Das Ende eines Schandmauls
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Das Ende eines Schandmauls
Freilassung aus dem Kerker kam für Maselrich Rosskuppler zu spät
GEISTMARK. Im Firun erreichte die kaiserliche Gesandte Farlgard von Hauberach die Burg Halmwacht in der Geistmark, die tief verschneit in Ifirns eisiger Umarmung lag. Sie war vom Hof der Reichsregentin ausgesandt worden, um im Streit zwischen den Baronen Kordan von Geistmark und Rondradan von Nettersquell zu schlichten. Wie berichtet, hatte ersterer einen Landsmann aus dem garetischen Nettersquell, Maselrich Rosskuppler mit Namen, ins Loch werfen lassen, nachdem ihn dieser als Tobrierspötter geschmäht hatte.
Frau von Hauberach brachte zwei Vorschläge aus der Reichscapitale, denen der Nettersqueller bereits zugestimmt hatte: Der Eingekerkerte solle entweder in die Gerichtsbarkeit der Kirche des Herrn PRAios übergeben werden oder aber in die Gewahrsam des Reichs, bis die Sache an einem Hoftag vor der Regentin selbst zur Sprache kommen könnte.
Diese Angebote lehnte der Geistmärker Baron ab — mit vielerlei Reden, wie aus der Burg Halmwacht verlautete, indem er die Sache für viel zu unbedeutend erklärte, als daß die Heilige und Reichs-Kirche damit belästigt zu werden brauche. Handkehrum pochte er auf seine Ehre als Krieger und Landsherr, die ihm nicht erlaube, den Missetäter einfach aus der Hand zu geben. Zudem fürchte er einen Streich des Nettersquellers, wenn der Rosskuppler nach Gareth überstellt würde.
Endlich ließ sich Baron Kordan zu einem Gegenvorschlag überzeugen. Also forderte er vom Herrn von Nettersquell, er solle seinen Landsmann auslösen. Nicht gegen Geld — denn damit ließe sich seine verletzte Ehre nicht wiedergutmachen. Vielmehr solle der Baron zehn Schlachtrösser für die bedürftige tobrische Reiterei spenden, da doch das Herzogtum gleichfalls zu den Verhöhnten gehöre. Daß allerdings stattdessen die kaiserliche Kasse oder andere Dritte für die Rösser aufkämen, lehnte der Geistmärker Herr ab.
Also machte sich Frau von Hauberach wieder auf den Weg nach Gareth und Nettersquell, um dort den Vorschlag zu erörtern. Mittlerweilen kam mit dem TSAmonde die Hochzeit des fürstlichen Cantzlers — und der Tod der Baronin Erma, der Matriarchin des Hauses Sighelms Halm. Als die Trauerzeit abgelaufen war, reiste Farlgard von Hauberach wieder an. Gute Nachrichten brachte sie keine: Rondradan von Nettersquell hatte (wie kaum anders zu erwarten) die Auslösung gegen Schlachtrösser abgelehnt. Und in der Amtstube des Reichserzkanzlers begann man die Geduld mit dieser Angelegenheit zu verlieren. Genaues über das Schreiben, das Frau Farlgard überbrachte, ist nicht bekannt, doch soll dem Geistmärker gedroht worden sein, man werde ihn als Reichsfriedensbrecher behandeln.
Baron Kordan blieb uneinsichtig, und Frau Farlgard unternahm einen letzten Versuch zu vermitteln: Sie reiste zu den adligen Herren und Damen in der Nachbarschaft der Geistmark, in der Hoffnung, diese würden ihren guten Einfluß auf den Starrsinnigen ausüben.
Baron Tradan von Unterangen allerdings schätzte seinen Einfluß äußerst gering, war er doch erst vor Kurzem aus dem Stande eines Vogts in den Baronsrang erhoben worden. Baronin Tsaja-Josmene von Garnelhaun wollte „nichts mit außerkoscher Geschichten zu tun“ haben, und der alte Alderan von Zweizwiebeln soll gar Drohungen gegen den Rosskuppler ausgestoßen haben, sollte er sich in jemals in Auersbrück zeigen.
Erst bei Altgräfin Ilma von Wengenholm stieß Frau von Hauberach auf offene Ohren. Wiewohl die Gräfin nicht Lehnsherrin des Herrn Kordan ist, ist dieser doch ob seiner Knappschaft beim alten Grafen Hakan dem Hause Wengenholm seit eh und je verbunden, ungeachtet auch alter Rivalitäten der beiden Geschlechter. Die Gräfin ließ den Baron nun unverzüglich auf die Angenburg bestellen und redete ihm wohl gar tief ins Gewissen. Nichts ist über ihre Worte bekannt, doch zeigten sie gute Wirkung.
Am Glückstage (dem 24. Phex) wurde das Schandmaul aus dem Verlies gezogen und vor das Tor der Burg Halmwacht gesetzt. Der arme Maselerich Rosskuppler wurde nach langen Monden im winterlichen Kerker der Moorburg offensichtlich von einem schlimmen Fieber geschüttelt und sah auch mehr wie ein Bleicher Alrik aus.
Er schwankte den Knüppeldamm hinab durch das Dorf Moorkaten, begleitet von zahlreichen Augenpaaren hinter verschlossenen Fensterläden. Erst am Ende des Dorfes wagte es ein traviafrommer Bauer, den Zorn des Barons zu erregen, und wollte den befreiten Gefangenen in die Wärme seiner Stube laden. Der aber fürchtete wohl, sein Peiniger könnte es sich noch anders überlegen, und schleppte sich unverwandt weiter den Damm hinab durchs verregnete Geistmärker Land.
Am Abend fand eine Hirtin — sie gehörte zu den tobrischen Zuwanderern — den Maselrich in Marbos Armen unweit von Wengerich im Straßengraben. Sie nahm ihn in ihre Kate und pflegte ihn mit Schafgarbe, Taubnessel und warmem Bier. Doch war es zu spät: Um Mitternacht erlag Maselrich Rosskuppler den Folgen der schweren Haft im Halmwachter Kerker.