Der Wengel zieht um

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Ausgabe Nummer 40 - Ingerimm 1028 BF

Der Wengel zieht um

Angbarer Puppenbühne jetzt in Kruming

Angbar. Mit dem Schrecken ist er davongekommen, der Wengel, als Angbar in Alagrimms Feuer lichterloh brannte. Auch das Haus der Angbarer Puppenbühne wurde dabei beschädigt, doch götterlob konnten die wackeren Schausteller ihre „Schätze“, die Puppen, Kulissen und Textbücher, in einen sicheren Kellerraum bringen. Der Bühnenraum indessen hatte argen Schaden genommen, sodass lange Zeit der Vorhang (den viele Brandflecken verunzierten) geschlossen blieb.

Wie gewonnen, so... gespendet

Um die nötigen Taler für den Wiederaufbau zu sammeln, packten die Schausteller ihre Siebensachen auf einen Wagen, der mit wenigen Handgriffen zur Bühne umgewandelt werden konnte, und besuchten damit die umliegenden Ortschaften.

Nach Steinbrücken und Gôrmel ging es hinab nach Ferdok; dort spielten sie mit großem Erfolg „Wo der Hanghas’ im Pfeffer liegt“, jenes Stück, mit dem Meister Staubgesicht vor ein paar Jahren seinen Einstand gegeben hatte. Dabei kam so mancher Heller in die Kasse, doch blieb er dort nicht lange. Denn als die Truppe durchs Ferdoker Stadttor zog und die armseligen Unterkünfte der Flüchtlinge aus Tobrien, Darpatien und Garetien sah, die ausgemergelten Gesichter, die Lumpen und den Schmutz, da blutete den Schaustellern das Herz.

„Wie konnten wir hier Possen reißen, während in der Nähe Menschen hungern und darben?“, rief Baldur Staubgesicht. Und nach kurzer Absprache mit seinen Kameraden gab er die Einnahmen aus Ferdok für Brot und Wurst aus, die er unter den Ärmsten der Armen verteilte. Nachdem sie gegessen hatten, versammelten sich die Leute, Kinder und Alte, um den buntbemalten Wagen — und viele von ihnen waren zum ersten Mal seit Wochen und Monden wieder satt und fröhlich.

Mit leerem Beutel, aber um hundert Segenswünsche reicher zogen die Puppenspieler nun weiter Richtung Wallerheim und Nadoret, dann hinüber in den Schetzeneck.

Der Fürst in Not

Bei der Überquerung des Großen Flusses wäre der Wagen beinahe ein Raub der Wellen geworden... die Puppe des Fürsten Badusilius fiel über Bord und trieb auf dem Fluss, bis der beherzte Bosper Steinweich sie wieder ans Trockene holte. Die Schausteller bemerkten noch: „Gut, dass dem Fürsten nichts passiert ist!“ — ohne zu wissen, dass nur wenige Tage zuvor der echte Fürst, Seine Durchlaucht Blasius, zwischen Leben und Tod schwebte!

Über Rhôndur, Kargen, Rohalssteg und Salzmarken ging es zurück ins heimische Angbar. Eine Meile vor dem Tor schon kam dem Wagen eine große Schar von Kindern entgegen, und während der bunte Wagen noch über die Straße rumpelte, spielten Meister Staubgesicht und seine Gefährten vom Kutschbock aus dem Stegreif ein frohes Stück. Wie man sich denken mag, hatten die Einnahmen der Rundreise gerade ausgereicht, um die Truppe zu ernähren und verschiedene unvorhergesehene Kosten (wie ein gebrochenes Rad) zu bestreiten. Das verbliebene Geld reichte gerade aus, um den von Brandflecken durchlöcherten Vorhang der Bühne zu erneuern.

Unverhofft kommt oft

Doch manchen gibt’s Herr Phex im Schlaf: An einem Morgen wurde Meister Staubgesicht durch lautes Klopfen aus dem Bett geworden. Gewisslich hätte er in seiner Schlaftrunkenheit nicht so böse geschimpft, hätte er gleich gewusst, was ihn erwartete. Es war der Obstbauer Anselm Immergrün aus Kruming, der für seinen Pflaumenschnaps berühmt ist. Weit über siebzig Jahre alt und stolzer Großvater von sieben Enkeln, hatte er den Bitten seiner kleinen Schar nachgegeben und überbrachte Meister Staubgesicht eine freudige Kunde: Ein altes Haus, das er in Kruming besaß, wollte er der Puppenbühne zur Verfügung — um den Umbau müssten sie sich nicht sorgen, denn er habe seine Sippschaft und zahlreiche Freunde, darunter genügend Zimmerleute, Tischler, Schmiede, Schneider, in die Pflicht genommen.

Und so kam es, dass Wengel und seine Freude Mitte Peraine ihr neues Zuhause beziehen konnten. Der neue Raum hat Plätze für fünfzig Zuschauer, die bei der ersten Vorstellung (die natürlich kostenlos für die fleißigen Helfer abgehalten wurde) alle besetzt waren, und viele Leute hatten ihren Kleinen und Kleinsten noch auf dem Schoße sitzen. Mit der neuen Bühne klappte noch nicht alles so recht, der Vorhang fiel einmal während des Stückes von selbst zu, was Wengels Großmutter natürlich sofort lamentieren ließ, zu ihrer Zeit habe es so etwas noch nicht gegeben... Aber ansonsten lief alles wie am Schnürchen. Und mochte die Bühne auch neu sein, viele altbekannte Dinge blieben gleich: Das Wengellied, Großmutters guter Kräutertee — und dass die Bösewichter am Ende mit dem großen Kochlöffel verdroschen werden.

Karolus Linneger