Neuer Schwung im Sumpf - Am Wegesende
Es war ein trauriger Anlass, der die Lanze der Angbarer Sappeure bis in die nahegelegene Ortschaft der Moorbrücker Neusiedlung führte. Einer der ihren war im Kampf gegen Untote verwundet worden und brauchte Hilfe. Immerhin wurden sie sogleich empfangen, wenn auch der eigentliche Lehnsherr, Boromil vom Kargen Land, nicht anwesend war. Der von ihm eingesetzte Dorfschulze Olgosch Sohn des Ogrim erklärte den Neuankömmlingen, dass der Ritter oft unterwegs sei. Immerhin konnte die verletzte Ackbar so in dessen Haus untergebracht werden – für sie als Adelige war das nur angemessen. Ildaria Ueberwald machte sich sogleich daran, den Verband zu erneuern und einige Kräuter zuzubereiten. Travine Ferdoker würde ebenfalls an ihrer Seite wachen.
Die Ambosszwerge boten den Angroschim unter den Sappeuren an, bei ihnen unterzukommen, was sowohl Waibel Grabosch Sohn des Grubosch als auch Ibralosch Sohn des Ingrasch gerne annahmen. Die restlichen Sappeure wurden auf die anderen Häuser aufgeteilt. Auch wenn es ein wenig eng werden würde, so waren doch alle froh, zur Abwechslung wieder mal ein festes Dach unter dem Kopf zu haben.
Angwart Halmanger war natürlich zu Gast bei seinem Bruder Jallik, der ihn stürmisch begrüßte. Die beiden hatten sich seit Jahren nicht gesehen und viel zu erzählen. Rahjada Lehmfeld kam bei ihrer Base Tsalva unter – man sah den beiden Schönheiten sofort die Verwandtschaft an, auch wenn die Männer immer wieder “nur zur Sicherheit” noch einmal genau nachschauten.
Während Eulrich Tannhauser mit einigen der anderen Einwohner ein Schwätzchen führte, bemerkte Lane Taschmann mit ihrem scharfen Blick, wie einer von ihnen ganz unruhig wurde und regelrecht mit den Händen zu zittern begann. Als sich die Gelegenheit bot, ging sie vorsichtig auf ihn zu. “Alles in Ordnung?” Zu ihrer Überraschung antwortete der Mann nicht, sondern nickte nur. Aber er wirkte immer noch aufgewühlt. Es musste irgendetwas mit ihrem Kameraden zu tun haben… was konnte es nur sein? “Na, rück schon raus mit der Sprache. Irgendetwas war doch da eben…” Hatte sie etwas falsches gesagt? Der Mann schien mit den Tränen zu kämpfen. Jetzt holte er kleine Schreibtafel heraus… gut, dass sie lesen konnte! “Ich kann nicht sprechen. Man hat mir die Zunge herausgeschnitten.” Als Lane die mit feiner Handschrift geschriebenen Worte sah, atmete sie unwillkürlich kräftig aus. “Das ist ja hart! Tut mir leid, wenn ich Dich zu sehr behelligt habe… ich habe gelernt, gerade auf die achtzugeben, die etwas weniger Worte verlieren.” Der Stimmlose bedankte sich mit einer formvollendeten Verbeugung. Er hatte Manieren! “Ich heiße Connar Tannhaus und stamme aus Andergast.”, schrieb ihr Gesprächspartner nun auf. “Ah… jetzt verstehe ich. Du hast natürlich Eulrichs Andergaster Einschlag beim Reden mitbekommen und musstest an Deine alte Heimat denken, richtig?” “Ja. Manchmal kommen Erinnerungen hoch. Dann ist es schwer.” “Das kann ich mir vorstellen! Weißt Du was, Connar, lass uns doch einen Schluck trinken. Wir müssen auch nicht viel reden.” Jetzt fing der Andergaster tatsächlich an zu lachen, dann deutete er mit einer Handbewegung auf einige Hocker rund um einen Tisch vor einem der Häuser.
