Entführung des Prinzenpaares - Beratungen am Lagerfeuer

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Wengenholm, 1031

Ohne Zögern griff Ardo zu, als der Humpen mit dem Koscher Gebräu zu ihm kam. Er tat einen langen Zug, und als er wieder absetzte, wusste er, warum man vor dem Starkbier gewarnt hatte. Ardo war nie ein großer Trinker gewesen, aber er hätte nicht gedacht, dass ein einfaches Bier solche Wirkung haben könnte. Schnell reichte er den Krug weiter und war für den Moment darauf bedacht, konzentriert ins Feuer zu starren, während um ihn herum das Lied aus immer mehr Kehlen erklang.
„Bring mich nach Greifenfurt, wo der Eber grunzt und die Taube gurrt. Leg ich meinen Kopf dereinst in Borons Huld, bring mich heim, ja heim nach Greifenfurt…“
Eine kurze Stille senkte sich über die Gemeinschaft, in die die Stimme des Bannerträgers sehr leise hinein ein neues Lied anstimmte, welches den Edlen Greifenfurts die Tränen in die Augen trieb:
„Sieh, wie mit Stärk’ er ans Werk sich gestellt, er, der allzeit unsre Freiheit hat vertreten!…“
Thorben kehrte zum Feuer des Prinzen zurück, nahm den Humpen aus Ardos Hand und daraus einen tiefen Zug. Mit einem zufriedenen Brummen würdigte er den guten Geschmack des Gebrauten.
„Ein gutes Bier, Sindelsaum, allerdings bleibe ich doch lieber beim hellen Ferdoker, das mundet mir besser“, sagte er zum edlen Spender und warf ihm den leeren Humpen zu.
Erlan nickte dem Wehrmeister kurz zu. Diese Ferdoker wussten einfach nicht, was gut war. Ferdoker Gerstenbräu sollte besser sein als das gute Angbarer. Nun ja, Erlan hielt lieber den Mund und wartete gespannt ab, wie sich die Sache entwickeln würde.
Nachdem der Wehrmeister wieder seinen Platz in der Runde eingenommen hatte, nickte der Prinz der Golgariten-Knappin auffordernd zu. Antara stand von ihrem Mahl auf und richtete Kleidung und Haare, bevor sie vor die versammelte Runde trat, ihren Bericht zu verkünden.
„Eure prinzliche Durchlaucht mögen mir nachsehen, wenn ich nicht viel mehr Neues zu vermelden weiß, als ich bereits berichtete. Wie nicht anders zu erwarten ist das ganze Land in Aufruhr, und allerorten wappnen sich die Leute, um sich auf die Suche nach dem Prinzenpaar zu machen. An Brücken, Furten und Straßen findet man wackere Leute, die dort Wacht halten und alle verdächtigen Reisenden kontrollieren. Andere sind aufgebrochen, um nach Spuren zu suchen.
Am Hofe des Fürsten treffen Boten und Delegationen ein, um ihre Hilfe oder die ihrer Herren anzubieten. Doch trotz aller dieser braven Leute ist bis jetzt noch keine Kunde über den Verbleib Eures Bruders bekannt geworden. Dass seine Durchlaucht vor Sorge kaum Schlaf findet, berichtete ich ja bereits. Wenn Eure prinzliche Durchlaucht nun eine Botschaft senden, so wird das bestimmt dem schweren Gemüt Eures Herrn Vaters ein wenig Aufmunterung verschaffen und einen Funken der Hoffnung bringen.“
Sie hielt kurz inne.
„Allerdings hört man auch von eher zwielichtigem Volk, das nun aus seinem Versteck hervor kriecht und seinen Vorteil aus der Entführung zu schlagen sucht. Vorsicht vor unbekannten Reisenden oder gar Gruppen scheint durchaus angebracht.“
Wieder unterbrach sie ihre Rede und beobachtete den Prinzen.
„Am Besten sollte ich nun auch von der Botschaft berichten, die der Abt uns in Garrensand mitgab? Vielleicht vermögt Ihr ja über einige Dinge Auskunft geben und so die Hinweise enträtseln helfen.“
Die Neugier der Anwesenden stand ihnen geradezu ins Gesicht geschrieben, und so wiederholte Antara die Worte, die der Abt sie hatte auswendig lernen lassen: Antara versuchte sich an die Bilder der Prophezeiung zu erinnern, so wie sie ihr geschildert worden waren. In ruhigen und bedeutungsvoll klingenden Worten schilderte sie, an den Prinzen gewandt aber für alle gut vernehmbar:
„In der Botschaft erschien ein mächtiger Baum mit einer goldenen Krone. Er hatte einst drei Triebe, von denen einer schon brach. Es blieben zwei junge Triebe, an denen im Frühjahr wunderschöne Blüten erblühen. Der Sommer kommt, der Baum trägt nur wenige Früchte. Am einen Trieb reift eine Frucht, die verdreht oder verkümmert scheint, doch weitere Blüten öffnen sich, und mehr als eine Frucht scheint von Peraine versprochen. Doch senkt sich eine Flamme über den Ast und lodert über den Blüten. Und einige Blüten verändern sich schneller als die anderen und reifen, so dass am einen Ast neben den lodernden Blüten Früchte in jeglichem Reifestand hängen.
