Baron Conrad Salfridjes wieder aufgetaucht?
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Baron Conrad Salfridjes wieder aufgetaucht?
Der verschollene Herr von Rohalssteg ist Gerüchten nach am Leben
Wie sich der geneigte Leser gewiß erinnern wird, sind nunmehr mehr denn vier Götterläufe ins Land gezogen, seit der Barons Rohalsstegs als verschollen gilt. Es heißt, er sei im Götterlauf 23 Hal im Kampfe gegen den Lindwurm von Fürstenhort gefallen, doch da sein Leichnam nie gefunden wurde (der edle Ritter von Frattorf entdeckte am Kampfesplatze einzig einen Schild mit dem Wappen des Barons nebst einem Rosse aus rohalstegschem Gestüt), wollten die Gerüchte nicht verstummen, in denen es hieß, der Baron sei immer noch am Leben.
Freilich ist es uns wohl geboten, diese Gerüchte ins Reich der Phantasie zu verbannen, denen zufolge der Baron — so es sich denn überhaupt um ihn handelte — von dem Drachen verschleppt wurde, müßte es sich doch um eine äußerst gutmütiges Wesen jener Spezies gehandelt haben, und dafür spricht nichts, von dem wir Kunde haben. So ist es auch nicht allzu verwunderlich, daß uns das neueste „Lebenszeichen“ von Baron Conrad Salfridjes ausgerechnet aus einem Noionitenkloster ereilt.
Von Vertrauten Graf Orsino von Falkenhags war zu erfahren, daß Seine Hochwohlgeboren unlängst Nachricht aus einem der Klöster des Ordens (den genauen Ort wollte uns der geneigte Herr leider nicht verraten), daß sich innerhalb seiner Mauern ein Mann befinde, der sich für den Baron von Rohalssteg ausgebe.
Jener Herr sei erst vor wenigen Monden ins Kloster gekommen und habe vorher wahrhaftig zu einer Räuberbande gehört. Es heißt, ihm sei bei einem †berfall auf ein Bauernhaus ein Dachbalken auf den Kopf gestürzt, so daß er ohnmächtig zusammenbrach und von seinen Kumpanen im Stich gelassen wurde.
Zu seinem Glücke aber war der beraubte Bauersmann ein glühender Anhänger der Herrin Tsa, denn jeder andere hätte ihm wohl ohne viel Federlesens den Garaus gemacht. Dieser Bauer und sein Weib aber pflegten den Räuber trotz des erlittenen Unrechts gesund. Als der aber nach ein paar Tagen wieder zu sich kam, stellte sich heraus, daß der besagter Balken ihm wohl den Verstand geraubt hatte und Boron sei dank — auch die Erinnerung an seine Untaten.
Aus diesem Grunde betrauten die beiden braven Landleute den seines Geistes Beraubten den Brüdern und Schwestern der Noiona an. Auch dort scheint im großes Glück widerfahren zu sein. Der Räuber — den Berichten zufolge handelte es sich um bei ihm um einen großen, kräftigen Mann im besten Alter, der jedoch nur eine Hand besitzen soll — hob sich bald in vielerlei Hinsicht vom Gros der Verwirrten ab. Anders ist es wohl kaum zu erklären, daß sich eine junge Geweihte des Herrn Boron mit derartiger Hingabe um ihn sorgte, daß es ihr bereits nach wenigen Wochen dank vieler Gebete und Opfer gelang, dem Manne wieder zu seinem Verstand zu verhelfen.
Es sei ihm jedoch zu jenem Zeitpunkt immer noch nicht möglich gewesen, sich an sein früheres Leben zu erinnern. Doch wunderte man sich im Kloster wohl, welch erlesene Manieren dieser vorgebliche Räuber an den Tag legte. Nun aber sei ihm vor wenigen Wochen das vergönnt gewesen, was Boron meist gegenteilig gewährt — gilt Er doch als Gott des Vergessens. In diesem Falle aber schenkte er dem Verwirrten aber nach vielen Gebeten — den Ausführungen der Geweihtenschaft zufolge von einem zum anderen Tage — die Erinnerung an sein früheres Treiben wieder — und jener hielt sich fortan für den Baron von Rohalssteg!
