Ein Artefakt aus alter Zeit bringt neuen Streit
Ein Artefakt aus alter Zeit bringt neuen Streit
ANGBAR. Wundersames hat der Herr Ingerimm seinen beiden Völkern beschert: In der Feuermesse zum 30. INGerimm war durch einen geheimnisvollen Fremden eine zwergische Lanze in den Feuertempel der Fürstenstadt gebracht worden, von der es heißt, sie sei Gwendulon, die Waffe des Heldenkönigs Ambros (der Kosch-Kurier berichtete).
Nur wenige Wochen nach diesem Ereignis nun war ein Priesterrat der Flammenden und Erz-Kirche zusammengetreten, und viele Gelehrte und Wissende hatten sich eingefunden, das Wunder zu bedenken, die Folgen abzuwägen und den Willen des Gottes zu deuten.
Vom Eintreffen der Gesandten
Wer vermöchte wohl das Staunen des Volkes zu messen, das in den ersten beiden Wochen des neuen Jahres immer neue und illustre Reisende auf dem Platz der Heiligen Flamme eintreffen sah! Nicht nur Abgesandte der umliegenden Tempel waren es, die in ihren roten Kutten und mit einem Gefolge von Skriptoren und Adlaten Einlaß begehrten; nein, auch die bedächtigen Angroschim der Bingen von Koshim, Amboß und gar Xorlosch hatten sich zu ungewöhnlicher Eile angespornt und waren dem Rufe Meister Ibraloschs gefolgt.
So sah man eines Morgens den Oheim Artosch, Sohn des Abatrox, würdig das Ferdoker Tor durchschreiten. Er wies sich mit einer goldenen Stele aus, die von König Arombolosch selbsten gesiegelt war (denn der ist als Angroschs Schwertträger höchster Priester des Amboß ). Und Koschim war Erzväterchen Esbadosch gekommen, jedoch mit einem nur kleinen Gefolge, denn noch wird jede helfende Hand gebraucht, um die vom Großen Beben arg gebeutelte Binge wieder aufzubauen. Einzig die Boten aus dem fernen Xorlosch ließen länger auf sich warten, und es mag wohl kein Zufall sein, daß sie gemeinsam mit den Brüdern vom Kloster zu Ingrahall eintrafen.
Nicht weniger als sechsundvierzig würdige Geweihte, Priester und Prälaten in Diensten Ingerimms waren es, hinzu gewißlich die doppelte Anzahl an Laienbrüdern und Gesellen, hinzu nochmals viele Dutzend von Mägden und Knechten, welche dem Konventum aufwarteten. Seine Durchlaucht hatten eigens eine Abteilung der Garde auf dem Platz der Ewigen Flamme bereitgestellt, um für Schutz und Schirm des Konvents zu sorgen; und der wackere Graf Growin, der ja bekanntlich dem Zwergenvolke entstammt, hatte den designierten Priester des neuen Ferdoker Tempels , um am Ende die Geschichte in säuberlicher Skriptur präsentiert zu bekommen.
Der erste Tag des Konvents
Am Morgen des dritten Feuertags im Praiosmond des Neuen Jahres wurde der Konvent eröffnet, mit einer feierlichen Frischeglut - als Zeichen wohl, daß hier etwas Neues sich in Herrn Ingerimms Kirche ereignen würde. Eigens zu dem Anlaß hatte man die Bänke und Sitze des Tempelsaales zu einem Dreiviertelkreis gruppiert, an dessen Stirn ein steineichenes Rednerpult emporragte, geschmückt mit den Zeichen von Feuer und Erz. Ringsum prangten die roten und schwarzen Banner, und siebenmal schlug man die Eisentrommel zum Einlaß der Hohen Prälaten.
Seine Erhabenheit Hilperton Asgareol, der Hüter der Flamme selbst, bestieg die Tribüne und begrüßte die Anwesenden mit den traditionellen Segensworten . Hernach fuhr er fort: „Brüder und Schwestern in Ingerimm, wir haben uns hier versammelt, um über die wundersame Offenbarung Des Herrn zu beraten und zu bedenken, was es wohl mit jener Lanze dort auf sich haben könnte; jener Lanze, von der Igens Sohn glaubt, daß sie dem verehrten König Ambros gehörte.“
Wohlgesetzt war die Pause, doch bevor er fortfahren konnte, sprang plötzlich Meister Ibralosch auf und rief mit hochrotem Anlitz: „Was soll das heißen? Allväterchen selbst hat uns dieses Wissen kundgetan. Es besteht kein Zweifel daran, daß wir Gwen dolong vor uns sehen!“
Als sie ihn so hörten, schüttelten die greisen Zwerge ihr Haupt; doch nahmen sie’s gelassen, denn Ibralosch war unter den Seinen als Lodergeist bekannt.
