Alagrimm 4: „Dem Grafen und der Gräfin treu“

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Ausgabe Nummer 38 - Notausgabe Praios 1028 BF

„Dem Grafen und der Gräfin treu“

Vom Fall der Angenburg und Albumins

Wilfing das Wiesel, Scherge des Jergenquell

Unser erstes Ziel war die Angenburg. Dort lebte jenes finstere Grafengeschlecht von Wengenholm, das der Familie unseres Hauptmanns so viel Unrecht und Leid zugefügt hatte. Hier sollte unsere Waffe zum ersten Mal zeigen, welche Kraft in ihr steckt.

Die Baronin Charissia, die offenbar eine Zauberin oder Hexe war, befahl dem Adler über die Burg herzufallen. In wenigen Augenblicken stand alles, was brennen konnte, lichterloh in Flammen, die das Feuerwesen voller Gier und Hunger verschlang und in sich aufnahm — zum ersten Mal sahen wir, wie er dabei wuchs und stärker wurde. Und wieder hatte das etwas Furchtbares und Herrliches zugleich. Genau wie später, als wir schließlich die verkohlte Ruine betraten und der Baron plötzlich lauthals lachend vor den unkenntlichen Resten eines Menschen stand. Alles, was man noch erkannte, war der gräfliche Reif, den der Leichnam auf dem Kopf trug. Erst als Herr Ulfing uns befahl, die Leiche an die rauchgeschwärzten Überreste des Bergfrieds zu binden, wurde mir klar, welch grimmiger Hass ihn zu all dem trieb. Seine Rache war aber noch lange nicht vollendet…

Stitus Fegerson (nach einem Bericht des Traviageweihten Angrich Rübfolder, den Ulfings Bande verschonte)

Triumphierend betrat er die Burg seiner Väter: Der Schurke Ulfing von Jergenquell. © M. Lorber

Seit sich die Nachrichten von der Furcht erregenden Wiederkehr Ulfing von Jergenquells im Kosch verbreiteten, ahnte wohl jeder verständige Zwerg oder Mensch im Land, dass dieser Rachefeldzug kaum die Baronie Albumin verschonen würde — war dies doch das Lehen, über das der alte Baron Lechdan von Jergenquell, Ulfings Vater, geherrscht hatte, bevor er als Answinist den Tod fand.

Die Leute in Albumin aber wussten von all dem noch nichts, von dem wir nun Kunde haben, hatten wohl einzig die großen Feuer in den Bergen von ferne bemerkt. Deswegen aber ruhte die Arbeit nicht, die Albuminer schafften wacker auf ihren Feldern, im Wald und in den Werkstätten. Nur Gelphardt von Stolzenburg, Gräflicher Waffenmeister und seit mehr denn zehn Götterläufen Vogt der Baronie, stand auf dem Wehrgang, spähte sorgenvoll ins Gebirge und erwog, alsbald einen Boten zum Grafen auf die Angenburg zu schicken. Der junge Graf war der Feuer gewiss schon gewahr geworden und handelte bereits, wie es seine Art war. Zusammen mit ihm hatte Gelphardt der geheimnisvollen Wolfsplage im Wengenholmschen ein Ende gemacht und sich jüngst erneut auf die Suche nach dem grauenhaften und listigen Oger Goro begeben, der seit Jahren in den Wäldern sein Unwesen trieb und auch vor einem Angriff auf Begleiter des Prinzen Edelbrecht nicht zurückgeschreckt war. Statt des gefürchteten Ogers waren den Gräflichen freilich nur zwei verlotterte Goblin-Halunken in die Hände gefallen, die nun im Albuminer Kerker schmachteten.

An Goro dachte Vogt Gelphardt wohl auch zunächst, als mit einem Mal vom Rande des Ortes aufgeregte Rufe herüberschallten. Als er aber sah, wer da aus dem Schatten des Waldes trat, mochte ihm der Atem gestockt haben. In lockeren Reihen näherten sich von allen Seiten Dutzende von Kriegsleuten dem Ort, doch ohne Zeichen von Angriffslust oder Hast. Ihr Banner aber trug das Wappen Albumins, und daneben ritt ihr Anführer — Ulfing von Jergenquell. Er gebärdete sich geradezu wie ein Herr, der nach Jahren aus der Fremde in die Heimat zurückgekehrt. Nur vereinzelt aber riefen die Albuminer „Hoch!“ oder „Der Baron!“, die allermeisten blieben stumm und blickten offenen Mundes auf den Einmarsch der Meute. Kaum eine Handvoll von Ulfings Gefolgsleuten kannten sie aus alter Zeit als Nachbarn, Freunde oder Anverwandte, die dem Herrn in die Acht gefolgt waren. Grobgesichtige Söldlinge, fremdes Zwergenvolk und größtenteils schlichte Wegelagerer waren die übrigen, die großspurig grinsten und dem Jungvolk des Dorfes lüsterne Blicke zuwarfen.

