Glaube im Kosch — Teil IV: Hesinde
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Auf dem Zwölfergang
Glaube im Kosch — Teil IV: Hesinde
Wir begleiten den Angbarer Ratsschreiber Born von Stedtler weiter auf seiner Wallfahrt über den Zwölfergang, jenen heiligen Weg durch den Kosch, in dessen Verlauf der Gläubige die wichtigsten Heiligtümer aller Zwölfgötter besucht. Nach dem Eiland der Liebenden, das der Rahja geweiht ist, gelangt unser Pilgrim nun zum Rohalssteg in der gleichnamigen Baronie, einem Ort der Hesinde.
Mein Weg führt allmählich fort vom steinreichen und spröden Charme des Schetzenecker Hochlandes, nordwärts, hinab in die fruchtbaren Täler am Ufer des Angbarer Sees. Sind es die sinnlichen Eindrücke der Roseninsel, welche meinen Blick mit größerem Genuss über die blühende, wie ein einziger Garten wirkende Landschaft schweifen lassen? Blühende Wiesen, stattliche Einzelbäume, um die kleine Kinder spielend tanzten, einladende Häuser, deren Dächer immer häufiger nach Hügelzwergenart mit Gras bewachsen sind. Ja, auch die meist freundlich grüßenden Vertreter des Hügelvolkes selbst sehe ich nun zunehmend häufiger.
In der alten, von Türmen umkränzten Stadt Rhôndur nächtige ich — im „Silbergreifen“, dem besten Gasthaus, in welchem gar der Fürst hin und wieder auf dem Weg nach Fürstenhort nächtigen soll. Doch obwohl der Wirt und Bürgermeister Leubold Bärwang, und mehr noch seine ehrgeizige alte Mutter Anglinde, sich redlich bemühen, den Ruf des Hauses zu erneuern, bleibt es für die Einheimischen noch immer schlicht der „Bärenwirt“ — ein Ort, in dem sich die guten Bürgersleut zu kräftigem Bier, guter Brotzeit und lauten Debatten treffen und selbst der Rat der Stadt einen eigenen Stammtisch besitzt.
So erfahre ich auch, dass hier ein strenger und praiosfrommer Baron über die Lande herrscht, jedenfalls dann, wenn ihn seine Pflichten als Reichsrichter und Bannstrahler nicht in die ferne Hauptstadt rufen. Sein Vater war dagegen nahezu sein Gegenbild. Ein belesener und weltoffener Magus, soll er gewesen sein, der gar vergeblich versuchte, eine erste Magierschule im Kosch zu gründen. Das Vorhaben endete mit einem großen Brand, dem das Lebenswerk des alten Barons zum Opfer fiel — und hinter dem mancher die Wächter Rohals oder die Ritter vom Bannstrahl Praios’ vermuten. Der Wirt zeigt mir stolz ein Buch, welches er aus den Trümmern der Akademie zu retten vermochte — offenbar eine kleine Sammlung örtlicher Sagen, die mir ein beredtes Bild der vor mir liegenden Etappe zeichnet. So erfahre ich etwa von der Schlacht am Südufer des Angbarer Sees, das ich nach einigen Stunden passiere. Hochkönig Ambros trat hier, in den Tagen nach den Magierkriegen, mit Geoden und tapferen Zwergenkriegern gegen die im Zauberbann stehenden Streiter des finsteren Magiers Zulipan von Punin an. Aus dem See lugende, schädelgroße Steine und größere Felsen sollen Zeugnisse dieser wohl bedeutendsten Zauberschlacht auf koscher Boden sein. Gespenstisch schweben Nebelschwaden über dem weiten Ufer, bis sie von Praios Mittagslicht vertrieben werden, unheimliche Ruhe liegt wie ein Mantel über diesem Ort, der nicht umsonst als Stiller Grund berühmt und berüchtigt ist. Doch in diesen Tagen vergisst man nur zu schnell, dass Magie und Wissen nicht nur Not und Verderben bringen können. Auch ebensoviel Gutes vermag man mit klugem Gebrauch dieser Gaben zu bewirken — was ich schon bald danach erfahren darf.