Oheim Artosch, der gleich seinem Sender Arombolosch als Mann des Ausgleichs gilt, erhob sich schwerfällig und sprach langsam: „Liebe Brüder, wir wollen uns doch nicht zanken. Der Hüter wird schon recht haben, wenn er zur Vorsicht ruft. Wie heißt es doch: Hast ist des Unglücks Bruderkind. Und damit wir alle glauben können, was uns Igens Sohn so glühend erzählt, wollen wir die Lanze doch prüfen.“
Da erhoben sich aber laute Rufe: „Wie soll das gelingen?“ und „Wehe dem, der Allväterchen prüfen will!“.
Die Schwester Lumenincendita, die würdige Anghild Bruttelschwart, war es, die zur Ruhe gemahnte: „Hört mich an! Auch ich war dabei , als das Wunder sich ereignete. Und ich habe auch die Stimme gehört, die aus der Erde selbst zu kommen schien, und ich habe gesehen, wie die heilige Esse aufloderte und sich die Lanze von selbst schmiedete. Wie kann da ein Zweifel bestehen, daß wir eines Wunders Des Herrn teilhaftig geworden sind?“
Erzväterchen Esbadosch wußte Antwort: „Nun ja, viel geschieht in diesen Zeiten, die ja voller Wirrnis sind. Wie leicht mag es da geschehen, daß einer in allzu eifrigem Glauben etwas für Angroschs Werk hält, das es gar nicht ist.“
„Was willst du damit sagen, Väterchen Esbadosch?“ rief Ibralosch durch den Saal, nimmer müde, für seinen Glauben das Wort zu erheben .
„Nun ja“, räusperte sich Esbadosch. „Ihr wißt doch alle, was neulich über Koshim gekommen ist. Es steht ja außer Frage, daß es nicht Angroschs Wunsch gewesen sein kann, seine Kinder in Koshim, die ihm immer treu gewesen sind, derart zu strafen. Folgern wir daraus, daß auch andere Kräfte Werke vermögen, wie wir sie allgemein Allväterchen zuschreiben.“
„Und damit meinst du, Väterchen Esbadosch“, ergänzte Indira Kupferblatt aus Ingrahall, „daß, wo schon Erdbeben unheiliges Wirken sein können, eine Waffe umso leichter geschmiedet wird?“
Wieder ging ein empörtes Raunen durch den Konvent. Die Xorloscher und Ambosser Gesandten schienen erfreut, während jene , die doch das Wunder geschaut hatten , finstere Mienen zogen.
„Ja doch!“ rief in ungelenkem Angram ein junger menschlicher Geweihter aus Oberangbar (und seine Stimme überschlug sich), „wenn selbst in des Kaisers Halle, welche doch von allen Zwölfen geschützt wird, sich die Kräfte des B...“ - weiter kam er nicht, denn der Erhabene gebot mit einem Schlag seines Schmiedehammers auf die Eisentrommel Schweigen.
„Schweigt! Keiner spreche Dessen Namen aus. Und keiner unterstelle, daß in der Heiligen Halle von Angbar sich die Kräfte ... Dessen... offenbaren!“
Daraufhin erfüllte betretenes Schweigen die Halle, bis der Xorloscher Gesandte, Bartosch von den Felsen, das Wort ergriff. Es schien, als wöge er jede Silbe mit Gold auf: „Vergeßt nicht, daß die Vergangenheit uns die Zukunft lehrt. Das Wissen der Ahnen ist unser höchstes Gut. Ich schlage also vor, die Schriften zu befragen, uns gründlich vorzubereiten und Wissen anzuhäufen, um dann mit gestärktem Geist ans Werk zu gehen. Ich denke, drei Wochen der Vorbereitung werden keine allzu lange Zeit sein.“
Die menschlichen Priester und auch die jüngeren der Zwerge zogen lange Gesichter, als Hilperton Asgareol zustimmend nickte und den Konvent vertagte. So sehr hatten sie gehofft, bald das Geheimnis der Lanze zu ergründen .