In aller Eile hatte der Vogt das Burgtor schließen lassen und zu den Waffen gerufen, während es sich die Gesetzlosen im Ort bequem machten. Doch rechte Feierstimmung mochte nicht aufkommen: Wenn auch die Albuminer von alters her treu zum Hause Jergenquell standen und mancher den Leuten Ulfings Hilfe geleistet hatte, so hatten die allermeisten doch in den vergangenen Jahren vor allem von den Räuberstücken Jergenquell vernommen und sich an den Vogt und seine Gräflichen Bergjäger gewöhnt. Die Mienen der Dörfler versteinerten, als Ulfings Leute über zwei Frauen des Wengenholmer Kriegshaufens herfielen, die sie im Dorf ergriffen hatten, und der selbst ernannte Baron zwei Albuminer als Verräter aufknüpfen ließ. Vogt Gelphardt suchte darauf sein Heil in einem eiligen Ausfall — „Im Namen Wengenholms — und des Reiches!“

Für eine Baronsburg hielt Albumin noch immer eine stattliche Besatzung, doch war die gräfliche Wehr den Gesetzlosen an Zahl deutlich unterlegen. Zwar konnten, gedeckt durch den Ausfall, einige Albuminer in die Burg flüchten, doch sobald die Geächteten zum Gegenangriff ansetzen, mussten sich auch die Gräflichen in die Burg zurückziehen, wollten sie nicht niedergemacht werden. Zumindest die Veste wollte Vogt Gelphardt nicht ein zweites Mal an Jergenquell verlieren.*

Ulfing von Jergenquell aber hatte wohl auch dies erwartet, und was nun folgte, ist eine Geschichte vergeblicher Tapferkeit, traurig und schnell erzählt. „Sagt Euch los, schwört mir die Treue, und ich mag Euch schonen, Stolzenburg“, höhnte der Geächtete. „Wenn Ihr aber ein Knecht Wengenholms bleiben wollt, dann wird es Euch ergehen wie ihm — Ihr sterbt!“ — „Niemals!“, hatte Stolzenburg kaum entgegnet, da schoss ein Feuerwesen heran — der Alagrimm, wie wir nun wissen. Drei, vier der Burgwachen fielen als lebende Fackeln von den Zinnen, die übrigen retteten sich hinter die Mauern und konnten dort doch nur kurz Atem schöpfen, da brach mit einem Ohren betäubenden Tosen schon ein Teil der Wehrmauer zusammen. Schurkische Zwerge oder womöglich der Alagrimm hatten die Mauer durch eben jenen Geheimgang unterminiert, durch den Ulfing im Jahre 25 Hal geflüchtet war. Nun trat er ruhigen Schrittes in die Burg seiner Väter, während seine blutdurstigen Gefolgsleute ihm voranstürmten. Stockwerk für Stockwerk nahmen sie den Bergfried, die letzte Zuflucht der Gräflichen.

„Heraus damit!“, forderte Ulfing, als sie an der Turmspitze anlangten. Gelphardt von Stolzenburg, durch Alagrimms Feuer schwer gezeichnet, hielt mit letzter Kraft den Baronsreif Albumins in der Hand, den er all die Jahren für Wengenholms Grafen bewahrt hatte und doch nie selbst tragen durfte. „Dem Grafen und der Gräfin treu / den Herrn der Burg zur Ange“, mühte er sich, einen einst von ihm gedichteten Vers zu entgegnen. Dann durchbohrte ihn Ulfings Klinge: „Wenn es Euch glücklich macht, sollt Ihr für Euren Grafen sterben, so wie auch er gestorben ist.“ Ulfing griff den Reif und wandte sich zum Gehen, als der tödlich getroffene Vogt den Schwertgriff umklammerte und sich aufzurichten versuchte. „Er… ist tot…?“, keuchte er. „In der Angenburg lag sein Braten mir zu Füßen“, bestätigte Ulfing feixend, „Eure blinde Treue galt einem Toten. Darum ist es nur gerecht, wenn auch Ihr den Tod findet.“

Es bedurfte keines weiteren Schwerthiebs. Der edle Gelphardt von Stolzenburg taumelte zurück und stürzte vom Turm, so wie einst Ulfings Vater und ältester Bruder den Tod gefunden hatten.

Wilfing das Wiesel, Scherge des Jergenquell

Das war eine Feier! Mehrere Tage lang blieben wir in Albumin, malten uns schon aus, welche Ämter wir alle in Zukunft bekleiden würden. Drugol sollte Haushofmeister werden, und ich ein Weibel der Burgwache — auch ein Haus durfte ich mir schon aussuchen. Charissia drängte den Baron aber, hier nicht Halt zu machen. Der Alagrimm war noch immer hungrig und verlangte nach neuer Flammennahrung. Es war klar, dass nur ein Ort seinen Hunger stillen und ihn außerdem unbesiegbar machen konnte. Schon bald fassten wir den Plan Angbar anzugreifen. Nale und Rena wurden mit einigen Kostbarkeiten, die wir in Koschim erbeutetet hatten, in den Norden geschickt, um in Andergast für Verstärkung zu sorgen. Die Vorräte an Bier und Braten neigten sich schon dem Ende entgegen, als die beiden nach einigen Tagen mit einer wahren Horde Andergaster Söldlinge zurückkehrten. Die meisten waren nach all den Jahren des Friedens im Norden froh über unser Angebot. Jaja, die fetten Andergaster Kriegsjahre sind vorbei. Die Anzahlung mit Koschimer Zwergengold tat ihr übriges, auch wenn es nur ein Witz war im Vergleich zu den reichen Schätzen, die in Angbar auf uns warteten...

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