Gefangene Hexe verschwunden
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Gefangene Hexe verschwunden
Tierbändigerin auf der Straße nach Rhôndur geflohen oder entführt
RHÔNDUR — ROHALSSTEG. Am 22. Hesinde frühmorgens verließ ein schwer bewachter Zug die Tore Angbars in Richtung Süden: In einen klobigen Kastenwagen gesperrt und in starke Ketten geschlagen wurde das zauberische Weib, welches auf dem Feste des Cron-Consuls von Darpatien unter großen Mühen dingfest gemacht werden konnte, nun zur Burg Kystral ob Rhondur verlegt.
Baron Graphiel von Metenar, hatte den Inquisitor Custodias überzeugt, es sei geraten, die Delinquentin aus Angbar zu entfernen, da es sicher Komplizen gebe, die allerdings in Metenar weit eher auffallen würden als in der Reichsstadt.
In der Stadt wurde bereits eifrig über die Arretierte spekuliert. Man hörte unter anderem, es sei eine zauberkundige Meuchlerin aus Al’Anfa gefaßt worden, die den Emissär, den Inquisitor oder den Prinzen zur Strecke bringen sollte. Andere meinten, das Weib sei gewiß von den Erben Borbarads gesandt. Einige wenige hielten alles für die Folge unglücklichen Umständen. Fest zu stehen schien nur, daß es sich wohl um eine Zauberkundige handelte, wahrscheinlich eine Hexe.
Diese wurde nun von mehreren Dutzend Kriegsleuten aus dem Gefolge des Barons von Metenar und des Inquisitors, der gerade eine Abteilung der Capreoli, einer praiosgefälligen Landwehreinheit, zurück nach Albernia führte, eskortiert nach Süden verbracht. Auch begleitete sowohl der Inquisitor als auch der Baron, sowie dessen Familie und der Berggreve Gorek von Traschforst den Zug.
Letzterer hatte den Inquisitor darauf hingewiesen, daß die Bewegung eines derartigen Kriegshaufens — und sei es auch nur Landwehr — durch koscher Land den Unmut nicht nur des örtlichen Adels, sondern auch der Angroschim nach sich ziehen würde. Man marschiere ja schließlich nicht in ein Kriegsgebiet und eine Besatzungsarmee sei nicht von Nöten. Dieser jedoch wies dieses Ansinnen brüsk ab und verwies auf die absolute Notwendigkeit, die Stärke der Lichtkirche zu demonstrieren. Eine Schwächung geistlicher Truppen könne nur einem Zwecke dienen: der Vorbereitung oder Verschleierung dunkler Umtriebe.
So wurde es dann auch gehalten. Auf der mehrere Tage dauernden Reise sollte eine so große Anzahl von Bewaffneten eigentlich für die nötige Sicherheit sorgen, so daß man kaum mit einem Zwischenfall rechnete. Allerdings sollte es dennoch anders kommen, denn am 25. Hesinde geschah wenige Meilen nördlich von Rohalssteg Ungeheuerliches. Da von offizieller Seite keine Stellungsnahme erfolgte, wollen wir einmal einige Zeugen des Vorfalles zu Wort kommen lassen:
„Naja, das war ja schon den ganzen Tag über kein so dolles Wetter, nicht’? Aber dann hats kurz nach mittags angefangen mit richtich stürmen und so, nich’? Da war es dann gar nich’ mehr schön, richtich kalt war das dann und damit die Finger — also die, die ich noch habe. Also, damit die nich’ auch noch abfallen, hab ich sie dann gut beistecken müssen. So sind wir dann weitergestapft. Aber das war ja noch nich’ das dollste — oder schlimmste sollte man wohl sagen. Der Sturm hat dann nämlich auch aufgehört, nich’? Aber dann! Das Gestöber hatte gerade aufgehört und wir waren gerade mal ne Meile weiter, da kamen wir in Nebel, als hätte Efferd uns ‘nen Schleier über die Köppe geworfen. Also sehen konnt’ man da nix mehr!
Wir sollten dann alle näher zusammen, hat der Weibel gesagt, nicht’? Als wenn ich dem Vordermann nicht’ eh schon dauernd in die Hacken getreten wäre! Aber der Herr Inquisitor hatte recht, oh wie recht er mal wieder hatte! Dann brach es über uns herein: Schwarz, groß und … konnte es uns nich’ in Ruhe lassen? Das war uns von Dämobrien gefolgt! Wir waren doch schon fast wieder zu Hause? Hatten wir nich’ gut genug gefochten?