Die Schriften werden befragt
Der dritte Feuertag war ein verregneter Tag. Die Wolken standen schwarz über Angbar, und Blitze zuckten allenthalben, erleuchteten die heilige Halle mit einem gespenstigen Licht.
Als endlich Schweigen eingetreten war, berief Meister Ibralosch den Bibliothekaren und Wissenshüter Bruder Haranosch vom Eisenwald in den Saal. Schwer auf einen knotigen Stock gebückt, humpelte der Dreihundertjährige heran. Drei Novizen trugen scheu einen Stapel dünner Basaltplatten, in die mit kunstvollen Schlägen feinste Runen eingemeißelt worden waren.
Man stellte die Stelen auf einen ehernen Ständer und rückte Haranosch einen Schemel zurecht, damit der Alte bequem lesen könne. Doch schien er gar nicht wirklich auf die Zeichen zu blicken (was seine trüben Augen auch kaum mehr vermochten), sondern aus dem Geiste und der Erfahrung zu rezitieren: „Dies ist die Geschichte von Ambros von Kosch, der seinem Volk in den schweren Zeiten der unsinnigen Kämpfe unter den Großlingen , die sie die Magierkriege nennen, ein guter Rogmarok war.“
Er hüstelte und räusperte sich, doch wer erwartet hatte, hier würde ein Gesandter aus Koschim oder Xorlosch Einspruch erheben, sah sich getäuscht.
Haranosch fuhr fort. „Erste Stele, erste Tafel. Ambros wurde geboren als Sproß in der Sippe von Aragax, der dem Abatrox ein Sohn und dem Aloschon ein Enkel war...“
Und so erfuhren die Anwesenden von der Abstammung und Kindheit des Hochkönigs, seinen Brüdern und Oheimen und übrigen Anverwandten, von seiner Feuertaufe und wie er sich die erste Axt schmiedete.
Gegen die mittägliche Praiosstunde erreichte Haranosch die dritte der siebenunddreißig Stelen. „Da sagte Ambros zu seinen Kindern: Seht hinab in das Tal, wo die Menschlinge wohnen, und...“
Hilperton Asgareol räusperte sich so stark, daß alle im Saal aufschreckten. „Guter Bruder Haranosch, sei bedankt für deine Genauigkeit und Ausdauer. Doch als ich dich bat, etwas über den Verbleib Gwen Dolongs herauszufinden, hoffte ich, daß du ein wenig präziser sein würdet.“
Verwirrt blickte ihn der Greis an und schüttelte das schneeige Haupt. Da forderte ihn der Erhabene auf, zur vorletzten Stele überzugehen, in welcher bekanntlich die Schlacht mit Zulipan von Punin und das Ende Ambros’ beschrieben wird.
„Überspringen?“ sinnierte der Greis, als sei ihm nie dieser Einfall gekommen. Dann aber verlas er die Kapitel über die Schlacht im Stillen Grund am Südufer des Sees, wo Ambros’ Getreue den grausigen Häschern des Magus gegenstanden . Und die Versammelten vernahmen, daß in dem zwergischen Heerbann viele Geoden zu finden waren, dafür aber „keiner aus dem Amboß , weil sie den Hochkönig nicht ehrten und so im Stich ließen“. Da ereiferten sich die Ambosser Gesandten sehr, und schwer nur vermochten die Hausväter Ruhe zu bescheren.
Je näher die Erzählung dem Ende zukam, desto stummer wurde es in der Halle, bis man schließlich nur noch das leise Knistern der Glut in der Esse und das sonore Lesen Haranoschs vernahm: „Da schleuderte König Ambros Gwen dolong, seine Lanze, auf den Schwarzen Zulipan, daß sie ihn durchbohrte. Doch wehe! In diesem Augenblicke sandte der Finstere einen Pfeil, gelenkt von furchtbaren Kräften, der Ambros Herz durchbohrte. Und wie Ambros starb, geschah es, daß Gwen dolongs eterniumstrahlender Schaft in drei Stücke zerbarst!“
Da riefen Ibralosch und die Seinen: „Und ebenso war diese Lanze zerbrochen, ehe sie in der Esse wieder heil wurde!“ Die Zweifler aber fragten Haranosch: „Was sagt die Schrift über den Verbleib der Wehr?“
Der greise Zwerg aber schüttelte betrübt den Kopf, denn darüber schwieg die Chronik sich aus.