Nach einigen Meilen gewinnt der Angbarer See seinen vielbesungenen Liebreiz wieder, und wie Elfenbein erhebt sich an seinen Gestaden die stolze Stadt Rohalssteg, überragt von einer weißen Burg am Ufer, deren rankenartiger Zierrat und märchenhafte Form vom typischen Stil der Rohalszeit geprägt sind. Und tatsächlich, kein Geringerer als Rohal der Weise selbst soll hier zu seiner Regierungszeit immer wieder Ruhe gesucht haben. Ja man sagt gar, dass er hier einst entrückt wurde — auch wenn sich über dieses Rätsel die Gelehrten noch trefflich streiten.
Von den Fenstern der Burg aus kann man jenen der HESinde heiligen Steg sehen, der sich wie ein weißes Band weit in den See hinaus streckt und der Stadt ebenso wie der Baronie ihren Namen gab. Ehrfurchtsvoll schreite ich den schnurgeraden Steg entlang — aus hellem Holz, dessen in rätselhaften Mustern angeordnete, exakt geschnittene Planken dennoch nicht zu verwittern scheinen und in welches elfische Ornamente geschnitzt sind. Noch immer barfuß bin ich, und so spüre ich, wie unerwartet weich sich der Steg unter den Sohlen anfühlt. Um mich herum plätschert leise der weite See. Wenig nur ist vom jenseitigen Ufer zu erahnen. Wie in einem Traum wandle ich hinaus, gleich als würde ich über die sanften Wellen des Sees selbst schreiten. Schließlich erreiche ich die Spitze des Steges, der in einem kleinen Kreis endet. Unwillkürlich setze ich mich in dessen Mitte, lasse meinen Blick langsam über die blaue Ebene gleiten, in der Himmel und Wasser in einer Linie verschmelzen. Meine Augen schließen sich. Vor mir erscheinen die vielen bereits gewonnenen Eindrücke meiner Reise, Orte, Gesichter, Worte. Neue Neugier erfüllt mich — neue Frische für die weitere Reise. Nach einer Weile, ich weiß nicht, wie lange sie gedauert haben mag, stehe ich auf und gehe zurück, so wie es einst wohl schon Rohal selbst tat, als er sich hier gesammelt und die Göttin der Weisheit um neue Kraft gebeten hatte.
Aus der Historie
Schon die Vorfahren der Hügelzwerge zogen dereinst in Begleitung von Geoden aus Xorlosch ins Koscher Land. Als später auch die Menschen hier siedelten, waren sie es, die auch unter den „Großlingen“ Magiebegabte aufspürten und in ihre Geheimnisse einweihten. Bis heute gibt es darum recht viele und in manchem Dorf hoch angesehene Hexen und Druiden im Kosch. Vielleicht liegt es am reichlich vorhandenen Koschbasalt, der die Zauberkraft behindert, dass Gildenmagier jedoch nur selten ihre Spuren hinterließen und jeglicher Versuch, Magierschulen einzurichten, letztlich scheiterte.
Ebenso scheint der Kosch auch für die Göttin Hesinde kein fruchtbarer Grund zu sein. Wenige Tempel gibt es, die zwar meist schon alt sind, doch bis heute nur begrenzten Einfluss erlangten. Unter Rohal erblühte, wie überall im Reich, auch im Kosch die Kirche der Allwissenden. Doch schon die anschließenden Magierkriege, die in unserer Provinz, nicht zuletzt durch das schändliche Wirken Zulipans und seiner Schergen, besonders verheerend waren, ließen dieses zarte Pflänzchen wieder vergehen.
Koscher Eigenheiten
Vor allem als Wahrerin alten Wissens wird Hesinde auch im Kosch durchaus geschätzt. Neue Ideen oder Magie jedoch beäugt man mit großer Skepsis und Vorsicht. Gruselgeschichten der Zwerge von Drachenzaubern, finstere Sagen aus den Magierkriegen prägen das furchtsame Bild — ein Misstrauen, das die Ereignisse der letzten Jahre zu bestätigen scheinen. Kein Wunder also, dass es die wenigen Geweihten der Schlange im Kosch besonders schwer haben.
Diejenigen Gaben Hesindes, die praktischen Nutzen haben und zu besserem Leben ermahnen, wie das Rechnen, Lesen, Schreiben oder Geschichtswissen, lässt man seinen Kindern gerne vermitteln — wenn es sein soll, auch von Hesindegeweihten. Ansonsten hält es ein rechter Koscher lieber mit der handfesten Lehre Ingerimms, dem Ackerbau Peraines oder bestenfalls dem aufrechten Kaufmannshandel des Phex als mit philosophischen Ausflügen oder hochtrabenden Studien.
