Der Bund von Eber und Wolf
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Der Bund von Eber und Wolf
Ein strahlend Fest unter düsteren Vorzeichen
Ysilia, im Winter des Kaisers-Jahres 26. Prächtig und stolz war der Zug, der auf schneebedeckter kaiserlicher Straße gen Osten strebte, quer durchs Reich von einer Seestadt zur anderen. Grünschwarze Wimpel schmückten Reiter und Karren, und Ondifalors, das große Keilerbanner, flatterte lustig voran. Denn zur Wintersonnenwende sollte des Fürsten vom Eberstamm Nichte, die ritterliche Jungfrau Efferdane, mit dem künftigen Herzog der Tobrier vermählt werden.
Der Prinzessin Geleit waren ihr Vater, Herr Geldor, der Obrist-Zeugmeister zur Heldentrutz, sein fürstlicher Bruder, der durchlauchte Herr Blasius selbst, und dessen Söhne Anshold und Edelbrecht, nebst einer Anzahl der edelsten Barone und Rittsleute des Kosch. Als Waffengefolge hatte der Fürst eine Halbschwadron der Ferdoker Garde und ebensoviele seiner Schlachtreiter mit sich befohlen. Hinzu kam eine Bagage aus fidelen Spielleuten und buntem Gauklervolk, mit dem der gestrenge Profoß seine liebe Not hatte.
Recht froh ward die Gesellschaft dennoch erst, als sie Warunk hinter sich ließ und der Straße gen Mitternacht folgte, denn obwohl’s niemand aussprechen wollte, war man bis dato — all die vielhundert Meilen von Angbar her — gerade jenen Weg gereist, den nicht einmal zwölf Monde zuvor der schandbare Vogt Sherianus in die Verbannung geschritten war.
Noch vor den Toren Ysilias wurden sie bereits erwartet: Herr Dietrad war’s, des Prinzen Bernfried jüngerer Bruder, der mit seiner Gemahlin Walpurga von Weiden, Sohn Arlan und dem Töchterchen Walbirg die Gäste in die stetig wachsende Herzogenstadt geleitete, wo sie der mächtige Herr Kunibald höchstselbst auf den Stufen seiner Residenz empfing. Und wie staunten die Koscher, als ihnen an des Herzogs Seite (allein ein Stüflein tiefer wohl) der wohlvertraute Graf Orsino von Falkenhag und vom Angbarer See ein herzliches Willkommen entbot! Gewiß, ganz waren die Entbehrungen seiner beschwerlichen Pilgerfahrt (die im Aventurischen Boten Numero 60 geschildert) noch nicht vergessen, doch schon schien der schöne Graf, ins eilends geschneiderte Festtagskleid gewandet, ganz der artige Kavalier, als der er bekannt ist. Als wär’ er eben nur zur Jagd im Garether Forst ausgeritten und hätte nicht den ganzen langen Weg nach dem fernen Bjaldorn füßlings getan, plauderte und scherzte des Reiches Groß-Siegelbewahrer mit den Gästen und verlieh so dem tobrischen Hofe etwas vom Glanz der herrlichen Kaiserstadt.
Der Hochzeitsmorgen sah den tobrischen Adel unter den drei goldenen Kuppeln des ysilischen Praiostempels versammelt, allen voran Herr Kunibald, prächtig anzusehen im fehenen Mantel, das Schwert Schalljarß in silberner Scheide gegürtet, auf dem Haupte die bergkristallene Herzogenkrone Tobriens. Umrahmt wurde er vom Illuminatus Luceo de Ghune, dem gestrengen Herrn der Halle, und dem wiedergenesenen Großvater Herdfried von Rabenmund, der eigens aus Rommilys herbeigeeilt war, um die Zeremonie zu leiten.
Letztere waren es auch, welche die Brautleute einander zuführten: Prinzessin Efferdane trug die knappe Brünne einer Ferdoker Lanzerin, deren Ehren-Obristin sie bekanntlich ist. Einzig ein feiner Schleier aus Ilsurer Spitze zeugte davon, daß sie zur Hochzeit schritt und nicht etwa zur Schlacht, auch wenn so manch heimlicher Spötter meinte, sie habe sich bereits für den ersten Ehezank gewappnet. Das lange Blondhaar trug sie offen — erst zum Ende der Zeremonie sollten es die Zofen züchtig unter der Haube der verheiraten Frau zusammenstecken.
Der Bräutigam hatte ein schlichtes, doch hervorragend gearbeitetes Kettenhemd gewählt (welches er im vergangenen Götterlaufe auf der Angbarer Turnei in Auftrag gegeben), darüber eine lange Pelzrobe und einen grünen Mantel, der auf der linken Schulter von einer goldenen Schließe gehalten wurde — stattlich wie sein Vater und jeden Finger ein Ehrensteiner Herzog.
