Verrat auf Fürstenhort I
Verrat auf Fürstenhort
Eine Mär von Mut und Verzweifelung, von Torheit, Ehre und Neid. So wie sie sich wahrhaft und in allen Dingen ereignet hat. (Cap. I - IV)
I
Vom Streit der Vasallen nach Kaiser Valpos Ende. Der Beginn der Thronkriege. Wie Fürst Alphak den Seinen gebot zu warten.
Es begab sich in jenen unglückseligen Tagen, da das Reich war ohne Herr, seit der letzte Kaiser, Valpo, den man nur den Trinker hieß, in Borons Hallen eingerufen ward, ohne die Krone einem Erben zu hinterlassen. Zwist und Hader erhoben hatten sich darob unter seinen Vasallen , die in Gareth, der Hauptstadt des Reiches, zusammengekommen waren. Uneins waren sich die Mächtigen, wer nun als nächster den Greifenthron besteigen solle. Ja, nicht einmal auf den praiosgefälligen Ratschlag der Botin des Lichts, den neuen Kaiser durch göttliches Orakel aus ihrer Mitte bestimmen zu lassen, mochten sich die Versammelten nicht beugen, denn etliche der Fürsten und Herzöge — Grafen gar! — sahen sich selbst als den Würdigsten an.
Kein Weichen war in ihrem Stolz, so gab alsbald ein Wort das andere, bis die Ersten in ihrer Wut die Schwerter zogen und auf einander einhieben. Schon lag ein Dutzend der Edlen am Boden, und es schien, als würde des toten Kaisers Halle bald im Blute seiner Getreuen getränkt werden. Allein die Heliodana gebot den Verblendeten, einzuhalten, und sie folgten ihr, wenn auch widerwillig und zögerlich (Denn sie waren ohne ihre Knechte und keiner konnte hoffen, die anderen allein zu überwinden).
Nun versuchten die Verständigen Ausgleich und Einigung zu schaffen, doch wessen Blut in Wallung ist, der kennt kein Einsehen. So gingen im Zorne auseinander die Ersten des Reiches, und ein jeglicher hieß seine Mannen, sich zu sammeln, und erbat Rondras Segen für das, was da kommmen mochte. So ward das Reich in größtes Übel gestürzt für lange Zeit, und viel Unbill kam über das Land und die Menschen, aber nur wenig Gutes.
Zu Angbar herrschte in jenen Tagen der gute und gerechte Fürst Alphak vom Eberstamm, der in seiner Jugend der Freund und Gefährte des alten Kaisers Eslam gewesen war. Als sich nun seine Getreuen um ihn scharten, und einer von ihnen, Berndrik, der des Fürsten ältester Sohn war, vortrat und fragt: „Vater, Herr, was sollen wir tun? Gegen wen sollen wir reiten in eurem Namen?“, da schwieg der Fürst still. Keinen sah er unter den Edlen des Reiches, der mit Praios Gnaden versehen war, und keinen, für den die Seinigen streiten sollten.
So gebot er ihnen, ihren Eifer zu zügeln, und sprach: „Noch ist niemand da, rechtens auf den Thron zu folgen. Drum laßt uns all‘ den Rat der Göttlichen Zwölf erbitten, auf daß sie uns den einen wahren zeigen mögen.“ Die Götter aber offenbarten sich nicht, obwohl Fürst Alphak gar viel in der Praioshalle bat und betete; und als Firun seine eisige Herrschaft begann, da schied auch die Lichtbotin von Deren, und es war, als sollte die Dunkelheit nimmermehr enden.
Da folgte einen Zeit, in der viele griffen nach Kron‘ und Thron, und doch keiner sie erringen konnte, obschon vielhundert Listen ersonnen und so manche Schlacht geschlagen wurde. Götterlauf um Götterlauf verging, und immer öfter bedrängten die Getreuen Fürst Alphak, streiten zu dürfen für diesen oder jenen, der ihnen recht erschien. Doch stets verneinte der Fürst ihr Ansinnen, auch, als sie sich erboten, zu ziehen, um zu sehen, ob sie nicht gar vielleicht für seine Durchlauchtigkeit, den Fürsten selbst, einen Sieg erringen könnten, alldieweil niemand Würdiger oder Praiosberufener sich auftue. So gehorchten die Ritter, und schlugen sich wacker wider alle Feinde, die in die Marken eindringen wollten, doch zogen sie selbst nicht aus.
II
Vom Heerzug des Gratenfelsers und seinem unglücklichen Ende. Die Blutmeilen nach Ferdok. Ein Prinz wird zum Helden.