Am Abend trat Ildaria Ueberwald zum ersten Mal vor die Tür. Ihre Patientin war soweit versorgt und wurde bewacht. Erst jetzt, als sie an die einigermaßen frische Luft kam, merkte sie, wie müde sie war. Ein Glitzern erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war der Phexenschrein! Wie von Zauberhand erschien ein Lächeln in ihrem Gesicht. Es gab auch in schlechten Zeiten immer wieder hoffnungsvolle Momente! Vielleicht wäre es an der Zeit für ein Gebet. Glück konnten sie alle derzeit gut gebrauchen – am meisten aber Ackbar…
Als sie die Augen wieder öffnete, legte sie noch eine kleine Münze beim Schrein ab. Phex gab nichts ohne Gegengabe, so solle denn sein Wille erfüllt sein. Ildaria wollte zurück ins Haus gehen, als sie eine Frau in schwarzer Robe in einiger Entfernung von sich sah, die einfach dort stand und seelenruhig auf sie zu warten schien. Das musste eine Boroni sein! Ildaria wollte sie sogleich ansprechen, doch erinnerte sie sich daran, dass Boronis unnötiges Reden verachteten. Daher schürzte sie nur ihre Lippen und wartete ihrerseits auf eine Reaktion. Die Geweihte deutete ein Lächeln an, nickte ihr aufmunternd zu, streckte eine Hand zu ihr aus und sagte: “Sprich.” “Ich bin Heilerin und meine Kameradin liegt auf dem Krankenlager. Ich habe Angst, dass ihr etwas Schlimmes passieren wird.” “Hast Du alles in Deiner Macht stehende getan, um ihr zu helfen?” “Natürlich!” “Dann hast Du recht getan und nun liegt es in den Händen der Zwölfe, zu entscheiden, was geschehen wird.” “Ich weiß… es ist nur… ich bin dennoch so besorgt.” “Du hast also das Wissen, aber Deine Gefühle drohen Dich zu überwältigen. Sag, hast Du in Deiner Zeit als Heilerin jemals einen Patienten verloren?” “Sogar mehrere… kein Heiler kann jeden retten. Ein alter Mann ist einfach friedlich eingeschlafen. Ein Arbeiter hat nach einem schweren Unfall in meinem Beisein das Bewusstsein verloren und ist nicht mehr aufgewacht. Und dann war da noch das kleine Mädchen mit dem Fieber, dessen Eltern so verzweifelt waren…” Ildaria hatte zuletzt mit sich ringen müssen, um nicht zu weinen, so allgegenwärtig war ihr die Erinnerung. “Demnach hast Du wichtige Erfahrungen gemacht, die Deine Profession mit sich bringt, und Du hast verstanden, dass Du nicht alle wieder gesund bekommen wirst, auch wenn Du das gerne möchtest. Es sind die Emotionen, deren Umgang Du noch lernen möchtest.” “Ja, wenn ich traurig oder besorgt bin, fühle ich mich so hilflos und verzweifelt.” “Doch heute bist Du an einen Schrein der Zwölfe getreten, um zu beten. Wie fühlst Du Dich jetzt gerade?” “Ich… ich glaube, nicht mehr so allein. Wenn ich gebetet habe, fühle ich mich irgendwie geborgen… die Zwölfe schauen ja auf uns.” “Wohl gesprochen! Sie sind immer bei uns, auch wenn sie nicht direkt in Erscheinung treten. Sag, wollen wir vielleicht am Boron-Schrein gemeinsam für die Kranke beten? Auf dass sie einen guten Schlaf finden möge.” “Ja, sehr gerne!” Da fiel ihr etwas ein. “Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt… Ildaria Ueberwald.” “Boronya von Punin. Sehr erfreut.” Die Boroni sah noch so jung aus, und doch hatte sie es geschafft, Ildaria zu beruhigen. “Ihr habt einen guten Einfluss auf mich… ich fühle mich schon viel besser.” “Danke. Noch ein Rat, denn ich werde nicht immer in Deiner Nähe sein: Singen kann die Angst ebenfalls vertreiben.” “Was? Ich dachte, Boronis mögen keinen Gesang…” “Wir mögen keine unnötigen Worte, doch wenn Singen diese Wirkung erzielt, dann war es auch nicht umsonst.” “Ja, da habt Ihr recht…” Zusammen gingen die beiden Frauen zum anderen Schrein der Siedlung...
Waliburia Duridanya Perainiane von Sturmfels schlief die meiste Zeit. Ihre Stirn fühlte sich heiß an. Hatte sie sich ein Fieber zugezogen? Oder war die rostige Waffe, die sie verwundet hatte, daran Schuld? Die Sappeure verbrachten eine Nacht mit Hoffen und Bangen.
Gleich am nächsten Morgen bekamen die Mitglieder der Lanze, die nicht mit der Heilung und Wache beschäftigt waren, den Auftrag, den Knüppeldamm zu inspizieren. Schließlich war man nicht hier, um sich dem Müßiggang hinzugeben. Wenn der ursprüngliche Auftrag ruhen musste, so sollte zumindest ein anderer Teil des Sumpfes inspiziert werden. Als erstes stand eine Reise bis nach Klammwinkel an. In Hohentrutz, eine Siedlung weiter, sollte es sogar eine Magierin geben – vielleicht würde die im schlimmsten Falle noch etwas für Ackbar ausrichten könnten!
So motiviert zogen alle einsatzfähigen Sappeure hinaus aufs Feld. Doch bereits am Nachmittag kehrten sie völlig verstört wieder zurück. “Der… der Damm ist weg. Einfach verschwunden.”, meldete Malzan Siebenschröter. “Er hört irgendwann plötzlich auf – und da ist es, als ob sich die gesamte Umgebung verflüssigt hätte.”