Neuer Schwung im Sumpf - Die Kraft der Erdmutter
12. Travia 1044 BF, Klammwinkel
Tag neunzehn. Alle Häuser waren zur Gänze versunken. Jedwedes Anzeichen dafür, dass es Klammwinkel gegeben hatte, war nun vollständig und unwiederbringlich ausgelöscht. Nur der Schrein der Tsa blieb weiterhin unangetastet vom lebendigen Moor, wie es inzwischen von Menschen und Zwergen gleichsam genannt wurde. Waren ihre Gebete erhört worden?
Es hatte die ersten Übergriffe gegeben, wie der Weibel es vorhergesehen hatte. Nur mit größter Mühe und entsprechender Härte hatte er die Menschen zur Ruhe bringen können, auch wenn sein Soldaten selbstverständlich Hemmungen gehabt hatten, gegen Zivilisten vorzugehen. Aber es hatte keine Alternative gegeben.
Den Unruhen war ein junger, heißblütiger Bauer zum Opfer gefallen. Er war verblutet. Ein Dolch hatte seine Leber durchbohrt. Jede Hilfe war zu spät gekommen zumal Chrysoprax zu jenem Zeitpunkt schon nicht mehr im Dorf, oder besser dessen bei dessen Bewohnern gewesen war. Vielleicht hatte auch dieser Umstand dafür gesorgt, dass ein kleiner Streit der Funke gewesen war, der einen Brand ausgelöst und die Existenzängste der Menschen hatte in Gewalt umschlagen lassen. Allen war klar, ohne den Geoden würde das gelagerte Trinkwasser keine zwei Wochen reichen und sie alle elendig verdursten.
Chrysoprax hatte in der Nacht die Erdmutter angerufen und ihre Kraft durch sich hindurch fließen lassen. Die Konstruktion aus Pfählen und Plattformen, die ihren Rückzugsort flächenmäßig vergrößerte, war zum Teil schon untergegangen gewesen, nun jedoch sorgten armdicke Kletterpflanzen dafür, dass sie nicht weiter versinken konnten, indem sie die Konstruktion an den umstehenden Bäumen befestigten wie eine Hängebrücke.
Das Schauspiel, wie es dazu gekommen war, hatte allen, die ihm zugesehen hatten mit Angst erfüllt, zu unnatürlich war es gewesen. Herzschlag um Herzschlag hatten sich die zuvor vielleicht fingerdicken Schlingpflanzen, die mit dem Moor ins Dorf gekommen waren, verlängert. Dicker geworden waren sie dabei ebenfalls. Viele Dutzend Schritt hatte der Geode sie wachsen lassen und dabei zudem die 'Richtung' bestimmt, denen die Pflanzen dabei entgegengestreckt waren. Erst einmal würde ihr Rückzugsort sicher sein. Fragte sich nur für wie lange?
Dann jedoch war Chrysoprax gegangen - gegangen. Er hatte Thorix erklärt, dass er sich einen Trank zubereitet hätte, durch den er imstande sei, über das Moor zu wandern - einfach so. Der Weibel hatte den Geoden von neuem für verrückt gehalten, doch er hatte abermals recht behalten.
Noch wenige Stunden zuvor hatten sie einen weiteren Versuch abbrechen müssen, sich mit Hilfe von modifizierten Schneeschuhe über das Moor zu bewegen. Sie waren gescheitert, wie stets. Mit großer Mühe und unzähligen, helfenden Händen hatten sie Atosch, einen seiner tapfersten Männer am Seil, das er um die Brust geschnürt gehabt hätte, zurück zum Schrein gezogen. Chrysoprax aber schritt einfach über den stinkenden, blubbernden Boden hinweg, ohne auch nur einen Finger breit einzusinken. Wie konnte das sein? Unbeirrt setzte er einen Fuß vor den anderen und entfernte sich dann rasch.
Die ihm nachgerufene Frage nachdem warum er das nicht schon viel früher getan hatte, beantwortete er schlicht mit: "Ich weiß nicht genau, wie lange die Wirkung anhält”, was zwischen den Zeilen hieß, dass auch er nicht wusste, ob er den Rand des Moores erreichen oder sterben würde.