Dann aber kam der dreizehnte Sommer, und im Rondramond kam der Landgraf Wulfhas von Gratenfels mit mächtigem Heerbanne gezogen über die Berge, um zu fordern den Thron von Gareth; und er bat, der ehrwürdige Fürst möge sein Ansinnen unterstützen. Fürst Alphak aber mochte sich nicht erweichen lassen, obgleich seine Vasallen wohl drängten, entließ aber die, die sich dem Zug des Gratenfelsers anschließen wollten. Unter denen, die Herrn Wulfhas’ Ruf folgten, waren die edelsten Prinz Berndrik und Porquid, der Ferdoker Graf, der sich in Kämpfen stets als der Fürderste hervorgetan hatte.
Doch stand die Heerfahrt nicht unter Rondras Segen: Kaum daß man vor Gareth stand, starb der Herr Wulfhas unverhofft auf seinem Lager, und der Feind fiel aus der Stadt aus und wütete gar fürchterlich unter den Führerlosen. Die Hauptleute sahen wohl, daß ihre Sache verloren war ohne des Landgrafen starke Hand, und es erging der Ratsschluß, den Kriegszug zu enden, als von den Wällen abermals zum Angriff geblasen wurde.
In wilder Hast flohen die Geschlagenen Gratenfelser und ihre Verbündeten zurück gen Westen, denn aller Kampfgeist hatte sie verlassen, nachdem ihr Heerführer nicht mehr war. Die Scharen der Feinde aber ließen nicht ab und setzten ihnen unerbittlich nach. Meile um Meile forderte ihren blutigen Zoll, bis nach Tagen endlich die Grenze Garetiens erreicht waren. Vor den Verfolgten streckte sich das Bett des Großen Flusses, und am jenseitigen Ufer erhoben sich die Mauern von Ferdok. Nun hieß es alsbald den Strom zu überschreiten, denn der Feind war dicht aufgerückt. Berndrik vom Eberstamm war es, der sich erbot, mit seinen Mannen auszuharren, während Graf Porquid und die übrigen des Heeres der Reih‘ nach übersetzten.
Weh! Gar heldenhaft war des jungen Prinzen Tat, allein, ein jeder konnt‘ sehen, daß ihm und seinen Waffengefährten kein Erfolg vergönnt sein könne. Doch auch als für jeden erschlagenen Feind zwei neue nachrückten und auf die Helden eindrangen, da wichen und wankten sie nicht. Erst als selbst die Nachhut des Heeres die schützenden Mauern erreicht hatten, da wandten sich der Prinz und die letzten der Seinen von ihren Gegnern ab, sich mit einem kühnen Satz den Fluten anvertrauend.
Nur ihrer fünf erreichten die Ferdoker Seite, ein jeder von einer Unzahl von Wunden bedeckt und dem Tode näher als dem Leben. Als man sah, daß auch der Prinz alsbald den Flug übers das Nirgendmeer würde antreten müssen, da machte sich große Trauer unter den Verbliebenen breit. Sie huben ihren Anführer auf seinen Schild, und wollten ihn heim zu den Seinen tragen, doch er hieß sie auszuharren und mit Ferdok und Nordmarken zu kämpfen in Rondras Namen. Des Feindes Ansturm war zu einen Halt gekommen, doch immer noch standen seine Söldlinge in Scharen am jenseitigen Ufer, erfüllt von Durst nach Blut und Beute.
III
Triumph und Tod. Wie Fürst Alphak um seinen Sohn trauerte. Vom Grafen Porquid und den Söldlingen.
Der Anführer der Feinde hatte seine Mannen und Frauen geheißen, Holz zu schlagen und auf Flößen den trennenden Strom zu überschreiten. Als nun die ersten der Söldlinge landeten, da befahl der Prinz von seinem Lager, aus den Toren auszufallen. Herr Porquid aber, der Ferdoker, wollte nicht, daß die Wälle der Stadt unbemannt blieben, und so zog nurmehr des Prinzen Gefolgschaft hinaus vor die Tore, um sich dem Feinde zu stellen, denn die führerlosen Hinterkoscher waren derart verzagt, daß sie es nicht wagten.
Erneut trafen die Heerscharen aufeinander, und bald schien es, als sollte es den Verteidigern nun nicht mehr gelingen, den Ansturm ihrer Gegner zurückzuhalten. Da, im Augenblick höchster Not, erschallten mit einem Mal der Klang von Hörnern und Fanfaren über das Schlachtfeld, und in der Ferne flatterte Ondifalors, der Fürsten vom Eberstamm grün-grün schwarzes Heerbanner seit alter Zeit.
