Begegnung der familiären Art in Ferdok

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Ausgabe Nummer 24 - Boron 1022 BF

Begegnung der familiären Art in Ferdok

Verschollener Baron und Tochter wiedervereint

Wo ist sie? Wo denn?“ Es war immer der gleiche Satz, den diese verlotterte Gestalt einmal einem verdatterten Passanten stellte, indem sie sich ihm mit beiden Händen auf dessen Schultern gestützt in den Weg stellte, einmal nur vor sich hin brummelte, den Blick in die Ferne gerichtet.

So irrte sie wohl einige Zeit durch’s wirre Markttreiben in der Grafenstadt Ferdok. Erst, als der zottige, bärtige Mann, der knapp zwei Schritt messen mußte, wenn er aufrecht ging - aber er schlich und schlurfte vielmehr umher - an eine Hauswand sank und in ein jämmerliches Wimmern verfiel, gesellte sich ein kleines Mädchen zu ihm, betrachtete ihn eine Weile, die Hände in die Hüftchen gestemmt, ehe es kurz Luft holte und lossprudelte: „Na sowas ist mir ja noch nie untergekommen! Wenn Du so rumheulen tust, kann ich ja nie wissen, wen Du suchst. Und überhaupt: wie Du aussiehst! Man muß sich einmal in der Woche waschen, hat meine Mama gesagt, sonst holt einen der Rabbatzmann!“

Und als das Mädchen doch einmal Luftholen mußte, blickte der zerzauste Mann auf, wischte sich mit dem Ärmel kurz eine Träne aus dem Auge und begann langsam und vorsichtig zu sprechen. Das Mädchen lauschte ihm aufmerksam, mußte es auch, denn sonst hätte sie sein Flüstern wohl kaum verstanden: „Genau. Genauso wie Du ist sie. Nur größer. Und älter. Ja, älter ist sie. Sie muß schon richtig groß sein. Eine Dame wohl. Ja genau, eine Dame. Oh, mein kleines Mädchen ist eine Dame. Kennst Du sie?“

„Na da muß ich schon wissen, wie sie heißt, oder wie sie aussieht, Du Dummkopf!“ Das war nicht böse gemeint, sondern sollte dem zotteligen Mann nur auf die Sprünge helfen — und das konnte er gebrauchen! „Wunderhübsch ist sie. Und elegant. Rena heißt sie, ja, mein kleines Töchterchen heißt Rena.“

Da verschlug es dem Mädchen, das sich inzwischen neben die Gestalt an die Hauswand gelehnt hatte, allerdings in gebührendem Abstand, wohl zum ersten Mal in ihrem Leben die Sprache, mit großen Augen und offenem Mund blickte sie nun den Mann an. Eine ganze Weile verweilten die beiden so, und wäre an diesem Markttage nicht jeder mit seinen Dingen beschäftigt gewesen, hätte sich bald eine ganze Gruppe Schaulustiger um das ungleiche Paar geschart.

Die Kleine fand ihre Sprache wieder: „Na, die Rena, die kenne ich natürlich, die kennt doch hier jeder! Aber Ihr wollt ihr Vater sein?

Da schwindelt ihr mir ja ganz nett was vor, wie? Denn Renas Vater ist ein großer und starker Baron, mit einem weißen Pferd und einem wehenden Mantel!“

Der Mann senkte wieder den Kopf, vergrub ihn in seinen großen Händen und fing abermals an zu schluchzen. „Du bist aber eine Heulalrike. Vielleicht bist Du ja Renas Großvater, das kann doch sein, oder?“ Sie versuchte wirklich ihm zu helfen, obwohl das aussichtslos schien.