Gemeinsam erbaten sie den Segen der Zwölfe — den der Frau Tsa im besonderen — für das Paar. Alsdann zog der Herzog Schalljarß das Ysilische, hielt es hoch über sein Haupt und senkte es hernieder. Braut und Bräutigam sahen sich tief in die Augen und umfaßten die blitzende Klinge, beide mit einer Hand. Herr Geldor trat hinzu und wand eine Ranke von Gänsekraut um die verschlungenen Hände, fester und fester, bis ein schmales rotes Bächlein die Klinge hinablief, in dem sich das Blut von Eber und Wolf vereinte.
„Frei seid Ihr nun“, sprach die Herzogin Faduhenne und löste die Fessel. Dann nahmen die Brautleute einen tiefen Schluck aus dem Horn, das ihnen der koscher Fürst selbst darreichte (denn die Prinzessin ist ohne Mutter seit vielen Jahren), und aßen von den ausgewählten Früchten. Da jubelten die Gäste, drängten sich um die Vermählten und ergingen sich in Gratulationen: der tobrische Adel, in dessen Namen der Landgraf Elkrat von Ysilien die besten Segenswünsche aussprach, Markgraf Throndwig von Warunk, Fürstin Irmegundes Gesandter Ludger von Rabenmund (trotz seiner Höflichkeit vom ysilischen Hof äußerst zurückhaltend empfangen) und die Ehrensteiner Verwandten aus Eslamsgrund und Ragath — zu guter Letzt auch der Graf Orsino.
Mit einer tiefen Verneigung überreichte er sein Geschenk, einen Kristall, in dessen Innern eingeschlossen eine Schwanenfeder ruhte. „Dies Artefakt“, so sprach Herr Orsino, „hieß mich der Weiße Mann von Bjaldorn Euch zu übergeben. Es ist eine Feder, die einst die milde Frau Ifirn in Schwanengestalt verlor — dem Wintergotte heilig. Die Zeit mag kommen, in der die Gabe ihrer Bestimmung zugeführt wird.“ Da schwiegen alle Gäste ehrfürchtig und sandten ein stilles Gebet an den Weißen Jäger und seine Tochter.
Nicht recht schicklich vor der Frau Travia wollte es den Koschern erscheinen, daß der Prinz und seine Gemahlin am Abend — nur von einer jungen Magd namens Xindira begleitet — auf den Yslisee zur sagen- und nebelumwobenen Insel Sumus Kate hinausruderten. Allein, im Tobrischen sei dies alte Sitte, sprach des Herzogs Weib Faduhenne, worauf die Murrer verstummten, denn die Bräuche der Ahnen gelten auch im Koschlande viel. Viel lieber widmeten sie ihre Aufmerksamkeit dem rustikalen Festmahl von ungeahnter Köstlichkeit, welches der koscher Oberhofkoch Filbu, Sohn des Filib, im Verbund mit den Küchenmeistern des tobrischen Hofes gezaubert hatte. Met und Bier flossen in Strömen, denn die Bürger Ysilias wollten es sich nicht nehmen lassen, das Glück ihres nächsten Herzogs zu feiern.
Noch in derselben Nacht erklomm der alte Herr Tobriens die Stufen zum höchsten Turm der Bannakademie, um von dort das Firmament zu schauen: Das Sternbild des Drachen bedeckte den Nordhimmel in selten gesehener Pracht und darin stand (mithin über den Drachensteinen) triumphierend der Horasstern. Des Herzogs Augen wanderten weiter, suchten und fanden Ucuri. Kalt und einsam funkelte der Stern im Bildnis des Eisbären. Da mag dem alten Wolf wohl bang ums Herz geworden sein, denn Ucuri war der Stern seiner Geburt und hatte ihn lange Jahre behütet und geleitet. Und erst als die Praiosscheibe im Osten über der tobrischen See emporstieg, schritt er mit düsterer Miene die Stiege wieder herab. Wer ihn in der Früh sah, der konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, der Herzog habe den letzten Morgen der Welt geschaut.
Auch die Brautleute, eben von Sumus Kate zurückgekehrt, gaben sich eine Spur nachdenklicher und weit weniger ausgelassen, gleichwohl aber wußten sie die Sorgen eines grauen Wintermorgens zu verscheuchen. Während der Hof sich zur Bärenhatz rüstete (schließlich schrieb man den ersten Tag des Firunmondes) ritten die Frischvermählten (und mit ihnen etliche junge Edle) nach dem Schlosse Salvunk, das der Herzog ihnen zum Geschenk gegeben hatte, wo sie sich zwei Wochen lang der Jagd und allerlei Lustbarkeiten hingaben (Herr Wolfhard von der Wiesen hatte eigens einen Hochzeits-Tanz erdacht) Die braven Tobrier aber säumten die Straßen, streuten getrocknete Blumen unter die Hufe der Pferde und jubelten von ganzem Herzen.