Geküsst und ungeküsst
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Aus Koscher Sagenwelt: Geküsst und ungeküsst
Wie Wilbur Grüße überbringt
Einmal kam Wilbur Sumspflog auch nach Pirkensee im Süden der Schetzenau, wo er nicht nur mit gutem Appetit drei Apfelkuchen aß, sondern auch einem Burschen ein hübsches garnelblaues Schultertuch verkaufte, das — so sagte ihm der Jüngling — ein Geschenk für seine Braut sein sollte, die in Sonnenstubben wohnte. „Ei nun“, sprach Wilbur, während er dem Apfelkuchen eine Ziegenmilch folgen ließ, „nach Sonnenstubben werde ich wohl morgen wandern.“ — „So bringt meiner Alwide doch einen lieben Gruß von mir!“, bat ihn der Jüngling, der im übrigen Leumar hieß, und Wilbur versprach es.
Als er nun anderntags nach Sonnenstubben kam und dort den Handelsschluck getrunken, manch schönes Stück verkauft, manch anderes erworben und Neuigkeiten aus der weiten Welt erzählt hatte, ließ er sich unter der Dorflinde nieder, um sein Pfeifchen zu schmauchen. Da trat ein Mädel auf ihn zu, mit schönen Locken, rotbraun wie Kastanien im Herbst, und fröhlichen Äuglein. „Gevatter“, sagte sie zu Wilbur, „wenn Ihr aus Pirkensee kommt, dann kennt Ihr vielleicht den Leumar, meinen Verlobten?“ — „Ei freilich kenn’ ich den“, erwiderte Wilbur und zwinkerte ihr zu. „Er hat mir nämlich aufgetragen, dich recht lieb zu grüßen und dir einen Kuss zu geben.“ — „Einen Kuss?“ — „Ei nun, so hat er’s mir gesagt, so hab ich’s ihm versprochen, und so muss ich’s nun auch halten, soll ich mein Wort nicht brechen müssen.“ Da lächelte die Jungfer und ließ sich von dem Krambold küssen – recht sittsam, das versteht sich, standen doch die Schwestern und die Mutter in der Nähe.
Doch kaum war dieser allerliebste Gruß bestellt, als eine andre Maid Gevatter Wilbur ansprach und ihn grinsend bat, ihm einen Kuss für ihren Liebsten in Fünfbrunnen mitzugeben. Dies aber widerstrebte Wilbur sehr, denn die Jungfer war so ganz und gar nicht lieblich anzusehen mit ihren Kuhaugen, der Knollennase und den wulstigen Lippen. Um Zeit zu gewinnen, sog er zunächst an seiner Pfeife und ließ die blauen Kringel langsam in die Lüfte steigen. Dabei kam ihm wie so oft der rettende Gedanke: „Schau, Mädel“, sprach er, „nach Fünfbrunnen komm’ ich vor dem Winter nicht mehr — und wenn du mir jetzt einen Kuss gibst, so wird er bis dahin von Wind und Wetter und so manchem Trunk, den ich noch nehmen werde, abgewaschen. Darum spar’ ihn auf und gib ihn einem andern, der geraden Wegs zu deinem Liebsten geht.“
Sprach’s, klopfte seine Pfeife aus, schulterte die Kiepe und ging mit einem Liedlein auf den Lippen firunwärts, nicht ohne sich mit einem Zwinkern von der hübschen Alwide verabschiedet zu haben.
Niedergeschrieben von Karolus Linneger