Entführung des Prinzenpaares - Ende der Jagd
Nachdem er ihr den Dolch aus der Hand gerissen hatte und die Frau auf die Knie gegangen war, wich Urions Anspannung. Er packte die Frau und zerrte sie auf die Beine.
"Steht auf! Die Flucht ist zu Ende."
Er nahm einen Lederriemen von seinem Gürtel und band der Frau die Hände. An den Wehrmeister gewandt sprach er:
"Eure Gefangene, Hochwohlgeboren!"
Thorben hatte innegehalten, als die Frau den Dolch zog. Bedacht außer Reichweite bleibend hatte er sie fixiert und seine noch leeren Hände gehoben. Gerade als er die Worte "Es ist aus, legt die Waffe nieder und ihr werdet leben!" sagen wollte, sauste ein Kampfstab an ihm vorbei und er sah, wie Urion sich auf die Frau warf, während kurz hinter ihm der Sindelsaumer eine Drohung ausstieß. Als Urion die Frau niedergerungen hatte, hob Thorben den Dolch auf und verstaute ihn in seinem Gürtel.
"Wohlgeboren", sagte er zu Erlan. "Geht doch bitte zum Hellebardier und seht, ob er Hilfe braucht, dann führt ihn hierher!"
Thorben sah den Reiffenberger kurz scharf an. Wollte er ihn mit dem falschen Titular verhöhnen? Aber im Gesicht des Edlen sah er nur aufrichtigen Stolz, daß er eine gewichtige Rolle beim Fang der Flüchtigen gespielt hatte und auch Erleichterung, daß niemand verletzt wurde.
"Hochgeboren ist ausreichend, Rittmeister!" sagte er. "Außerdem können wir wegen meiner auf dieser Mission auf die Etikette verzichten. Ein von Hammerschlag oder Wehrmeister würde mir vollaufgenügen, also wenn ihr nicht auf vollständigem Titular besteht, dann laßt es uns so handhaben!"
Der Wehrmeister nahm die gefesselten Hände der Frau und hielt sie fest.
"Rittmeister, holt doch dann bitte unsere Pferde, wer weiß, wer noch so alles im Wald herumlungert!"
Dann sah er die Gefangene durchdringend an, zwang ihren gesenkten Kopf mit seiner Hand unter ihrem Kinn nach oben, so dass sie ihm ins Gesicht blicken musste. Im schwachen Schein des Madamal versuchte er zu erkennen, ob er die Frau kannte oder schon mal gesehen hatte. Dann wanderte sein Blick kurz zu den Pfeilen auf dem Rücken der Gefangenen und er versuchte sich zu erinnern, ob die Befiederung die gleiche war, wie die des Pfeils auf dem Schloss. Als er zu einem Ergebnis gekommen war schaute er die Frau wieder aufmerksam an. So wartete er auf den Sindelsaumer und den Hellebardier.
Urion fixierte den Koscher Wehrmeister.
"Sehr wohl und habt Dank, Wehrmeister!"
Da sieh mal einer an. Der Wehrmeister war ja gar kein so trockener und unzugänglicher Kerl. Urion nahm sich vor den Wehrmeister eines Tages auf sein Gestüt einzuladen. Mit ihm ließe sich gewiss vortrefflich über Pferde parlieren und der ein oder andere Krug Angbarer oder Ferdoker leeren.
Er wandte sich um und pfiff leise durch die Zähne. ANTLITZ´s Kopf durchbrach das Gestrüpp und der Hengst schnaubte vernehmlich. Urion streichelte die Nüstern des Pferdes.
"Braver Junge, gut gemacht."
Er zog den Rappen auf den Weg, saß auf und ritt in zügigem Tempo zur Buschgruppe, wo ADRAN ihn mit einem heftigem Kopfnicken empfing. Urion langte nach dem Halfter und führte die Pferde zurück.
Tatsächlich erkannte er die Befiederung - es waren eher einfache Pfeile und durchaus unterschiedlich, doch die umwickelnde Schnur war stets die gleiche. Das Gesicht der wimmernden Frau kam ihm nicht bekannt vor. Sie trug Lederkleidung mit Pelzkragen, die schon etwas abgetragen war, aber durchaus von früherem Wohlstand kündete - ob nun von ihr, oder einer früheren Besitzerin, darüber war sich Thorben noch unschlüssig. Die fehlende Zunge jedenfalls ließ auf eine Strafe wegen Falschrede oder Meineid schließen. Dann fiel sein Blick auf eine Geldkatze, die schlaff an der Seite ihres Gürtels hing. Ein Wagenrad, belegt von einem Fuchs, war ins Leder geprägt - das Zeichen der Fuhrleute, daneben zwei Buchstaben B.L. ... vielleicht Initialen.
Erlan kam derweil beim sich aufrappelnden Hellebardier an. Es war in der Tat der kleine dickliche Wächter, der schon am Abend ihrer Ankunft Wache am Tor hatte. Sein Beinkleid war bis zu den Knien durchnässt. Langsam kam er wieder zu Atem und machte dem Sindelsaumer gegenüber eine dankbare aber beschwichtigende Geste.
"Es geht schon, Wohlgeboren. Ich habe mir in diesem Bachlauf wohl nur den Knöchel etwas vertreten."
Die Zähne zusammenbeißend und jede Hilfe abwehrend stand er auf. Die Eisplatten am Rand des Baches knackten. Dann humpelte er, so aufrecht er es konnte, in Richtung Wehrmeister und Gefangener. Erlan blickte dem dicklichen Mann irritiert hinterher.
"Dann reibt euch wenigstens die Hose trocken, sonst friert sie euch ein. Und wo sind eure Kameraden?"
Mit diesen Worten folgte er dem Mann zurück zum Wehrmeister. Unterwegs antwortete er keuchend, aber triumphierend lächelnd:
"Die anderen hielten eine zweite Spur für diejenige des Schützen. Ich war der einzige, der an diese Spur glaubte und sie verfolgte."
Erlan nickte anerkennend.
"Dann hattet ihr also den richtigen Riecher."
Mittlerweile waren sie auch schon beim Wehrmeister und der Gefangenen angekommen. Urion hatte die Tiere ins Unterholz geführt, damit sie ein wenig vor der bissigen Kälte geschützt standen. Jetzt gesellte er sich zu den anderen. Er war gespannt, welche Informationen der Wehrmeister aus der Frau heraus holen würde. Schließlich konnte sie zumindest durch Nicken oder Kopfschütteln einfache Fragen beantworten. Und Fragen gab es sicherlich zu Genüge.
Er fragte den Wehrmeister: "Soll ich sie durchsuchen, oder habt Ihr das schon getan?