Am anderen Trieb ist es schlechter um die Früchte bestellt: Eine Frucht fällt in der Sommerhitze vor ihrer Zeit. Im Herbst verliert der Baum all seine jungen Blätter und scheint nimmermehr blühen zu wollen. Der Wind, der einen der Triebe pflegen will, pflückt ihn stattdessen und trägt ihn in eine falsche Richtung, hinein in bitteren Winter. Es wird dunkler; bitterkalter, todbringender Frost bricht herein. Eine Schneedecke legt sich über alles… Im Traum verschwindet das Bild vom Baum und die Spur des Sprosses verliert sich.“
Antara blickte auf und ein entschuldigendes Lächeln zog kurz über ihr Gesicht, während sie fortfuhr.
„Die übrigen Bilder waren schwer zu deuten – nur mehr Wortfetzen und schwer verständliches Murmeln. Vom Trieb im Schnee des Jägerberges war die Rede, von einer belagerten Trutz und falschen Tränen.“
Die umherstehenden waren in versonnenes Grübeln versunken. Man sah den meisten an, dass sie versuchten, die Worte zu deuten. Als Erster warf der Wehrmeister seine Gedanken in die Runde.
„Der Baum mit der goldenen Krone könnte der Eberstamm sein, die fürstliche Familie oder der Fürst selbst…“
Prinz Edelbrecht nickte, als er begann, die Auslegung Thorbens zu verstehen.
„Dann wären mit den Trieben wir gemeint, seine Söhne. Und der gepflückte Trieb mag mein Bruder Anshold sein. Wobei ich dies Bild denn doch als nicht passend empfinde. Immerhin sprach es von einer verdrehten Frucht und vielen weiteren an einem Stamm…“
Der Prinz versank in seinen eigenen Gedanken, während die übrigen Edlen immer noch über den Bildern grübelten.
„Doch, was ist dann mit dem Jägerberg gemeint, der belagerten Trutz und den Tränen?“, wollte der Reiffenberger wissen.
Erlan von Sindelsaum hatte den Worten aufmerksam gelauscht und sprach nun seine Gedanken laut aus.
„Trutz könnte sich auf eine der Trutzburgen beziehen. Vielleicht Twergentrutz. Aber wird die Burg belagert? Der Winter in den Bergen ist hart, und vielleicht begehren die Bauern gegen ihren apathischen Baron auf. Aber wo ist der Jägerberg. Wenn wir das wüssten, hätten wir schon einmal einen Ansatzpunkt. Vielleicht sollten wir Knorrbart aufsuchen. Er ist ein wahrer Firungeweihter, der die Koschberge kennt wie kein Zweiter. Er wird wohl wissen, wo wir den Jägerberg finden können.“
Die Stille hatte sich wie ein Tuch über den Raum gelegt, und jeder hing seiner eigenen Deutung nach. Selbst die Edlen, welche gerade noch die Orkenwall-Ballade angestimmt hatten, waren ob der seltsamen Worte verstummt.
Endlich seufzte der Prinz ein wenig auf und lächelte dann wehmütig in die Runde.
„Wie so viele Prophezeiungen wird auch diese hier, wie mir deucht, ihren Sinn erst offenbaren, wenn sie sich erfüllt hat. So lassen wir uns nicht von den Rätseln das Gemüt allzu sehr beschweren. Morgen wollen wir gestärkt aufbrechen, und dies in zwei Richtungen! Da sollten wir uns nun, so möglich, zur Ruhe begeben. Euch“, wandte er sich an den Wehrmeister, „werde ich noch ein Brieflein an meinen Vater überantworten, welches die Euren getreulich überbringen werden. Und dann werde auch ich ruhen, bis man mich zur Wache weckt.“
Mit diesen Worten ergriff der Prinz seine Satteltasche und kramte ein zerknittertes Stück Bütten, Feder und Tusche heraus. Ein kurzer Blick auf das Schreibinstrument, und er schärfte das Schreibgerät mit seinem Federmesser. Dann vertiefte er sich in die Botschaft.
Mit einem gedankenverloren Nicken nahm Answin von Boronshof die Worte des Prinzen zur Kenntnis. Auch wenn der Gott der Prophezeiungen und Träume ihm vom Namen her nahe stand, so fühlte er persönlich sich doch eher dem Herrn Praios verbunden. Und dessen Sache waren klare Verhältnisse, viel Licht und nicht schattenumwobene düstere Worte.
Er konnte dem Prinzen nur zustimmen - Prophezeiungen dienten nur dazu, dass man hinterher sagen konnte, man hätte vorher schon alles wissen können. Wenn nicht einmal die Diener des Herrn Golgari den Sinn der Worte hatten verstehen können, so hatte es wohl wenig Zweck, wenn er sich weiterhin den Kopf darüber zerbrach. Immerhin hatten diese Worte eine weitere Dienerin des Raben an ihre Seite geführt, und ein Schwertarm mehr konnte mit Sicherheit nicht schaden, wer weiß, was sie auf ihrer Queste noch erwartete. Der Vogt dankte noch einmal dem Spender des guten Bieres, bevor er sich erhob, um sein Nachtlager aufzusuchen.