Graf Wilburs erster Ritt
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Graf Wilburs erster Ritt
Aufsehen erregende Ereignisse auf Schloss Grauensee
Ein stolzer Graf, hoch zu Ross... das ist nicht nur im Wengenholm, wo Graf Jallik von Peraine bis Boron seine Lande durchstreift, ein vertrautes und Respekt einflößendes Bild. Auch auf so mancher Tjoste und in so manchem Kriege gar sah man die Hochwohlgeborenen Damen und Herren auf den Rücken ihrer tapferen Pferde in den Kampf ziehen um ihre Ehre, die Untertanen und das Gute im Reich zu verteidigen.
So mag es einem Adelsmanne gut anstehen, die Kunst des Reitens zu beherrschen. Dies dachte sich der alte Junker Ermst, das ehrbare Oberhaupt des Hauses vom See, als er seinen Enkel Wilbur betrachtete. Obschon der Knabe bereits in seinem jugendlichen Alter von fünfzehn Götterläufen als Graf über die Hügellande herrscht und in so manchen der täglichen Lektionen hoffnungsvolle Fortschritte macht, hat er doch nie zu reiten gelernt. Sein Vater Nottel war zwar ein Held, doch nie ein Ritter — und zog selbst das Segelboot dem Rosse vor. So erachtete er es auch nie als notwendig seinen Kindern diese Fähigkeit beizubringen. Schwerer noch mochte allerdings die tragische Tatsache wiegen, dass der kleine Wilbur einst sah, wie seine Mutter vom Pferde fiel und unter dessen Hufen den Tod fand. Seither begleitete den Jungen ein tiefer Respekt vor diesen Tieren. Diesen galt es zunächst zu überwinden, wenn aus dem jungen Grafen ein guter Reiter werden sollte.
Über Wochen ließen Junker Ermst und Haushofmeister Voltan von Falkenhag seine Hochwohlgeboren auf dem hölzernen Bocke das Auf- und Absteigen üben und erläuterten Stund’ um Stund’ wohl die gesamten Geheimnisse der Pferdezucht — vom Zwergentier bis zum Shadif der Kalifen. Letztes Frühjahr war es schließlich an der Zeit all diese geduldigen Vorbereitungen in den ersten Reitversuch münden zu lassen. Dieser Gang fiel dem Grafen sichtlich nicht leicht, doch im Innenhof des Schlosses Grauensee hatte sich der gesamte Hofstaat versammelt, um ihm beizustehen. Als das Ross, ein stolzer und erfahrener Rappe aus Elenviner Zucht, in den Hof geführt wurde, schreckte der Graf für einen Moment zurück — aber Truchsess Voltan stand hinter ihm und versicherte, dass man das sanftmütigste aller Rösser der gräflichen Stallungen gewählt habe. Dies gab dem jungen Manne den nötigen Mut, um die kleine Stiege zu erklimmen und behutsam auf den Rücken des Pferdes zu steigen. Überall erschallten Jubelrufe und aufbrandender Applaus begann bereits den Hof zu erfüllen — als sich das Ross völlig unerwartet aufbäumte und sein lautes Wiehern die Freudenlaute durchbrach. In hohem Bogen wurde der Graf aus dem Sattel geworfen und drohte auf den Pflastersteinen des Hofes zu landen. Glücklicherweise konnte der beherzt zugreifende Truchsess Schlimmeres verhindern, indem er den Sturz zumindest milderte — so dass es bei einer Verletzung des Armes blieb, welche der Magiekundige Magister Falkenhag rasch zu heilen vermochte.
Währenddessen fand Selissa Mantelweit von Marking, die gräfliche Leibwache, den Grund für den Zornausbruch des Rappen: Ein Übeltäter hatte einen Nagel unter den Sattel gelegt. Als Attentäter wurde rasch der Pferdeknecht Connall, ein rothaariger Bursche aus Albernia, enttarnt und dingfest gemacht. Dessen Beteuerungen, dass all dies nur ein Scherz gewesen sei, halfen ihm wenig — eine Woche nach seiner Missetat machte er Bekanntschaft mit dem Strick. Zeitgleich wurde auch das Pferd dem Metzger übergeben.
Doch all dies konnte nicht verhindern, dass sich Graf Wilbur vom See seither standhaft weigert einen weiteren Versuch zu wagen, jeglichem Ross den Zugang zum Wasserschlosse verbot und bereits befahl neue Stallungen außerhalb der Sichtweite der Residenz zu errichten.
Mitfühlende Töne kamen bereits aus dem Grafenschloss von Ferdok, wo Graf Growin seinem Amtsbruder Wilbur eine Liste guter und preiswerter Kutschenbauer und Stellmacher zusammenstellen ließ.