Neuer Schwung im Sumpf - Alte Erinnerungen
Es dämmerte bereits, als sich ein weiterer Reisender der Siedlung näherte. “Langsam wird es voll...”, murmelte Dugobalosch Sohn des Dramosch, der den Neuankömmling als erster gesichtet hatte. Dieser stellte sich aus der Nähe ebenfalls als ein alter Bekannter heraus: Rastafan ibn Kashban war vor einigen Jahren zu Gast bei Ritter Boromil vom Kargen Land gewesen.
Der Mhanadistani erzählte, er sei bereits seit einiger Zeit an verschiedenen Stellen im Sumpf unterwegs und sei vor kurzem auf ein merkwürdiges Phänomen gestoßen. Er hatte gehofft, den Ritter hier anzutreffen, um sich mit ihm über die Angelegenheit auszutauschen, zumal dieser für einen Nichtmagier ein angenehm reichhaltiges Wissen über Magie besaß, das zu einem Gespräch einlud.
Schnell hatte Dorfschulze Olgosch Sohn des Ogrim ihn über die Lage aufgeklärt. Dass einer der Angbarer Sappeure verletzt auf dem Krankenlager lag, dauerte den Magier sehr. Doch leider erstreckten sich seine Künste nicht auf die Heilung, sondern waren vor allem auf die Elementarmagie ausgerichtet. Als Waibel Grabosch Sohn des Grubosch erklärte, die verletzte Ackbar sei bereits anderweitig magisch versorgt worden, leuchteten die Augen des Tulamiden auf. Er brannte darauf, den Zauberkundigen kennenzulernen. Vielleicht ließe sich doch mit jemandem ein fachkundiges Gespräch über das neuerliche Vorkommnis im Sumpf führen…
Im Zwielicht des Abends rührte Bengram Sohn des Borgrim einen großen Kessel auf einer Feuerstelle. Mit all den Besuchern, die Neuvaloor gerade hatte, war es nur angemessen, einen Teil der Versorgung selbst zu übernehmen. Er genoss diese Momente allein. Trubel war er nicht gewohnt. Bald gesellte sich sein Xandresch Sohn des Xologrim hinzu, der neues Feuerholz brachte. Gemeinsam starrten sie schweigend auf das Feuer und den Topf. Es war ein Stück traviagefällige Gemütlichkeit in einer feindseligen Umgebung. Obwohl beide Prospektoren gute Sinne hatten, merkten sie nicht, wie sich Eldariel Abendglanz zu ihnen hinzugesellte und ebenso lautlos die Wärme und den Schein des Feuers genoss. Ganz ruhig und friedlich stand sie dar, das strohblonde Haar hell leuchtend und die Augen funkelnd. Erst Ibralosch Sohn des Ingrasch durchbrach die Stille, als er auf die Gruppe zutrat und freundlich lächelnd eine Salami hervorholte, die er in Stücke schnitt und zur Mahlzeit im Kessel hinzugab. “Bevor sie sich der Rabbatzmann holt...”, zwinkerte er den anderen zu. Seine beiden Verwandten lachten still, während die Elfe fragend den eine Augenbraue hochzog. Doch bevor sie ein Gespräch über Sagengestalten des Kosch beginnen konnten, kam eine hochgewachsene Gestalt aus den Schatten ins Licht.
“Ahlan wa-sahlan! Mir wurde gesagt, ich würde hier eine andere magiewirkende Person finden. Ich denke, es ist für alle nützlich, wenn wir uns austauschen… “ Während die Zwerge stumm lauschten und die Zeit für ein gutes Pfeifchen nutzten, sprachen der Magier und die Zauberweberin jeder auf ihre Art über das, was sie erlebt und gesehen hatten: Für die Elfe war das Gleichgewicht von Nurti und Zerzal in Moorbrück schon seit langer Zeit gestört, doch jetzt hatte sich eine neue Art von zertaubra an einigen Stellen offenbart. Aus Sicht des Gildenmagiers lagen die Elemente im Streit. Im Hintergrund schien außerdem eine dämonische Komponente zu wirken. Natürlich könnte er einige mächtige Zauber des Elementes Feuer wirken; doch sei nicht abzusehen, ob das die Sache nicht noch schlimmer machen würde. Zudem sei vor zehn Jahren in der Nähe von Hohentrutz eine Brandrodung außer Kontrolle geraten, die weite Teile des umgebenden Sumpfes in Brand gesteckt hätte, und er sei sich sicher, dass die Siedler keinerlei Verlangen danach hätten, diese Erfahrung zu wiederholen.
