtete schon vorab Böses nach all dem zuvor Geschehenen und den ohnehin gespannten Beziehungen zwischen den beiden Nachbarprovinzen. Doch keinen Zweifel gab es letztlich am deutlichen Sieg des Prinzen Frankward, der sich erneut als ähnlich hervorragender Tjoster erwies, wie schon sein Vater einer war und selbst heute noch ist. So allmählich kam Unruhe in die Menge der dicht gedrängten schetzenecker Bürger, denn mehr und mehr wurde ihnen bewusst, dass sich noch an diesem Abend aus den letzten Vieren ihr künftiger Graf ergeben würde — darunter nicht weniger als zwei Hinterkoscher, wobei einer (und sicher nicht der unfähigste!) der leibhaftige Sohn des machtbewussten Herzogs Jast selbst war. Sogar Graf Helkor schien bei diesem Gedanken unruhig zu werden, hatte er doch, so munkelt man, insgeheim fest damit gerechnet, dass aus dem Haus vom Großen Fluss eine Ablehnung kommen würde. Nun jedoch hatte der Herzog nicht nur seinen Sohn geschickt, sondern gar einen, der sich als überaus trefflich in den Schranken erwies. Mit finsterer Mine erwartete der alte Graf die Begegnungen der vorletzten Runde.

Im Schatten des finalen Ritts

Nun ritt der letzte Recke aus dem Kosch in die Schranken. Travias Ratschluss wollte es, dass der junge Warunker Ritter sein Gegner war. Der Jubel der Menge war freilich auf Seiten des Falkenhagers, was nicht nur den rotwangigen Throndwig in Verlegenheit zu bringen schien, sondern vor allem sein Ross, das beim ersten Lanzengang nicht recht lostraben wollte. Erst im zweiten Versuch gelang der Ritt — und das sogar so gut, dass Herold Hernobert beim Aufprall ebenso wie sein Gegenüber ins Straucheln geriet. Beide gingen zu Boden und griffen nun zu den Turnierschwertern. Wenngleich beide keine ausgesprochenen Schwertmeister waren, so machte der Falkenhager doch eine gute Figur. Dennoch wollte ihm kein entscheidender Schlag gelingen, und mehr und mehr erwies sich die Schnelligkeit und Ausdauer der Jugend als vorteilhafter. Schließlich musste Hernobert von Falkenhag nach einer weiteren guten Parade des Bregelsaum entkräftet seine Waffe strecken und sich geschlagen geben. Der letzte Koscher war ausgeschieden — dennoch in allen Ehren durch das größere Geschick eines Jüngeren. Der Jubel und Respekt der Anwesenden galt am Ende beiden.

Nun war es an den beiden verbliebenen Nordmärkern, den zweiten Teilnehmer des Endkampfes zu ermitteln. Im ersten Ritt verfehlten die Lanzen ihren jeweiligen Gegner noch knapp. Im zweiten aber traf eine der beiden gut — der Sturmfelser strauchelte, Prinz Frankward nickte zufrieden, und das Publikum verstummte. Eine Mischung aus Schock und Unmut breitete sich in der Menge aus. Stach der Sturmfelser gar absichtlich daneben? Wollte er etwa seinem Herzog einen Dienst erweisen? Viele Vermutungen, doch nur eine Gewissheit: Frankward vom Großen Fluss, Sohn des nordmärker Herzogs, stand im Finale.

‚Grafenstich’ Der letzte Lanzengang

Nun stand es also fest, welche zwei der holden Jünglinge des Reiches gegeneinander um die Hand der Erbprinzessin Iralda streiten und dereinst die Geschicke der Grafschaft Schetzeneck führen würden. Denn der Graf ist alt und seine Tochter gilt bei manchem als weichherzig. Ein starker Mann würde auf sie sicher großen Einfluss ausüben, so erwarten es viele. Doch auch das Wohlergehen der gerade wegen ihres guten Wesens vielgeliebten Prinzessin war es in dieser Stunde, um das so viele Schetzenecker bangten.

Auf der einen Seite der Streiter aus dem Warunker Markgrafenhause, das in den letzten Jahren so viel Leid erfahren, alles Land und nahezu das gesamte Gut verloren hatte und das dennoch so wacker und fromm geblieben war. Fast schüchtern wirkte er, als er auf sein Ross stieg — seinen Respekt vor dem Gegner vermochte der junge Throndwig kaum zu verbergen.

