Zum Tag der Heimkehr
Zum Tag der Heimkehr
Drei Geschichten darüber, was Reisenden widerfuhr
MARK FERDOK, Travia 1047 BF. Unsere Schreiber haben ganz unterschiedliche Eindrücke vom hohen Feiertag der Travia erlebt und geben diese auf ihre Weise wieder. Zusammen ergeben sie ein vielseitiges Bild, was die Heimat für uns Koscher bedeutet.
Die Elfe
Ein ungewöhnlicher Besucher hat für reichlich Trubel auf dem Gestüt Mähnenhaupt gesorgt. Normalerweise geht dort alles seinen gewohnten und gut geregelten Gang – die Ferdoker Garde hält die Disziplin aufrecht, egal wie viele ihrer verblieben sind. Doch am frühen Morgen des 1. Travia stellte die Wache bei der Ablösung fest, dass sich jemand in den Stall geschlichen und dort auch noch dreist übernachtet hatte. Da war natürlich erst einmal etwas los! Alarm wurde geschlagen, Befehle gerufen, und in kürzester Zeit war der Eingang zum Stall von bewaffneten Gardistinnen umstellt.
Heraus kam – eine einzelne Elfe! Sie schien ein wenig irritiert ob des Lärms und fragte ganz unschuldig, was denn der Grund sei, so früh am Morgen schon so hektisch zu sein. Egal, wie viele mächtige und fremde Zauber eine Elfe haben kann: Von ihr ging offensichtlich keine unmittelbare Gefahr aus, und die Reiterinnen entspannten sich. Wer sie sei und warum sie hier eingedrungen sei, fragte die Stallmeisterin. Ihr Name sei Eldariel Abendglanz und sie habe es nicht mehr bis Ferdok geschafft. Allein von Eindringen wisse sie nichts; es sei doch recht einfach gewesen, hier hineinzukommen. Da knurrten einige der Gardistinnen, denn das hörten sie nicht gerne, auch wenn einige etwas von „Elfenmagie“ murmelten und dass man als ehrlicher Streiter nicht dagegen ankomme.
Nachdem sich der Schrecken nun gelegt hatte und es klar war, dass die Elfe keine bösen Absichten hegte, erinnerte die Küchenmeisterin daran, dass heute der Tag der Heimkehr sei und es nicht traviagefällig wäre, selbst eine Elfe an diesem Feiertag wegzuschicken. Vielleicht war auch ein wenig Neugier im Spiel. In jedem Fall teilte man eine ordentliche Mahlzeit, bei der Eldariel Abendglanz jedoch recht still blieb und wenig über sich erzählte. Irgendwann begannen die Gardistinnen Einzelheiten über den weiteren Tagesablauf zu besprechen, denn ein hoher Feiertag der Travia ist kein Grund zum Müßiggang.
Nach dem Essen gingen alle ihren täglichen Pflichten nach, während die Elfe ein wenig verloren herumstand. Sie wirkte recht unpassend an diesem Ort mit der Kleidung aus Wildleder und einem Messer als scheinbar einziger Waffe. Da bekam sie einige Rufe aus dem Stall mit. Einem der Pferde, einem Ferdoker Warmblüter, die hier gezüchtet werden, ging es schlecht, und guter Rat war teuer. Der nächste Heiler, der sich auf Tiere verstand, würde sich wohl heute kaum aus der Heimat wegbewegen. Da zögerte Eldariel Abendglanz nicht lange, sprach mit dem Tier, das sich langsam beruhigte, gab ihm ein paar Kräuter und blieb an seiner Seite. Die Lanzerinnen staunten nicht schlecht – sollte der seltsame Gast ihnen etwa unerwartet helfen? Auf ihre Künste angesprochen, erwiderte sie nur, sie sei eine Zauberweberin – was niemandem der Anwesenden etwas sagte.
Am nächsten Tag aber, als die Elfe wieder ihrer Wege ging, da war das Pferd bester Dinge. So zeigt es sich, dass man gut beraten ist, die traviagefällige Gastfreundschaft jedem zukommen zu lassen, der guter Gesinnung ist!
Der Zwerg
Ein Wiedersehen mit einem wandernden Zwergen ist ganz anders ausgefallen als gedacht. Für gewöhnlich hält man sich als Schreiber bescheiden zurück, wenn es um die eigene Familie geht. Aber als mein Vetter Tharin Sohn des Thurgrim, der viele Jahre durch halb Aventurien gereist war, zurück in die Heimat kam, da wollte ich doch getreu selbst berichten, wie es sich ereignet hat! Damit war ich nicht der Einzige: So hatte etwa Ibralosch Sohn des Ingrasch aus diesem Anlass Heimaturlaub von den Angbarer Sappeuren erbeten. Und so manches andere Mitglied der Wettertrutz-Sippe freute sich darauf, mit Tharin anzustoßen und zu hören, was er zu erzählen hatte!
