Entführung des Prinzenpaares - Stand der Dinge: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 17. August 2019, 20:03 Uhr
Cantzler Nirwulf stellte sich unter den Lichtreif. Prinz Edelbrecht blieb stehen, und die anderen bildeten einen Halbkreis in der Mitte des Saales. Die Akustik war sehr gut, als der Zwerg zu sprechen begann.
"Nun, damit alle im Bilde sind mag es sinnvoll sein, am Anfang zu beginnen...<br.->Die Portraits an den Wänden lassen erahnen, wie alt und traditionsreich das Fürstenhaus vom Eberstamm ist. Kaum eine Familie lässt sich bis zur Reichsgründung vor eintausend Jahren zurückverfolgen - eine Zeit, die selbst uns Angroschim beachtenswert erscheint. Dennoch ist es um das Haus in den jüngeren Jahren nicht gut bestellt. Vor etwa einhundert Jahren, im Kaiserlosen Jahr 915 um genau zu sein, wurde fast die gesamte Fürstenfamilie von dem Thronräuber Porquid von Ferdok und seinen Schergen ausgerottet. Einzig ein kleiner Junge namens Holdwin überlebte das blutige Schauspiel. Er sollte später an der Seite Kaiser Pervals den Thron des Kosch zurück erobern.
Auf ihn führen sich alle heute lebenden Eberstamms zurück - der Burggraf von Ochsenblut ebenso, wie Fürst Blasius und seine Söhne Anshold und Edelbrecht."
Er sah dabei den Prinzen an, und dieser nickte und man sah, dass er interessiert lauschte. Nirwulf fuhr fort:
"Man kann sich also vorstellen, dass dieser einst dicke und alte Stamm heute sehr dünn und zerbrechlich geworden ist. Dies verstärkt sich dadurch, dass dem Haus seit vielen Jahren kein Kind mehr geschenkt wurde. Freilich wurde Markgräfin Irmenella und Prinz Edelbrecht der kleine Ulfried geboren - doch ist dies ein Mitglied des Hauses Wertlingen und damit kein Träger des eberstammschen Erbes.
Erbprinz Anshold und seine Frau Nadyana waren im selben Jahr die ersten, die dem Haus Eberstamm endlich einen Sohn zeugten - doch dieser fand seinen Tod, als der Feueradler Alagrimm Angbar angriff. Der Knabe war noch nicht einmal ein Jahr. Seither blieb auch das erbprinzliche Paar kinderlos. Manche munkeln schon von einem dunklen Fluch oder davon, dass die Göttin Tsa ihren Segen von der Familie nahm. Ich halte von solchem Aberglauben wenig. Was jedoch bleibt ist die Tatsache, dass das Haus droht auszusterben.
Eine Sorge, die vor allem die Fürstinmutter Thalessia umtrieb - und so verkündete sie im Rahmen ihres 90. Tsatages vor einigen Monden, dass sie jenen belohnen würde, der dem Erbprinzenpaar Anshold und Nadyana einen guten Rat geben könnte, mit dem sie ihre Kinderlosigkeit überwinden könnten. Dazu berief sie für das Junfernfest am 11. Travia 1031 alle wohlmeindenen Ratgeber hier ins Erlenschloss ein."
Mit ausgebreiteten Armen lief der oberste Hügelzwerg auf und ab, während er weitererzählte.
"Man mag sich vorstellen, welch Aufruhr hier, im sonst so stillen und entlegenen Schloss herrschte. Von Morgends bis Abends gaben sich die unterschiedlichsten Leute ein Stelldichein. Von hohen Adeligen, über Geweihten bis hin zu kinderreichen Mütterchen, Kräuterfrauen und Quacksalbern. Auch wenn mancher, der allzu offenkundig nur auf die Belohnung aus war, schon von den Hellebardieren abgewiesen wurde, war die Schlange die sich hier reihte weitaus länger als erwartet."
Der Angroscho schlenderte hinüber zu den Sesseln.
"Hier saß das Erbprinzenpaar. Nahm mit bewundernswerter Langmut die Gaben und Ratschläge entgegen. Doch selbst die größte Geduld findet ihr
Ende, zumal die Gäste zunehmend weniger glaubwürdig und ihre Mittel und Tinkturen merkwürdiger wurden. Etwa zu Sonnenuntergang brach das Paar die Audienz ab, bedankte sich für die Fülle der Ratschläge und zog sich zurück. Sie nahmen ein Abendessen zu sich und begaben sich dann nach Aussage der Dienerschaft in ihr Schlafgemach."