Ihm gegenüber fast sein Gegenstück: Sohn des machtbewussten und gefürchteten Herzogs der Nordmarken, von vielen nicht umsonst als heimlicher Herr des Reiches angesehen. Frankward, der ebenso stolz und ernst im Sattel saß wie einst sein Vater — auch er wusste nur zu gut, dass dieser Ritt alles entschied, und schnaubte noch einmal entschlossen durch die Nase, bevor er seinen goldgeschmückten Helm aufsetzte.

Die Zuneigung der Zuschauer gehört fast gänzlich einem der Recken, doch niemand wagte dies offen zu zeigen, denn wer gewinnen würde, war unklar — und der Sieger würde der künftige Herr dieses Landes sein.

Grabesstille lag wie ein Zauber über dem Feld, als sich Frankward vom Großen Fluss und Throndwig Warunko von Bregelsaum-Wettenberg auf ihre Positionen begaben. Leiser Klang der Hufe auf dem regennassen Grund, zaghaftes Klappern der Rüstungen, Rasseln der Ketten, ein lautes Schnauben des Elenviner Rosses. Einen Moment lang schien Satinavs Zeitenlauf einzufrieren, als ein kalter Luftzug durch das koschtaler Sternental über den Brückgrund fegte.

Dann ritten sie los, die Augen der Prinzessin Iralda waren unter ihrem Schleier weit geöffet, die Lippen des Grafen pressten sich aneinander, die Pferde wurden schneller; die Lanzen angelegt — ein fester Stoß — ein Raunen im Publikum — Frankward wankte — doch ein fester Griff hielt ihn im Sattel. Freundlicher Applaus quittierte die gute Aktion des jungen Bregelsaum, die diesen selbst ebenso überrascht zu haben schien wie seinen selbstbewussten Gegner. Umso entschlossener riss Frankward sein Streitross herum — sein Handschuh schloss sich knirschend um die Zügel.

Der zweite Ritt — die Pferde werden schneller — die Waffen im Anschlag — ein Stoß — ein Schrei — ein Straucheln. Die Lanze hatte den Arm des Warunkers in voller Wucht getroffen und ihn halb aus dem Sattel gerissen. Die Zuschauer der Tribüne sprangen laut schreiend von den Sitzen. Mit letzter Kraft hielt er sich fest — sein Ross wurde langsamer — von seiner Schulter rann Blut. Mit aller Kraft zog er sich zurück auf den Sitz und klammerte sich am Hals des Pferdes fest. Eine der Schetzenecker Bürgerinnen am Rande des Feldes gegenüber der Tribüne begann langsam zu rufen: „Throndwig … Thondwig!“ Bald stimmte ihr Nachbar in den Ruf ein und machte seiner Meinung Luft. Dann ein weiterer. Bald war es ein Dutzend. Schließlich hielten sich die Schetzenecker nicht länger in bangendem Schweigen zurück. Immer lauter, immer schneller erklang der Ruf: „Throndwig… Throndwig… Throndwig…!“ Aus den Kehlen aller Schetzenecker erklang ein Name — der Name desjenigen, in dem nun alle Hoffnung der kleinen Grafschaft lag. Nein, man wollte nicht, dass einer vom Großen Fluss auf Burg Götterzahn regieren würde — nicht für Iralda — nicht für die Grafschaft — nicht für den Kosch!

Langsam erhob sich Ritter Throndwig Warunko von Bregelsaum-Wettenberg, blickte ungläubig in die Menge, die seinen Namen rief. Er sah hinüber zur Ehrentribüne, sah Iralda, wie nun auch sie sich langsam von ihrem Sitz erhob. Frankward vom Großen Fluss ließ sein Visier mit lauten Klang herab, verdeckte sein zornrotes Antlitz, fast knurrend gab er seinem Ross die Sporen, fasste er die Lanze fest, so dass seine Knöchel schmerzten.

Fast verwundert gab Ritter Throndwig etwas verspätet seinem Pferd das Zeichen, versuchte sich zu sammeln, mit seiner Lanze zu zielen… Doch er wirkte unsicher. Der lautstarke Chor war nun wieder gespannter Stille gewichen — absoluter Stille.