Als es weniger um Magie und mehr um den Moorbrücker Sumpf ging, sahen auch die drei Angroschim die Gelegenheit, um mit ihrem Wissen beizutragen. Einige der Erfahrungen waren schon Jahre her, und durch all die verschiedenen Erinnerungen kam das Gespräch schließlich auf alte Bekannte im Kosch.
Dabei stellte sich heraus, dass alle Anwesenden einen gemeinsamen Freund gehabt hatten: Ardo vom Eberstamm, der 1032 BF schändlich ermordet worden war. Bei der Erwähnung des toten Freundes fiel Ibralosch ein, wie sein alter Ausbilder Nirulf Hackinger vor kurzem zu Boron gegangen war – wenigstens war es kein gewaltsamer Tod gewesen, sondern ein friedliches Einschlafen im Bett. Den Hauptmann der Nadoreter Stadtwache hatten bis auf Bengram alle der Anwesenden gekannt – schließlich hatten die anderen vier die ersten Schritte ihres Abenteurerlebens um 1009 BF in Nadoret gemacht. Die Erinnerung an alte Freunde, die nun nicht mehr unter ihnen weilten, drückte die Stimmung, und irgendwann verstummte das Gespräch und jeder hing seinen Gedanken nach, auf den Kessel oder ins Feuer starrend.
Ildaria Ueberwald stand draußen mit einigen der Siedler. Was auch immer das Schicksal ihrer Kameradin sein würde – sie konnte derzeit nichts weiter für sie tun. Doch anstatt dass ihr die Gewissheit, alles in ihrer Kraft stehende getan zu haben Ruhe gab, wiegte sie sich nervös auf und ab. Das blieb Aldur Haubenschreier nicht verborgen. “Du fühlst Dich zum Nichtstun verdammt, nicht wahr?” “Ja”, antwortete sie ein wenig kläglich. “Hm”, nickte der Glockengießer ruhig, “das kann ich verstehen. Wenn man sich verantwortlich fühlt für andere, kann es einem schwerfallen, zur Ruhe zu kommen. Vielleicht kann Boronya Dir weiterhelfen…” “Ich habe schon einmal mit der Boroni geredet und das hat mir sehr gut getan. Sie hat mir geraten, zu singen, wenn ich Angst habe.” “Das ist eine sehr gute Idee. Hast Du einen Vorschlag?” “Ach, mir fällt einfach nichts ein! Ich kann mich nicht konzentrieren, weil ich so in Sorge bin.” Da schrieb Connar Tannhaus etwas auf seine Tafel und zeigte es den anderen. Es waren nur drei schlichte Wörter. Ildaria las sie vor und rätselte über ihre Bedeutung, doch Aldur verstand, als er sie hörte. Es war der Titel eines Liedes!
Mit fester, klarer Stimme begann er zu singen und ging auf das Feuer zu. Connar griff nach seiner Laute und begleitete ihn. Nach den ersten Worten stiegen auch andere Siedler in den Gesang ein: Caya Folmin mit ihrer hellen Stimme, Gilia Ulfaran etwas tiefer, und schließlich Thimorn Hiligon mit seiner Bassstimme. Hanno Weidentreu spielte einen Zwischenteil auf der Flöte.
Als die Heilerin hörte, wie die Siedler davon sangen, dass der Morgen komme, auch wenn jetzt noch tiefe Nacht herrsche, da war sie aufs tiefste ergriffen. Wie die anderen ging sie zu der Gruppe am Feuer, die nun aufblickte, ebenfalls bewegt durch die Musik. Nach und nach gesellten sich auch die anderen Mitglieder der Lanze hinzu. Selbst die ansonsten so abgebrühte Travine Ferdoker bekam feucht glänzende Augen. Hoffnung, Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung in schweren Zeiten… dafür war sie den Sappeuren beigetreten. Es gab mehr auf der Welt als nur Gold!
Als die letzten Töne schließlich verklangen, da standen alle gemeinsam in einer Runde am Feuer, Einwohner wie Gäste. Es war, als hätte das Lied einen Zauber gewirkt, der allen gemeinsam ein wenig Mut gemacht hatte. Alle schauten sich ein wenig erstaunt an und niemand wollte die Stille durchbrechen.
“Das war schön”, sagte da eine vertraute Stimme, und alle drehten sich um, um das vertraute Antlitz von Waliburia Duridanya Perainiane von Sturmfels zu erblicken. Die Kriegerin war aufgewacht und aufgestanden – und neben ihr stand ruhig lächelnd die Borongeweihte, die über ihren Schlaf gewacht hatte. Auch wenn es nun langsam Nacht wurde in der Siedlung: Der Morgen war da.