Doch wieder hob der Unbekannte seinen Kopf, schneuzte sich einmal kräftig in den Ärmel, und versuchte so glaubhaft wie möglich zu wirken: „Ich bin Baron. Baron Gugi Ronem el’Kara von Arbasien. Ich bin Renas Vater und wenn Du weißt, wo sie ist, bitte ich Dich bei allen Zwölfen mich zu ihr zu bringen. Wenn ich mein Töchterchen nicht sehen kann, zerspringt mir mein Herz!“

Ihr kleines Köpfchen wogte eine Weile hin und her, sie versuchte wohl, sich den Mann in sauberen Kleidern auf einem weißen Pferd vorzustellen, den Schwertarm stolz erhoben. Plötzlich meinte sie: „Du bist nett. Ich bringe Dich zum Herrn Grafen, da wohnt Rena nämlich. Sie wohnt beim Herrn Grafen!“ Und sie faste den Baron vorsichtig mit ihrer kleinen Hand an seiner, die dagegen wie eine Pranke wirkte, half ihm hoch - versuchte es zumindest mit allen Kräften - und führte ihn an der Hand durch die Gassen Ferdoks. Ein seltsames Bild, und wäre nicht das Treiben auf dem Marktlatz gewesen …

Das Mädchen lieferte den fremden Mann am Tor der Residenz ab. Die etwas verdutzten Torwächter erstatteten Hochwohlgeboren schließlich nach den Angaben der Kleinen Bericht. Der Zwerg ließ den Baron von Arbasien zu sich führen — doch wiedererkannt hätte aufgrund des verwahrlosten Äußeren auch er ihn nicht. Erst die Stimme und der Siegelring weckten die Erinnerung an den stolzen Recken, als den Hochwohlgeboren Growin den Arbasier zuletzt erblickt hatte.

Ein Bad wäre wohl mehr als angebracht gewesen, da der Baron aber immerfort „Mein Töchterchen, mein Töchterchen“ jammerte, hielt es auch der gute Graf für angebracht, Vater und Tochter baldmöglichst zusammenzuführen.

Und so wartete der verwirrte und verwilderte Baron im Thronsaal von Burg Ferdok, als Ritterin Rena ungläubigen Blickes hereinschritt, kurz innehielt, als sie den Wartenden erblickte, und dann auf ihn zustürmte um ihn so heftig zu umarmen, daß jener fast umgefallen wäre.

Nach dieser heftigen Attacke aber schien der Baron etwas klareren Geistes zu sein, und nachdem die beiden ein paar Worte gewechselt hatten, trat Rena ein paar Schritte zurück und ging auf den Grafen zu, der das ganze abseits stehend beobachtet hatte. „Mein Lehnsherr. Ich bitte Euch, auch weiterhin am Hofe zu Ferdok als erste Ritterin dienen zu können, auch wenn ich mich fürderhin Baronin von Arbasien nennen darf. Mein Vater will meiner Person wegen auf den Lehensanspruch verzichten, da Arbasien aber in die Hand der dunklen Horden gefallen, und mir der Kosch schon lange eine neue Heimat geworden ist, möchte ich Euch bitten, auch als Baronin am Hofe zu Ferdok verweilen zu dürfen. Vielleicht solange, bis ich eines Tages nach Arbasien zurückkehren kann. Es wissen allein die Zwölfe, wann das sein mag!“

Der Graf lies erst einige Zeit verstreichen, ehe er sich gedankenvoll den Bart strich: „Mmmmh. Tja. Naja, also ich denke, die Entscheidung liegt allein bei Euch, Rena von Arbasien. Doch wie es scheint, habt Ihr Euch ja bereits entschieden!“

Am nächsten Abend aber lud der Graf zu Ehren der Baronin zu einem festlichen Mahl im Kreise vertrauter Freunde, zu dessen Abschluß dem der Edle von der Wiesen aufspielte.

Einige Tage noch blieb der erschöpfte Baron Gugi als Gast in Ferdok, doch hatte er sich unterwegs von einem kleinen Häufchen Arbasier getrennt, denen er nun nachreisen wollte, und Reisende soll man nicht aufhalten. Sein Weg führt ihn nach Lyngwyn in Albernia, wo er bei seinem alten Schwertbruder Marschall Throndwig Helman sich und seinen wenigen Landsleuten ein neues Zuhause bieten will, seine Tochter aber, fürderhin Baronin von Arbasien, wird vorerst im schönen Ferdok bleiben, was auch alle übrigen Koscher mit Wohlwollen aufnehmen werden.

Adniel Reinsänger