Der Quellen allzu viele sind
Es fanden sich aber etliche Geweihte und Mönche, die nun ihrerseits Tafeln und Pergamentrollen und Folianten herbeischafften und nach vorn zu drängen versuchten. Der eine schwenkte die „Historie der Zwergenheit“, welche von 212 v.H. zu Ingrahall verfaßt worden war. Andere brachten Traktate und Abhandlungen verschiedener Gelehrter vor, die Xorloscher verwiesen auf Abschriften der heimischen Stelen (die jedoch seit dem Tage des Zorns als äußerst lückenhaft gelten), und die Ambosser brachten die „Gesänge zu Ehren der Helden“ zu Gehör, worinnen die Taten aller Bergkönige besungen werden. Ein etwas verwirrter Bruder aus Koshim zeigte gar eine Prunkausgabe der Lex Zwergia, welche doch lange vor Ambros Tagen niedergeschrieben worden war.
Nun erwies es sich bald, daß nicht der Mangel an Wissen den Konvent in Verwirrung stürzte, sondern vielmehr dessen Überfluß. Über ein Dutzend gründlicher und glaubhafter Quellen erzählten die Geschichte von Gwendulon und Ambros, doch wie oft widersprachen sie sich!
Ein Zweifler offenbart sich
Über die Diskussionen und Debatten ward es Nacht geworden, und der Konvent hatte sich abermals vertagt. Es war wohl kurz nach der Praiosstunde (der mittnächtlichen), als der Schall der Eisentrommel die Gesandten in den Pilgerstuben des Tempels und den Wirtshäusern der Stadt (und mit ihnen ganz Angbar) aus dem Schlaf schreckte. Und wie strömten die geweihten Herren herbei, und die Knechte und Gesellen und Diener! Im Tempelrund aber stand der Bruder Custos noctis, der den Schlaf seiner Brüder und die heiligen Flammen vor dem Verlöschen behütet, und er war ganz außer sich.
Alsbald erfuhr man - und es ward wie vieles kund in der ganzen Stadt - was geschehen war: Der Gesandte aus den Amboßbergen, Oheim Artosch, hatte sich heimlich, als alles schlief, zu der Lanze geschlichen und hatte versucht, sie unter Gebeten, Riten und gar der Ausrufung des Brogum dosch aus dem Fels zu ziehen. Doch war er kläglich gescheitert und war in eine wahre Zwergenwut verfallen. In diesem furchtbaren Zustande hatte er getobt und manches der heiligen Geräte (so die goldene Kohlezange) zu Boden geworfen. Von diesem Lärm aufgeschreckt, war der Custos in die Halle geeilt, wo er den Oheim schließlich weinend zu Füßen der Lanze gefunden hatte, immer wieder auf Alt-Angram die Worte stammelnd: „Vergebung, Ambros! Ambros, Vergebung!“
Daraufhin hatte man den Entsinnten in sein Gemach gebracht, wo er drei Tage verweilte, bis er an Körper und Geist genesen war . Doch seine gekränkte Seele ließ Artosch nicht länger in Angbar verweilen, weswegen er in seine Ambosser Heimat aufbrach.
Der Konvent war ob dieser die Geschichte freilich erschüttert worden , war doch Artosch der größte Skeptiker in ihren Reihen gewesen und hatte nun durch seine Tat und Worte offenbar seinen Glauben an die Echtheit Gwendulons gezeigt.
Der Konvent zerbricht
Als sich der Konvent von den nächtlichen Ereignissen beruhigt hatte, fuhr man fort, die Quellen zu vergleichen. Und alsbald zeigte es sich, daß es drei Gesinnungen gab, die einander wahrlich nicht zugetan waren:
Die ersten, und darunter waren die Xorloscher, aber auch etliche menschliche Geweihte, glaubten nicht recht an die Wunderkraft der Lanze, auch wenn sie durch unerklärliche Umstände nach Angbar gelangt war. Die zweiten pochten auf die Berichte, nach denen die Lanze nach Ambros Tod dem Allvater Angrosch geopfert worden sei und nun als göttliches Geschenk zurückgekehrt war. Daraus und aus dem Orakelspruch vom 30. ING („Wehe, Ibralosch! Keiner soll Gwendulon schwingen denn Ambros, Aragax Sohn!“) las man, daß die Lanze eine Reliquie sei und nicht zum Kriege mehr taugen sollte - denn der Hochkönig war zu den Ahnen gegangen und würde die Lanze nimmer schwingen können.