Mit aller Kraft und Gewalt preschte der Nordmärker heran. Seine Haltung verriet, dass in diesem Stoße all sein Zorn, all seine Wut lag. Doch was war das? Mitten im schärfsten Ritte wandte Frankward vom Großen Fluss das Haupt und blickte an den Rand des Platzes. Später hieß es, just in diesem Augenblicke habe man das Schnattern einer Gans vernommen... Da stießen krachend die Lanzen auf die Schilde, rücklings fiel der Prinz der Nordmarken vom Ross, schlug in prunkvoller Rüstung auf den Kies. Unbändige Freude brach sich lautstark Bahn, die Arena füllte sich mit Freudenschreien, die von den Felsen des Koschtaler Ambossberges widerhallten. Es dauerte eine Weile, bis Ritter Throndwig genügend zur Besinnung kam, um sich erneut im Sattel aufzurichten. Seine Lanze hatte er mittlerweile entkräftet sinken lassen. Jemand nahm seinen Helm ab, betupfte ihn mit Wasser, verband notdürftig die Schulter und gab ihm einen kräftigenden Schluck guten und kühlen Bieres. Langsam ging der Sieger auf die Ehrentribüne zu, fast torkelnd, doch von hilfreichen Knappen und Turnierknechten geleitet. Er erklomm die Stiege, verneigte sich vor dem Grafen, der ernst, aber, so schien es, mit feuchten Augen seinerseits sein Haupt militärisch kurz neigte. Dann ging der Ritter weiter — zu Prinzessin Iralda, die es unter ihrem Schleier verborgen kaum wagte, den Ritter von Bregelsaum zu betrachten. So stand er vor ihr (ihr Blick war nach unten gewandt), nahm ihre Wangen in seine Hände und richtete sanft ihren Kopf auf, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Dann nahm er die Enden ihres Schleiers, hob ihn an und gab ihr Gesicht frei. „Verbergt Euch nicht länger. So wie Ihr seid, will ich Euch fragen, ob Ihr mir die Ehre geben wollt, Euer Gemahl werden zu dürfen.“

Schon bald danach verkündeten freudenstrahlende Boten die Antwort der Grafentochter in jeden Winkel des Landes: „In Travias Liebe Namen — so sei es!“

Travias Gnad’ im Herz ich trag

So lange schon hatte die so oft verschmähte Prinzessin Iralda diesen Tag ersehnt. So oft schon war ihre Hoffnung enttäuscht, ihr Herz gebrochen worden. Am 12. Travia schließlich, dem Tag der Treue, fand im Tempel des Herdfeuers zu Koschtal der feierliche Traviabund statt. Viele der Turniergäste waren bereits abgereist — zuvorderst Prinz Frankward, den dringende Belange in die Nordmarken zurückführten. Geblieben waren vor allem die Koscher, und selbst der Fürst ließ es sich nicht nehmen, an der freudigen Zeremonie teilzunehmen. Vor allem aber waren es die braven Schetzenecker, die dem so lange erhofften Ereignis mit bunter Blumenpracht einen unvergesslichen Rahmen gaben. Selbst Graf Helkor schien an diesem Tag gelöst und zufrieden wie lange nicht mehr. Und das Paar selbst strahlte vor Freude und gegenseitiger Liebe.

Möge Travia ihre Schwingen über diesen Bund halten und das Eheglück der beiden jungen Edelleute durch viele Jahre hin bewahren, zum Wohle des Hauses von Bodrin, zum Wohle der Grafschaft Schetzeneck.

Losiane Misthügel

Die Lanzengänge der tapferen Sechzehn, wie von Travias Ratschluss erwählt
Balinor von Bärenfang - Rondragoras vom Berg-Berg
Goralf von Firunslicht - Angrich von Zweizwiebeln
Throndwig von Bregelsaum-Wettenberg - Leomar Bernfried von Rabenmund j.H.
Firundal von Herbonia - Talanvor Stepahan ä.H. von Stepahan
Hernobert von Falkenhag - Wilbur vom See
Rondred Bernhelm von Sturmfels m.H. - Wilbur von Nadoret
Trisdhan von Hartsteen - Brinwulf von Hirschfurten
Narmur von Karma zu Durstein - Frankward vom Großen Fluss
Die Lanzengänge der siegreichen Acht
Throndwig von Bregelsaum-Wettenberg - Brinwulf von Hirschfurten
Rondred Bernhelm von Sturmfels m.H. - Balinor von Bärenfang
Hernobert von Falkenhag - Goralf von Firunslicht
Frankward vom Großen Fluss - Talanvor Stepahan ä.H. von Stepahan
Die Lanzengänge der besten Vier
Throndwig von Bregelsaum-Wettenberg - Hernobert von Falkenhag
Rondred Bernhelm von Sturmfels m.H. - Frankward vom Großen Fluss