Da faßten die Verteidiger neuen Mut, und schlugen zu mit frischer Kraft, weil ihnen ihr Fürst zur Hilfe kam. Endlich, als sich Praios schon anschickte, sein Antlitz hinter den Bergen zu Ruh’ zu legen, hatte das Kämpfen ein Ende, doch hoch war der Preis, den die Koscher für ihren Sieg hatten zahlen müssen: Vogt Erbwin vom See, Baron Barthalm von Koschtal und viele mehr der Edlen, die mit dem Fürsten gezogen, lagen erschlagen im Schlamm des Ufers.
Der Fürst aber trat vor seinen Sohn, und weinte, als er sah, daß sein Erbe wund auf den Tod darnieder lag. Der Prinz aber reckte sich nach seinem Vater, um ihn an seine Brust zu drücken. „Trauer nicht“, flüsterte er noch, dann verschied er in den Armen des hilflosen Fürsten, der seine Tränen nicht zurückhalten konnte. All jene, die am Leben waren, starrten bedrückt zu Boden, und konnten keine Freude an ihrer Rettung finden, wo doch der Prinz sich für sie geopfert hatte. Und wahrlich: wenn Berndrik auch als Held vor Boron und Rondra trat, so war es doch erst sein brachte Tod, der soviel Leid über sein Geschlecht und das ganze Land bringen sollte. Allein, dies Schicksal war in jener Stunde am Ferdoker Strand noch niemanden bekannt.
Dann wandte sich der Vater dem Grafen Porquid zu, und verlangte voller Zorn zu wissen, warum er nicht dem Prinzen zur Hilfe geeilt sei. Doch bevor dieser noch antworten konnte, wandte sich der Fürst ab und bestieg sein Roß, den Leichnam seines Sohnes vor sich im Sattel. Nach Fürstenhort zog er, und mit ihm all seine Getreuen, und es war eine zutiefst traurige Gesellschaft, die da ihren Weg durchs Koscher Land machte. Wenn der Zug einen Weiler durchquerte, schaute nicht einer der Reiter nach links oder rechts, wo die Dörfler zusammengelaufen waren, um ihren alten Herrn zu schauen, und den Prinzen, der nun nimmermehr herschen würde.
Der Profoß Nordog hatte den Fürsten nach langem Bitten endlich bewegen können, den Leichnam auf eine Bahre zu binden, doch als sie durch die Klamm die letzten Meilen hinauf nach Fürstenhort ritten, da ließ ihn der Fürst wiederum in den Sattel setzen, auf daß sein toter Sohn hoch zu Roß heimkehre und nicht schmählich gezogen werde.
Zwei und zwei Borongeweihte und Ritter hielten die Totenwacht, und nur mit Mühe konnte Meister Nordog den durchlauchten Herrn davon abhalten, selbst Tag und Nacht an der Lagerstatt im Rittersaal durchzuwachen, auf der man den Prinzen aufgebahrt hatte.
Indes waren Herold und Boten in alle vier Richtungen entsandt, die Sippe zu sammeln, und zu sehen, wer neuer Erbe sein sollte. Die ersten, die Burg erreichten, waren, Wilimai vom Berg, die Gemahlin Berndriks, und die kleine Thalia, beider Tochter, die nun vaterlos war. Auch Answart kam, Ritter der Göttin und zu Angbar Schwertbruder, und nach Berndrik der nächste Sohn; und Hlûthar und Leonhild und Holdwin und all die anderen aus dem Hause vom Eberstamm.
Zu Ferdok derweil war Herr Porquid von mancher Sorge geplagt. Noch stand der Feind vor seinen Toren, und machte sich daran, die Vorstadt Fährhafen zu plündern, die außerhalb der Befestigungen lag. Da mußte der Graf Kriegsknechte des Gratenfelsers in seinen Sold nehmen, um die Gegner zu vertreiben, denn die Garde allein war nicht genug, da ein Großteil des Regimentes in der Ferne in Garnison lag. Zudem wollten die Reiterinnen ihm nicht recht gehorchen, da sie allein Fürst und Kaiser ergeben waren. Kaum war jedoch die Gefahr durch die Angreifer gebannt, bahnte sich neues Unheil an.