Ibralosch aber und einige besonders Eifrige glaubten - man höre und staune - daß dies alles nichts weniger zu bedeuten habe, als daß man die Wiederkehr König Ambros’ zu erwarten habe, hatte doch der Überbringer der Lanze gesagt: „Heil dir, Igens Sohn, denn du sollst den Weg zu Ihm finden.“ Und so verkündete Ibralosch, daß bald die Herrschaft des neuen und alten Hochkönigs anbrechen sollte. Und dieses sei vielleicht gar Sinn der berühmten Prophezeiung des Nostria Thamos: „Wenn der alte Kaiser dem neuen Kaiser nachfolgt“, denn auf Bosparano wurde der Hochkönig der Zwerge ebenfalls Imperator geheißen.
In dem Augenblick aber öffnete sich das Bronzetor, und eine gebückte, grau gewandete Gestalt trat ein. Viele erkannten den Mann (wenngleich er alt und grau geworden war, wie’s den Menschen im Alter ergeht) , und frohe Ausrufe drangen durch den Konvent. Es war Tyros Prahe, der Zwergenforscher, einer der gelehrtesten unserer Tage. Keiner unter ihnen gilt als so bewandert in der Geschichte der Angroschim, und auch jene zollen ihm Achtung.
Hilperton Asgareol begrüßte ihn und gab ihm das Wort. Der Gelehrte musterte die Runde und hub dann an:
„Gelahrter Konvent, verehrte Anwesende! Es ist mir eine Honor, hier vor Euch zu stehen und mit meiner bescheidenen Scientia mitzutun an dem wundersamen Rätsel, das nicht nur die Zwergenheit, sondern alle Völker Deres betrifft. Ich weilte justament in Gratenfels, als mich die unglaubliche Kunde ereilte. So hört denn, was meine Forschungen mir beschieden.“ Und mit weitschweifender Gebärde fuhr er fort: „Wir alle wissen, daß der König Ambros sich gegen übermächtige Magica Obscura stemmen mußte, derer er nur mit Hilfe der Geodices Herr werden konnte. Ja, es heißt sogar, daß er es mehr mit ihrer Hilfe als mit der Angroschs getan habe.“
Bestürztes, gar zorniges Gemurmel ging durch die Ränge der Hügelzwerge, während die Ambosser nur bedächtig nickten. Darum hatten sie den Rogmarok nie als Hochkönig bestätigt, galt er ihnen doch als verwirrter Geodenfreund.
Prahe fuhr fort: „Ich halte es durchaus für möglich, daß es die vereinigte Kraft einiger Geoden war, die Gwendulon die Macht verlieh. Vielleicht, ja, vielleicht handelt es sich dabei gar um ein Artefactum cum anima, ein beseeltes Artefakt, wie es uns die Magica lehrt. Demnach wäre es gut möglich, daß wir es mit einem Zauberwerk von größten Ausmaßen zu tun haben, zumal ich gegen Ende Ingerimm eine phänomenale Constellatio Astrae beobachtet habe...“
Hier nun sprangen Ibralosch und viele andere empört auf: „Wollt Ihr damit behaupten, daß es sich um ein übles Zauberwerk handelt und nicht um die Macht Allväterchen Angroschs?“ schrien sie.