Nirwulfs Blick wurde ungewohnt ernst, als er nach einer Pause seine Stimme wieder erhob.
"Die Gäste waren mittlerweile vom Schlossgelände geleitet worden. Kein einfaches Unterfangen für die Wachen, auf diesem weitläufigen Gelände alle neugierigen Besucher in Schach zu halten. So muss es - nach
Aussagen einer Hofdame - vermutlich vier "Besuchern" gelungen sein, sich im Schloss zu verstecken. Sie wurden gesehen, wie sie - mit schlichten Masken über dem Gesicht - das Prinzenpaar aus dem Schloss begleiteten und etwa zur nächtlichen Ingerimmsstunde mit der geschlossenen Reisekutsche das Schlossgelände verließen."
Antara hatte dem Vortrag des Kanzlers aufmerksam gelauscht. Als er eine Pause machte, schien die Gelegenheit günstig eine Frage zu stellen, die ihr schon ein Weile durch den Kopf ging.
"Verzeiht die Frage, Eure Excellenz. Wurden denn schon Forderungen bezüglich des Prinzenpaares gestellt? Das Vorgehen scheint doch recht gut vorbereitet gewesen zu sein, und die Flucht und das bisher spurlose Verschwinden lassen vermuten, daß Ortskundige zumindest beteiligt waren. Wer im Fürstentum könnte also ein besonderes Interesse daran haben, solch wertvoller Geiseln habhaft zu werden?"
Was sie über Sicherheitsvorkehrungen dachte, hüllte sie wohlweislich in
borongefälliges Schweigen. Ihr Komtur hätte jeden Ritter des Ordens, der so nachlässig über seine Erhabenheit, den Raben von Punin Wacht gehalten hätte, sich wünschen lassen, daß er bald zu Boron
abberufen würde.
Der Cantzler strich sich über seinen silber durchwirkten Backenbart.
"Nun, wie sprach Kaiser Reto einst so treffend ... 'Hinter jedem Thron lauern zehn Feinde'. Die fürstliche Familie erfreut sich im Volk, im Adel, und, ich möchte sagen, im gesamten Reich vergleichsweise großer Beliebtheit und Achtung. Dennoch gibt es genug Dunkelmütige, die ein Interesse daran hätten, die Thronfolge des Kosch zu verändern oder Unruhe in das Herz des Reiches zu tragen. Die borbaradianische Magierin Charissia von Salmingen hat bereits vor vier Jahren versucht, die Macht im Kosch zu erlangen, und sinnt sicher nach Rache. Auch im Kreis der Adeligen mag es einige geben, die sich Hoffnung auf größeren Einfluss
machen, wenn das Haus Eberstamm ausstirbt - nicht zu vergessen der noch immer bestehende Feind im Osten, der nichts unversucht lässt, Unfrieden zu stiften. Zu alledem gibt es genug goldgierige Schurken, die sich Lösegeld erhoffen könnten - wobei diese Möglichkeit zunehmend unwahrscheinlich erscheint, weil bis heute keine Forderung einging.
Was uns fehlt, ist ein klarer Hinweis, der in eine Richtung führt - und genau das macht die Suche so schwierig. Ich schlage vor, wir gehen nun zu den letzten Orten, an denen man das Prinzenpaar sah."
Wieder ging der Zwerg voran und führte Prinz Edelbrecht und die Gruppe durch einen Korridor auf der gegenüberliegenden Seite des Empfangssaales. Eine Treppe führte hinauf in einen holzvertäfelten Raum im ersten Stock. An der Wand hingen einige Jagdbögen, fünf Türen führten in angrenzende Räume. Nirwulf deutete auf eine der Türen.
"Hier liegt das Schlafgemach des Prinzenpaares. Auf der gegenüberliegenden Seite die Kammer der Pagen. Eine Pagin will in der Nacht vier bewaffnete und mit Masken vermummte Gesalten gesehen haben, die in das Schlafgemach eingedrungen sind. Das Kind wurde vom Anblick derart verängstigt, dass es sich versteckte anstatt um Hilfe zu rufen. Wir fanden das Mädchen in ihrer eignen Wäschetruhe."
"Väterchen, ist die Pagin befragt worden und was konnte sie mitteilen?" erklang die Stimme des koscher Wehrmeisters.
"Und sind nicht mehrere Pagen in dem Zimmer untergebracht, so daß sie hätten merken müssen, daß die Kleine in die Wäschetruhe geklettert ist?" fuhr er fort.