Feiertage
In jedem siebten Jahr finden seit 513 v.H. in Salmingen die Hesindespiele statt, zu der sich Künstler, Magier bisweilen gar Hexen, Geoden und Druiden bei einem nahezu volkstümlichen Fest treffen, sich miteinander messen, austauschen und gemeinsam feiern.
Die übrigen Feste der Hesinde ziehen im Jahreslauf relativ unbemerkt an den Koschern vorbei. Lediglich die wenigen Gelehrten und Magier, vor allem die Wächter Rohals, sowie natürlich die Tempel der Allweisen begehen den „Kreis der Schlange“ mit dem Versenkungsfest (30. Phex), Reinigungsfest (30. Rahja), Prüfungsfest (30. Efferd) und Erleuchtungsfest (30. Hesinde) in gebührendem Maße.
Wichtige regionale Heilige
Vor allem Rohal der Weise genießt großes Ansehen, doch auch Rohezal vom Amboss wird mittlerweile von manchem Siedler der Ambossberge wie ein Heiliger verehrt. Wenngleich kein Heiliger, erfährt der koscher Kartograph Helkor M. Hasenfusz, welcher vor fast 300 Götterläufen als Geweihter im Angbarer Tempel wirkte, bis er einst auf seinen ausgedehnten Reisen verscholl, bis heute über Koscher Grenzen hinaus gewisse Beachtung.
Heilige Artefakte
Zwar gibt es einige bemerkenswerte Kunstwerke, Schriften und Sammlungen, wie etwa das Kartenwerk des Angbarer Hesindetempels oder der Draconiter, doch von einem Artefakt ist zumindest nichts öffentlich bekannt.
Heilige Orte
Verwunschene und wundersame Orte, denen der Volksmund Zauberkraft und das Wirken Hesindes nachsagt, gibt es gar viele. Die meisten jedoch entspringen wohl eher der regen Phantasie abergläubischer Gemüter oder irdischer Magie als wahrhaft göttlicher Herkunft. Schon Rohals Steg gilt hier als Mysterium — denn sowohl der weise Rohal als auch Elfen oder Hesinde selbst werden in widersprüchlichen Legenden als dessen Schöpfer genannt. Seine Bedeutung als heiliger Ort Hesindes ist jedoch ebenso unumstritten wie bei der Karfunkelgrotte in den Koschbergen des Koschgau. Wirkt jemand in dieser beeindruckenden Tropfsteinhöhle einen Zauber, wird dieser durch die astralen Stömungen und Strudel der zahlreichen Koschbasalt-Einlagerungen der Wände derart verfremdet, dass am Ende völlig kuriose Ergebnisse erzielt werden. Mancher Weise gibt vor, aus den Resultaten die Stimmungen der Göttin lesen zu können, so dass es hin und wieder Magiebegabte wagen, in diese Höhle zu klettern, um die Allweise um Rat zu fragen. Allerdings gehört dazu ein gehöriges Maß Mut, denn mehr als einmal schon richtete sich die Energie des Zaubernden gegen ihn selbst — wie etwa bei der finsteren Hexe Garbalda, die ihre Vertraute gequält haben soll, und welche die Höhle mit einem Krötenkopf und tausend Warzen wieder verließ, oder dem Magus Angbrand Zwölfgnad, einem Wächter Rohals, der gar dem Wahnsinn verfiel und bis zu seinem frühen Tod nurmehr wirre Zahlenfolgen vor sich hin brabbelte.
Geteilter sind die Meinungen dagegen zu angeblichen Zauberwäldern, wie in Hammerschlag, Koschgau oder bei Koschtal — die oft schon als heilig gelten, weil darin Hexen hausen oder ein Einhorn gesichtet worden sein soll. Selbst manchen der im Lande verstreuten Geodenringe wird Hesindes Kraft nachgesagt, wenngleich das die Zwergendruiden selbst weit von sich weisen würden. Eindeutig unheilig, wenngleich oft noch immer mit astraler Kraft verseucht, sind manche einstigen Schlachtfelder des Magierkrieges, allen voran der Moorbrücker Sumpf, aber auch der Stille Grund, die Eulenschlucht in Metenar oder unter dem heutigen Praiosblumenfeld von Uztrutz.