Doch Prahe zeigte sich unbeeindruckt: „Nun, wir wissen, daß auch der Reichtum Umrazims nicht durch göttliches Wirken, sondern vielmehr durch die Zauberkraft des Oculus Auri, des Goldauges entstanden ist. Eigentlich lassen sich fast alle wichtigen Ereignisse in der Geschichte der Zwergenheit mit magischen Einflüssen erklären. Was war denn sonst die Krone Ordamons, die den Tag des Zorn heraufbeschwor und...“
In diesem Augenblick saußte der schwere Zeremonienhammer durch die Luft und zerschlug krachend das Redepult. In höchstem Zorne stand Ibralosch vor dem Gelehrten und drohte ihm mit der Faust. „Ihr wagt es, hier im heiligsten Haus Allväterchens Lästerung zu betreiben?“
Schockiert blickte Tyros Prahe um sich: „Aber, das ist doch keine Lästerung. Bedenket die mago-historischen Zusammenhänge. Die Magica Elementaria gründet sich auf die Gunst der Elementarherren, von denen der Erzene und der Flammende schließlich die höchsten Diener Ingerimms sind, wie uns die Kosmogenia belehrt.“
Der Disput steigerte sich mit immer neuem Zorn, bis schließlich alle Parteien einander anschrien und mit den Fäusten drohten. Nur mit Mühe gelang es dem Erhabenen , für Ruhe zu sorgen. Und er sprach : „Verzeiht, Meister Prahe, doch dachte ich, Ihr kämet hieher, um uns mit Eurem Wissen zu dienen und nicht, um uns in neue Dispute zu stürzen.“
„Ei nun!“ versetzte der so Gerügte, „wenn es mir erlaubt sei, die heilige Lanze näher in Augenschein zu nehmen, so könnte ich meine Thesis zu Beweis bringen.“ Und indem er zu Gwendulon schritt: „Es gibt nämlich die glaubwürdige Kunde, daß in Gwendulons Heft sieben Steine von höchster Kraft eingelassen waren. Es handelte sich um zwei Opale, drei Amethyste und zwei Rubine. Diese bewirken nach den Thesen des Emeraldus, daß...“
„Halt, nicht die Wehr berührt!“ schrie Meister Ibralosch auf, als der Zwergenforscher die Hand ausstreckte nach Gwendulon. Doch in diesem Augenblick, als sich Menschenfinger und Zwergenstahl trafen, ging ein Zittern und Beben durch die Lanze, und der ganze Saal schien zu wanken.
In großer Furcht warfen sich viele Gläubige auf die Erde, andere flohen den Zorn des Gottes. Der Konvent verfiel in Verwirrung und Tumult, alles schrie und rief durcheinander. Hier sanken die Angbarer zum Gebet nieder, die Xorloscher machten heilvolle Schutzzeichen, die Ambosser standen wie erstarrt. Im Hintergrunde erhoben sich Stimmen zu einem Choral, und in den Gängen erschienen Bedienstete mit angsterfüllten Gesichtern.
Doch das Zittern und Beben verschwand, und die Lanze schien nur noch in einem schwachen Lichte zu glühen. Da schwang sich Ibralosch auf einen Sims neben dem Altar und rief mit lauter Stimme: „Brüder und Schwestern, hört mich an! War das nicht ein neues Zeichen Allväterchens, daß wir nicht zweifeln sollen? Darum will ich nicht zögern und mich aufmachen, den Spießträger zu suchen: Ambros, den Hochkönig aller Angroschim!“
„Heil dir, Ibralosch!“ riefen da einige, doch andere: „Ei, wie verwegen! Wie eitel!“
Ibralosch aber fuhr fort: „Wir wollen uns rüsten zu der größten Queste seit Jahrhunderten! Mit wehenden Bannern wollen wir das Land durchstreifen, Bläserschall uns vorauseilen und jeder, der Allväterchen dient, soll sich uns anschließen. Nicht eher laßt uns ruhen, bis daß wir den Spießträger finden!“
„Aber Ibralosch, wo willst du ihn finden?“ riefen da die Brüder aus Ingrahall.
„Kennt ihr nicht, liebe Brüder, die Legende, daß Ambros treue Gefährten den Leichnam von der Walstatt heraufbrachten in den Okosch und unter einem schneebedeckten Gipfel zur Ruhe betteten? Dort, so heißt es, schlafe er noch immer!“
„Was für ein Wahnsinn!“ rief da Bartosch von den Felsen. „Auch wenn Ihr Hügelinge viel von Eurer Zwergenart verloren habt - nimmer hätten es die Alten zugelassen, daß Ambros nicht dem Feuer übergeben wurde.“
Dem stimmten viele zu, denn es war ja Brauch, daß gerade der König mit all seinem Gut Angroschs Feuer anvertraut wurde.