Die Waffenknechte nämlich benahmen sich gar ungenierlich und holten sich ihren Sold selbst in den Häusern der Bürger und auf den Feldern der Bauern, als der Graf mit ihren Hauptleuten in einen Streit geriet ob des Goldes, das zu zahlen war für die Waffenhilfe. So waren die Ferdoker nach ihrem Fürsten die ersten im Kosch, über die das Leid eines Reiches ohne Herrscher kam. Der Graf sandte einen Boten gen Fürstenhort, daß Herr Alphak den Reiterinnen strengen Befehl senden möge, ohne daß je eine Antwort kam. Sei es, daß der Fürst nie den Wortlaut der Botschaft vernahm, sei es, daß er aus Zorn oder Trauer eine Antwort verwehrte — niemand vermag dies heute zu sagen. Graf Porquid war darob aufs äußerste erbost, doch kam er schließlich mit den Söldlingen überein, und nahm sie alle in seinen Dienst.
IV
Vom Grafen und seinem Oheim, und ihren Plänen. Wie sie sich wider den Fürsten und alles Recht wandten. Der Zug auf Angbar.
So verstrichen beinahe drei Monde. Auf Fürstenhort war Prinz Berndrik an der Seite seiner Ahnen bestattet worden, doch auch nachdem der Thronfolger zu seiner letzten Ruhe gebettet worden war, hatte sich der durchlauchte Herr mit keinem Wort vernehmen lassen, wen er nun als seinen Erben auserkoren hatte. Dies bereite einige Unruhe unter den Männern und Frauen des Herrscherhauses, die auch die Vasallen ergriff. Zwar hieß es allgemein, daß es sicher der Prinz Answart sein werde, der seinem Bruder nachfolge, doch in einem weniger gefestigten und praiosgefälligem Lande hätte die Ungewißheit wohl bald zu Bruderstreit und finsteren Ränken geführt. Das Haus Eberstamm aber wartete geduldig, daß der Fürst seine Entscheidung fälle.
Porquid aber kam ins Grübeln, da er über so viele Söldinge gebot wie nie zuvor, und der Fürst tatenlos auf seiner Feste weilte. Die alte Ordnung im Reich galt nicht mehr seit Valpos Tod, und Aufruhr herrschte allerorten. Gerade erst hatte man vernommen im Kosch von den Geschehnissen in Tobrien und davon, daß die Westlande des Reiches Oberherrschaft anstrebten.
So ward der Graf von verderbter Gier nach Macht ergriffen, und verschwor sich mit seinem Oheim, der der heil‘gen Halle des Praios zu Ferdok vorstand. Jener ward ebenso verblendet, denn auch ihn gelüstete es nach mehr. All seine heiligen Eide und Schwüre vergaß er, und ließ öffentlich kundtun, daß ein Fürst, der seine Lehnspflichten nicht erfülle und seinen Vasallen zur Seite stehe, wenn diese in Not gerieten oder Feinde sie bedrohten, all ihre Rechte verwirkt hätten, und der Götterfürst selbst jene schütze, die sich wider sie erheben. Der Eberstamm hätte eben dies getan, sei ein Tyrann und müsse gestürzt werden. Sodann rief Graf Porquid nach seinen Vasallen, und mit ihnen und seinem Söldlingsheer zog er auf Angbar zu. Und viele Ritter folgten ihm, denen der Sinn nach Kampf und Beute höher galt als die Treue zu ihrem Fürsten. So erschienen sie vor der Capitale zur Phexenzeit, und erstürmten das Garether Tor mit Waffengewalt.
Niemand wagte es, ihnen entgegenzutreten, als sie die Zitadelle besetzten und Porquids Banner über der Stadt wehte. Der Hochgeweihte des Praios, Idamil, ward von ihnen ergriffen und in eine finstere Zelle geworfen, als er seine Stimme erheben wollte — da schwieg auch der Rat der Zünfte und ließ den Ferdoker gewähren. Einzig die verbliebenen Rondrianer traten ihm entgegen, drei Geweihte an der Zahl, die sich wacker schlugen und wohl die zehnfache Zahl an Gegnern zu Boron schickten, bevor sie der der Übermacht erlagen. Zuvor aber hatten die Ritter der Göttin in weiser Voraussicht ihre Novizen eilends als Boten gen Fürstenhort gesandt, vor dem Unheil zu warnen, das seinen Verlauf nahm.
Welch tragisches Schicksal das Haus Eberstamm ereilte und eine Zeit der Dunkelheit über die Koschlande brachte, durch Verrat, List und Unglück im Kampfe; gleichwohl auch, wie hernach der Kaiser Bardo und der neue Fürst dem Praios gefällig erneut Ordnung und Gerechtigkeit einkehren ließen, berichten in der nächsten Ausgabe dieses Journals die weiteren Capitel (V - VII).
Irdischer Hinweis: Dieser Artikel bildete die Grundlage für den Wiki-Artikel Saustechen. Mit Kaiser Bardo ist tatsächlich Perval von Gareth gemeint.