Der ritterliche Lanzengang
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Der ritterliche Lanzengang
Viele Ritter hatten sich beim fürstlichen Herold in die Kämpferlisten den verschiedenen Disziplinen einschreiben lassen, die für dieses Turnier ausgerufen wurden und die meisten gedachten fraglos daran, an der Tjoste teilzunehmen. Einige Kämpen meinten zudem, die ausgerufenen Wettbewerbe würden ihnen nicht genügen und plädierten für die Aufnahme weiterer Wettbewerbe, die bei den echtern Rittsleuten nach Koscher und Weidener Art zu allgemeiner Verwunderung führten: Dolchkampf (“Wer Messerstechereien mag, soll sich in tulamidische Hafenspelunken begeben”, sprach Herr Hardulf von Ödenhof für viele), Speer- oder Axtwurf, den Kampf mit scharfen und stumpfen Hiebwaffen („Welche denn nur?“ fragte man sich), Reiten oder gar Laufen oder wettzechen (das darf ein jeder gerne abends in den Angbarer Schenken tun), sowie Musizieren oder Akrobatik („Ja, sind wir denn auf einem Gauklerbasar?” hieß es da).
Ein wenig wohlhabender Krieger namens Torben Gorbal versetzte den Fürsten in Erstaunen, als er bei diesem vorsprach und um die Gestellung eines Pferdes bat, um bei dem Turnier mitreiten zu können. Während der Hofstaat sich beinahe empörte, ob dieser ungewöhnlichen Bitte, doch Fürst Blasius gefielen die offenen Worte Torbens und wies so seinen Stallmeister an, dem Krieger ein gutes Streitroß für das Turnier zu stellen.
Weniger erfreut war man dagegen über das Gesuch eines in Kosch gänzlich unbekannten Kriegers mit Namen Conan von Andersin, welcher sich Basiliskentöter und Lindwurmtöter nannte und dessen Reputation, sowie Kriegerbrief als zweifelhaft befunden wurde. Uneins war sich die Turnierleitung, ob man diesen Krieger, gewißlich ein erfahrener Kämpfer, wie von ihm gefordert, zum Zweihänderkampfe und zu der Tjoste zulassen sollte. Als sich jedoch herausstellte, daß Conan von Andersin weder ein Pferd mit sich führte, noch jemals in der Kunst des Lanzenreitens unterrichtet worden zu sein schien, verwehrte man ihm eine Teilnahme dort, gewährte ihm jedoch — gegen die Stimme des Ardariten Araton — bei den Wettbewerben mit Zweihänder und Einhandschwert anzutreten.
Schon früh am Morgen des Tages ward man beschäftigt mit den Vorbereitungen auf das kommende Gestech. Die Tribünen wurden geschmückt, die Bahnen vorbereitet und die Flaggen gehißt. Das Gefolge der Ritter und des Fürsten hatte schwer zu arbeiten: Gestechrüstungen mußten hergerichtet und poliert, die mächt’gen Streitrösser gefüttert, getränkt und gestriegelt, die Lanzen vorbereitet und viele, viele andere Arbeiten erledigt werden. Wohl dem Ritter, der überhaupt einen Knappen oder Diener, manch einer mußte all dies sogar allein verrichten.
Sechs Bahnen gab es auf dem Turnierplatze zu Angbar, auf daß je ein Dutzend Ritter in göttergefälliger Anzahl gegeneinander anreiten konnten. 58 Ritter meldeten sich für die Tjoste und der Fürst hochselbst befahl zweien seiner Schlachtreiter, mitzustreiten, um das fünfte Dutzend aufzufüllen.
Und 60 Stangen wurden rechts und links der Bahnen aufgestellt, und an diese Stangen wurden angebracht die Wappenschilder der Ritter und obenauf drei hölzerne Kugeln. So kam es dann tatsächlich dazu, daß einige Krieger und arme Rittersleut kein Wappenschild zu diesem Zwecke mit sich führten und manch Wappen wurde noch schnell gezeichnet auf hölzernem Grunde. Ungeachtet dessen, noch weit vor der Mittagsstunde hing ein jedes Wappen an seinem Platze: Der silberne Hirsch auf Grün der Nadoreter, der, das silber umrahmte schwarze Kreuz auf blauen Grund Lyngwyns, hier eine prächtige blaue Jolpe auf weißem Grund und dort der gänzlich rote eines Almadanis ... und kaum man sich’s versah, da flatterten neben manchen Wappen bald die bunten Farben und Tücher der Liebsten.