„Wenn König Ambros wiederkehrt, so wird es nicht in der Gestalt sein, in der er einst auf Deren wandelte!“ behauptete Indira Kupferblatt. „Denn es ist offenbar, daß Allväterchen seinen Leib zu sich genommen hat. Erwarten wir also Ambrosens Geist und Seele eher in neuer Gestalt. Denn wie heißt es: ‘Die Kraft des Feuers ist Wärme und Licht immerdar, doch ständig ist die Flamme eine neue.’ Darum also sage ich: Laßt uns auf das Kommen des Königs warten. Angrosch hat die Lanze gesandt, er wird auch den König senden.“
„Recht so, Schwester!“ rief Murgron Schwarzhaupt. „Ingrahall wird ihn willkommen heißen!“
„Nein, nein, was sollte der Rogmarok denn in Ingrahall?“ ließ sich da des Ferdoker Grafen Leib-Priester vernehmen. „Dem Hügellande galt Ambrosens Liebe, und darum mag er wohl nach Ferdok oder Angbar kommen“
Erst tief in der Nacht, als Müdigkeit die Lider überkam, endete der Streit, doch geschlichtet war er nicht.
Was schließlich noch geschah
Am andern Morgen sollte der Konvent wieder in gewohnter Weise zusammentreffen. Doch wie groß war das Erstaunen, als die braven Geweihten mit ihrem Gefolge über den Platz der Ewigen Flamme schritten. Stand doch dort, umringt von über hundert Bürgern, Meister Ibralosch, in einem roten Gewande, auf welchem in schwarz die beiden verschlungenen Runen des Rogolan A und R prangten (wie man später erfuhr, stand es für Rogmarok Ambros).
Solchermaßen geschmückt war auch eine Schar von gut fünfzehn Zwergen, die ihn umringten und in den Fäusten Banner und lodernde Fackeln hielten. Als vom Feuerturm Baldarosch erklang, stimmte Ibralosch einen Gesang an, und sein Gefolge fiel mit ein. So umzogen sie den Platz und verschwanden schließlich in Richtung des See-Tores. Den Angbarern aber rief der Schürer der Flamme zu: „Auf, Ihr Angbarer, wir ziehen los, um einen König zu suchen!“
Da öffnete sich das Bronzetor, und mit wehendem Mantel erschien Hilperton Asgareol, der Erhabene. Mit bleichem Antlitz sah er dem Zug der Schwindenden nach und rief laut den Namen Ibraloschs. Doch der hob die Hand zum Abschied und verschwand.
Kaum blieb dem Erhabenen Zeit, sich zu fassen, denn ein Bote brachte ihm schnelle Kunde: Vor allem Volk hatte Schwester Indira Kupferblatt den Bau einer heiligen Halle zur Aufbewahrung der Lanze und als neue Heimstatt des wiederkehrenden Hochkönigs postuliert. Sie hatte von zahlreichen Stadtvätern und gar dem Fürsten selbst Spenden hierzu erbeten.
Als der Konvent nun doch endlich seinen Fortgang nahm, saßen nicht einmal mehr die Hälfte der Gesandten im Tempelsaal. Denn die übrigen Ingrahaller und Xorloscher hatten die „eines Zwergen unwürdige Posse“ satt und waren abgereist. Ebenso waren die meisten Ambosser ihrem Anführer in die Heimat gefolgt, und auch die Reihen der menschlichen Geweihten hatten sich gelichtet, zumal in Oberangbar und einigen anderen Gemeinden Gesellenstücke zu weihen waren. Der Priesterrat aber tagte weiter, auch wenn längst keiner mehr wußte, was es denn wirklich zu beraten gab.
Solcherlei sind die Verwirrungen in der Fürstenstadt, und niemand vermag zu sagen, wer nun im Recht sei und wer im Irrglauben. Ob aber nun der Auszug Ibraloschs als offener Bruch mit dem Erhabenen zu werten ist, oder die Tat Indira Kupferblatts einen inneren Zwist der Bruderschaft von Ingrahall herbeiführen wird, ist ungewiß . Doch gebe es Herr Ingerimm, daß seine Diener sich in diesen schweren Zeiten verbünden und nicht länger entzweien.
„Geschichte des Hügelvolkes“ (mündlich überliefert, zusammengetragen vom Angbarer Feuertempel)
„Von König Ambros, dem Heldenkönig, wird gesagt, daß er ein guter Freund der Gnomen war, welche man auch Geoden heißt. Weil er diesen viele gute Taten und Werke angedeihen ließ, beschworen sie die Elemente von Erz und Feuer und bannten die Kräfte an eine Lanze, die Gwen dolung geheißen ward.“
„Von den Angroschwerken“ (Rurbin der Schmied, 180 v.H.)