Doch was soll ich sagen? Er hatte sich verändert! Früher war er ein lustiger und etwas ungestümer Angroscho. Nun war er immer noch guter Laune, aber stiller und nachdenklich, und manchmal guckten seine Augen ins Leere, als sei er mit den Gedanken weit weg. Was er denn erlebt habe, wollte ich wissen. Da schaute er mich lange an und lächelte schließlich, fast als ob ich ein bartloser Fläumling wäre, und machte nur vage Andeutungen von Goblins und Drachen, Elfen und Feen. Das soll einer verstehen! Der Tharin ist seinerzeit zum Sappeur ausgebildet worden und war ein ganz Solider, und jetzt sprach er nur noch in Rätseln. Und melancholisch schien er geworden zu sein, als ob ihn die magischen Wesen angesteckt hätten. Aber wie seine Augen in die Wolken blickten, wurde er ganz friedlich. Und noch seltsamer war, dass meine Vettern Bengram Sohn des Borgrim und Xandresch Sohn des Xologrim, beides gestandene Prospektoren, gar nicht darauf drängten, dass er nun endlich mehr erzählen solle, und ihn ganz ruhig anguckten, so als würden sie verstehen. Wenigstens genoss er das Bier, welches er außerhalb des Kosch schmerzlichst vermisst haben muss, und dankte Väterchen Angrosch für die Kraft im Angesicht des namenlosen Bösen. Aber dann ging es gleich wieder ganz komisch weiter: Er scheint mit Zauberwirkern unterwegs gewesen zu sein!
Aber am merkwürdigsten war, dass Tharin nach den Festtagen Anfang Travia weiterziehen wollte – zu einem Freund nach Albernia, wie er sagte. Ausgerechnet Albernia! Verstehe einer dieses Abenteurervolk! Ich war doch recht traurig, dass unser guter Vetter so seltsam geworden war. Aber beim Abschied umarmte er mich kräftig und wünschte mir viel Erfolg auf meinen Wegen.
Der Mensch
Die Geschichte eines Reisenden hat auf ernste Weise den Wert der Heimat einmal mehr unterstrichen. Am Abend des 30. Efferd machte Vittel Bockhaun in Lacuna Station und bat im dortigen Wegtempel um Unterkunft für eine Nacht. Er reise den Großen Fluss hinauf und wolle den Tag der Heimkehr nicht auf dem Weg verbringen. Natürlich nahm man ihn gerne auf – auch wenn er für Mahlzeit und Obdach mit anpacken musste. Das tat er wie versprochen am nächsten Tag – und spendete sogar noch ein paar Münzen. Nur viel reden wollte er zuerst nicht, und ganz ernst verrichtete er seine Arbeit. Das brachte die örtliche Traviageweihte auf den Plan, das Gespräch selbst zu suchen. Beim Abendessen, einem kräftigen Eintopf mit frisch duftendem Brot, konnte der Gast wohl kaum den Fragen von Ganslieb Herdinger ausweichen. Soviel brachte sie nach einer Weile aus ihm heraus: Er war ein Schlachter und ursprünglich aus Nadoret, hatte aber gut zehn Jahre in Moorbrück gelebt. Zuletzt hatte er jedoch einige Zeit in Garrensand verbracht, um, angeleitet von den Noioniten, seine Seelenruhe wiederzufinden.
Denn Klammwinkel, seine Heimat im Moorbrücker Sumpf, sei vor gut drei Jahren zerstört worden, und die schrecklichen Ereignisse habe er ohne Hilfe nicht hinter sich lassen können. Dabei sei er kein furchtsamer Mann und könne wohl mit einer Waffe umgehen. Das führe ihn nun nach Ferdok, um bei den Sappeuren anzufragen, ob sie ihn nicht gebrauchen könnten. Schließlich hätten die seinerzeit geholfen und ihn hoffentlich ebenfalls in guter Erinnerung.
Als die Geweihte die Geschichte um die verlorene Heimat hörte, da schlug sie erst die Hände über dem Kopf zusammen. Dann aber fasste sie sich und sprach einen Segen auf Vittel. Nach einem Bier schlief er friedlich neben dem Herdfeuer ein. Am nächsten Morgen reiste er weiter, doch jetzt war sein Blick ruhiger und ein sanftes Lächeln war auf seinen Lippen. Eine neue Heimat, die solle er wohl finden, bei Mütterchen Travia!