An dieser Stelle mußte unser Gewährsmann unwillkürlich lächeln: „Leider gibt es ein altes Gesetz aus Kaiser Eslams Tagen, wonach bei Personen unbekannter Herkunft, die von einem Gedächtnisverlust genesen, vom zuständigen Baron oder seinem Vogte nachzuprüfen sei, ob dies auch seine Richtigkeit habe.“
Wieder umspielte ein noch breiteres Lächeln seine Lippen: „In diesem Falle aber habe man sich selbstverständlich nicht an den Vogt, sondern gleich an den Grafen gewandt.“ — Wohl hatte er bedacht, daß Vogt Angbart von Salzmarken-See, der den wirklichen Baron von Rohalssteg seit dessen Verschwinden in allen Amtsgeschäften vertritt, seit geraumer Zeit als Nachfolger des kinderlos verschollenen Conrad Salfridjes gehandelt wird.
Entsprechend barsch reagierte jener auch auf die Geschichte: „Es ist ja ein Wunder, daß sich bei der gegenwärtigen Gesetzeslage noch kein Strauchdieb gefunden hat, der vorgegen hat, Kaiser Hal selbst zu sein. Ich schlage König Brin im eigenen Interesse vor, das möglichst schnell zu ändern. Da könnte ja jeder kommen! Es ist unvorstellbar, wozu solche Gesetze noch führen können!“
Graf Orsino führen sie wohl über kurz oder lang ins Noionitenkloster, einen anderen Ausweg sieht die Gesetzeslage nicht. Gerüchten zufolge soll er dabei von Baron Merwerd Stoia von Vinansamt und Baron Barytoc Naniec Thuca von Bragahn begleitet werden, die beide eine enge Freundschaft mit ihrem Rohalssteger Amtsbruder verband.
Baronin Nyagra Al’Dabba, Conrad Salfridjes Angetraute, kann den Grafen nicht begleitet. Sie scheint den Gerüchten über das Weiterleben ihres Mannes keinen Glauben geschenkt zu haben, falls sie sie überhaupt vernahm — ist sie doch in ihre südländische Heimat zurückgekehrt (wie Eingeweihte wissen wollen, besaß der Baron ein großes Landhaus oder Gestüt im fernen Fürstentum von Khunchom).
„Sie verließ Rohalssteg kinderlos und hat seitdem zu meinem Bedauern nichts von sich hören lassen“, war von Baron Merwerd Stoia zu erfahren, der weiter berichtete, es sei für ihn unvorstellbar, daß es sich bei dem Genannten um Hochgeboren Salfridjes handele. „Man stelle sich bloß vor: der Baron ein einfacher Räuber! Niemand, der ihn kannte, wird bestreiten, daß es sich bei Herrn Conrad stets um einen Edlen im wahrsten Sinne des Wortes handelte.“
Und fürwahr ist es schwer vorstellbar, daß ein Kämpe, der gegen Orks und Oger gezogen, selbst gegen Answin in vorderster Reihe focht und auch aus zahlreichen Turnieren ruhmreich hervorging, zu einem gemeinen Wegelagerer wurde. Insofern bitten wir unsere geneigten Leser, diesen Vorfall als das aufzufassen, was er wohl in Wirklichkeit ist: ein Beweis dafür nämlich, wie es gewieften Schlitzohren Dickicht unserer Gesetzgebung doch immer wieder gelingt, selbst mit solch unhaltbaren Behauptungen an hohen Stellen für Furore zu sorgen und gar den Schönen Grafen ins Noionitenkloster zu bringen …