Das … Ding hat mir dann die Waffe entrissen. Und still war das! Unheilig! Ich habe zum Herre Praios gebetet, aber es hat meine Worte gegessen! Da hab ich dann meine Waffe lieber gesucht. Aber ich hab sie nich’ gefunden, bis es wieder hell war, nicht’? Aber hören konnte ich dann wieder. Irgendwer hat durch den Nebel — ja, Nebel war da noch — geschimpft wie ein … nunja, war halt sehr wütend, nicht’? War ja auch verständlich, wo die Gefangene, die wieder zum rechten Weg finden sollte verschwunden war. Ja, die hat das Ding dann wohl doch noch geholt, bevor sie durch das gleißende Licht des Herren und das Feuer gereinigt werdne konnte. Mitbekommen habe ich davon direkt nichts. Die Girte hats mir erzählt.“
Capreolus Jast Sturmbrecher
„Stockfinster war es. Mit einem Schlag! Vorher wars Mistwetter und Nebel, aber dann … als wenn man abends Licht gelöscht hätte. Ich habe geschrien, oh, habe ich geschrien — aber ich habs nicht gehört, nur gespürt. Dann war es vorbei mit meiner Tapferkeit. Waren doch genug Kriegsleute mit dabei und ich sollt’ nur den Wagen lenken. War sowieso schon verrückt genug. Mitten im Winter, Schneesturm und alles dabei …
Also, wie gesagt: sollte sich doch das Waffenvolk drum kümmern. Die hatte der Inquisitor ja auch näher zusammenrücken lassen, wo er doch diesen Engpaß gesehen hat. Ich kenne mich damit ja auch ein bißchen aus… da hätt man uns gut überfallen können. Wenn wir Waren gehabt hätten, meine ich. Aber ich glaube nicht, daß es die Unheiligen kümmert, obs nun Winter ist und wie die Straße aussieht. Die waren das bestimmt. Habe mich ja auch unterm Bock versteckt deswegen. Irgendwie müssen die aber ganz in meiner Nähe gewesen sein, wenn ich nur daran denke!
Zum Schluß war dann noch die Gefangene weg. Hatten die wohl mitgenommen. Naja, eigentlich gehört sie da auch hin, aber der Baron fand das wohl nicht so richtig. Der war noch aufgebrachter als der Inquisitor selbst. Erst hat er die Wachen angeschrien, dann sein Roß wutschnaubend herumgeworfen und wollte in den Wald rein die Verfolgung aufnehmen wohl. Hat es angetrieben, als ging’s um sein Leben. Hat aber nichts gebracht, weil der Schnee zu hoch war. Als er dann noch abgeworfen wurde, hat er wohl doch ein Einsehen gehabt, aber bessere Laune wohl nicht, wahrlich. Der Schneesturm, den’s da plötzlich wieder gab, hat’s auch nicht besser gemacht.“
Grischna Seehof, Kutscherin
„Ich war bei der ganzen Sache am Wagen dabei. Was da genau passiert ist, weiß ich auch nicht, aber irgendetwas war da noch mit in dem Dunkel. Ich würde glatt sagen, nichts, was nicht auch derisch erklärt werden könnte, wenn es nicht so verflixt stark gewesen wäre. Aber es hat mich niedergestreckt mit diesen maraskanischen Tricks da, wo man keine Waffe brauchen tut. Mein Schwert hat ja am Boden geklebt, als wäre es festgewachsen … Ich habe dann nicht mehr viel mitbekommen, erst wieder, als alles hell war. Da kamen dann seine Hochwürden und seine Hochgeboren nach hinten, nach dem Rechten sehen. Haben dann auch die Tür vom Wagen öffnen lassen.
Aber da war wohl nichts mehr drinne! … und dann ist der fuchswild geworden, der Baron. Hat seinen armen Gaul in die Schneewehen gehetzt, daß das Vieh gewiehert hat, als stecke es am Spieß, Hat der geschimpft! Ich wußte gar nicht, daß der Herre Praios so viele Bannflüche kennete!“
Weibel Hagen
„Ich glaube nicht, daß wir es hier mit irgendwelchem Dämonenwerk zu tun haben, sondern mit durchaus derischen, wenn auch teilweise zumindest zauberkundigen Gegnern. In der Dunkelheit habe ich gegen jemanden gekämpft, der Blut hinterlassen hat auf meiner Klinge. Nein, ich weiß nicht, ob die von Maraskan kamen, wie es ein paar von diesen Capreoli behaupteten — also die, die hier nicht an Dämonenwerk glauben …“
ungenannter Zeuge
Was auch immer vorgefallen sein mag — sowohl Hochwürden Celesto Custodias als auch Baron Graphiel hüllen sich in Schweigen. Der Zug allerdings erreichte danach unbehelligt Rhôndur, wo der Inquisitor sofortige Untersuchungen einleitete. Von Burg Kystral, dem derzeitigen Hauptquartier des Inquisitoren, wurden im Anschluß an dieses Geschehen immer wieder kleine Gruppen ausgesandt, welche ihr Glück versuchten und die Gegend durchkämmten. Im Winter ist dies in den Vorbergen des Kosch kein sonderlich aussichtsreiches Unterfangen, dennoch mag es mit Herrn PRAios Hilfe gelingen, Hinweise zur näheren Klärung der Vorkommnisse aufzuspüren, zumal auch eventuelle Feinde des Lichtes in dieser Jahreszeit wohl kaum weit kommen mögen.
Es wurde indessen eine Belohnung von 50 Dukaten für die Beibringung entscheidender Hinweise zum Verschwinden der Attentäterin ausgesetzt.