Ob der Hesinde heilig oder nicht, schon das verborgene Rätsel des wahren Ursprungs mag für manchen Gläubigen der Allwissenden Grund genug sein, um darin ein Heiligtum der Göttin zu sehen — zumal sich die Grenzen zwischen göttlichem und magischem Wirken bisweilen verwischen.
Wichtige Tempel
Die wenigen koscher Tempel der Schlange decken in Aufgabe und Bedeutung dennoch ein weites Spektrum Hesindes ab. Am bedeutendsten hierbei ist sicher der altehrwürdige Tempel zu Salmingen, der trotz mancher Rückschläge noch immer versucht, Wissen zu vertiefen und zu vermitteln. Eines seiner wichtigsten Ziele ist es dabei geblieben, die Volksbildung zu erhöhen — und so werden gerne Schülerinnen aufgenommen oder Geweihte ausgesandt, um die Weisheiten der Göttin zu verbreiten.
Anders der erst in der Rohalszeit gegründete Tempel zu Angbar, welcher zwar auch brave Bürgerkinder im Lesen und Rechnen schult, sich aber vor allem der Sammlung und Forschung verschrieben hat. In seinen unterirdischen Katakomben reihen sich geballte Erkenntnisse aus Geschichte und Kultur unserer Region, Sagen und Legenden, Gedichte und Lieder, Holzschnitte und zahllose Kartenwerke — vor allem in der Erforschung der Zwerge liegt seit Anbeginn ein Schwerpunkt des Hauses. Kein Wunder, dass auch Zwergenforscher wie Tyros Prahe häufig zu Gast in Angbar waren.
Hierin liegt übrigens auch der Focus der Draconiter vom Kloster Leuwensteyn, die in ihrer koscher Niederlassung nicht zuletzt die Angroschim, aber auch deren Vorlieben für die Mechanik, Mathematik und Drachenkunde studieren. Die Neugier der „Drachenjünger“ ist manchem Zwerg, vor allem unter den erzkonservativen Koschimern, ein Dorn im Auge, so dass einige die Draconiter am liebsten von ihrer „Haustür“ vertreiben würden.
Bedeutende Geweihte
Zuförderst sei hier Siopan der Helle genannt, der als Tempelvorsteher Salmingens schon traditionell der wichtigste Hesindegeweihte des Kosch ist. Hinzu kommt sein unermässlicher Erfahrungsschatz, den der Ergraute in den über zwanzig Jahren seines Amtes als Hoher Lehrmeister erwarb. Selbst Graf Growin und der Fürst sind gerne gewillt, den Weisen Mann als Ratgeber anzuhören. Sein Amtsbruder zu Angbar, Quendyllin Dergeldorp, hat es da ungleich schwerer. Er mag ein kunstsinniger Mann mit feinen Manieren sein, doch blieb er als gebürtiger Horasier den meisten Angbarern stets fremd. Alleine Väterchen Nirwulf lädt ihn gerne ein und hat in ihm mittlerweile einen Freund gewonnen.
Als wahrer Zwergenkenner ist der Hohe Lehrmeister des Immerwährenden Hortes zu Leuwensteyn, Darian von Falkenstein, bekannt. Quisira Sindelquell, die Kaplanin der Wächter Rohals, dagegen gilt als eine der wenigen bemerkenswerten Magiekundigen der Provinz, war sie doch selbst einst eine Maga, die ihre Zauberkraft durch einen bösen Unfall gänzlich verlor. Zuletzt sei schließlich Prinz Idamil vom Eberstamm erwähnt, jüngster Sohn des Fürsten, der sich ebenfalls der Allwissenden verschrieben hat und in diesen Tagen zwar im fernen Gareth seinen getreuen Dienst verrichtet, aber dennoch immer ein Teil unserer Heimat sein wird.
Weitere Geweihte und Einzelheiten zum Tempel zu Angbar findet der geneigte Leser im übrigen in der 30. Ausgabe des Kosch-Kuriers auf Seite 12.
Born von Stedtler
Ratsschreiber zu Angbar
In der nächsten Ausgabe: Tsa, die ewigjunge Wandlerin
Irdischer Hinweis: Dieser Artikel bildete die Grundlage für den Wiki-Artikel Hesinde.