Praios’ gül’nes Auge hatte nicht ganz seinen höchsten Punkt erreicht, da erschallten die Fanfaren und kündeten von dem beginnenden Lanzengang. Zufürderst jedoch mußten all die zusammengekommenen Ritter und Ritterinnen auf die fünf Gruppen verteilt werden. Aus einer dunklen Truhe zog ein jeder ein seidenes Band, entweder in gelb, rot, blau, grün oder schwarz.
Daraufhin sprachen die Turnierrichter zu den versammelten Streitern: “Im Namen der himmlischen Heerführerin, der göttlichen Frau Rondra, seid willkommen auf diesem Platze der Ehre! Die Zeit drängt, denn die ersten Ritter werden bald schon an dieser Stelle aufeinandertreffen. Noch einmal seien darum rasch die Regeln des Gestechs verkündet:
Zum ersten mögen die Ritter gemäß ihrer Auslosung aufeinander treffen und bis zu fünf mal gegeneinander anreiten, auf daß eine Entscheidung falle. Sitzen nach fünf Durchgängen beide Streiter noch im Sattel, so sollen sie ihre Schwerter nehmen und so den Sieger ermitteln. Stoßen sich die Ritter gegenseitig vom Pferde, so mögen sie, sind sie sich einig, ein einzig’ Mal wieder aufsitzen, ansonsten möge der Zweihänder entscheiden. Sind die Verlierer der Runde ermittelt, so verlieren diese eine ihrer Kugeln über ihrem Schilde, und wenn sie die dritte Kugel verloren haben, so wird ihr Wappen tiefer gehänget und die Tjoste ist für sie vorbei.
Die übrigen Unterlegenen der Runde mögen sich alsdann einen neuen Gegner aus der Gruppe der Sieger erwählen, sowie die überzähligen Ritter einander finden und die nächste Runde mag beginnen. Sind der Runden fünfe aufgetragen, so wird die Turnierleitung die Sieger verkünden.
Und merket wohl! Niemand richte seine Lanze gegen den Kopf seines Kontrahenten noch gegen dessen Reittier. Wenn uns solche Absicht auffällig wird, wird dieser Ritter, ungeachtet seines Ranges, mit Schimpf und Schande von diesem Platze vertrieben!
Und nun, all ihr Ritter und Ritterinnen, die Ihr die goldnen Bänder erwähltet. Sputet Euch, denn zur Mittagsstund’ möget Ihr beginnen!”
Die goldene Gruppe
Kaum hatte des Herren Praios Auge die Mittagsstund verkündet, da erschallten die Fanfaren erneut, auf daß dem Götterfürsten zu Ehren die güldene Gruppe beginne. Die edlen Kämpfen ritten heran und nahmen Aufstellung, zu rechter Hand sah man den Schwarzen Stierkopf des Ritters Harad von Gor, einen silbernen Hirschen einer Nadoreterin, linker Hand das blau-weiße Schild der Ferdokerin Lauida Derom und viele andere und als hätte das Schicksal einen Streich spielen wollen, so standen gerade in dieser Gruppe die beiden einzigen Novadis dieser Turnei, der Krieger Rhuan Al‘Mansour und die Baronin Sian Lacara von Dubios.
Still war es um den Turnierplatz, nur das Schnauben der Rösser und vereinzeltes Klappern von Metall, sowie von ferne die Stimme eines zwergischen Wettfeilschers, war zu hören, bis ein einzelner Fanfarenstoß die Recken zu beginnen hieß. Die Pferde stieben voran, Holz splitterte, Metall schepperte und fünf Kämpen waren bereits aus ihren Sätteln gehoben worden, darunter favorisierte wie der Krieger Randal von Ryborn und sogar die Baronin von Dubios. Nur der Junker Adaron von Beskenitz und die Ritterin Lauida Derom hatten noch keine Entscheidung erzielt, aber schon beim folgenden Aufeinandertreffen obsiegte die Ritterin.
