Vom Grenzlauf
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Unheiliges Unwetter | ▻ |
Aus Koscher Sagenwelt: Vom Grenzlauf
Vom Roßbache über das Ochsenjoch und die Bergscheide hinaus erstreckt sich das Groinhager Gebiet. In alten Zeiten, als der gute König Gilemon noch nicht im Berge herrschte, stritten die Groinhager mit den Tennichtern und brachten sich gegenseitig großen Schaden. Da wurde vom Landgreven Halborax, der ein Sohn des Hartox war, der Spruch getan: Zum ersten Ingerimm solle von jedem Dorf in aller Perainenfrühe, sobald der Hahn krähe, ein starker und kundiger Bergläufer aufbrechen und dem jeweils anderen Gebiete zulaufen. An der Stelle aber, da sich die Läufer begegneten, solle künftig die neue Grenze festgelegt werden.
Die Dorfgenossen wählten ihre Läufer, und in Groinhag fiel das Los auf die flinke Matrascha, in Tennicht aber auf den starken Bero. Auch achtete man besonders darauf, einen Hahn zu halten, der beim ersten Strahl der Praiosscheibe zu krähen begann. Den Groinhagern erschien es recht, ihren Gockel mit kargen Körnern zu versorgen, weil sie dachten, Hunger und Durst würden ihn früher erwachen lassen. Die Tennichter setzten auf das Gegenteil und nährten ihren Sonnenrufer wohl und mit üppiger Kost.
Als nun der festgesetzte Tag kam, da spiegelte sich kaum der erste Strahl im Roßbache, als auch schon der Hahn zu Groinhag krähte. Und sogleich machte sich die flinke Matrascha auf die Beine und eilte den Berg hinan.
Aber im Tannental drüben, wo schon die Morgenröte den Himmel rosig färbte, lag der Gockel noch immer auf dem Miste, und die Dörfler standen traurig darum. Aber sie hatten bei ihrer Ehre geschworen, den Bero nicht eher loszuschicken, als bis der Hahn gekräht. Schon erblickten sie das goldene Haar Matraschas auf dem Bergkamm, da erst hub ihr Hahn zu krähen an.
Der wackere Bero aber wollte seinem Dorfe noch soviel Land retten, wie er nur konnte, und schritt wacker der Groinhagerin entgegen. Als sie nun aufeinanderstießen, rief sie aus: „Hier ist die Grenz‘!“ - „Nachbarin“, aber sprach Bero betrübt, „sei barmherzig und gib uns noch ein Stückchen von der Bergweide, damit wir nicht verhungern müssen.“
Zuerst wollte die stolze Siegerin nicht, dann aber willigte sie ein: Soviel des Landes sollte noch den Tennichtern gehören, wie der Bero sie auf seinen Schultern den Berg hinantragen könne. Da faßte sie auch schon der Hirte und trug sie noch so manchen Schritt empor die Felsen hinauf, aber plötzlich verließen ihn die Kräfte, und er sank tot zu Boden.
Noch heute kündet ein kleines Bächlein, die Berosrinne, von diesem Tage. In Groinhag feierte man vor Freude und lobte die tapfere Matrascha. Aber auch in Tennicht gab man dem toten Bero alle Ehre und bewahrte seine Treue stets im Gedächtnis.