„...ist die Lanze Gwendulon des Zwergenkönigs Ambros eine Wehr von höchster Kraft. Er fügte sie aus dem Kern eines vom Himmel gestürzten Sterns, denn so hatten ihm die Götter ihr wertvollstes Erz geschenkt. Das alles aber geschah unter heiligsten Riten des Zwergenvolks, weswegen die Waffe auch ein Artefakt INGerimms ist. Nur so ist es zu erklären, daß Ambros mit ihrer Hilfe den Magus Zulipan von Punin besiegen konnte, und nur daher stammt die Kraft des Speeres, stärksten Felsen zu spalten.“
„Von den Sieben Zwergenwundern“ (In den Xorloscher Stelen, seit 5000 v.H. geführt)
„...das sechste Wunder aber ist der Drachenspieß König Ambros, welche wir Gwen dolong nennen. Er war sieben Spannen und sieben Finger lang, und sein Schaft war ebenso wie seine Spitze von einem Metalle, das dem Eternium gleicht. Der Schaft aber war übersät mit heiligen Schutzzeichen und Runen, die das Brogum dosch, die Formel der Urkraft, und sechs weitere Lobpreisungen Angroschs wiedergaben. Die Spitze war eine eigene Spanne lang und gewunden und gebogen als wie eine Feuerzunge, und ebenso leuchtete sie auch rot und golden. Wer die Lanze anblickte, der erschauerte vor Ehrfurcht, denn die Kraft Ingerimms offenbarte sich ihm, und wer von ihr getroffen wurde, der verging auf der Stelle.“
Aus einer amboßzwergischen Chronik
„Ambros vom Kosch, den manche als Hochkönig aller Zwerge bezeichnen, fiel in der Schlacht gegen den Schwarzen Zulipan. Wie ihn aber seine Brüder zu Tode verwundet liegen sahen, da bewunderten sie seine langen roten Locken, die ihn wie Feuerzungen umwaberten; und sein Hals und die Wangen waren so weiß wie der Alabaster, daß er wahrhaft königlich anzuschauen war. Und weil er noch wie lebend schien, brachten sie’s nicht übers Herz, ihn Angroschs Feuer zu übergeben, wie es Sitte ist.“
Aus einer Erzählung des Hügelvolkes, um 300 v.H., aufgezeichnet durch Grobumox, Sohn des Growin
„Der Heldenkönig aber wurde in der Schlacht am Stillen Grund schwer verwundet. Als seine Getreuen ihn so sahen, da legten sie ihn auf einen grasigen Hügel, und neben ihn legten sie Gwendulon. Aber Ambros Blut floß auf die Lanze und färbte die Spitze rot wie eine Flamme. Ein Geode aber, der dabei war, wirkte mächtige Zauber, um den König ins Leben zurückzuführen. Doch Angrosch verwehrte es, und der König starb mit einem Seufzer. Im gleichen Augenblick aber erglühte Gwendulon und zersprang in drei Teile.“
Schlichtung einer Sippenfehde um einen Erbfall, 380 v.H.
„...wird hiermit über das Gut von Väterchen Ambros beschieden. Gutrosch von den Findlings, weil er ein naher Verwandter des Königs war, kriegt all das, was sich in der Sippenhalle von Koschim befindet. Birim von den Hüggeliggs erhält, weil es so Ambros Wille war, seine Axt. Das restliche Gut aber lege man in die Erzkammer unter dem schneeigen Gipfel.“
Auf den Überreste einer alten Pergamentrolle im Besitz Nirwulfs, Sohn des Negromon, findet sich folgendes:
„...Von König Ambros heißt es, daß er stets seine Lanze bei sich führte, auch wenn er sie nicht brauchte. Denn ihr wohnte eine große Kraft inne, die alle mit Angroschs Flamme erfüllte. Und darum sollte er sie auch mitnehmen in Angroschs Schoß, als er denn heimging.“
Hügelzwergisches Lied:
„So trauern wir um Ambros, unsern größten Helden.
Stark er war und schirmte sein Volk für lange Zeit,
So daß die Schwarzen Horden nicht plündernd Kosch erreichten.
Doch nun ist er gefallen in der großen Schlacht.
Dort drunten wohl am Stillen Grund
Da liegen immer noch die Waffen sein:
Die Axt, der Helm und Quendulong,
Die Lanze, Herzstück sein.“