Hin und her wogte das Kampfesglück und nach fünf Runden gab es keinen Ritter, der nicht mindestens einen Sieg errungen hatte und noch fünf Ritter mit genau drei Siegen und zwei Niederlagen. Wen sollte man zum Sieger erklären und wer sollte am Finale mitreiten? Nach geraumer Unterredung verkündete der Turnierrichter Duridan von Sighelms Halm: „Sieben Streiter scheinen gleichsam wacker geritten zu sein. Eine Ritterin jedoch hob sich von allen hervor, denn gleich vier Lanzen zerbrach sie an den Schilden ihrer Gegner. Deshalben erklären wir Baronin Siam Lacara zur Siegerin der goldenen Gruppe! Desweiteren heißen wir den Krieger Randal von Ryborn und Ritter Raul von Kemlar, die Ritter Harad von Gor und Hardulf von Ödenhof, sowie die Junkerin Alvide-Eldgund von Nadoret und Ritterin Lauida Derom zu Ferdok einen weiteren Gang auszutragen.“ Noch einmal ritten die Streiter gegeneinander und es setzten sich alsbald Randal von Ryborn, Lauida Derom und Hardulf von Ödenhof durch und gewahrten damit ihre Chance am Finaltag mitzureiten.
Die Rote Gruppe
Die Ritter der goldenen Gruppe hatten kaum das Feld verlassen, da wurden schon diejenigen herangerufen, die in der roten Vorrunde zu Ehren der Göttin Rondra streiten sollten. Unter diesen zählten gewißlich der albernische Baron Trondwig Raul Helman, der Bragahner Rondraritter Mieltra der Löwe und der gräflich Wengenholmer Vogt von Albumin, Ritter Gelphardt von Stolzenburg, zu den Favoriten.
Anders als in der Gruppe zuvor setzten sich die Favoriten und ein bis dahin kaum bekannter Krieger, der sich selbst Taar Chonag nannte (was die anwesenden Ritter des Golgariten-Ordens zunächst aufmerken ließ, bis sich der Recke als aufrechter Gesell erwies) hier eindeutig durch. Erst in der fünften Runde, mehrere Ritter hatten bereits ihre drei Kugeln verloren, da trafen mit Gelphardt von Stolzenburg und Mieltra dem Löwen zwei der Favoriten aufeinander, während Baron Trondwig Helman keinen Kontrahenten mehr finden konnte.
Dreimal ritten der Wengenholmer und der Bragahner gegeneinander und beim dritten Mal rissen sie sich gegenseitig aus den Sätteln. Keiner fragte den anderen, ob er noch einen Gang zu Pferde bestreiten wolle, sondern beide ergriffen ihre Turnierzweihänder und umkreisten einander inmitten der Schranken. Einige Zeit hieben die beiden Ritter auf einander ein und bald schien es, als könne der Rondraritter Mieltra einen Vorteil erringen. Auf dem von unzähligen Pferdehufen zerpflügten Boden kam Mieltra jedoch kurz ins Straucheln, ein Vorteil, den sich Gelphardt nicht entgehen ließ. Er rammte Mieltra seinen Zweihänder gegen den Brustpanzer, brachte den Rondraritter damit zu Fall und noch bevor sich dieser wieder erheben konnte, stand Gelphardt mit seinem Schwert über ihm und zwang Mieltra damit zur Aufgabe.
Zum Sieger dieser Gruppe wurde Baron Trondwig Raul Helman von Lyngwyn erklärt, der seine vier Gegner allesamt in überlegener Manier besiegt hatte. Die Ritter Gelphardt von Stolzenburg und später auch Taar Chonag, der zwar zweimal vom Pferd gestoßen wurde, aber dennoch jede Runde gewinnen konnte, wurden für die Finalrunde nominiert.